ZUR PRAXIS Mit Zielen Leistung gestalten – Erfahrungen und Probleme von Nick Kratzer Lange Zeit galten Zielvereinbarungen vor allem als Führungs- und Personalentwicklungsinstrument für Führungskräfte. Seit den 1990-er Jahren hat sich das geändert: In die Debatte über die leistungsbezogene Entlohnung kam Bewegung. Von einer „Renaissance der Leistungsentlohnung“ war die Rede. Zielvereinbarungen waren nun „in“, galten als das „moderne“ personal- und leistungspolitische Instrument, das auch für den Bereich der Tarifbeschäftigten genutzt werden sollte (vgl. dazu Bahnmüller 2002). Zielvereinbarungen erschienen als die zeitgemäße Antwort auf ein zentrales Problem der Unternehmen: Wie soll man Arbeit steuern und Beschäftigte motivieren? Denn der Lohnanreiz allein brachte kaum (mehr) die gewünschten Effekte, wie man schon in der Diskussion über die „Krise der Leistungsentlohnung“ in den 1970-er und 1980-er Jahren festgestellt hatte. Und die neuen Konzepte einer „innovativen Arbeitspolitik“ mit Selbstorganisation und Partizipation als bestimmenden Merkmalen gerieten bereits wieder unter Druck. Zielvereinbarungen schienen dagegen hervorragend in eine sich in den 1990-er Jahren langsam ausbreitende neue Leistungspolitik zu passen, die die Vorgabe von (dynamischen, marktbezogenen) Ertrags- und Ergebniszielen mit partizipativen Elementen verknüpft, da die Beschäftigten diese Ziele ja möglichst in Selbstorganisation, „selbstgesteuert“ erreichen sollen. Waren Zielvereinbarungen bis dahin kaum ein Thema der Arbeitsforschung gewesen, so entstand Ende der 1990-er/Anfang der 2000-er Jahre eine Reihe von Untersuchungen, die unter anderem die Bedeutung von Zielvereinbarungen als Steuerungs- und Entgeltinstrument klären sollten. Die meisten von ihnen kamen zu dem Schluss, dass die Verbreitung von Zielvereinbarungen – soweit man das mit den vorliegenden Daten abschätzen konnte – noch eher gering war. Doch man nahm zugleich an, dass Zielvereinbarungen Konjunktur haben und in der näheren Zukunft weitere Verbreitung finden würden. Rund zehn Jahre später wird deutlich: Weder haben sich (entgeltwirksame) Zielvereinbarungen so flächendeckend durchgesetzt, wie manche das erwartet hatten, noch scheinen sie tatsächlich eine Lösung für die Steuerungs- und Motivierungsprobleme der Unternehmen zu sein. Die Unternehmen fahren bislang offenkundig besser ohne Zielvereinbarungen oder andere Formen einer „echten“ leistungsorientierten Vergütung. Andererseits: Für die Gestaltung oder Regulierung von Leistungsanforderungen könnten Zielvereinbarungen durchaus ganz interessant sein, was am Ende dieses Beitrags kurz erörtert wird. 20 ZUR PRAXIS In die folgenden Ausführungen gehen Überlegungen und empirische Befunde aus drei Forschungsprojekten ein:  „Leistungsgestaltung im Angestelltenbereich – Chancen und Risiken der ERA-Einführung“ (Förderung: Hans-Böckler-Stiftung, abgeschlossen 2008; Veröffentlichungen u.a.: Kratzer/Nies  2009); „PARGEMA – Partizipatives Gesundheitsmanagement“ (Förderung BMBF/Projektträger: DLR – Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen; abgeschlossen 2009; Veröffentlichungen u.a.: Krat-  zer/Dunkel/Becker/Hinrichs 2011) „Lanceo – Balanceorientierte Leistungspolitik“ Förderung BMBF/Projektträger: DLR – Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen; laufend; Veröffentlichungen