Gottesdienst zu Jesaja 66,13 (→ Jahreslosung 2016) THEMA: VON GOTT GETRÖSTET Pfr. Daniel Eschbach im Bezirksgottesdienst vom 27.12.2015 in der EMK Bülach Liebe Gemeinde, wir schauen heute schon ein wenig über die Festtage hinaus ins neue Jahr und beschäftigen uns mit der Jahreslosung für 2016. Es ist eine Zusage aus dem Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 66, Vers 15: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ (2mal lesen) Die Grafikerin Doris Schnell aus Bregenz hat diese herausfordernde Mahnung in eine bildliche Darstellung umgesetzt. Pfr. Felix Wilhelm, EMK Biel, hat Gedanken dazu notiert. Aus meiner Beschäftigung damit ist die Meditation zur Jahreslosung 2015 entstanden, die ich ihnen nun präsentiere: GOTT WILL TRÖSTEN. „Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott.“ So beginnt der zweite Teil des Jesajabuches. Nach jahrzehntelanger Unterdrückung im Exil soll die Wende kommen für das Volk Gottes. Es ist jetzt genug! Endlich! Jetzt ist die Zeit zum Trösten. Jetzt soll der Druck weichen. Man kann endlich Aufatmen. „Tröstet mein Volk!“ - Doch wer soll trösten? Klar ausgesprochen wird das erst ganz zum Schluss, im letzten Kapitel des Jesajabuches. Da fordert Gott nicht nur auf: „Tröstet!“ Sondern Gott selbst sagt: „Ich.“ – „Ich will euch trösten.“ Dabei bietet er nicht bloss billigen Trost. Gott sagt nicht nur: „Schwamm drüber!“ Oder: „Vergiss es!“ Oder: „Auf, sei ein Mann! Das Leben geht weiter.“ Er spricht nicht in Konjuktiven, sagt nicht, was jetzt von wem auch immer getan werden müsste, damit es dann besser würde. Sondern Gott selbst will etwas tun für sein Volk. Er wird aktiv. Den Trost, den es braucht, will er seinem Volk geben. Allerdings: Ist sein Trost gefragt? Wollen wir uns trösten lassen? Würden wir nicht lieber kämpfen und Stärke zeigen? Sollte Gott nicht besser für Recht und Gerechtigkeit sorgen, als zu trösten? Wäre Vergeltung nicht besser als Trost? Würde uns nicht besser gefallen, wenn Gott unsere Pläne gelingen liesse, als wenn er uns nach einem Misserfolg 'nur' Trost spendet? Trost ist heute in vielen Lebensbereichen nicht gefragt. Denn wer Trost sucht, gibt damit zu, dass er verloren hat, gescheitert ist. Nur Kinder suchen Trost. Erwachsene schämen sich. Dabei: Wie befreiend, wie erlösend wäre es, wenn wir Niederlagen zugeben und uns trösten lassen könnten! Suchst du Trost? Hältst du es aus, wenn du dir nicht selber helfen kannst? Kannst du es zugeben, wenn du nicht mehr weiter weisst? Kannst du akzeptieren, dass dir Gefühle über den Kopf gewachsen sind? Kannst Du dazu stehen, dass du dich in einer Sache verrannt hast? Dann lass dich trösten! Von deinem besten Freund, von deiner besten Freundin. Von einem Bruder oder einer Schwester. Von deiner Mutter oder von deinem Vater. Von Gott. – Denn Trost lässt Schmerzen und Verletzungen aushalten. Du kannst dich dann lösen von Fixierungen, kannst Lasten ablegen. Und du wirst erleichtert aufstehen und weitergehen können. W IE GEHT TRÖSTEN? Gott erinnert an die menschliche Ur-Erfahrung des Trostes: So wie Mütter ihre Kinder, ob klein oder gross, trösten, so will er selber sein Volk trösten. Trösten nimmt zunächst die Situation ernst. Wer tröstet, nimmt den Schmerz wahr, das Leid, die Trauer, die Wut und die Rachegefühle, auch die Kraft- und Hoffnungslosigkeit. Wer tröstet, hält aus und trägt mit, was plagt. Gibt keine guten Ratschläge. Wer tröstet, ist einfach ganz da für den, der Trost