§ 1 Vorwort Wir haben hier 18 wichtige Klausurenfälle, die man nicht ignorieren darf, wenn man eine Klausur in StPO bestehen will (die Druchfallquote ist auf Grund der Stoffmasse entsprechend hoch…). Der vorsitzende Richter Ratlos ® hatte im Jahre 2002 75 Fälle zu entscheiden. Kurz vor Weihnachten kommen ihm bezüglich mehrerer Fälle Bedenken. Um sich keine Blöße zu geben, formuliert er seine Bedenken in kleine Fälle um und beauftragt Rechtsreferendar Wissen, ihm diese Fälle zu lösen, um abschätzen zu können, aus wie vielen seiner Prozesse im Jahre 2003 Revisionsverfahren hervorgehen könnten. Bearbeitervermerk: Auf §§ 337 und 338 StPO wurde bis auf die Fälle 17 und 18 nicht eingegangen! § 2 Die Fälle Fall 1: Während der Vorbereitungen der Hauptverhandlung stößt das Gericht auf einen namentlich nicht bekannten V-Mann der Polizei als möglichen Tatzeugen. Die zuständige oberste Dienstbehörde verweigert eine Zeugenvernehmung. Sie begründet dies zutreffend damit, dass eine Vernehmung in der Hauptverhandlung Leib und Leben des V-Manns sowie dessen weitere Verwendung gefährden würde; allerdings sei eine kommissarische Vernehmung unter Ausschluss des Angeklagten und seines Verteidigers und unter Geheimhaltung der Identität des Zeugen möglich. Der Verteidiger widerspricht einem solchen Vorgehen. Kann das Gericht trotzdem den V-Mann in der genannten Weise vernehmen? Lösung: Dem Erscheinen des Zeugen in der Hauptverhandlung könnten „andere nicht zu beseitigende Hindernisse“ im Sinne von § 223 I StPO entgegenstehen Unter den Voraussetzungen des § 96 StPO ist die Sperre eines V-Mannes durch die oberste Dienstbehörde (regelmäßig das Innenministerium) zulässig. Gefährdung und weitere 1 Verwendung des V-Mannes sind als Geheimhaltungsgrund anerkannt 1 . § 110b III 3 StPO bestätigt dies für den verdeckten Ermittler. Die Verwaltungsbehörde hat den Zeugen daher rechtmäßig gesperrt, weshalb seinem Erscheinen in der Hauptverhandlung „andere nicht zu beseitigende Hindernisse“ im Sinne von § 223 I StPO entgegenstehen. Deshalb ist eine Vernehmung durch einen beauftragten oder ersuchten Richter und eine anschließende Verlesung des Vernehmungsprotokolls gem. § 251 I StPO zulässig. Zu beachten ist dabei, dass - die zeitweise Entfernung des Angeklagten gem. § 247 StPO zulässig ist, wenn zu befürchten ist, dass der V-Mann in seiner Gegenwart nicht aussagt. - der V-Mann gem. § 68 I StPO seine Personalien angeben muss, wenn nicht eine Ausnahme nach § 68 III StPO greift. - eine optische oder akustische Abschirmung unzulässig ist. - in § 224 I StPO die Benachrichtigung des Verteidigers vorgesehen ist, die nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges unterbleiben kann, z.B. durch zeitliche Verzögerungen, Verdunklungshandlungen des Angeklagten oder Verteidigers etc. Das Gericht kann daher den Zeugen zwar in der vorgesehen Art vernehmen, den Verteidiger aber nicht ausschließen. Fall 2: Der Angeklagte wurde von der 1. Strafkammer des LG Memmingen wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Auf seine Revision hob der GBH das Urteil auf und verwies die Sache an eine andere Strafkammer des LG Memmingen zurück. In der jetzt zuständigen 2. Strafkammer ist jetzt Richter Y tätig, der zuvor in der 1. Strafkammer schon an der ersten Entscheidung gegen den Angeklagten mitgewirkt hatte. Der Angeklagte lehnt Richter Y daher wegen Befangenheit ab. Zu Recht? Lösung: Fraglich ist, ob ein Ablehnungsgrund iSd. §§ 22 ff. StPO vorliegt. 1 vgl. neuerdings wieder BGHSt 39, 141. 2 1) Ein Ausschließungsgrund nach §§ 22, 23 StPO ist nicht gegeben. Vor allem ist § 23 StPO nicht einschlägig, weil Y in derselben Instanz mitgewirkt und nicht in einer höheren. Eine analoge Anwendung des § 23 StPO scheidet aus, weil dieser einen abschließenden Regelungskatalog enthält. 2) Denkbar wäre aber eine Ablehnung wegen Befangenheit, § 24 StPO. Jedoch kann allein aus der vorangegangenen Mitwirkung kein Befangenheitsgrund hergeleitet werden. Dafür spricht insbesondere die Gesetzessystematik. Würde man nämlich ohne weiteres einen Befangenheitsgrund annehmen, so hätte dies eine Umgehung der für § 23 StPO unzulässigen Analogie zur Folge. Der Ablehnungsantrag ist daher unbegründet. Fall 3: T wurde unter dem Verdacht, seine Ehefrau ermordet zu haben, festgenommen. Der Polizeibeamte X erläutert dem T noch einmal den Grund der Festnahme und wollte ihn gerade auf sein Aussageverweigerungsrecht hinweisen. Da Fing T jedoch vorher zu weinen an und sagte, er sei es gewesen und ihm tue es leid. X rief daraufhin seinen Kollegen Y herbei und veranlasste T, das Geständnis zu wiederholen. Dann belehrte er den T nach §§ 163a IV, 135 I 2 StPO. T bat nun um Verständigung eines Rechtsanwalts und verweigerte weitere Angaben. Sind die Aussagen gegenüber X und Y verwertbar 2 ? Lösung: 1) Die erste Aussage Sie könnte wegen Verstoßes gegen §§ 136 IV, 136 I 2 StPO unverwertbar sein. Diese Vorschriften erfordern eine Belehrung „bei Beginn der ersten Vernehmung“. Hier war die Vernehmung des T nur unmittelbar hervorgestanden. Bei der Äußerung des T handelte es sich um eine so genannte Spontanäußerung, die noch nicht zur Vernehmung gehört und von X nicht unterbunden werden musste. Diese Aussage ist somit nicht verwertbar. 