MOBILE RECRUITING Best Practice Jetzt mal Butter bei die Fische Na, was denn nun? Funktioniert Mobile Recruiting oder nicht? Bei der Allianz hat man die Erfahrung gemacht, dass einige Features des Mobile Recruitings zu vernachlässigen sind, andere wiederum sind unerlässlich. Dass es sich lohnt, in Mobile Recruiting zu investieren, steht allerdings außer Frage. Unser Autor Dominik Hahn redet Tacheles. dessen, was mobil nicht funktioniert – aber eben auch, was durchaus als Erfolg verbucht und zur Nachahmung empfohlen werden kann. Garniert und untermauert werden die Dos und Don’ts durch Kennzahlen aus dem Hause Google Analytics, welches wir in unser mobiles Applicant Tracking System eingebaut haben. m die Spannung aus diesem Artikel gleich zu Beginn gen null sinken zu lassen: Mobile Recruiting funktioniert nicht. Oder um präziser zu sein: Mobile Recruiting, so wie wir es bei der Allianz Gruppe erdacht und umgesetzt haben, funktioniert nicht. Das ist die Erkenntnis nach rund zwei Jahren operativer Erfahrung im Umgang mit dem mobilen OnlineBewerbungssystem der Allianz. Sie sehen, dieser Artikel wird keine neuerliche Best Practice-Lobeshymne, sondern eine schonungslose Beschreibung U Abbildung 1 Quelle: Allianz, 2015 Fast Apply Was Sie sich bei Mobile Recruiting sparen können Der Button für eine direkte Bewerbung wird von den Nutzern meist ignoriert. 12 Sonderheft 09 | 2015 www.personalwirtschaft.de 1. Kurzbewerbung Ein, wenn nicht gar das innovativste Element der mobilen Allianz-Recruiting-Plattform ist die Möglichkeit, sich mit nur drei „Informationshappen“ zu bewerben: einer für die Stelle relevanten Arbeitserfahrung, der Ausbildung sowie der Telefonnummer. Das Aktivieren dieser intern als „Fast Apply“ bezeichneten Zusatzoption obliegt dem Recruiter. Ein Klick im RecruiterBackend und schon bekommt jede mobile Stellenanzeige den zusätzlichen „Direkt Bewerben“-Button eingespielt – zusätzlich zum generell vorhandenen Button „Bewerbung vorbereiten“, welcher es ermöglicht, mobil die eigene Bewerbung zu beginnen und erste Informationen im System zu hinterlegen. Das Problem: Weder Recruiter noch Bewerber nutzen das „Fast-Apply-Feature“. Die (mögliche) Erklärung: Recruiter möchten nach wie vor – gemäß den Gesetzen der Post-and-Pray-Ära – ein umfassendes Bild eines Kandidaten. Dazu gehören neben einer vollständigen Vita auch alle relevanten Dokumente. Recruiter könnten zwar auf Basis der drei Infos den Bewerber anrufen, um all dies abzufragen, jedoch fehlt a) die Zeit und/oder b) aufgrund der wenigen Daten die Möglichkeit, valide einzuschätzen, ob sich der Anruf lohnt. Oder noch simpler: Es ist (vielleicht) keine gute Idee, eine Kurzbewerbung mit nur drei Informationen anzubieten. In Zahlen: Die Kandidaten schickten bislang rund 4000 „mobile Bewerbungen“ an uns. Etwa 3900 davon wurden auf einem Smartphone vorbereitet. Nur der Rest sind tatsächlich auf dem Mobilgerät abgeschickte Bewerbungen – bei zugegebenermaßen wenigen Stellenanzeigen, welche den „Direkt Bewerben“-Button überhaupt integriert hatten. 2. Job-Agenten In der Konzeptphase Mitte 2013 gingen wir davon aus, dass der „Job-Agent“ eines der am häufigsten genutzten Features des Allianz Mobile-Recruiting-Systems sein würde. Doch weit gefehlt. Das Problem: 476. In Worten: vierhundertsechsundsiebzig. So viele Job-Agenten wurden im Zeitraum von Oktober 2013 bis Juli 2015 über das Smartphone eingerichtet. Zum Vergleich: Auf dem Desktop-System haben dies zehnmal mehr Menschen in einem Drittel des Zeitraums gemacht. Die (mögliche) Erklärung: Ist die Funktion zu versteckt? Kann sein. Können wir sie leich- Was Sie bei Mobile Recruiting unbedingt tun sollten 1. Karrierewebseite und Stellenmarkt Stellen Sie sich vor, Sie surfen unterwegs in Ihrer Amazon-App. Sie sind auf der Suche nach, sagen wir, einem Selfie-Stick und diesen angesagten goldenen Flash-Tattoos für Ihre Tochter. Beide Artikel wandern schnurstracks in Ihren virtuellen Warenkorb und Sie drücken in freudiger Erwartung auf „Kaufen“. Kurz danach erscheint ein Screen, auf dem Ihnen erklärt wird, dass