sucht. Ist da und hat Zeit, weil er oder sie weiss: Nachhaltiger Trost braucht Zeit. So trösten können nicht nur Mütter. Aber viele Mütter können es besonders gut. Sie können zwar die Schmerzen nicht wegzaubern und Verletzungen nicht ungeschehen machen. Sie können ein zerstörtes Legokunstwerk nicht wieder aufbauen. Aber tröstende Mütter können zuhören und Geborgenheit geben. Tröstende Menschen können den übermächtigen Gefühlen etwas entgegenstellen. Nur schon, dass sie da sind, hilft den Schmerz auszuhalten. Die Flut von Gefühlen beginnt zu sinken auf ein erträgliches Mass schrumpfen lassen. Auf ihrem Schoss beginnt sich die feste Umklammerung durch Schrecken, Schmerz, Enttäuschung, Wut zu lösen. Man kann wieder anderes denken und sehen. Mag wagt mit der Zeit, wieder durchzuatmen. Man kann sich wieder dem Leben zuwenden, aufstehen und weitergehen. W AS GOTT ZUM TRÖSTEN BRAUCHT: DIE STADT JERUSALEM Am oberen Rand der Grafik ist die Silhouette einer orientalischen Stadt zu sehen: Überirdisch schön, von Licht durchflutet, über einem goldenen Hügel schwebend … die Stadt, die auf einem Berge liegt – Jerusalem! Wie schönste Musik klingt der Name dieser Stadt in den Ohren und Herzen der Juden 'an den Wassern Babylons'. Unter Tränen sangen sie: „Wenn ich dich vergesse, Jerusalem … (vgl. Ps 137). „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ wünschen sich die Juden zum Ende des Passahfestes seit Jahrhunderten und bis heute. Jerusalem! Die Stadt des Schalom! Die Stadt des Friedens! Der Ort, an dem niemandem etwas fehlt. Der Ort, wo alle genug zum Leben haben, wo alle in Sicherheit wohnen können. – Jerusalem, Inbegriff und Symbol aller Hoffnungen – bloss ein schöner Traum? Oder doch mehr? Das Kapitel Jes. 66 vergoldet nicht die Erinnerungen. Da steht nichts über Jerusalem, wie es früher war. (Die Vergangenheit war bei aller Grösse Jerusalems ja doch auch zwiespältig.) Kein Wort von der Pracht des Tempels, den Salomo hat bauen lassen. Kein Wort von König David, der die Stadt gross gemacht hat. Sondern es geht um das künftige Jerusalem. Gott wird Jerusalem wieder aufrichten. Gott wird Jerusalem neu gross machen. - Wer will da noch an das Vergangene denken?! Wer wollte noch zurückschauen und den alten Zeiten nachtrauern?! Hoffnung blüht auf. Nein, es geht nicht alles den Bach hinunter. Die Zukunft wird nicht schlimmer werden als die Gegenwart. Sondern Gott macht alles neu. Das macht neugierig. Gespannt, voll freudiger Erwartung sollen die vom Propheten angesprochenen Menschen sich auf die Zukunft ausrichten. Gott wird der Stadt Jerusalem wieder Bedeutung und Wohlstand geben. Das verspricht allen, die dort daheim sind und auf Gott hören, Heil und Frieden. Können auch wir heute uns von solcher Hoffnung anstecken lassen? Gott verspricht im Jesajabuch ja nicht nur, die Stadt Jerusalem zu neuer Grösse zu führen. Es geht ihm um viel mehr. Angesprochen sind alle Menschen, alle Völker. Gott verspricht einen neuen Himmel und eine neue Erde. Lassen wir uns von dieser Hoffnung anstecken!? W AS GOTT ZUM TRÖSTEN BRAUCHT: TAUBE, KELCH UND ZWEIGGott sagt: „Ich will euch trösten.