2 wichtige Fundstelle zu den Beweisverwertungsverboten in JA 1998, 400 – 406. 3 2) Die zweite Aussage Hier ist nicht mehr von einer Spontanaussage auszugehen, sondern von einer gezielten Verleitung zur Selbstbelastung. Bisher hat der BGH bei einem solchen Verstoß ein Verwertungsverbot angelehnt. Er ging dabei davon aus, dass § 136 eine Ordnungsvorschrift sei und das Vorverfahren anders zu würdigen sei als das Hauptverfahren, weshalb nur ein Verstoß gegen § 243 IV StPO ein Verwertungsverbot auslöse. Neuerdings nimmt der BGH 3 aber zu Recht ein Verwertungsverbot an. Die Aussagefreiheit gehöre zu den tragenden Prinzipien des Strafverfahrensrechts und sei gerade im Vorverfahren, wo der Beschuldigte meist noch unverteidigt ist, von besonderer Bedeutung. Eine Ausnahme gelte nur dann, wenn feststehe, dass der Beschuldigte sein Schweigerecht auch ohne Belehrung gekannt hat oder wenn der verteidigte Angeklagte in der Hauptverhandlung ausdrücklich der Verwertung zugestimmt oder ihr jedenfalls nicht bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widersprochen hat. Die letzte Einschränkung bedeutet freilich eine fragliche Aufweichung der Verwertungsverbots-Rechtsprechung. Ist der Angeklagte nämlich „schlecht verteidigt“, so dass kein Widerspruch bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt erfolgt, verliert er sein Rügerecht. Diese Aussage ist damit – fraglich – verwertbar. Fall 4: T befand sich in der JVA Stadelheim in Untersuchungshaft. Die Polizei warb einen Untersuchungshäftling U an, der in die Zelle des T verlegt wurde, um auf diese Weiseweitere Informationen zu bekommen. T erzählte U tatsächlich Einzelheiten über die ihm zur Last gelegten Tat, woraufhin die Polizei einen weiteren Zeugen Z ermitteln konnte. Können U und Z in der Hauptverhandlung als Zeugen vernommen werden? Lösung: 1) Vernehmung des U in der Hauptverhandlung 3 BGH JZ 1992, 918. 4 U darf nicht vernommen werden, wenn ein Verstoß gegen „“ 136a, 163a IV 2 StPO vorliegt. a) Lt. BGH wurde hier die Untersuchungshaft dazu missbraucht, das Aussageverhalten des T zu beeinflussen, so dass unzulässiger Zwang iSd, § 136a StPO vorlag 4 . b) Nach Auffassung des LG Hannover (Vorinstanz) liegt hier eine Täuschung iSd. § 136a StPO vor. c) Beides dürfte indessen unzutreffend sein. U wurde nicht zum Reden gezwungen und eine Täuschung ist in der bloßen Ausnutzung eines bestehenden Irrtums nicht zu sehen. Näher liegt die Begründung, für die gewählte „Vernehmungsmethode“ bestehe keine gesetzliche Grundlage, so dass es sich um eine Umgehung des § 136 StPO handelt. Man sollte hier sicherheitshalber dem BGH folgen. 2) Vernehmung des Zeugen Z Die Vernehmung des Zeugen Z ist unzulässig, wenn der Verstoß gegen § 136a Fernwirkung entfaltet. a) Nach Ansicht des BGH darf ein Verfahrensverstoß nicht dazu führen, dass das gesamte Strafverfahren lahm gelegt wird. Immerhin sei denkbar, dass die Polizei Beweismittel auch ohne den Verfahrensverstoß gefunden hätte. Da sich jedoch kaum einmal feststellen ließe, ob die Polizei den Zeugen auch so gefunden hätte, sei eine Fernwirkung grundsätzlich abzulehnen. Z dürfe daher in der Hauptverhandlung vernommen werden. b) Die Bedenklichkeit dieser Rechtsprechung liegt auf der Hand: Der durch das unmittelbare Verwertungsverbot für den Angeklagten geschaffene Schutz wird mittelbar wieder relativiert. Die Polizei muss sich ermuntert fühlen, gegen Beweisverbote zu verstoßen, um mittelbare (verwertbare) Beweise zu erlangen. c) Richtiger dürfte es daher sein, mit der h.L. eine grundsätzliche Fernwirkung anzunehmen (sog. fruit of the poisenous tree doctrine). Eine Fernwirkung scheidet nur dann aus, wenn die Erlangung des mittelbaren Beweises ohnehin schon in den bisherigen Ermittlungen angelegt war. 4 BGHSt 34, 362. 5 Z dürfte danach vorliegend nicht gehört werden, es sei denn er wäre z.B. ohnehin schon vorher als Zeuge ermittelt gewesen. Fall 5: Im Laufe eines Ermittlungsverfahrens wegen Brandstiftung kam der Verdacht auf X. Daher installierte die Polizei in Absprache mit der Staatsanwaltschaft gegenüber der Wohnung des X eine Videokamera, die über mehrere Monate jedes Betreten und Verlassen der Wohnung des X aufzeichnete. War diese Maßnahme rechtmäßig? Lösung: Die Zulässigkeit der Observierung mittels Videokamera richtet sich nach § 100c I Nr. 1a StPO, der durch das OrgKG neu ins Strafverfahrensrecht eingeführt wurde. 