Sport DANIEL KARMANN / DPA Skandale Korruption und Erpressung durchziehen Fußball und Leichtathletik. Die Mafia-Expertin Letizia Paoli erkennt darin Parallelen zur organisierten Kriminalität. Die Italienerin Paoli, 49, arbeitet an der Universität der belgischen Stadt Leuven als Professorin für Kriminologie und hat über die Mafia in Italien promoviert. Sie leitet außerdem eine Kommission, die aufklären soll, wie weit Sportmediziner an der Uniklinik Freiburg Doping betrieben haben. schwindet proportional zur Höhe ihres Amtes. SPIEGEL: Warum erweist sich der Sport als so anfällig für Betrug im großen Stil? Paoli: Ich sehe zwei Hauptgründe. Es geht um Sieg und Niederlage, da wirken kriminelle Methoden besonders. Wer nicht mitmacht, verliert. Außerdem sind große Sportverbände wie Fifa, IAAF oder das IOC von außen kaum zu durchschauen. Diese Verbände leben vom Verkauf ihrer Großereignisse, auf die sie ein Monopol besitzen. Dadurch sind sie sehr reich geworden. Wenn aber große Summen auf Intransparenz und mangelnde Kontrolle stoßen, dann ist Korruption selten weit davon entfernt. SPIEGEL: Hat das viele Geld, um das es inzwischen geht, den Sport verdorben? Paoli: Dieser Eindruck drängt sich auf. Das setzt jedoch voraus, dass der vorherige Zustand als besser eingeschätzt wird. Dieser Meinung kann man sein, muss man aber nicht. Die Summen an sich sind nicht das eigentliche Problem, sondern die Tatsache, dass dieses Geld in ein System aus schwarzen Kassen und intransparenten Kanälen fließt. Es lässt sich kaum nachvollziehen, wie es verteilt wird. SPIEGEL: Der Sport ist so korrupt, dass er selbst unfähig zur Aufklärung ist? nicht aus. SPIEGEL: Dafür hat er doch die Welt-Anti- Doping-Agentur. Die Wada hat den Fall des systematischen Dopings in der russischen Leichtathletik untersucht und empfiehlt Bahnbrechendes: Ausschluss des russischen Verbands aus der IAAF und aus allen internationalen Wettbewerben; dazu lebenslange Sperren für einige Athleten, Trainer und Funktionäre. Nicht genug? Paoli: Es braucht das Strafrecht, um die Paten anzugreifen. Im Radsport hat sich das gezeigt. Lance Armstrong ist zwar als Doper überführt worden, aber warum erst so spät? Wäre er ein Drogendealer gewesen, hätte man das ganze Repertoire vom Telefonabhören bis zur 24-Stunden-Beschattung einsetzen können – und der Fall wäre nach einigen Monaten erledigt gewesen. SPIEGEL: Armstrong hat lange die Öffentlichkeit auf seiner Seite gehabt. Zu viele Leute wollten die Legende des vom Krebs auferstandenen Helden nicht angekratzt sehen. In Deutschland spielt sich etwas Ähnliches ab: Die WM 2006 gilt als Sommermärchen. Dass sie mit Schmiergeld gekauft sein könnte, wollen viele nicht wahrhaben. Ist die emotionale Kraft des Sports der beste Deckmantel für Korruption und Vetternwirtschaft? Paoli: In der Tat. Mir scheint, die meisten Deutschen stellen sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen professionellem Wettkampfsport und organisierter Kriminalität nicht sehr gern. Man hält den Sport wohl tatsächlich für etwas Ideelles, bei dem es gesittet und fair zugeht. SPIEGEL: Wäre es an der Zeit, das Verhältnis der Gesellschaft zum Hochglanzsport einmal grundsätzlich zu überdenken? Paoli: Zweifellos. Die Diskrepanz aus überhöhtem Anspruch und offensichtlicher Dekadenz führt zur spannenden Frage nach der Zukunft des Sports in seiner jetzigen Form. Die Proteste in Brasilien gegen die horrenden Kosten der Fußballweltmeisterschaft waren ein deutliches Zeichen, dass nicht mehr alles zugunsten des Sports akzeptiert wird. Ein anderes ist es, dass in Europa kein einziges Land die Olympischen Winterspiele ausrichten mag. Jetzt bin ich gespannt, wie in Hamburg weiter über die Kandidatur für die Sommerspiele 2024 diskutiert wird. SPIEGEL: Frau Paoli, ist der Präsident des Weltverbands im Fußball oder in der Leichtathletik in Wahrheit nichts anderes als ein Mafiaboss? Paoli: Vielleicht würde sich manch ein traditioneller Mafiaboss bei diesem Vergleich glatt in seiner Ehre gekränkt fühlen. Aber im Ernst: In der Mafia gilt strikter Gehorsam, und sie hat teils sehr rigide Normen und Werte mit entsprechenden Strafen. Die italienische Mafia korrumpiert nicht nur, sie greift zu Gewalt und tötet Menschen. Deshalb würde ich bei den erwähnten Beispielen nur im übertragenen Sinn von Mafia sprechen. SPIEGEL: Mafia minus Mord? Paoli: Das, was wir derzeit sehen, kann man organisierte Kriminalität nennen, kein Zweifel. Im Fall der Fifa wendet die amerikanische Justizministerin Loretta Lynch ein Bundesgesetz an, das ursprünglich geschaffen worden war, um die US-Mafia zu bekämpfen. SPIEGEL: Vieles deutet darauf hin, dass die Vergabe von Weltmeisterschaftsturnieren im Fußball durch Bestechung entschieden wird. Funktionäre wurden verhaftet, Fifa-Boss Joseph Blatter ist vorerst gesperrt, gegen ihn wird ermittelt. Und nun das: Der langjährige Präsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF, Lamine Diack, bot offenbar positiv getesteten Sportlern über Mittelsmänner an, die belastenden Proben verschwinden zu lassen, wenn sie ihm Geld zahlen. Ein Verbandschef als mutmaßlicher Kopf eines Erpresserrings – übertrifft das sogar Ihre Vorstellungskraft? Paoli: Nein. Für mich als Kriminologin ist die Herkunft aus Italien durchaus ein Standortvorteil. Korruption ist dort, inklusive des Vatikans, weitverbreitet. Und mein Vertrauen in die Rechtschaffenheit von Funktionären jeder Art Russische Olympiasiegerin Marija Sawinowa: Auf Lebenszeit gesperrt? 118 DER SPIEGEL 47 / 2015 MATT DUNHAM / AP / DPA „Offensichtliche Dekadenz“ Paoli: Ja. Was er unternimmt, das reicht Interview: Detlef Hacke Mail: [email protected], Twitter: @DetlefHacke
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