Skript zum Modul Guter Unterricht

Skript zum Modul
GUTER UNTERRICHT
Februar bis Juli 2016
Guter (Yoga-) Unterricht
Was ist Yogaunterricht eigentlich? Ist es Sport- oder Gymnastikunterricht? Ist es ein psychophysisches Lernen in Gruppen nach Anleitung? Kann man Yogaunterricht überhaupt als "Unterricht"
bezeichnen und mit Unterricht in anderen Bereichen vergleichen? Und die wichtigste Frage: Gibt es
objektive Merkmale, die feststellbar sind und dann einen Yogaunterricht als "gut" auszeichnen?
Was macht eigentlich eine professionelle Yogalehrerin, einen professionellen Yogalehrer aus?
Auf Youtube gibt es Videos, die sich über schlechte Yogalehrer lustig machen, z.B. "Hardly Working: Yoga Teachers" oder "Sh*t Unprofessional Yoga Teachers Say". Da kann man als Yogaunterrichtende zwar getrost mitlachen, aber irgendwie bleibt das Lachen auch im Hals stecken, und
man fragt sich: "Tue oder sage ich solche Dinge eigentlich auch? Nehmen mich die Leute so
wahr in den Yogastunden?" Vermutlich nicht und allenfalls nur tendenziell. Aber die meisten
Unterrichtenden sind auch besorgt um die Qualität ihres Unterrichts, sogar dann wenn Sie sich
selbst nach dem Unterrichten gut fühlen und auch positive Rückmeldungen von Teilnehmern
erhalten. Man fragt sich, ob die leise sich aus dem Staub machenden Besucherinnen des Kurses
nicht einfach zu höflich sind, um ihren Unmut oder ihr Unbehagen zu verkünden.
Auch nach Jahren des Unterrichtens kann man dazulernen, und es gibt wohl keine Yogastunde,
die nicht hie und da den einen oder anderen Schnitzer enthält. Manchmal verwechselt man den
Namen einer Stellung, lässt die Leute zu lange auf der einen Seite üben oder man fühlt sich einfach ganz besonders mies. Und obwohl die Menschen im Kurs vermutlich nicht einmal etwas
davon bemerken, nimmt man diese Dinge besonders gut wahr, denn man arbeitet ja mit erhöhter Achtsamkeit und muss die Augen offen halten für tausend Dinge. Da ist es nur natürlich, dass
nicht alles optimal funktioniert. Erfahrene Yogalehrende können vielleicht einfach besser damit
umgehen, wenn etwas schief läuft.
Wir sind der Auffassung, dass Unterricht von alleine besser wird, wenn man sich aufrichtig mit
der Tätigkeit des Unterrichtens selbst auseinandersetzt und sich über das Unterrichten mit anderen unterhält. Für diese Prozesse des Nachdenkens und Praktizierens wollen wir in den sechs
Monaten des Moduls zahlreiche Möglichkeiten des Gewahrwerdens bieten.
Auf der nächsten Seite dieses Skripts sind Merkmale guten Unterrichts aufgelistet, die für den
schulischen Unterricht erdacht und erarbeitet wurden. Da es für den Yoga-Unterricht keine spezielle Didaktik gibt, ist es unsere Aufgabe, die didaktischen Überlegungen der angestammten
Pädagogen für unseren Anwendungsbereich zu übersetzen. Auch die Sportdidaktik ist nicht
unangepasst auf das Halten von Yogastunden anwendbar. Es lohnt sich auf jeden Fall, hin und
wieder die theoretische Brille aufzusetzen und das Yogalehren für einmal mit anderen Augen zu
betrachten und zu erkennen, wie viel von dem, was während einer Yogalektion geschieht, gar
nicht bewusst oder allenfalls halbbewusst wahrgenommen wird. Und wir merken, wie viel wir
eigentlich ganz intuitiv und aus dem Bauch heraus richtig machen…
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Hilbert Meyer
Andreas Helmke
Zehn Merkmale guten Unterrichts
Merkmale der Unterrichtsqualität
1.
1.
Strukturiertheit, Klarheit, Verständlichkeit
2.
Effiziente Klassenführung und Zeitnutzung
3.
Lernförderliches Unterrichtsklima
4.
Ziel-, Wirkungs- und Kompetenzorientierung
5.
Schülerorientierung, Unterstützung
6.
Angemessene Variation von Methoden und
Sozialformen
7.
Aktivierung: Förderung aktiven, selbstständigen Lernens
8.
Konsolidierung, Sicherung, Intelligentes Üben
9.