1) Allerdings hat das OrgKG bezüglich lang andauernder Observierungen keine Klarheit geschaffen. Ohne gesetzliche Eingriffsgrundlage dürfte daher eine lang andauernde Videoüberwachung unzulässig sein. 2) Vor Einführung des § 100c StPO wollte der BGH allerdings für eine Übergangszeit bis zum Tätigwerden des Gesetzgebers solche Videoüberwachungen hinnehmen. c) Dadurch, dass der Gesetzgeber zwischenzeitlich durch Schaffung des § 100c StPO tätig geworden ist, wird man von einem Ablauf der Übergangszeit ausgehen müssen (der Gesetzgeber ist eben bereits tätig geworden und hat sich entschieden, nur kurzzeitige Überwachungen einer Regelung zuzuführen). Für langzeitige Videoüberwachungen ist das Vorliegen eines Grundrechtseingriffs schwerlich zu bestreiten (Art. 2 I GG, Recht auf informationelle Selbstbestimmung), so dass es einer Eingriffsgrundlage bedürfte, die derzeit fehlt. Die Maßnahme ist daher nicht rechtmäßig. Fall 6: 6 Gegen T werden Ermittlungen wegen Erpressung geführt. Um ihn überführen zu können, ordnet die Staatsanwaltschaft an, dass die Stimme des T auf Tonband aufgenommen wird, damit sie anschließend ein Sachverständiger mit der Stimme des Erpressers vergleichen könne. 1) Ist diese Anordnung rechtmäßig? 2) Darf das Opfer der Erpressung ein Gespräch mit einem Polizeibeamten heimlich mithören, um die Stimme zu vergleichen? Lösung: 1) Stimmprobenanordnung Fraglich ist, ob für die Stimmprobenanordnung eine Eingriffsgrundlage existiert und kein Beweiserhebungsverbot besteht. a) Zunächst scheidet § 81b StPO als Eingriffsgrundlage aus, denn diese Vorschrift enthält nur eine Duldungs- und keine aktive Mitwirkungspflicht. b) Da ein Grundrechtseingriff dem Gesetzesvorbehalt unterliegt, scheitert auch eine analoge Anwendung des § 81b StPO. c) Eine Heranziehung des § 34 StGB scheidet aus, weil dessen Voraussetzungen ersichtlich wegen Fehlens einer unmittelbaren Gefahrenlage nicht gegeben sind. d) Im Übrigen verstößt die Anordnung gegen § 136a StPO, weil der Beschuldigte durch gezielte Täuschung über den Anlass der Unterhaltung zum Sprechen gebracht wird. Die Anordnung ist somit unzulässig. 2) Mithören des Gesprächs Anders ist der Fall zu beurteilen, in dem zur Identifizierung eines Beschuldigten durch einen Zeugen ein heimlicher Stimmvergleich herbeigeführt wird. Rechtsgrundlage sind insoweit §§ 58 II und 81b StPO. Das soll allerdings nur gelten, wenn das Gespräch nicht ausschließlich zum Zweck des Stimmvergleichs geführt wurde und wenn 7 nicht eine freiwillige Stimmprobe bereits abgelehnt wurde 5 . Dies kann dem Sachverhalt hier mangels Angaben nicht entnommen werden und wir somit zu Gunsten des Beschuldigten (in dubio pro reo) unterstellt. Das Mithören was somit unzulässig und führt zu einem Beweisverwertungsverbot. Fall 7: Frau F wurde beraubt. Zeuge Z gibt im Verlauf der Ermittlungen an, der Ägypter A habe ihm gegenüber in einem Telefongespräch seine Mitwirkung an dem Raubüberfall eingeräumt. Daraufhin veranlasst die Polizei ein weiteres Telefonat zwischen Z und A, bei dem Z dem A bestimmte Fragen stellen und der Polizist P über einen Zweithörer mithören soll. In dem Telefonat machte A genauere Angaben zur Tat. A wurde daraufhin wegen schweren Raubes angeklagt. In der Hauptverhandlung beantragt der Staatsanwalt, den P als Zeugen über den Inhalt des zwischen Z und A geführten Telefongesprächs zu vernehmen. Der Verteidiger des A widerspricht, da das durch die „Hörfälle“ zustande gekommene Telefonat nicht als Beweismittel verwertet werden dürfe. Wie ist über den Beweisantrag der Staatsanwaltschaft zu entscheiden? Lösung: Der Beweisantrag der Staatsanwaltschaft ist gem. § 244 III 2 StPO durch Gerichtsbeschluss, § 244 IV StPO, abzulehnen, wenn die Erhebung des beantragten Zeugenbeweises unzulässig ist. Dies wäre der Fall, wenn der Inhalt des Telefonats einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. 1)a) In Betracht kommt ein Verwertungsverbot nach § 136a I 1, III 2 iVm. 136a IV 2 StPO. Voraussetzung wäre, dass ein Beschuldigter bei seiner Vernehmung durch Beamte des Polizeidienstes, § 163a IV 2 StPO, eine Aussage gemacht hat, bei der seine freie Willensentschließung durch Täuschung beeinträchtigt war, § 136 a I 1 StPO. A war zum Zeitpunkt des Telefonats „Beschuldigter“, da sich der Tatverdacht bereits hinreichend auf seine Person verdichtet hatte. Zweifel bestehen daran, dass es sich bei dem Telefonat um eine Vernehmung nach §§ 136, 163a StPO handelte. 5 BGHSt 40, 66. 8 - Nach dem so genannten funktionalen Vernehmungsbegriff versteht man darunter jede von einem Strafverfolgungsorgan direkt oder indirekt herbeigeführte Äußerung einer Auskunftsperson zur Aufklärung einer Straftat. - Nach anderer herrschender Auffassung gilt der formelle Vernehmungsbegriff, demzufolge §§ 136, 136a, 163a StPO nur bei amtlicher Befragung anwendbar sind. Die Vorschriften der StPO über die Zeugen- und Sachverständigenvernehmung seien erkennbar auf die offene Vernehmung zugeschnitten. Ein erweiterter Vernehmungsbegriff würde auch Äußerungen gegenüber verdeckten Ermittlern erfassen, was mit dem Sinn und Zweck der §§ 110a ff. StPO nicht mehr zu vereinbaren wäre. Danach scheidet ein Verstoß gegen §§ 136a, 163a StPO vorliegend aus. 1)b) Allerdings ist § 136a StPO im Bereich vernehmungsähnlicher Lagen entsprechend anwendbar, wenn Aussagesituationen geschaffen werden, in denen ein Beschuldigter