u.a:. Kratzer/Nies/Pangert/Vogl 2011). Zielvereinbarungen in der Theorie: ein Multifunktionsinstrument Das Instrument der Zielvereinbarung vereint in der Theorie mehrere personalwirtschaftliche Funktionen: Mit einem Instrument können verschiedene Ziele so angegangen werden, dass man den Anforderungen neuer Organisations- und Steuerungsformen gerecht wird. Es ist genau diese Multifunktionalität, die personalwirtschaftlich gesehen den besonderen Charme des Instruments „Zielvereinbarungen“ ausmacht. Zielvereinbarungen erfüllen eine Führungs- und Steuerungsfunktion: Abstrakte Unternehmensziele werden über die Zielvereinbarung in individuelle Handlungsorientierungen übersetzt. An sich ist das nicht neu, es ist das Wesen jeder Leistungsentlohnung – die Beschäftigten sollen ja per Lohnanreiz dazu gebracht werden, aus dem fremden Ziel ihr eigenes zu machen. Neu ist aber, dass es diesmal nicht nur ums Wollen geht, sondern auch um den Prozess. Denn anders als beim Akkord ist nun der Weg zum Ziel eben nicht mehr vorgegeben, sondern die Beschäftigten sollen/müssen ihn selbst finden. Zweitens können Zielvereinbarungen (zumindest theoretisch) als Motivationsinstrument genutzt werden. Auch hier ist wiederum nicht neu, dass das Erreichen von Zielen belohnt wird und die Belohnung vorab als Motivation in Aussicht gestellt wird. Neu ist aber, dass dies in Form einer Vereinbarung bzw. Aushandlung geschieht. Neben die materielle Belohnung als Motivationsfaktor tritt bei Zielvereinbarungen die Partizipation an sich: Man ist einfach schon deshalb motivierter, weil man beteiligt wurde. Möglicherweise entsteht auch eine höhere Akzeptanz und Legitimität der Ziele, eben weil sie unter Beteiligung des Beschäftigten zustande kamen. Zielvereinbarungen haben drittens die Funktion der Personalentwicklung: Anders als bei der Leistungsbeurteilung, die ja eine Rückschau auf den vergangenen Beurteilungszeitraum ist, geht es bei 21 ZUR PRAXIS Zielvereinbarungen gerade darum, vorab zu bestimmen, was in der Zielvereinbarungsperiode passieren soll. Insofern ist das Instrument auf Entwicklung ausgelegt. Zudem sollen oder können – ähnlich wie im Mitarbeitergespräch – im Rahmen der Zielvereinbarung auch individuelle Entwicklungsziele vereinbart werden, das Instrument soll unmittelbar personalpolitisch genutzt werden. Soweit diese drei Funktionen an die materielle Belohnung geknüpft sind, kann man als vierte Funktion noch die Entgeltfunktion nennen. Zielvereinbarungen haben dabei spezifische Vorteile gegenüber anderen Methoden der Entgeltdifferenzierung bzw. der variablen, leistungsorientierten Vergütung(sbestandteile): Gegenüber der Leistungsbeurteilung haben sie den Vorteil relativ größerer Objektivität durch die Vorab-Vereinbarung von Zielen und deren (zumindest gewollten) Messbarkeit; und gegenüber den kennzahlenbasierten Prämiensystemen zeichnen sie sich durch ihre höhere Flexibilität und Bezogenheit auf den individuellen Arbeitsplatz aus. Zielvereinbarungen in der Praxis: Verbreitung und Wirkung Ende der 1990er Jahre war die Verbreitung von Zielvereinbarungen gering, aber die Prognose war klar: Zielvereinbarungen werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Rund zehn Jahre später fällt eine belastbare Einschätzung ihrer Verbreitung immer noch schwer, weil die