Vielfältige Motivierung
Klare Strukturierung des Unterrichts
Prozess-, Ziel- und Inhaltsklarheit;
Rollenklarheit; Absprache von Regeln, Ritualen und Freiräumen.
2. Hoher Anteil echter Lernzeit
Gutes Zeitmanagement, Pünktlichkeit; Auslagerung von Organisationskram; Rhythmisierung des Tagesablaufs.
3. Lernförderliches Klima
Gegenseitiger Respekt; verlässlich eingehaltene Regeln; Verantwortungsübernahme;
Gerechtigkeit, Fürsorge.
4. Inhaltliche Klarheit
Verständlichkeit der Aufgabenstellung, Monitoring des Lernverlaufs, Plausibilität des
thematischen Vorgehens, verbindliche Ergebnissicherung.
5. Sinnstiftendes Kommunizieren
Planungsbeteiligung, Gesprächskultur,
Schülerkonferenzen, Lerntagebücher und
Schülerfeedback.
6. Methodenvielfalt
Reichtum an Inszenierungstechniken; Vielfalt der Handlungsmuster; Variabilität der
Verlaufsformen und Ausbalancierung der
Hauptmethoden.
7. Individuelles Fördern
Freiräume, Geduld und Zeit; innere Differenzierung und Integration; individuelle
Lernstandsanalysen und abgestimmte Förderpläne; besondere Förderung von Schülern aus Risikogruppen.
8. Intelligentes Üben
Bewusstmachen von Lernstrategien, Passgenauigkeit der Übungsaufgaben, methodische Variation und Anwendungsbezüge.
9. Klare Leistungserwartungen
Anpassung und Transparenz, klare Rückmeldungen (gerecht und zügig).
10. Vorbereitete Umgebung
Verlässliche Ordnung, geschickte Raumregie, Bewegungsmöglichkeiten und Ästhetik
der Raumgestaltung.
Vgl. Meyer, Hilbert: Was ist guter Unterricht? Cornelsen
Scriptor, Berlin 2004.
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10. Anpassung: Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen
Vgl. Friedrich Jahresheft, Seelze 2007.
Helmke im Interview:
"Gut im Sinne von Hattie, also lernwirksam, ist ein
Unterricht,
 in dem den Schülern viel zugetraut, aber auch
zugemutet wird,
 in dem jeder einzelne Schüler an die Grenzen
seines Potenzials geführt wird,
 der alle Möglichkeiten nutzt, sich im Austausch mit Kollegen kontinuierlich ein Bild der
Lernprozesse der Schüler sowie des eigenen
Lehrens zu machen,
 der durch strukturierte, effiziente, störungspräventive Klassenführung geeignete Rahmenbedingungen für das Lernen schafft und
 der in einem Klima stattfindet, das durch Fürsorge, Respekt, Wertschätzung und Freundlichkeit gekennzeichnet ist."
Vgl. Pietsch, Marcus: Unterrichtsentwicklung, bildung & wissenschaft 12 / 2013.
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Treffen vom 5. Februar 2016
Authentizität
Generell ist jemand oder etwas authentisch, wenn er, sie oder es wahr, wahrhaftig, (lebens-)
echt, identisch mit sich selbst ist, als Original empfunden wird, den Tatsachen gemäss handelt
bzw. entspricht, glaubwürdig, beglaubigt, belegt, dokumentiert, gesichert, sicher, ungeschönt,
unverfälscht, verbürgt, verlässlich, zuverlässig ist.
Authentizität hat immer etwas mit dem Verhältnis von Schein und Sein zu tun. Entspricht der
Schein dem Sein, ist Authentizität gegeben und gewährleistet. Zur Authentizität gehört auch die
lautere Absicht. Und mit der Absicht kommen Fragen des Erkenntnisvermögens und die moralische Kategorie von Wahrheit und Lüge ins Spiel.
Man erinnert sich an das zweite Yama des achtgliedrigen Yoga des Maharishi Pataῆjali: Satya,
die Wahrhaftigkeit. Gemeint ist die Identität von Gedanken, Worten und Handlungen, die direkteste Linie von Denken, Sprechen und Tun. Faszinierend werden die Yamas - sowie die Niyamas
- und speziell Satya, betrachtet man sie unter energetischen, nicht unter moralischen, Aspekten:
Die direkte Linie ist die kürzeste, diejenige mit dem minimalen Energieaufwand. Haben wir
Satya vollumfänglich integriert oder, besser gesagt, entwickelt - herausgewickelt aus Verstrickungen aller Art -, kommen wir mit dem geringsten Einsatz an Energie aus und entsprechend
sind Worte und Taten, die direkt aus lauteren, d.h. gewaltlosen, Absichten und Gedanken kommen, unverfälscht, stark und fruchtbar in ihrer Wirkung.