unter Umgehung einer förmlichen Vernehmung einem faktischen Aussagezwang unterworfen wird. Dabei kann bei verdeckter Beweiserhebung aber nicht jede Täuschung nach § 136a I StPO als verbotene Vernehmungsmethode angesehen werden, weil eine erforderliche heimliche Ermittlungsführung dadurch zum größten Teil unmöglich gemacht würde. Vielmehr ist der Begriff der Täuschung eng auszulegen, so dass eine Befragung des Beschuldigten, die das Ermittlungsinteresse nur nicht aufdeckt, nicht unter § 136a StPO fällt. Das absolute Verwertungsverbot des § 136a III 2 StPO greift hier daher nicht ein. 2) Denkbar wäre ein Verstoß gegen die in §§ 136 I 2, 163a IV 2 StPO geforderte Belehrung über das Schweigerecht des Beschuldigten. Diese Vorschriften führen nach der neuen Rechtsprechung des BGH zu einem Verwertungsverbot und sind entsprechend anwendbar, wenn eine Privatperson gezielt zur Befragung des Beschuldigten eingesetzt wird. Jedoch sind diese Vorschriften auf die hier in Rede stehende Fallgestaltung nicht entsprechend anwendbar. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es nicht, dem Tatverdächtigen zu Bewusstsein zu bringen, dass er von einer Amtsperson oder einer mit den Ermittlungsbehörden zusammen arbeitenden Person befragt wird. Durch die Belehrung soll vielmehr nur klargestellt werden, dass es ihm freisteht, nicht auszusagen, obwohl ihn ein Richter, Staatsanwalt oder Polizeibeamter in amtlicher 9 Eigenschaft befragt. Der Sinn der Regelung wird daher nicht verletzt, wenn eine Privatperson – wenn auch aufgrund polizeilicher Veranlassung – Äußerungen zu erlangen sucht, denn hier kann sich der Beschuldigte nicht durch die Autorität des Befragenden zu einer Äußerung veranlasst sehen. Er weiß vielmehr, dass er sich – wie auch sonst gegenüber beliebigen Dritten – nicht zu äußern braucht. Aus §§ 136 I 2, 163a IV 2 StPO ergibt sich daher kein Verbot, den Inhalt des mitgehörten Telefonats zu verwerten. 3) In Betracht kommt des Weiteren ein Verstoß gegen das der StPO zu Grunde liegende Leitbild einer „offenen Befragung“, wie es sich z.B. aus §§ 133, 136 I StPO ergibt. Indessen ist die Ausgestaltung der Vernehmung als eines offenen Vorgangs durch die StPO nicht Ausdruck eines dem Gesetz als allgemeines Prinzip vorschwebenden Grundsatzes. Vielmehr ist die Polizei bei der Wahl ihrer Ermittlungsmethoden, §§ 161, 163 StPO, grundsätzlich frei, was auch die Möglichkeit eines verdeckten Vorgehens gegenüber dem Tatverdächtigen einschließt. Die §§ 110a ff. StPO sind dafür ein zusätzlicher Beleg. 4) Auch der nemo tenetur se ipsum accusare-FGrundsatz geht nicht weiter als die genannten Vorschriften der §§ 136, 136a, 163 StPO, so dass die Freiheit von Irrtum nicht darunter fällt, solange der Tatverdächtige sich nicht auf Grund eines tatsächlichen oder eines vorgetäuschten Zwanges zur Aussage äußert. 5) Des Weiteren liegt auch kein Verstoß gegen §§ 100a 1 Nr. 1, 100b I StPO vor, denn der Schutzbereich des durch diese Vorschriften gesicherten Fernmeldegeheimnisses, Art. 10 I GG, ist auf Eingriffe in den vom Netzbetreiber beherrschten Übermittlungsvorgang beschränkt. Der Grundrechtsschutz endet am Endgerät des Fernmeldeteilnehmers 6 . 6) Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Grundrecht des A auf informationelle Selbstbestimmung vor, denn unter den heutigen Verhältnissen hat grundsätzlich jedermann damit zu rechnen, dass sein Telefonat mittels eines Zweithörers oder einer Freisprecheinheit Dritten unmittelbar zugänglich gemacht wird. 7) Denkbar wäre schließlich, dass sich ein Verwertungsverbot unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 III GG herleiten lässt. 6 BGH StV 1996, 468. 10 a) Immerhin ist zu bedenken, dass das Vorgehen der Ermittlungsbehörden einem Verstoß gegen den nemo tenetur-Grundsatz nahe kommt. Das führt zwar nicht automatisch zur Unzulässigkeit der vorliegenden Maßnahme, aber aus der Nähe zu dem genannten Grundsatz sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem aus ihm hervorgehenden Grundsatz des fairen Verfahrens ergeben sich Bedenken, wenn die Ermittlungsbehörden den Beschuldigten in der vorliegenden Weise zu Äußerungen veranlassen. b) Diese Bedenken schlagen aber nur dann durch, wenn das ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestattete Strafverfolgungsinteresse hinter ihnen in der Abwägung zurücktritt. Dabei ist die Rechtslage im Lichte der durch das OrgKG geschaffenen Rechtslage zu präzisieren und fort zu entwickeln, so dass kein Verwertungsverbot gegeben ist, wenn es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt und der Einsatz anderer Ermittlungsmethoden erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre. Die Kataloge der §§ 98a, 100a, 110a StPO vermitteln dabei für die Abwägung Hinweise. Angesichts der Schwere der Tat (siehe § 100a Nr. 2, „Raub“) und der Schwierigkeiten der Ermittlungen fällt diese Abwägung hier zu Gunsten des Strafverfolgungsinteresses aus. Der Inhalt des Telefongesprächs ist daher ohne Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip verwertbar. Z ist entsprechend dem Beweisantrag der Staatsanwaltschaft über den Inhalt des Telefonats zu vernehmen. Fall 8: Gegen A und B wird wegen gemeinschaftlichen Raubes verhandelt. A ist flüchtig. Daraufhin wird das Verfahren gegen A abgetrennt. B wird rechtskräftig verurteilt. Als A gefasst wird, soll die Ehefrau des B als Zeugin vernommen werden. Kann sich die Ehefrau des B auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen? Lösung: Unbestritten ist § 52 StPO anwendbar, wenn in derselben Hauptverhandlung gegen mehrere Beschuldigte ein Zeuge nur einheitlich aussagen kann, so dass sich die Zeugnisverweigerung notwendig einheitlich für und gegen alle Beschuldigten auswirkt. 