Datenlage kaum besser ist als damals. Nimmt man die verschiedenen Untersuchungen zum Thema zusammen, gibt es sehr deutliche Hinweise darauf, dass der reale Verbreitungsgrad von entgeltwirksamen Zielvereinbarungen unter allen Beschäftigten nach wie vor recht gering ist. Aber es sind nicht nur quantitative Befunde, die zunehmend Zweifel an der prognostizierten Bedeutung von Zielvereinbarungen als dem modernen Managementinstrument aufkommen lassen. Auch in qualitativer Hinsicht verstärkt sich die Kritik. Ein wesentlicher Kritikpunkt betrifft dabei die partizipative Komponente von Zielvereinbarungen. Ganz offensichtlich handelt es sich in der Praxis mehrheitlich um Zielvorgaben – zumindest dort, wo es um „harte“ Ziele geht. Eine Führungskraft bringt diese Entwicklung vergleichsweise lapidar auf den Punkt: Interviewer: „Wie groß ist der Verhandlungsspielraum [der eigenen Mitarbeiter]? Bei der Festlegung dieser Ziele?“ Abteilungsleiter: „Ich bitte sogar um Vorschläge von den Leuten, vor allem bei den persönlichen Zielen, was wollen sie denn erreichen ...“ Interviewer: „Und bei den Zahlenzielen?“ Abteilungsleiter: „Da ist der Verhandlungsspielraum eben null Komma null.“ (aus: Kratzer / Nies 2009, S. 209) 22 ZUR PRAXIS Damit sind aber Zielvereinbarungen eines ihrer wesentlichen Merkmale beraubt und werden zu einem Instrument der Schein-Partizipation. Und die Kritik daran kommt längst nicht mehr „nur“ von den Beschäftigten, sondern auch von Führungskräften, die ja meistens nicht nur „Geber“ von Zielvorgaben sind, sondern zugleich auch selber Empfänger. Sie ärgern sich weniger darüber, dass es in Wirklichkeit Vorgaben sind, sie ärgern sich vielmehr über den Etikettenschwindel. Die vorliegenden Befunde weisen insgesamt darauf hin, dass Zielvereinbarungen mittlerweile zwar einen festen Platz im Methodenarsenal der Entgelt-, Personal- und Leistungspolitik von Unternehmen haben, aber vor allem im außertariflichen Bereich weit verbreitet sind:    Ihre Verbreitung im Bereich der Tarifbeschäftigten ist nach wie vor eher gering, sie sind bei Tarifbeschäftigten häufig nicht entgeltwirksam; sie werden in der Praxis oft als Zielvorgaben umgesetzt. Bezieht man das auf die oben aufgezählten vier Funktionen, die das Instrument Zielvereinbarungen haben kann – und deren Kombination in einem Instrument ja gerade den Charme ausmacht –, dann muss man konstatieren, dass nicht viel übrig bleibt: Die eher geringe Verbreitung spricht dafür, dass ihre Wirkung als spezifisches Steuerungs- und Führungsinstrument begrenzt ist; die besondere Motivationsfunktion bricht sich am Vorgabencharakter; die Entgeltfunktion setzt voraus, dass Zielvereinbarungen in nennenswerten Umfang tatsächlich entgeltwirksam sind (was offenkundig nicht der Fall ist). Was bleibt, ist dann die Funktion als Personalentwicklungsinstrument: Hier gibt es einige Hinweise, dass diese Funktion zumindest häufiger erfüllt wird. Das oben angeführte Zitat bringt ja nicht nur zum Ausdruck, dass es bei den „Zahlenzielen“ keinen Verhandlungsspielraum gibt, sondern auch, dass über persönliche Ziele sehr wohl und gerne geredet werden darf. Neue Steuerungsformen ohne Zielvereinbarungen: die „Steuerungslücke“ Die aktuellen Befunde zeigen also, dass die Erwartung einer rapiden Bedeutungszunahme von Zielvereinbarungen – zumindest als tarifvertraglich geregelte Entgeltmethode - sich nicht bestätigt hat. Zu beobachten ist die Durchsetzung einer markt- und ertragsorientierten Leistungssteuerung – aber eben (weitgehend) ohne Zielvereinbarungen (und auch weitgehend ohne tatsächlich leistungsvariable Entgeltbestandteile). In den Unternehmen haben sich Formen einer markt- und ertragsorientierten Leistungssteuerung als neuer Modus der Steuerung von Arbeit und Leistung durchgesetzt. 