der Einkaufsprozess auf mobilen Endgeräten leider nicht möglich ist. Jeff Bezos würde sich im Grab umdrehen … Will sagen: Optimieren Sie nicht nur Ihren Karriere-Content (= Webseite), sondern auch Ihren Stellenmarkt für Smartphones. So vermeiden Sie das obige Szenario. Eines, das über mehrere Monate hinweg bei der Allianz der Fall war und einer der Gründe gewesen ist, weshalb wir das Mobile Recruiting-Projekt überhaupt angegangen sind. Zudem war die Verbreitung von Mobilgeräten schon „damals“ äußert weit fortgeschritten, und auch Google hatte angekündigt, in Zukunft Webseiten, die nicht mobiloptimiert sind, in der Ergebnisliste zu benachteiligen. 2. Suche und mobile Stellenanzeigen Wer hätte es vermutet? Die Suche nach offenen Stellen ist die meistgenutzte Funktion des mobilen Bewerbungssystems der Allianz. Rund 75 Prozent aller von den Kandidaten genutzten Features beziehen sich auf das Suchen nach offenen Positionen. Ganz konkret sind das rund 200 000 Klicks auf den „Suchen“-Button. Apropos Suche: Denken Sie daran, dass Smartphone-Displays von Jahr zu Jahr ihre Größe ändern. Als wir im Sommer 2013 das User Interface festlegten, war von iPhone 6 Plus und Samsung Galaxy S6 noch keine Rede. Die Folge: Unser sehr simpel gehaltener Such-Bildschirm wirkt auf größeren Screens nun so, als ob der ver- antwortliche Designer Größen nicht richtig einschätzen konnte. Auf HR Bar-Camps oder anderen Recruiting-Events für den geneigten Personaler wird ja häufig und gern über die Einbindung von Infografiken und Videos in Stellenanzeigen gesprochen. Das ist auch alles in Ordnung. Sofern wir vom Desktop sprechen. Auf Mobilgeräten möchte ich das nicht – ich als User und ich als Unternehmen. Grundsätzlich muss man vom Worst CaseSzenario bei der Smartphone-Nutzung ausgehen. Das Mobile Recruiting-System beziehungsweise meine mobile Stellenanzeige sollte also auch für das schwächste Glied in der Bewerberkette nutzbar sein. Dazu stelle man sich etwa die Bahnverbindung zwischen München und Augsburg vor. Wir sitzen mit unserer Regionalbahn gerade an der Haltestelle Haspelmoor fest, und freuen uns über die Edge-Verbindung. Denn die genügt, um nach Stellen zu suchen. Sie macht aber schlapp, wenn ich die Stellenbeschreibung durchlesen möchte, da hier erst noch ein Bild und Video geladen werden müssen. Warum sich als Unternehmen also stundenlang Gedanken machen, wie man diverse Medienformate sinnvoll mobil darstellen kann, wenn ich weiß, dass a) die Infrastruktur – gerade global betrachtet – noch nicht für „rich media content“ ausgelegt ist und b) der Bewerber laut unseren Nutzungsdaten vorranging einfach nach Stellen suchen möchte? Eben. 3. Mobiles Registrieren Wenn wir als Recruitment-Verantwortliche mal ganz ehrlich sind, müssen wir doch zugeben, dass unsere Online-Bewerbungssysteme mitnichten für den Bewerber gemacht sind. Wir als HR hinken zum Teil noch meilenweit dort hinterher, wo unsere Produktmarketing-Kollegen seit Jahren das Wort „Kundenorientierung“ mit praktischen Beispielen vorleben. Als Beispiel sei die App der Allianz Privaten Krankenversicherung genannt, mit der ich meine Rechnungen einfach scannen und abschicken kann und ich innerhalb einer Woche meine Ausgaben erstattet bekomme. Oder eine mobile Banking App der Citi Bank, Mobile Jobsuche Abbildung 2 Quelle: Allianz, 2015 ter auffindbar und verständlich machen? Natürlich. Die mobile Jobsuche ist die meistgenutzte Funktion. welche mithilfe der Allianz für Blinde entwickelt wurde. Hier genügen vier Gesten (Swipe nach links, rechts, oben und unten), damit ein blinder Kunde seine Bankgeschäfte erledigen kann. Ein sichtbares User Interface hat diese Anwendung nicht. Per Gesten steuert man eine Stimme, die durch das Menü führt. Und was machen wir? Wir zwingen Kandidaten, sich zu registrieren. Sich einen Nutzernamen und ein Passwort zu überlegen. Obwohl wir wissen, dass sich Bewerber erstens bei mehr als einem Unternehmen bewerben und sie deswegen die Prozedur mehrfach über sich ergehen lassen müssen und zweitens sich sehr viele davon kein weiteres Mal zu einem