Neben Unaufrichtigkeiten und (Selbst-) Betrügereien, die bekanntlich zu energiefressenden
Gebilden heranwachsen können, wenn sie eine Zeit lang aufrecht erhalten werden, wird Authentizität geschwächt durch innere Unruhe und Nervosität, Ängste, Zweifel, Genügen-Wollen,
Perfektionismus aller Art, Ich-Verhaftungen, Nichtwissen, und Selbsttäuschungen. Was hilft und
wirkt dagegen? Der Weg der Involution, Gedanken- und Gefühlsberuhigung, regelmässige Konzentration und Meditation in Richtung des SELBST. Denn – dies sei nicht anders denn als
freundschaftlicher Auf- und Zuruf verstanden – allein, wer mit sich selbst übereinstimmt, überzeugt und beeindruckt. Was aus der Tiefe von Atman kommt, ist wirklich authentisch.
Das sind hohe Ansprüche! Vielleicht sollte etwas Authentisches einfach von innen her, aus dem
Zentrum kommen, aus der "inneren Mitte", wie man zu sagen pflegt. Im Sanskrit ist der
Hridayakasha dieser Zentrumsraum (hrid = das Herz, das Innere). Gemeint ist das spirituelle
Herz hinter dem Brustbein. Entwickeln wir diesen Raum, so dass unsere Absichten, Äusserungen und Handlungen aus ihm kommen, kultivieren wir, wenn wir unterrichten, bewusst
Herzqualitäten wie Freundlichkeit, Herzensgüte, Mitgefühl, Heiterkeit, Mitfreude, Gleichmut
und Geduld. Und der Unterricht wird sicherlich gut sein.
Literatur zum Thema
-
Hamburger BeraterContor; Authentizität auch als Frage der Unternehmenskultur
http://www.hbcontor.de/wp-content/uploads/2013/03/Authentizitaet.pdf
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Anhang 1: "Authentizität"
Im Zusammenhang mit Führungsqualitäten werden hier auf knappstem Raum die Faktoren für
Authentizität aus sozialpsychologischer Sicht aufgelistet. Weiter werden die für uns nützlichen
Begriffe des "innere Teams" und der sogenannten "dream company" im Sinne der positiven
Psychologie aufgeworfen.
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Decide what it is you want.
Write that shit down.
Make a fucking plan.
And…
Work on it.
Every. Single. Day.
Treffen vom 8. April 2016
J. K. Rowling
Vision und Gestaltung
Gibt es denn Schöneres, als sich etwas auszudenken und es in die Welt zu setzen? Den genuin
menschlichen und überaus beglückenden Vorgang der Konkretisierung einer Idee – vergleichbar dem Zeugungsakt, dem Austragen und Aufziehen eines Sprösslings.
Welches sind die Bedingungen für das Gelingen solcher Prozesse, die zunächst vielleicht noch
ganz diffuse, abstrakte, vage oder flüchtige Bilder und Gedanken behutsam zu "Fleisch und Blut"
werden lassen, so dass sie erlebbar werden und eine starke, nachhaltige Wirkung erzielen? Und
vor allem: Was sind die Bedingungen für solche schöpferischen Prozesse als Lehrkraft in der
Yogawelt?
Dass die ganze Welt Bühne ist und wir darauf kurz oder lang, schön oder hässlich, gut oder böse
spielen und schauspielern, hat uns William Shakespeare beigebracht. Es kann sehr ergiebig sein
und unter den Aspekten der Loslösung und Entidentifikation auch yogisch, unser berufliches
Treiben hin und wieder wie ein - manchmal hoch spannendes, manchmal auch sehr lustiges Theaterstück anzusehen.
Wie sollen wir Lehrkräfte als Protagonisten agieren? Wie soll dieses ein- oder mehraktige
"Drama", das erst einmal neutral mit "Yogaklasse" zu übertiteln wäre, aussehen? Wie seine
Szenen und Situationen, seine Auf- und Abtritte, seine Konflikte und Lösungen, wie Spannung
und Entspannung? Was soll es werden: Ein Lustspiel, ein psychologisch fein gearbeitetes Entwicklungsstück oder zur Abwechslung ein Melodram?