23 ZUR PRAXIS Neu daran ist:  Erstens bestimmt nicht mehr der Aufwand, was Leistung ist, sondern der Erfolg am Markt und  der damit verbundene Ertrag.  vorher errechnete Zielgröße.  ein Ertragsziel definieren. Zweitens: Der Markterfolg bzw. Ertrag ist nicht ein hinterher ermitteltes Ergebnis, sondern eine Drittens: Für jede Einheit eines Unternehmens, bis hin zu einzelnen Beschäftigten, lässt sich so Viertens: Für die Erreichung dieses Ziels sind die jeweiligen Einheiten – und/oder die einzelnen Beschäftigten – verantwortlich; sie erhalten dafür auch entsprechende Freiräume (z.B. im  Rahmen flexibler Arbeitszeitsysteme) und müssen dieses Ziel selbstgesteuert erreichen. Fünftens: Damit das Unternehmen weiß, ob die Ziele am Ende auch erreicht werden (können) oder ob es gegensteuern muss, werden ständig Informationen über den Stand erzeugt und weitergegeben (Controlling). Es ist also nicht so, das es in den Unternehmen keine Zielvereinbarungen gäbe – im Gegenteil. Auf jeder Ebene der Organisation müssen global formulierte Unternehmensziele in konkretere Teilziele verwandelt werden. Auf diese Weise werden die Vorgaben – in einer „Zielkaskade“ – von oben nach unten „heruntergebrochen“. Und diese Zielkaskade funktioniert mehr oder weniger einwandfrei, aber bei der untersten Führungs- bzw. der unmittelbaren Arbeitsebene gerät die Zielkaskade ins Stocken. Denn an dieser Stelle muss ein abstraktes, auf „motivierende Überforderung“ setzendes Steuerungsprinzip in konkrete Arbeitsleistung übersetzt werden. Und dabei wird die Arbeitsebene, die Welt des Konkreten, oft zur Grenze ergebnisorientierter Steuerung. Der Grund ist, dass genau hier die ganze Widersprüchlichkeit neuer Steuerungsformen sichtbar und wirksam wird: Die Formulierung einiger weniger Ziele passt nicht zur Komplexität und Vielfalt der Arbeit und die ständig steigenden Anforderungen nicht zu den begrenzten Ressourcen. Zugleich erweisen sich die Vorgaben selbst als in sich widersprüchlich: Tolle Qualität – und kostengünstig? Ausgereift – und termingerecht? Billiger Service – und zufriedene Kunden? Deshalb bleibt die Arbeitsebene, nach unseren Befunden jedenfalls, eine „Steuerungslücke“. Das heißt nicht, dass es hier nicht Vorgaben und teilweise auch Zielvereinbarungen gäbe, mit denen Arbeit und Leistung gesteuert werden sollen. Unsere Befunde zeigen: Die Ziel- und Ergebnisvorgaben schaffen einen Rahmen der Leistungsverausgabung, an dem man nicht mehr vorbeikommt, sie werden aber keinesfalls bruch- oder widerspruchslos übernommen und handlungsleitend. Als Steuerungsinstrument spielen sie in aller Regel keine zentrale Rolle. Sie sind eher Teil einer Parallelwelt aus betriebswirtschaftlichen Kennzahlen, die mit der realen Welt der konkreten Arbeit aus der Sicht der Beschäftigten oft nicht viel zu tun hat. Und je unrealistischer die Kennzahlen, desto weniger Einfluss