1) Fraglich ist aber, ob dieses Zeugnisverweigerungsrecht auch im Falle der Abtrennung der Verfahren fortwirkt. Das wird man jedenfalls dann bejahen müssen, wenn das Verfahren 11 gegen den Angehörigen noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn eine Verfolgung des Angehörigen nicht mehr möglich ist. 2) Entgegen der früheren Rechtsprechung lehnt der BGH jetzt ein Zeugnisverweigerungsrecht ab, wenn das Verfahren gegen den Angehörigen rechtskräftig abgeschlossen ist, z.B. durch Verurteilung oder Freispruch, oder wenn der Angehörige verstorben ist, denn dann kann der Zweck des § 52 StPO (Schutz der Familienbande) nicht mehr berührt sein. Gegenüber Zeugnisverweigerungsrecht Wertungswiderspruch nur vorliegen, als da dem jetzigen 7 Reflex . auch Angeklagten Außerdem der würde Beschuldigte wirkt das auch ein selbst kein Auskunftsverweigerungsrecht hätte und die bloße Möglichkeit einer Wiederaufnahme zu Lasten des Angehörigen fällt demgegenüber nicht ins Gewicht. Die Ehefrau des B kann sich danach nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Fall 9: In der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten A wurde Zeuge Z vernommen, der den Angeklagten schwer belastete. Z, der an der Tat selbst beteiligt war, wurde über sein Aussagerecht nach §§ 55 ff. StPO nicht belehrt. Darf das Gericht die Aussage gegen den Angeklagten verwerten? Lösung: Fraglich ist, ob der Verstoß gegen § 55 II StPO ein Verwertungsverbot auslöst. 1) Der BGH hat dies mit dem Argument abgelehnt, dass ein Verwertungsverbot nur dann vorliege, wenn die jeweilige Bestimmung den Rechtskreis des Angeklagten wesentlich berühre. Anders als bei § 52 StPO, der die Familienbande und damit die Beziehung zum Angeklagten schütze, betreffe § 55 StPO nur den Zeugen im Konflikt zwischen Aussage und Selbstbezichtigung als Ausfluss des nemo tenetur-Grundsatzes. 2) Die Argumentation des BGH ist jedoch erheblichen Bedenken ausgesetzt. Der Angeklagte hat ein Recht auf Einhaltung aller wesentlichen Verfahrensvorschriften. Zum anderen dürfte § 55 StPO sehr wohl auch den Angeklagten vor Belastung durch Aussagen schützen, deren 7 BGHSt 38, 99 ff. 12 Wahrheitsgehalt wegen der Gefahr lügenhafter Selbstbegünstigungen von vornherein zweifelhaft ist. 3) Nun ja, das Ergebnis ist mit der jeweilig richtigen Begründung ebenso offen wie richtig. Fall 10: Wegen des Verdachts der räuberischen Erpressung wird gegen T die Überwachung seines Telefonanschlusses angeordnet. Als T den Telefonhörer nicht richtig auflegt, wird ein Gespräch mit seiner im Raum anwesenden Ehefrau aufgezeichnet, in dem sich T selbst schwer belastet. Kann die Aufzeichnung verwertet werden? Lösung: Die Aufzeichnung kann verwertet werden, wenn die von § 100a gedeckt ist. Diese Vorschrift umfasst seinem eindeutigen Wortlaut nach jedoch nur den Fernmeldeverkehr, nicht aber Unterhaltungen außerhalb der Inanspruchnahme einer Fernsprecheinrichtung im häuslichen Bereich. Die Aufzeichnung des häuslichen Gesprächs stellt vielmehr einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Privatsphäre des Beschuldigten dar, für die keine gesetzliche Grundlage besteht. Insbesondere scheidet eine analoge Anwendung des § 108 StPO aus. Das zeigt auch der durch das OrgKG neuerdings eingefügte § 100b V StPO, der Zufallserkenntnisse nur in engen Grenzen für verwertbar erklärt. Die Aufzeichnung ist demnach unverwertbar. Fall 11: Der Angeklagte A hat sich umfangreich zur Sache eingelassen und dabei Steuerberater S genannt. Er weigert sich jedoch, S von der Schweigepflicht gem. § 53 StPO zu entbinden, damit das Gericht ihn als Zeugen vernehmen kann. Darf das Gericht daraus Schlüsse zum Nachteil des A ziehen? 13 Lösung: Das „Aussageverhalten“ könnte im Rahmen der freien Beweiswürdigung verwertbar sei, § 261 StPO. 1) Danach ist das Gericht in der Würdigung der Beweise und damit auch der Einlassung des Angeklagten frei. So dürfte es auch Schlüsse zum Nachteil des A ziehen. 