Setzen wir uns einmal als Regisseure unseres eigenen Lebens- und Berufsstücks in einen imaginären Zuschauerraum, beleuchten von dort aus die leere Bühne (das Studio), lassen im Hintergrund vielleicht etwas Musik laufen und rufen vor unserem geistigen Auge die Akteure zum
Auftritt, uns selbst als Lehrkraft und alle unsere SchülerInnen. Was für Bilder kommen auf? Von
dieser Bühne? Von uns selbst? Von den Teilnehmenden an der Spielhandlung? Was wird gesprochen? Wie wird es gesagt? Was wird verhandelt und wie das alles? Und schon läuft ein sehr
aufschlussreiches, ganz persönliches Bühnenstück ab, ein "Film", der zu gestalten, und – bei
wiederholter Übung – immer wieder um- und neu zu gestalten wäre.
Zuallererst freilich wäre ja der Stücktext zu schreiben, die Grundlage von all dem Treiben. Du
hast einen Einfall, dieser lässt sich kultivieren; du lässt ihn sich zu einer Vision entfalten. Daraus
entwickelst Du eine Idee oder gleich mehrere und erste ungefähre Zielvorstellungen leiten sich
daraus ab. Skizzen entstehen. Irgendwann fängst Du an, ein paar inhaltliche Grundbehauptungen aufzustellen, basierend auf inneren Leitbildern, die wiederum auf irgendeiner Form von
Schulung und Yogatradition aufbauen. Jetzt beginnt die Ausarbeitung. Du fängst sorgfältig an zu
kombinieren, zu verwerfen, schreibst sozusagen eine Übersicht, dann ein "Exposé", und
schliesslich ein ausgewachsenes "Treatment". Alles Weitere ergibt sich, da Du Dich auf solidem
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Fundament Schritt für Schritt vom Groben ins Feine vorgearbeitet hast, ganz von alleine, bis hin
zum pfannenfertigen, in "fliessende Dialoge" aufgelösten Stück.
Die moderne Hirnforschung bestätigt, was wir intuitiv, über schamanische und yogische Techniken oder auch über westliche psychologische Konzepte schon lange wissen, dass es die inneren Bilder sind, die durch präzise Erregungs- und Aktivierungsmuster unsere gesamte Gefühlsund Gedankenwelt bestimmen. Bilder, die sich bereits vor der Geburt und danach vom Babyalter und von Kindsbeinen an in uns einnisten und einprägen. Bilder, die, gebündelt, zu Glaubenssätzen werden und somit zu recht rigiden und häufig automatisierten Handlungsmustern.
Gerade als Yogalehrkräfte tun wir gut daran, unsere ureigenen inneren Selbst-, Menschen- und
Weltbilder immer wieder zu erforschen, zu befragen und gegebenenfalls zu lockern. Denn während all der lustvollen Visualisierungs-, Konkretisierungs- und Gestaltungsprozesse, die ablaufen, wenn wir eine Klasse, einen Workshop oder ein Retreat vorbereiten, ist das Ausloten der
Bedingtheiten, in denen wir stecken, nicht nur existentiell befreiend, sondern auch belebend
und kreativitätsfördernd.
Ein zentraler Faktor, den wir bei diesen Visualisierungs- und Gestaltungsprozessen laufend berücksichtigen sollten, ist die Motivation. Was bewegt mich eigentlich? Wieso mache ich es? Warum dies, warum das? Was ist der Motor für mein So-Denken und So-Handeln? Die Beantwortung dieser Fragen kann sehr erhellend und mitunter auch recht entlarvend werden. So sind
etwa pragmatische Menschenliebe oder der aufrichtige und fokussierte Wille, Leiden aufzuheben, im Gegensatz zu Erwerbsstreben oder Geltungsdrang in jeder Beziehung günstigere Motivationsfaktoren beim und für das Unterrichten. Grundlegende Orientierungshilfe bieten hierbei
die inneren und äusseren Verhaltensregeln und Selbstkontrollen des Yoga, die Yamas und die
Niyamas. Diese beiden ersten Glieder des achtstufigen Yogaweges sind hervorragende Leuchttürme im stürmischen Ozean der heute, sagen wir es einmal etwas überspitzt, wild wuchernden
Yoga-Smoothie-Business-Welt.