“ Dies gilt damals den Leuten in Jerusalem und besonders jenen unter ihnen, die von anderen nicht ernst genommen werden, weil sie sich und obwohl sie sich an Gottes Willen orientieren. Dass Menschen in ihrem Leid und Elend nicht allein bleiben, das ist ein grundlegendes Anliegen Gottes. Dass wir ihn als Tröster erleben, soll uns darin bestärken, dass wir uns an ihm und an seinen Weisungen zum Leben orientieren. Davon reden diese beiden Symbole: Die Taube mit dem Zweig im Schnabel und der Kelch, den ein Kreuz und ein Liedtext als Abendmahlskelch kenntlich machen. Die Taube erinnert an die Geschichte der Arche. Noah lässt gegen Ende der Flut eine Taube ausfliegen. Als sie mit einem frischen Blatt im Schnabel zurückkommt, begreift Noah: Die Flut geht zurück. Die Erde wird wieder bewohnbar. Die Zeit im schützenden Gefängnis Arche geht vorbei. Das Leben geht weiter. Unter anderen Voraussetzungen. Aber es geht weiter, unter dem Segen Gottes, der verspricht: „Von jetzt an sollen Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht mehr aufhören, solange die Erde steht.“ Der Abendmahlskelch erinnert an Jesus, an seine Hingabe, an seinen Tod und an seine Auferstehung. Zu diesem Kelch gehört sein Zuspruch: „Ich – für euch – für immer, bis ans Ende der Zeit“. Brot und Kelch sprechen Christi Gegenwart zu. So haben es zuerst seine Jüngerinnen und Jünger nach Ostern erlebt. So haben es im Laufe der Zeit Generationen von Christen erlebt. Aus Christi Gegenwart schöpften sie Trost und Kraft, wenn sie wegen ihres Glaubens unter Druck gerieten waren. Sie bekamen Ausdauer und Geduld, wenn Zweifel an der Hoffnung nagten, dass Gott seine Verheissungen erfüllt. Und wir heute? Wir erleben, wie Menschlichkeit, Sorge tragen zur Schöpfung und Dankbarkeit an den Rand gedrängt werden. Wie eine Flut kommt es uns bisweilen vor: Die Fixierung auf das Geld, der Zwang zu Leistung und Erfolg, der Kampf um Macht und Einfluss. Wer Anderes denkt, vielleicht gar auszusprechen und zu tun wagt, wird nicht ernst genommen oder – noch schlimmer – wird als Bedrohung empfunden und angegriffen. Die Hoffnung auf das Reich Gottes droht unter die Räder zu kommen. – Nicht zuletzt, damit das nicht passiert, feiern wir in dieser Welt und Zeit immer wieder Abendmahl. Wir hören den Zuspruch von Jesus: „Ich – für euch – für immer.“ Und wir gehen weiter. Getröstet, ermutigt, den Menschen zugewandt. KELCH MIT KREUZ Ganz weit weg vom Symbol der Hoffnung, der lichtdurchfluteten Stadt am oberen Bildrand findet sich links unten auf der Grafik der Kelch. Darin sind Worte aus Amazing Grace' zu erkennen, jenem Lied, das so unübertrefflich die Hingabe Jesu Christi an Gott und an die Menschen besingt. – Weit weg ist oft die Hoffnung in der Not ganz unten. Wenig ist zu spüren vom Licht. Hingabe vollzieht sich gerade ganz unten, in der Not, wo es düster ist. Und doch gibt es eine Beziehung. Die Blätter beim Kelch haben die gleiche Farbe wie der Bogen, auf den oben die Stadt gebaut ist. Das glänzende Gold von oben ist auch ganz unten da. Christus hat den Bogen in seiner Hingabe geschlagen. Mehr als alles andere ist das Trost für die Trostlosen, was Philipper 2,6 so formuliert: "Aber er hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein …Sondern er legte die göttliche Gestalt ab und nahm die eines Knechtes an. Er wurde in allem den Menschen gleich. In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch." – So vor allem tröstet Gott. So begründet er Hoffnung. Und daran erinnert uns immer wieder der Abendmahlskelch: An die 'amazing Grace' (→ 'bezaubernde Gnade'), daran dass er tröstet, in dem er aktiv wird und sich in unser Leben hineinbegibt, damit wir Kraft, Zuversicht und Hoffnung finden.