2) Etwas anderes muss allerdings dann gelten, wenn der Angeklagte von seinem Schweigerecht nach § 243 IV 1 StPO Gebrauch macht, denn aus der Wahrnehmung legitimer Rechte darf ihm grundsätzlich kein Nachteil erwachsen. Anderenfalls würde der nemo-tenetur-Grundsatz in sein Gegenteil verkehrt. Hier geht es aber um die Schweigepflicht des S gem. § 53 StPO, so dass eine Verwertung zum Nachteil grundsätzlich nicht zulässig wäre. 3) Anders liegt es aber, wenn sich der Angeklagte teilweise einlässt, weil er sich dann selbst auf Grund eines freien Entschlusses zum Beweismittel macht, denn das so genannte Teilschweigen ist verwertbar, auch zu seinen Lasten. Entsprechendes muss gelten, wenn er dem Gericht ein Beweismittel benennt, dieses aber – wie hier – nicht zugänglich macht. Das Aussageverhalten ist also im Rahmen der freien Beweiswürdigung verwertbar, § 261 StPO. Fall 12: A hat vor der Polizei ein Geständnis abgelegt, dann aber in der Hauptverhandlung geleugnet. Darf in der Hauptverhandlung gegenüber A das Protokoll herangezogen werden und/oder der Polizist P, der das damalige Verhör geführt hatte, als Zeugen vernommen werden? Lösung: 1) Die Protokollverlesung Das Protokoll durfte jedenfalls nicht zum Beweis des Geständnisses verlesen werden, weil § 254 StPO nur für richterliche Protokolle gilt. Allerdings hält die Rechtsprechung einen so 14 genannten formlosen Vorhalt des Geständnisses an den Angeklagten für zulässig. Verwertet werden darf dann aber nur, was der Angeklagte auf den Vorhalt hin aussagt (Teilschweigen beachten!). 3) Vernehmung der Verhörsperson Die Vernehmung der früheren Verhörsperson, hier P, soll § 254 StPO anders als § 252 StPO, der ja einen Interessenkonflikt vermeiden will, nach Auffassung des BGH nicht hindern. Kritik: Der Polizist ist noch unsicherer, als das Protokoll! Fall 13: P wurde im vorhergehenden Fall 13 als Zeuge vernommen, ohne dass sich R über die Zulässigkeit dieses Vorgehens Gedanken gemacht hätte. Als P sich nicht mehr genau erinnern konnte, las R ihm aus dem damals geführten Protkoll vor. Ist dies zulässig? Lösung: Nach § 253 ist dies jedenfalls nicht zulässig, da es sich nicht um eine eigene Aussage des P handelt. Auch hier lässt aber die Rechtsprechung den formlosen Vorhalt zu, wobei wiederum nur das auf den Vorhalt hin Gesagte verwertet werden darf. Kritik: Vor allem die Laienrichter werden häufig das Verlesene in die Überzeugungsbildung einfließen lassen! 15 Fall 14: A wurde beschuldigt, seine Frau ermordet zu haben. Die einzige Tatzeugin, die Tochter des Angeklagten, die ihren Vater bei der Vernehmung vor der Polizei und vor dem Ermittlungsrichter schwer belastet hatte, verweigert in der Hauptverhandlung die Aussage. Daraufhin vernahm R den Polizeibeamten und den Ermittlungsrichter darüber, was die Tochter ausgesagt hatte. 1) Ist dies zulässig? 2) Etwas hat Richter R schon immer interessiert: Nehmen Sie an, der Angeklagte selbst hatte vor der Polizei bzw. vor dem Ermittlungsrichter ein Geständnis abgelegt. Kann dann die damalige Aussage des Angeklagten in den Prozess durch Vernehmung der Verhörspersonen eingeführt werden? Lösung: 1) Die Vernehmung des Polizeibeamten ist nach § 252 StPO nicht zulässig, da dieser ein umfassendes Verwertungsverbot auslöst. Dagegen soll eine Vernehmung des Richters zulässig sein, sofern dieser die Zeugin bei der früheren Vernehmung ordnungsgemäß belehrt hat. 2) Ja, das ist auf jeden Fall möglich, sowohl die Vernehmung des Polizisten als auch die des Richters, weil für den Angeklagten eine dem § 252 StPO entsprechende Vorschrift fehlt. § 254 StPO hindert die Vernehmung jedenfalls nicht (vgl. Fall 12). § 252 StPO will eine Interessenskollision des aussagenden Zeugen gegenüber dem „Familienmitglied“ vermeiden. Diese Kollision ist bei dem selbst voreilig geständigen Angeklagten nicht gegeben. Fall 15: Das Gericht hatte sich zur Beratung zurückgezogen, dann aber noch mal die Verhandlung eröffnet, weil sich das Gremium über einen neuen rechtlichen Gesichtspunkt klar geworden war. Der Angeklagte wurde gem. § 265 StPO auf den neuen Gesichtspunkt hingewiesen. Die Verfahrensbeteiligten gaben aber keine neuen Erklärungen ab, so dass der Richter gleich 16 das Urteil verkündete. Ist hieran etwas zu beanstanden? Klären Sie den Unterschied zwischen § 265 StPO und § 266 StPO! Lösung: Es hätte erneut beraten und abgestimmt werden müssen, wie es sich § 260 I StPO ergibt, wonach die Verkündung des Urteils „auf die Beratung“ folgt. Wegen der verschobenen Gesichtspunkte ist dies auch dann zu fordern, wenn die Parteien nichts mehr äußern. Bei einer neuen Tat im historischen Sinne ist eine Nachtragsklage erforderlich, § 254 StPO. Ein bloßer rechtlicher Hinweis ist dagegen bei Veränderung von Gesichtspunkten, z.B. bei einem hinzu kommenden Tatbestand, innerhalb derselben historischen tat ausreichend, aber auch erforderlich, § 265 StPO. Der rechtliche Hinweis ist vorliegend erfolgt, ohne dass sich die Beteiligten geäußert hätten. Eine neue historische Tat ist lt. SV nicht hinzu getreten. Das Verhalten des Gerichts ist damit nicht zu beanstanden. Fall 16: Der Richter hatte dem Angeklagten im Beisein seines Verteidigers und des Staatsanwalts bekundet, dass er im Falle eines Geständnisses auf eine Bewährungsstrafe erkennen werde. Daraufhin legte der Angeklagte ein Geständnis ab. Am Ende der