Es braucht nicht extra betont zu werden, dass unsere Visualisierungen vom Guten Unterricht
die schönsten Blüten in entspanntem Zustand treiben. Regisseure arbeiten am besten in der
geschützten Abgeschiedenheit eines dunklen Zuschauerraums. Und auch Schauspieler - von
Dramatikern nicht zu reden - bringen die wunderbarsten Früchte in ungestörter Atmosphäre
hervor. Für uns heisst das: Shavasana, ein Body Scan oder die Situation des Yoga Nidra können
sich auf die Evokation kräftiger Visionen sehr begünstigend auswirken. Gerade die kleine Institution des Sankalpa während Yoga Nidra, dieser kurz gefasste, positive Entschluss in völliger
physischer und psychischer Entspanntheit, kann – in Abwandlung seiner ursprünglichen Funktion als Vorsatz, der einzig auf die eigene spirituelle Entwicklung zielt – bei der Formulierung
klarer, richtungsweisender Zielvorstellungen enorm hilfreich sein.
Sind wir einmal auf der Gestaltungsebene angekommen, haben wir also unsere Vorstellungen
und Ziele konkretisiert, gilt es diese, ohne sie zu schwächen, mit der äusseren Realität abzugleichen. Es kommen jetzt Faktoren wie Mittel und Ressourcen ins Spiel, auch die räumlichen und
zeitlichen Gegebenheiten, sowie situative und personelle. Es ist immer lohnend, die Gesamtlage
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sorgfältig auszuloten und zu studieren, und zu diesem Unterfangen gehört es zuvorderst, periodisch die eigenen Kräfte zu überprüfen. Denn mit uns LehrerInnen fängt alles Unterrichten an,
und ob wir es wollen oder nicht, uns fällt in dieser grossen Lebenswissenschaft in mancher Hinsicht eine Vorbildfunktion zu. Insofern wirken heitere, gesunde und stabile Lehrerinnen und
Lehrer, die bewusst und unaufgeregt Selbstfürsorge betreiben, immer glaubwürdiger als solche,
die Yoga in erster Linie etwa zur Stressreduktion, zur Selbstfindung oder -therapie benützen.
Erstere können jedenfalls kraftvoll operativ werden und nachhaltig und über längere Strecken
positiv ausstrahlen und Wirkung entfalten.
Literatur zum Thema
-
Hüther, Gerald: Die Macht der inneren Bilder, Wie Visionen das Gehirn, den Menschen
und die Welt verändern, Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 2015 (4. Auflage).
Anhang 2: " Vision und Gestaltung"
Zwar ist das Buch des berühmten Hirnforschers Hüther im Ganzen recht biologistisch geschrieben, in einigem und auch im vorliegenden Kapitel "Das Gehirn als bildererzeugendes Organ"
aber insofern hochinteressant, als es uns Yoginis und Yogis den Bereich von Manas (Denken,
Fühlen, Erinnern) wissenschaftlich erhellt und aufzeigt, wie innere Bilder unser Welterleben
prägen.
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Treffen vom 6. Mai 2016
Intuition und Kreativität
Intuition
Eine Teilnehmerin berichtet vor der Yogastunde, dass sie Rückenschmerzen hat. Sie sagt, sie
hätte sich vermutlich etwas eingeklemmt, denn der Schmerz sei vor einigen Tagen urplötzlich
aufgetaucht und bleibe unterschwellig stets spürbar. Nun muss entschieden werden, ob die
Stunde auf sie abgestimmt werden soll oder individuelle Anpassungen angeleitet angebracht
sind. Falls man speziell auf den Rücken eingehen will, sollte man ebenfalls erkennen, ob die Rückenschmerzen der Teilnehmerin eher eine Rückenstärkung oder eine Rückendehnung verlangen. Zusätzlich muss innert weniger Augenblicke die Stimmung im Raum erfasst werden: Wie
geht es den anderen, welche Entscheidung macht Sinn? Und wenn die Entscheidung gefallen ist,
verbleiben vielleicht zwei Minuten, um eine neue Yogastunde zu entwerfen. Das kann einen
ganz schön aus der Ruhe bringen. Und wenn man noch nicht viel Routine hat, sollte man auch
eher beim vorbereiteten Programm bleiben und der betroffenen Person raten, sich zu schonen.
Es ist auf jeden Fall sinnvoll, einen kühlen Kopf zu bewahren und auf das Bauchgefühl, auf die
Intuition zu vertrauen.