haben sie auf den tatsächlichen Arbeitsablauf 24 ZUR PRAXIS So gesehen ist die geringe Verbreitung von Zielvereinbarungen bzw. die ziemlich einseitige Nutzung ihrer Funktionalität nicht Ausdruck einer gebremsten Modernisierung oder eines Umsetzungsdefizits, sondern ganz rational zu begründen. Die Verkoppelung von abstrakten Zielen mit individuellen Leistungszielen und Handlungsorientierungen kann eben gar nicht bruchlos funktionieren, vielmehr würden die Widersprüche der markt- und ertragsorientierten Leistungssteuerung systematisch zu Tage treten, wenn man diesen Versuch machte. Deshalb ist es aus der Sicht der Unternehmen ganz vernünftig, nicht vehementer auf die Verbreitung von Zielvereinbarungen zu drängen – zumal es erstens ja auch so geht und man sich zweitens ein paar andere unerwünschte Nebeneffekte (Zielegoismus, Demotivierung etc.) spart. Für die Unternehmen ist es günstiger, keine systematische Beziehung zwischen Anforderungen und Ressourcen herzustellen – wie es echte Zielvereinbarungen verlangen würden. Es sind im Rahmen neuer Steuerungsformen eben gerade die Beschäftigten, die diese Beziehung herstellen müssen, wenn sie mit den (oft überlastenden) Anforderungen zurechtkommen wollen. Aber eine wirkliche Lösung ist die Steuerungslücke natürlich nicht – und zwar für keine der beteiligten Gruppen: Für Management und Führungskräfte bietet die Steuerungslücke zwar den Vorteil, dass sie auf diese Weise mit den Widersprüchen der neuen Steuerungsformen „leben“ und dabei die Rationalisierungspotenziale erschließen können, die in der „Selbststeuerung“ der Beschäftigten liegen. Aber sie ist auch ein Problem, weil der Bereich der „Steuerungslücke“ nicht richtig ausgeleuchtet werden kann und sie sich darauf verlassen müssen, dass genügend Angst um den Arbeitsplatz und/oder intrinsische Motivation als Leistungsanreize vorhanden sind. Für die Beschäftigten ist die Steuerungslücke ein Problem, weil sie sozusagen „ungesteuert“ mit Überlastung konfrontiert werden – und noch nicht mal Anerkennung dafür bekommen, dass sie neben ihrer inhaltlichen Leistung noch eine „Leistung der Selbststeuerung“ erbringen. Aber andererseits ist die Steuerungslücke auch (und immer noch) ein Freiraum, in dem sie Spielräume genießen und sich nicht genau in die Karten schauen lassen (müssen). Und auch die Betriebsräte können nicht so recht zufrieden sein, weil die Steuerungslücke ja nicht zuletzt auch eine Regulierungslücke ist. Kurz: Im „Idealfall“ kann diese „Steuerungslücke“ die Lösung des unternehmerischen Steuerungsproblems und gleichzeitig geschätzter Freiraum der Beschäftigten sein, im Normalfall ist sie aber das zentrale leistungspolitische Konfliktfeld. Zielvereinbarungen: Erfahrungen und Perspektiven Unsere Untersuchungen zeigen insgesamt, dass es generell im Bezug auf Leistungsentgelte bei Angestellten und insbesondere hinsichtlich der Umsetzung und Regulierung von Zielvereinbarungen wenig Erfahrung, viel Skepsis und ambivalente Interessen gibt. Es zeigt sich, dass alle Beteiligten das Interesse haben, an der bestehenden Situation etwas zu verändern – dass aber auch alle etwas zu verlieren haben: 25 ZUR PRAXIS Leistungsorientierte Vergütung: Bewertung von Chancen und Risiken durch verschiedene Akteure Risiken Chancen Führungskräfte Aufwand Konflikte Verlust von Leistung