… ALS TRÖSTENDER TROST FINDEN Ein letzter Gedankengang – noch einmal ganz beim Begriff 'Trost': Was für eine Innigkeit zwischen Mutter und Kind auf diesem Bildausschnitt! Die Mutter schenkt dem Kind ihre ungeteilte Zuwendung. Ihre Augen sind geschlossen. Sie sieht in diesem Moment viel besser mit dem Herzen als mit den Augen. Das Kind spürt ihren Atem, ihre Nase, ihr Gesicht – und umgekehrt spürt die Mutter ihr Kind. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass es etwas geben könnte, was sich zwischen die beiden schieben könnte. Auch wir, die wir dieses Bild von Innigkeit betrachten, halten uns still. Wir wollen nicht stören. Wir wollen diesen Moment nicht zerstören. Und doch sind Mutter und Kind zwei verschiedene Wesen. Diese Innigkeit wird nicht ewig dauern. Das Kind wird sich losstrampeln. Es wird lernen, „nein!“ zu sagen. Es wird zur eigenen Mutter „nein“ und „ich“ und „selber“ sagen. Es wird eigene Schritte tun. Es wird hinfallen. Es wird sich verletzen und verletzt werden. Es wird schlagen und geschlagen werden. Es wird erschrecken. Es wird von Wut gepackt werden. Es wird mit der Angst Bekanntschaft machen, mit lähmender, mit furchtbarer, mit überwältigender Angst. Es wird zur Mutter fliehen und bei ihr Geborgenheit und Trost suchen. Und die Mutter wird es trösten. Sie wird sich den negativen Kräften entgegenstellen und dem Kind Halt geben. Sie wird diese Kräfte auf sich selber nehmen und aushalten. Und wenn das Kind getröstet ist, braucht sie selber Trost. Wo wird sie Trost finden? Wer wird sie selber trösten? Wer wird ihr die Lasten abnehmen? Das tröstende Kind? Manchmal können Kinder tatsächlich ihre Mütter trösten. Ihr Kind in die Arme schliessen können tröstet manchmal eine Mutter mehr als alles andere. Wenn sich ihr Kind an sie kuschelt, tröstet das die Mutter. Und die Taube mit dem Zweig im Schnabel? Die Taube steht für den Frieden Gottes, für den umfassenden Frieden, den Gott schenkt. Sie steht für sein Heil, für seinen Segen, für das Wohlbefinden, das im Zusammensein mit ihm gründet. Die Taube steht für das Gehalten-Sein von Gott und bei Gott. Nichts kann uns trennen von seiner Liebe, weil diese in Jesus Christus gegründet ist. Wie einen seine Mutter tröstet, so will Gott uns trösten. Er stellt sich den negativen Kräften entgegen, die uns bedrohen oder schon im Griff haben. Er ergreift für uns Partei und trägt uns in unserer Verletzlichkeit und mit unseren Verletzungen. Er steht zu uns, wenn wir vor Angst den Kopf und die Orientierung verloren haben. Er nimmt unsere Schuld und unsere Bosheiten auf sich. Damit ist noch nicht alles gesagt, was man zu dieser Jahreslosung 2016 sagen könnte und vielleicht sogar müsste. Z.B. habe ich den Zusammenhang im Kapitel Jesaja 66 ausgeblendet, wo nicht nur vom tröstenden Gott, sondern auch vom richtenden Gott die Rede ist und davon, dass er uns nicht immer wie die beste Mutter begegnet, sondern auch rätselhaft, irritierend, ja furchteinflössend sein kann. Martin Luther bezeichnete das als die 'dunkle Seite Gottes'. Gottes Trost lässt manchmal auf sich warten. Auch das ist Teil unserer Erfahrung. Ich beschränke mich heute darauf, das am Schluss noch zu erwähnen. Meine Hoffnung ist, dass unsere Hoffnung im neuen Jahr gestärkt wird. Dass wir die Kraft finden, andere im Namen Gottes zu trösten. Und dass wir, wenn wir selbst trostlos und trostbedürftig sind, erinnern an Gottes Versprechen: "Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet." Amen
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