Die Intuition funktioniert nur, wenn man einigermassen locker und offen ist. Diese Gelassenheit
ergibt sich einerseits durch Erfahrung, wenn ähnliche Entscheidungen und Situationen bereits
schon einmal gemeistert worden sind. Andererseits hilft es, wenn bereits eine Verbindung mit
dem Körper besteht, da die Intuition tatsächlich eher aus dem Bauch kommt. Daher wird empfohlen, dass Yogaunterrichtende vor ihren Stunden Yoga praktizieren, um mehr bei sich selbst
zu sein und authentisch zu unterrichten. Auch lohnt es sich, bei der Eigenpraxis auf den Körper
zu hören, anstatt einem Programm zu folgen, denn in den meisten Fällen, spürt man beim Verlassen einer Stellung, welche Stellung als nächste sinnvoll ist. Wenn man erst einmal auf dieses
Gefühl vertrauen gelernt hat, kann man Yogastunden spontan entstehen lassen, so dass sich jede
Übung aus der vorhergehenden Übung wie von selbst ergibt.
Generell gesehen ist die Meditation das Tor zur Intuition: Die Gedanken ziehen lassen, die Achtsamkeit auf den Körper richten, zur Ruhe kommen. Wer in sich ruht, nimmt besser wahr; wer
besser wahrnimmt, kann Bedürfnisse und Erfordernisse erkennen und angemessen auf die jeweilige Situation reagieren.
Kreativität
Vielleicht braucht es für guten Yogaunterricht gar keine Kreativität. Es gibt zahlreiche Übungen
in unterschiedlichen Ausführungsvarianten und es gibt noch viel mehr Kombinationsmöglichkeiten all dieser Übungen. Diese Übungen haben sich bewährt und beim Yoga geht es doch eigentlich mehr darum, was im Innern passiert. Wieso also das Rad neu erfinden? Ganz einfach:
Weil es Spass macht! Denn Spass ist eine Form der Belohnung für sinnvolles Verhalten. Das
spielerische Entdecken seiner selbst und seiner Möglichkeiten ist vermutlich einer der wichtigs-
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ten Entstehungsgründe des Yoga. Selbstverständlich ist Yoga auch eine ernsthafte Angelegenheit, vor allem wenn es um die moralischen und spirituellen Ziele geht.
Das Ausschöpfen der menschlichen Potentiale zur Erreichung dieser Ziele funktioniert nur,
wenn die Rückmeldung für diese Erkundungstätigkeit eine positive ist. Man spricht auch von
einer positiven Feedback-Schlaufe, mit jeder angenehmen Rückmeldung fühlt man sich motiviert, die belohnte Aktivität erneut auszuführen oder sogar noch besser, um die Rückmeldung
noch etwas intensiver zu erhalten. Wir Menschen unterscheiden uns in dieser Hinsicht nicht
von anderen Säugetieren wie Mäusen oder Hunden. Während andere Säugetiere jedoch instinktiv die Belohnung suchen, sind wir Menschen (meistens) kulturell und gesellschaftlich gehemmt, wir lernen von klein auf, dass es sich manchmal zu warten lohnt, dass die kurzfristige
Triebbefriedigung auch negative Folgen haben kann, etc. Diese Hemmung ist durchaus angebracht, denn sonst würden wir ganz hedonistisch immer nur das tun, was uns kurzfristig am
meisten Wohlgefühl bereitet. Da wir Menschen aber langfristig planen und Bedürfnisse anderer
in unsere Überlegungen einbeziehen können, kontrollieren wir unsere Triebe oder entsagen
ihnen vollständig. Zudem lernen wir, an Dingen zu zweifeln, zum Beispiel wenn wir als Kind
erkennen, dass Mama und Papa nicht immer Recht haben oder nicht alles wissen. Die Schule
zeigt uns auf, dass wir nicht alles gleich gut können, also beginnen alle Menschen irgendwann an
sich selbst zu zweifeln. Das lässt uns zwar persönlich reifen, denn wir kennen uns besser. Aber
der Zweifel schränkt auch unseren Gestaltungswillen ein, denn wir trauen uns weniger zu, sehen uns selbst realistischer.
Etwas Neues erschaffen können wir also nur, wenn wir den Zweifel beiseitelassen und den Mut
haben, möglicherweise zu scheitern. Kunstschaffende weisen oft ein gesundes Selbstvertrauen
auf, sie haben gelernt, dass sie sich auf ihre Fähigkeiten verlassen können. Noch stärker aber
sind bei Kunstschaffenden die Frustrationstoleranz und die Zuversicht ausgeprägt, sie wissen,
dass nicht alles auf Anhieb gelingt und vertrauen darauf, dass ihnen ihr Vorhaben gelingen wird.
Der Schlüssel zur Kreativität ist die schaffende Handlung selbst. Wer ein Bild malen will, nimmt
einen Pinsel, taucht ihn in die Farbe und beginnt zu malen. Zögern, Aufschieben, Planen und
Bedenken verhindern, dass etwas Neues entstehen kann, denn sie orientieren sich an bereits
vorliegenden Mustern. Oder auf den Yogaunterricht bezogen: Den Handstand lernen kann man
nur, wenn man den Handstand macht.