Motivation Steuerung Betriebsräte Kontrolle Leistungsdruck Entgelt Leistungsgestaltung (?) Beschäftigte (Angestellte) Kontrolle („Transparenz“) Verlust von Freiräumen Anerkennung („Sichtbarkeit“) Entgelt Nach Ergebnissen aus Kratzer / Nies 2009 Die Führungskräfte der untersten Ebene, die – neben den Beschäftigten – von dem „Aufeinanderprallen“ unerreichbarer Ziele, beschränkter Ressourcen und einer arbeitsprozessbezogenen Eigenlogik am stärksten betroffen sind, sehen Chancen in der Einführung oder konsequenteren Umsetzung von Leistungsentgelten. Sie wünschen sich mehr Optionen, mehr Führungsinstrumente, und vor allem wollen sie ein Motivationsinstrument in die Hand bekommen. Auf der anderen Seite fürchten sie – insbesondere bei Zielvereinbarungen – negative Folgen für das Arbeitsklima (mehr Konflikte, stärkerer Egoismus) und sehen nicht zuletzt auch viel Mehrarbeit auf sich zukommen. Die Haltung der Führungskräfte ist, bei einer generellen Präferenz für Leistungsentgelte, also durchaus ambivalent. Die Betriebsräte stehen im Angestelltenbereich häufig mehr oder weniger „ungesteuerten“ und vor allem auch dezentralen Prozessen gegenüber, auf die sie so gut wie keinen Einfluss haben. Allerdings lässt sich daraus kaum ein einheitliches Interesse ableiten – im Gegenteil: Insgesamt betrachtet haben die Betriebsräte in unserer Untersuchung die ungeklärteste und auch widersprüchlichste Position. Es scheint ihnen unklar zu sein, ob Zielvereinbarungen der richtige Weg sind: Zum einen sehen sie die Gefahr, dass Zielvereinbarungen nicht zur Begrenzung von Leistungsdruck, sondern im Gegenteil zu ständig steigenden Leistungsanforderungen führen könnten. Zum anderen ist ihnen unwohl bei dem Gedanken, dass dann die Beschäftigten selbst – und zwar jeder für sich im Angesicht eines in der Regel mächtigeren Verhandlungspartners – über Lohn und Leistung verhandeln (müssen) und der Betriebsrat kaum Einfluss nehmen kann. Dies zeigt: Sollen die leistungspolitischen und –gestalterischen Potenziale von Zielvereinbarungen besser genutzt werden, ist die Qualifizierung und Orientierung der betrieblichen Interessenvertretung eine Hauptaufgabe für die IG Metall. Die befragten Angestellten können sich in der überwiegenden Mehrheit ein „echtes“ Leistungsentgelt durchaus vorstellen – oder wünschen sich das sogar. Nach den bisherigen Erfahrungen der aller- 26 ZUR PRAXIS meisten Angestellten wurden leistungsabhängige Entgeltbestandteile allenfalls sehr inkonsequent genutzt. Was ein „Leistungsentgelt“ für sie attraktiv macht, ist vor allem die Frage der Wertschätzung ihrer Leistung. Hinter den unterschiedlichen Begründungsmustern der Beschäftigten für die Befürwortung von Leistungsentgelt findet sich immer wieder das Bedürfnis nach einer stärkeren Anerkennung ihrer Arbeitsleistung – die sie zunehmend vermissen. Das Dilemma der Angestellten ist aber oft, dass sie zwar mehr Sichtbarkeit wollen, aber keine Transparenz. Wenn praktisch alle betonen, dass ihre Arbeit nicht „messbar“ ist, dann sprechen sie damit nicht nur ein Messproblem an, sondern auch, dass Messbarkeit zugleich Kontrollierbarkeit bedeutet (oder zumindest bedeuten kann). Ein zweites Motiv der Beschäftigten, das aber deutlich seltener angesprochen wird, ist die Begrenzung von Leistungsdruck. Wenn überhaupt ein Instrument mit