Hauptverhandlung verurteilte der Richter den Angeklagten zu 2 ½ Jahren Freiheitsstrafe und begründete dies damit, dass die Hauptverhandlung die Tat doch in einem Licht gezeigt habe, das eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr zugelassen habe. Wird die Revision des Angeklagten Erfolg haben? Lösung: Die Revision des Angeklagten wird Erfolg haben, wenn sie zulässig und begründet ist. I. Zulässigkeit Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Statthaftigkeit, (§§ 333, 335 StPO), der Anfechtungsberechtigung und Beschwer (§§ 296 ff. StPO), Form und Frist der 17 Revisionseinlegung (§ 341 StPO) sowie Form und Frist der Revisionsbegründung (§§ 344, 345 StPO) werden hier mangels näherer Angaben im Sachverhalt unterstellt, so dass die Revision zulässig ist. II. Begründetheit Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, wenn sein Geständnis nicht verwertet werden durfte. 1) Eine Kontaktaufnahme des Gerichts mit den Prozessbeteiligten darf grundsätzlich auch außerhalb der Hauptverhandlung erfolgen. Insbesondere bei komplizierten Sachverhalten kann dies verfahrensbeschleunigende Wirkung haben. Dabei dürfen jedoch die Grundsätze der Mündlichkeit und Öffentlichkeit nicht umgangen werden. Vielmehr müssen die einzelnen Absprachen offen gelegt werden. 2) Ein Verstoß gegen § 136a StPO liegt erst dann vor, wenn das Gericht mit Nachteilen droht. 3) Fraglich ist jedoch, ob das Gericht eine feste Zusage zum Strafmaß abgeben durfte. a) Da das Vorgehen einem Handel mit der Gerechtigkeit im Sinne eines „Vergleichs im Gewande eines Urteils“ gleichkommt, ist dies wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip zu verneinen (vgl. auch § 136a StPO). b) Zu fragen ist aber, ob diese Unzulässigkeit automatisch zu einem Verwertungsverbot bezüglich des erbrachten Geständnisses führt. - Der BGH hat dies – ähnlich wie beim überlangen Verfahren – abgelehnt und das Risiko der Nichteinhaltung der Absprache dem Angeklagten auferlegt. Die Nichteinhaltung führe weder zu einem Verwertungsverbot noch zu einem Verfahrenshindernis, sondern habe nur eine Strafmilderung zur Folge. - Diese Entscheidung ist aber fragwürdig. Wegen Verstoßes gegen den fair-trialGrundsatz dürfte es richtiger sein, dem Angeklagten ein Verwertungsverbot zuzubilligen. Allein dieses Ergebnis entspricht den allgemeinen Grundsätzen, wonach ein verfahrenswidrige erlangter Beweis unverwertbar ist. Die gegenteilige Auffassung bedeutet eine Ermunterung zu verfassungswidrigem Handel mit der Gerechtigkeit (s.o.). 18 Das Urteil des Richters entspricht damit der Auffassung des BGH, so dass eine Revision höchstwahrscheinlich keine Erfolg hätte, ist aber doch fragwürdig. Fall 17: Während einer Jugendgerichtsverhandlung ist die Öffentlichkeit entgegen § 48 JGG zugelassen. Der Angeklagte stützt später seine Revision auf eine Verletzung des Öffentlichkeitsprinzips und beruft sich auf § 338 Nr. 6 StPO. Mit Recht? Lösung: Es könnte ein Revisionsgrund gem. § 338 Nr. 6 StPO vorliegen, wenn der Öffentlichkeitsgrundsatz verletzt worden wäre. 1) Gem. § 48 I JGG ist eine Jugendgerichtsverhandlung grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen. Vorliegend wurde die Öffentlichkeit zugelassen. Ein Revisionsgrund wäre demnach gegeben. 2) Gem. § 48 III 1 JGG kann aber die Öffentlichkeit auch zugelassen werden, wenn Heranwachsende und Erwachsene mit angeklagt sind. Der Sachverhalt gibt darüber keine Information, so dass davon ausgegangen werden muss, dass § 48 III 1 JGG nicht einschlägig ist. 3) Der Öffentlichkeitsgrundsatz soll nach seinem Sinn und Zweck jedoch nicht den Angeklagten schützen, sondern der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Einsicht in die Arbeit des Gerichts geben. Lt. BGH schadet „zu viel Öffentlichkeit“ dem Verfahren demnach nicht. Danach wäre die Revision unzulässig. 4) Eine Revision gem. § 337 StPO ist jedoch wegen Verstoßes gegen § 48 I JGG, der den Angeklagten schützen soll, nach Rüge möglich. (Achtung: Der BGH vertritt hier eine andere Ansicht, s.o. und das „Beruhendprinzip“ des § 337 StPO! ). 19 Fall 18: Die A steht wegen eines Meineides vor Gericht. Es wird ihr vorgeworfen, in einem Strafverfahren gegen den früheren Rektor R der Schule, an der sie als Junglehrerein tätig war, unter Eid bewusst wahrheitswidrig jede intime Beziehung zu ihrem damaligen Vorgesetzten R abgestritten zu haben. die Strafverfolgungsbehörden stützen diesen Vorwurf auf das eigene Tagebuch der A, in dem sie ihre Beziehung zu R in allen Einzelheiten geschildert hatte. Dieses Tagebuch war der A von dritter Seite weggenommen und der Staatsanwaltschaft in die Hände gespielt worden. Der Staatsanwalt beantragt in der Hauptverhandlung den Inhalt des Tagebuches im Wege des Urkundsbeweises zur Überführung der A zu verwerten. Wie wird der Richter über diesen Beweisantrag entscheiden? Lösung: Es könnte ein Beweisverwertungsverbot für das Tagebuch greifen, wenn nach der 3-StufenTheorie des BVerfG der intim-persönliche Kernbereich der A betroffen wäre. 1) Dann müsste das Tagebuch zur Persönlichkeitssphäre der A nicht für einen Dritten bestimmt gewesen sein. Dies ist vorliegend der Fall (1. Stufe). Da ihr das Tagebuch weggenommen werden musst, hat A dies vor bewusst vor Dritten verborgen. Eine Verwertbarkeit würde somit ausscheiden. 