Literatur zum Thema
-
Berzbach, Frank: Die Kunst ein kreatives Leben zu führen, Anregung zu Achtsamkeit,
Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2013.
Anhang 3: "Das Handwerk der Kreativität"
In diesen Kapiteln aus dem oben genannten Buch werden einige Hinweise gegeben, wie man
Kreativität als Handwerk erlernen und im Alltag umsetzen kann, auch wenn man sich nicht für
besonders kreativ hält.
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Treffen vom 1. Juli 2016
Führung, Intervision und Supervision
Führen
Eine Yogastunde mit drei Teilnehmenden, die sich gut kennen. Nach der ersten Viertelstunde
stehen alle im Baum und jemand verliert das Gleichgewicht. Alle beginnen zu lachen und können nicht aufhören, beginnen herumzualbern und kommen auf eine witzige Begebenheit vor der
Yogastunde zu sprechen. Mit anderen Worten: Die Konzentration ist dahin - und die Lernenden
machen keine Anstalten, ihr unterhaltsames Gespräch abzubrechen. Erwachsene weist man
nicht zurecht, wie aber holt man die drei zurück in die achtsame Grundhaltung, die für den Yoga
wichtig ist? Mit Humor klappt es meistens sehr gut, in dieser Situation könnte aber die Situation
durch eine humorvolle Bemerkung erst recht aus dem Ruder laufen. Man kann auch einfach die
nächste Position anleiten und so tun, als ob nichts geschehen wäre. Das funktioniert wahrscheinlich, aber es kann auch den Eindruck erwecken, dass man keinen Spass versteht. Eine
weitere Möglichkeit wäre, auf das Bedürfnis der Lernenden nach Austausch einzugehen und
spontan über ein passendes Thema mit Bezug zum Yoga zu sprechen, vielleicht über die Stille
als Qualität der Übung.
Natürlich gibt es kein Patentrezept und ein Führungsstil sollte im Idealfall zur führenden Person
passen. Förderlich für ein gelungenes Führen einer Gruppe ist es, zu wissen, was einem persönlich wichtig ist, und für alles andere sollte man nach Möglichkeit sehr offen sein, denn man hat
es ja in den meisten Fällen mit ausgereiften Persönlichkeiten zu tun. Ein Beispiel dazu: Ein Teilnehmer kommt jedes zweite Mal zu spät in die Stunde, entweder müssen alle auf ihn warten
oder er stört die bereits geschaffene Konzentration. Er macht sich ein Gewissen, denn er will
unbedingt ins Yoga und möchte eigentlich pünktlich sein, aber seine Arbeit halte ihn oft ab und
er stecke manchmal im Stau. Einem Kind würde man empfehlen, sich einfach früher auf den
Weg zu machen und Prioritäten zu setzen. Einem gestandenen Mann kann man das zwar auch
so direkt sagen, aber ein Erwachsener, der dies eigentlich ja bereits weiss aber nicht umsetzen
kann, könnte sich durch eine solche Äusserung herabgesetzt fühlen.
Wenn man auf Augenhöhe führen will, schadet es nicht, wenn man die geführten Personen bestärkt, anstatt sie zu demütigen. Bei unserem Beispiel bietet es sich zunächst an, zu loben, wenn
es klappt mit der Pünktlichkeit. Und dennoch: Führen heisst auch, eine klare und prägnante
Linie zu vertreten, denn die Teilnehmenden wollen sich im Yoga auf sich konzentrieren können
und dazu brauchen sie das Vertrauen in die Lehrperson. Sollte also eine aufbauende Rückmeldung nicht die beabsichtigte Wirkung haben, sollte unbedingt und unmissverständlich die
Pünktlichkeit eingefordert werden; vorteilhafterweise natürlich so, dass niemand blossgestellt
wird. Wir bieten zwar eine Dienstleistung an, aber diese Dienstleistung besteht für die Kundschaft vor allem darin, einen persönlichen Lernweg beschreiten zu können, den wir durch Anleitung ermöglichen und durch Begleitung sicherstellen sollten. Die Schlüsselqualitäten guter Führung sind Klarheit und Wohlwollen. Man braucht sich nur zu fragen: Wie möchte ich selbst in
einer Yogastunde geführt werden?