leistungspolitischen Fragen in Beziehung gesetzt wurde, waren das die Zielvereinbarungen: Nur im Rahmen dieser Methode, so die positiv gestimmten Befragten, ist überhaupt eine Auseinandersetzung über die Rahmenbedingungen der Leistungsverausgabung denkbar, also über verfügbare Ressourcen, ungeplante Änderungen etc. Die letztgenannten Argumente hebeln, zumal als Minderheitsmeinung, die zuvor genannten Kritikpunkte nicht aus, aber sie zeigen immerhin auf, dass Zielvereinbarungen nicht nur in grauer Theorie, sondern unter Umständen auch in der Praxis ein spezifisches leistungspolitisches Potenzial bieten könnten. Insgesamt macht die Diskussion in den Betrieben aber vor allem eines deutlich: Es fehlt ganz eklatant an Erfahrungen und an – praktikablen – „Blaupausen“ für die (Neu)Gestaltung von Leistungsentgelten. Und dies gilt nicht nur für Betriebsräte und Beschäftigte, sondern letztlich auch für die Unternehmen und die Führungskräfte. 27 ZUR PRAXIS Ausblick: Mit Zielen Leistung gestalten? Aber die Diskussion in den Betrieben macht noch etwas anderes deutlich: Die Auseinandersetzung geht im Kern nicht darum, welche Leistungsentgeltmethode die „richtige“ ist bzw. ob man Zielvereinbarungen ablehnen oder befürworten sollte. Es geht um Anerkennung, um Freiräume, um Motivation, um Leistungsdruck, um Steuerung, um Kontrolle. Und die erste Frage muss deshalb sein, wie gegenwärtig Leistungssteuerung funktioniert, mit welchen Problemen das verbunden ist und welche Ansatzpunkte und Möglichkeiten es im Hinblick auf die Leistungsgestaltung gibt. Erst dann stellen sich die Fragen nach den Gestaltungspotenzialen der leistungsorientierten Vergütung, nach dem adäquaten Instrument, nach der richtigen Umsetzung usw. Das neue Prinzip der Leistungssteuerung funktioniert, zugespitzt formuliert, nicht trotz, sondern wegen des Fehlens von Zielvereinbarungen. Die ertragsorientierte Steuerung funktioniert, weil sich die Beschäftigten selbstgesteuert mit Überlastung auseinandersetzen (müssen) und dabei nicht so sehr durch das Versprechen auf materielle Belohnung angetrieben sind, sondern durch ihre Loyalität und Motivation. Von „außen“ gesetzt ist die Notwendigkeit, mit den gegebenen, oft überfordernden Anforderungen zurechtzukommen, ihre „innere“ Haltung verlangt von ihnen, trotzdem gute Arbeit zu leisten. Und genau deshalb lohnt es sich, Zielvereinbarungen (und Leistungsentgelte generell) nicht vorschnell als „Managementwerkzeug“ zu verteufeln, sondern sich damit auseinanderzusetzen. Dabei kann man am „eigentlichen“ Sinn von Leistungsentgeltsystemen ansetzen: Aus der Sicht der Unternehmen sollten Leistungsentgelte einen Beitrag zur Steuerung der Leistungsverausgabung und zur Motivation der Beschäftigten leisten. Deshalb muss im Leistungsentgelt eine systematische Beziehung zwischen den vorhandenen Ressourcen, dem zu gehenden Weg und dem angestrebten Ergebnis hergestellt werden. Und als Motivationsinstrument müssen Leistungsentgelte ganz prinzipiell von den Betroffenen akzeptiert werden: Es geht ja gerade darum, die Beschäftigten zu „aktivieren“ – und das setzt natürlich voraus, dass die Erwartungen nachvollziehbar sind, dass transparent ist, wie der Vorgesetzte dann die „Leistung“ bewertet, und dass die Bewertung dann als „gerecht“ empfunden werden kann. Die Beschäftigten sollen