2) Da A aber ihre Gedanken in die Außenwelt eingebracht hat, ist lt. BVerfG die 2. Stufe, der persönlich-gesellschaftliche Bereich betroffen, der nur dann schützenswert ist, wenn die Aufzeichnungen bilanziell erfolgt und nicht vor dem Zugriff Dritter geschützt wurden. Eine bilanzielle Aufzeichnung ist dem Sachverhalt gerade nicht zu entnehmen, da es sich offensichtlich um sehr persönliche Eintragungen, die man normalerweise nicht „bilanziell“ aufzeichnet, handelt. Da hier keine näheren Angaben im Sachverhalt gegeben sind, ist davon zu Gunsten der A (in dubio pro reo) somit nicht auszugehen. Ebenso ist dem Sachverhalt auch nicht zu entnehmen, ob die A ihr Tagebuch nicht genug gegenüber Dritte geschützt hat. c) Das BVerfG wägt jedoch in solchen Fällen die Schwere des Vergehens und das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten gegen das Strafverfolgungsinteresse ab. Ein Meineid (= Vergehen, und kein Verbrechen!) rechtfertigt eine Verlesung jedenfalls nicht. Das Persönlichkeitsrecht der A hat hier Vorrang. 20 Somit ist das Tagebuch der A hier unverwertbar, ein Beweisverwertungsverbot greift somit. § 3 Nachwort Wir haben dieses Skript nach bestem Wissen und Gewissen erstellt, um den Einstieg in diese doch etwas eigene Materie zu erleichtern. Wenn man mal das Konzept der StPO verstanden hat, ist es eigentlich einfach, wenn man die „Kardinalsnormen“ (Skript StPO) nicht aus den Augen verliert. Es ersetzt aber nicht die jeweiligen Vorlesungen, sondern soll diese nur sinnvoll zusammenfassen, um einen besseren Überblick zu behalten und gezielt zu wiederholen. Unerlässlich ist es gerade in StPO, im Nachstudium die von uns angegebenen Fundstellen zumindest mal durchgelesen zu haben. Dies erleichtert auch das weiterführende Studium – man könnte ja auch daran denken, Strafecht als Wahlfach an einer anderen Uni zu wählen - ungemein, da man doch zumindest von dem einen oder anderen schon mal was gelesen oder gehört hat (frei nach dem Motto: Das kommt mir irgendwie bekannt vor, da war doch was in so`ner Fundstelle oder so!?) ☺. StPO ist übrigens für die Strafrechtsklausur gar nicht so irrelevant, denn da stolpert man gerne mal über ein Beweisverbot… Das kann in den meist sehr niedrig bewerteten normalen Examensklausuren das „Bestanden“ kosten! Dieses Skript ist für das Lernen im Hinblick auf Fallklausuren geeignet, ohne jedoch Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Ansonsten ist es unerlässlich, das Hauptskript „StPO“ zu lesen, um überhaupt hiermit etwas anfangen zu können, aber auch hier gibt es Fälle, die über das Skript doch hinausgehen, obwohl sie Gegenstand unserer einfachen Abschlussklausur (2003, 5. Semester) waren. Es empfiehlt sich daher, dieses Skript mit den Erwartungen des jeweiligen Dozenten abzugleichen und entsprechende Schwerpunkte in der Nachbearbeitung zu setzen. Wichtig ist in StPO, immer die neueste Rechtsprechung zu verfolgen! An Büchern können wir – wie bereits im Skript StPO aufgezeigt - Armin Engländer, „Examens-Repetitorium im Strafprozessrecht“, natürlich den guten alten Alpmann/Schmidt und auch den Beulke empfehlen. Wen´s noch mehr „juckt“, unser damaliger Dozent, Herr (jetzt Prof.) Dr. Christian Jäger, den uns die Uni Trier ausgespannt hat, hat eine sehr gute Literaturübersicht auf der Homepage seines Lehrstuhls in Trier. 21 Aber wie gesagt, die StPO lebt von der aktuellen Rechtsprechung, also schaut euch die Fundstellen unbedingt an, auch die im Hauptskript, sonst habt ihr ein Problem, das euch 6 Punkte oder die Strafrechtsklausur im Examen kosten kann (dringender Hinweis unseres geliebten Dr. Jäger!). Gerade ist der „früher BGH – später BGH-Rotz“ ganz wichtig! Hier ist auch wichtig, dass man nicht unbedingt dem BGH folgt, aber wenn man ihm nicht folgt, dann muss die Begründung wirklich erstklassig sein, und wir glauben, dass (heute Prof.) Dr. Jäger wirklich erstklassig war, so dass man auch mal ´nen Abweichler spielen kann, wenn man denn gar nicht mit dem BGH übereinstimmen kann (wie bereits im Skript StPO dargelegt sind die „Wege de BGH oft unergründlich“... und wirklich unvertretbar! ) Wir danken hiermit auch unserem ehemaligen Dozenten 1000 x für seine wirklich erstklassigen Vorlesungen und die wirklich wichtigen Hinweise, was das Examen betrifft! Er wird uns immer in außerordentlich fröhlicher, wenn auch anspruchsvoller Erinnerung (was sollte man von einem Schüler von Roxin auch anderes erwarten) bleiben. Also, wenn ihr das könnt, was er uns vermittelt hat, dann kann nix schief gehen, auc nicht im Examen! Ansonsten wünschen wir euch viel Spaß und viel Erfolg in der Hoffnung, dass wir etwas zu eurem Erfolg beitragen konnten! ☺ 22
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