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Intervision und Supervision
Auch Yogalehrende können ein Burnout haben. Die Selbstzweifel nehmen überhand, jede noch
so kleine Belastung führt beinahe zum Zusammenbruch. Man verliert die Lust am Yoga. Das
Aufrappeln für die nächste Yogastunde wird zu einer kaum zu bewältigenden Anstrengung. Spätestens in einem solchen Fall sollte man sich über sein Befinden mit einer Vertrauensperson
offen und ehrlich austauschen. Das fällt (Yoga-) Lehrpersonen oft besonders schwer, da sie gewohnt sind, sich allein durchzuschlagen, nicht selten als selbstständige Unternehmer/-innen.
Auch wenn schlechte Zeiten wieder vorübergehen, so leidet oft nicht nur die betroffene Person,
sondern auch die Qualität des Unterrichts. Professionalität besteht mitunter auch darin, zu
Schwächen oder Fehlern stehen zu lernen, was wiederum eine wichtige Voraussetzung dafür ist,
guten Unterricht gestalten und mit Freude den Yoga weitergeben zu können.
Wer lehrt, lernt. Der kollegiale Austausch – z.B. im Anschluss an einen Unterrichtsbesuch – ist
immer wertvoll, denn eine fremde Perspektive bietet die Möglichkeit, sich selbst zu erkennen
und neue Möglichkeiten wahrzunehmen. Ebenso kann der Besuch von fremden Yogastunden
auch den erfahrensten Yogapraktizierenden zu neuen Erkenntnissen führen oder zumindest
frühere oder in Vergessenheit geratene Erkenntnisse wieder in Erinnerung rufen.
Eine Supervision, also die Begleitung durch eine erfahrene Fachperson, macht besonders dann
Sinn, wenn persönliche Probleme oder Probleme in einer Gruppe auftauchen. Zum Beispiel,
kann ein Grund für eine Supervision sein, dass man sich sehr unwohl fühlt, wenn man vor einer
Gruppe von Leuten steht, also mehr empfindet als nur etwas Lampenfieber. Oder es kann sein,
dass man eine bestimmte Yogaklasse nicht in den Griff kriegt, weil eine für Yoga ungünstige
Stimmung herrscht, wie etwa Mobbing oder ähnliches. Als Schlüssel zum Wohlbefinden beim
Unterrichten gilt ein achtsamer Umgang mit sich selbst, der Verzicht auf den Anspruch, alles
selbst in den Griff kriegen zu können und die Bereitschaft, zu lernen.
Literatur zum Thema
-
Berkel, Karl: Führungsethik, Die reflexive Seite des Führens: Orientierung und Ermutigung, 2. Auflage, Windmühle Verlag, Hamburg 2013.
Gold, Andreas: Guter Unterricht, Was wir wirklich darüber wissen, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015.
Anhang 4: "Ethik des Führenden"
Wie soll ich mit Menschen umgehen, die ich anleiten soll? Wie kann ich (innere) Konflikte angehen? Was ist eigentlich meine Rolle? Hinzu kommen Übersichten, die aufzeigen, wie Menschen
auf unterschiedliche Weise geführt werden können.
Anhang 5: "Die eigenen Ressourcen schonen"
Thematisiert werden berufliche Belastungen, die aus dem schulischen Alltag sehr einfach auf
den Yoga-Unterricht übertragen werden können. Auch das Burn-Out und Strategien zu dessen
Vermeidung sind enthalten, mit dem Fazit, dass die kollegiale Unterstützung oft Gold wert ist.
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Seite 12
Weitere Literatur:
-
Stephens, Mark: Teaching Yoga –Essential Foundations and Techniques, North Atlantic
Books, 2010, Berkeley, California
Stephens, Mark: Yoga Sequencing – Designing Transformative Yoga Classes, North Atlantic Books, 2012, Berkeley, California
Weitere Anhänge:
Anhang 6: "Grundlagen der Bewegungs- und Sportdidaktik"
Dieser Textauszug handelt von den Grundlagen des Bewegungslernens. Man kriegt Hinweise,
wann das herkömmlich Vormachen und Nachmachen sinnvoll ist und welche anderen Formen
des Hinführens zum Erlernen von Bewegungen es gibt.
Anhang 7: "Ich bin superwichtig!"
Der Artikel aus der Zeit bezieht sich auf die Studie von Hattie, die eigentlich nur beweisen konnte, dass es keine für den Lernerfolg ausschlaggebenden Merkmale des Unterrichts gibt ausser
einer einzigen: Wichtig ist, wer vorne steht und dass diese Person die Verantwortung für den
Unterricht und das Lernen übernimmt.
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Persönliche Notizen
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Persönliche Notizen
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