sich ja die Ziele zu eigen machen und müssen sie deshalb als eigene Handlungsorientierung akzeptieren können. Dass die Praxis – zumal bei Zielvereinbarungen – oft anders aussieht, ist kein Gegenbeweis zu den genannten funktionalen Erfordernissen von Leistungsentgelten, sondern nur Ausdruck einer dysfunktionalen Handhabung: Leistungsentgelte erfüllen dann eben auch nicht ihren Zweck, zumindest nicht im eigentlichen Sinne einer Steuerung und Motivierung. Es geht also nicht so sehr um die Frage, ob Leistungsentgelte an sich gut oder schlecht sind bzw. an sich den Leistungsdruck erhöhen oder zu dessen Regulierung beitragen. Es geht darum, wie Leistungsentgelte gestaltet sind, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen. Und deshalb lohnt sich bei aller 28 ZUR PRAXIS gebotenen Skepsis auch die Auseinandersetzung mit Leistungsentgelten als einem möglichen Regulierungsinstrument: Das hängt wiederum mit dem neuen Prinzip der Steuerung von Unternehmen und Arbeit zusammen: Der Kern der systematischen Überlastung ist ja: Die Unternehmen definieren Ergebnis- oder Zielvorgaben, die sich gerade nicht an operativen Fragen orientieren, sondern an abstrakten und dynamischen Ertragszielen; und sie stellen eben zumindest im ersten Schritt gerade keine systematische Beziehung zwischen den vorhandenen Ressourcen und den definierten Anforderungen her. Das geht ja auch gar nicht: Die Erreichbarkeit „unerreichbarer“ oder jedenfalls sehr „sportlicher“ Vorgaben lässt sich eben gerade nicht direkt steuern. Leistungsentgelte könnten in dieser Situation aus mehreren Gründen ein Mittel zur Auseinandersetzung mit der „systematischen Überlastung“ sein:  Leistungsentgelte funktionieren nur wirklich als Steuerungsinstrument auf der Basis einer beschreibbaren, „systematischen“ Beziehung zwischen Anforderungen und Ressourcen - und  sind damit geradezu ein Gegenmodell zur „ungesteuerten“ Überlastung. Leistungsentgelte müssen auf erreichbare und nachvollziehbare Ziele ausgerichtet sein – gerade das sind die abstrakten und dynamischen Ergebnisvorgaben der ertragsorientierten  Steuerung aber oft nicht. Leistungsentgelte sollen Beschäftigte „aktivieren“, sie einbeziehen, ihre eigenen Interessen (z.B. an einem höheren Entgelt) mit den Interessen des Unternehmens verschränken - und gerade das leistet die bisherige Praxis von Vorgaben und Kennzahlen oft nicht. Deutlich wurde in unseren Untersuchungen, dass sich die Befragten der „instrumentellen“ Logik ertragsorientierter Steuerung gerade entziehen oder sogar widersetzen. Die abstrakten und dynamischen Vorgaben stammen eben nicht aus ihrem eigenen Horizont, der viel stärker an operativen und  qualitativen Fragen orientiert ist. In den Betrieben findet zwar tagtäglich die Auseinandersetzung mit und über Ergebnisvorgaben und Kennzahlen, über Leistung und Gegenleistung, über Aufwand und Anerkennung statt. Diese Auseinandersetzung hat aber so gut wie keine institutionelle Form. Leistungsentgelte sind in dieser Hinsicht zumindest eine Chance auf institutionelle Formung und Verstetigung dieser Auseinandersetzung. Kurz: Leistungsentgelte sind eine Chance, die Auseinandersetzung darüber, was überhaupt Leistung ist und welchen Wert sie hat, mit den Akteuren selbst und nachhaltig zu führen. 29
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