späteren Zeitpunkt einloggen, um sich auf eine andere Stelle zu bewerben. Insofern erstaunt es nicht, dass ein recht häufig genutztes Feature das des mobilen Registrierens ist. Rund 8500 User haben dies von unterwegs getan, damit sie sich diesen nervigen Schritt zu Hause sparen und sie dann direkt loslegen können. Und es funktioniert doch! Unter dem Strich ergibt sich ein interessantes Bild. Mobile Recruiting funktioniert. Sonderheft 09 | 2015 www.personalwirtschaft.de 13 MOBILE RECRUITING Best Practice Abbildung 3 Quelle: Allianz, 2015 Mobiles Registrieren Das mobile Registrieren wird von den Nutzern dankbar angenommen. Aber nicht so, wie wir uns das ausgedacht hatten. Wurde das Projektbudget, und das ist nun mal die entscheidende Frage, also sinnvoll investiert? Ich denke, wir haben gute Argumente, um diese Frage zu bejahen: l Ohne unser mobiles Bewerbungssystem hätten wir seit dessen Start mehr als eine Viertelmillion Kandidaten, die rund eine halbe Millionen Sessions generiert haben, verloren. Mit anderen Worten: Circa 17 Prozent aller Nutzer hätten wir mit einer mobilen Sackgasse enttäuschen müssen. Ich bin mir sicher, dass hier der ein oder 14 Sonderheft 09 | 2015 www.personalwirtschaft.de andere passende Kandidat dabei gewesen wäre. l Ein Blick auf das Nutzerverhalten legt eines nahe: Wir erleben nicht nur den „Hybrid Customer“, der sich online informiert und offline einkauft beziehungsweise vice versa. Wir sehen auch, dass Kandidaten die Stellensuche und Bewerbung nicht zwingend stringent über ein Gerät vollziehen. Sie suchen mobil und schicken die Bewerbung über den Desktop-PC ab. Sie suchen „am Schreibtisch“, merken sich die Stelle vor, registrieren sich und geben erste Daten mobil ein und kommen dann wieder zum Computer am Schreibtisch zurück. Und nach der Bewerbung verfolgen sie den Status – sowohl mobil als auch stationär. Insofern können wir von einem „Hybrid Candidate“ sprechen, dessen Verhalten wir systemseitig entgegenkommen sollten. l Die obige Analyse, was als Erfolg und was als Misserfolg verbucht werden kann, zeigt, wie vielschichtig der Themenkomplex „Mobile Recruiting“ ist. Es gibt nicht die Lösung. Vielmehr sehen wir, dass je nach Alter und Herkunft die diversen Funktionen unterschiedlich genutzt werden. Interessant ist beispielsweise, dass die mobile Recruiting-Lösung von deutlich mehr Frauen genutzt wird als das bei der Desktop-Variante der Fall ist. Während wir mobil eine Verteilung von 60 zu 40 sehen, ist es stationär in etwa pari. Ähnliche Unterschiede sehen wir auch hinsichtlich der Altersgruppen und ob es sich bei den Usern um neue oder wiederkehrende handelt. Keine Überraschung ist, dass deutlich mehr jüngere Menschen das mobile System als das sta- tionäre nutzen. Spannender ist, dass auf dem Allianz-Stellenmarkt für unterwegs das Verhältnis von neuen zu wiederkehrenden Nutzern in etwa 70 zu 30 beträgt, sich auf dem Desktop jedoch bei circa 50/50 einpendelt. Keine mobile Fassung der Jobbörse und des Bewerbungssystems anzubieten hieße also, frisch an der Allianz Interessierte potenziell zu verlieren. Mobile oder nicht – das ist hier keine Frage Ob man nun in Mobile Recruiting investieren sollte oder nicht, ist an sich keine valide Frage mehr. Die richtige Fragestellung müsste eher lauten: Welche Funktionalitäten sollte mein mobiles System beinhalten? Ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft diverse Varianten mobiler Recruiting-Systeme sehen werden – auch innerhalb eines Unternehmens. Eine Unterscheidung je nach Stelle könnte Sinn ergeben. Schließlich möchten erfahrene IT-Profis anders behandelt werden als Studierende auf der Suche nach einem Praktikum. Gleichzeitig sollten die unterschiedlichen Nutzerpräferenzen und infrastrukturellen Bedingungen je nach Land nicht außer Acht gelassen werden. Asien, und insbesondere China, bieten andere Voraussetzungen als Afrika, Europa oder die USA. Autor Dominik A. Hahn, Manager Global Employer Branding & E-Recruiting, Allianz SE, München, [email protected]
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