Todesfalle metamizol? - Gesundheit Nord Klinikverbund Bremen

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l tmhae kmoat h e r a p i e
B R E M E R Ä R Z T E J O U R N A L 04 | 11
Todesfalle Metamizol?
Seit Ende 2009 wurden der Pharmakologie in Bremen fünf Fälle lebensbedrohlicher
Agranulozytosen und anaphylaktoider Reaktionen gemeldet, zwei mit tödlichem Ausgang.
Anaphylaktoide Reaktionen mit
Hypotonie
Ein Mann (60 J.) mit Pharynx-Karzinom erhielt
wegen Kopfschmerzen 1g Metamizol intravenös. Nach wenigen Minuten traten Dyspnoe
und Kreislaufdekompensation auf. Unter Sauerstoff- und Volumengabe erholte sich der
Patient vollständig. Bei einem Mann (55 J.)
mit COPD wurde zur Analgesie bei schulternahem Lipom eine Therapie mit täglich 3 x
750mg Metamizol begonnen. Eine Woche
später musste er nach Einnahme seiner Medikamente, darunter Metamizol, reanimiert
werden. Im weiteren Verlauf erhielt der Patient wegen hohem, infektionsbedingten Fieber, das auf Paracetamol unzureichend ansprach, intravenös Metamizol. Darunter entwickelte er wiederholt schwere Bronchokonstriktionen.
Agranulozytosen
Eine Frau (70 J.) mit rheumatoider Arthritis
und chronischem therapierefraktären Schmerz­
syndrom erhielt seit einem Jahr Methotrexat
(MTX), Prednisolon und täglich 3 x 1g Metamizol. Wegen unklarer Tachykardie wurde die
Patientin stationär aufgenommen. Es zeigte
sich bei Agranulozytose (Leukozyten 0,3/nl)
ein beginnendes septisches Krankheitsbild.
Trotz sofortigen Absetzens von Metamizol sowie Gabe von Granulozytenkolonie-stimulierenden Faktoren (G-CSF) und Antibiotika verstarb die Patientin. Eine Frau (25 J.) nahm bei
unklarer Indikation bedarfsweise Metamizol.
Wegen Depressionen wurde eine Behandlung
mit Mirtazapin begonnen. Nach einer Woche
kam es zu abdominellen Beschwerden und
progredienten Diarrhoen. Wegen Kreislaufdekompensation erfolgte die stationäre Aufnahme. Die dort diagnostizierte Sepsis bei
Agranulozytose (Leukozyten 0,6/nl) wurde
mit Katecholaminen, Antibiotika und G-CSF
sowie dem Absetzen von Mirtazapin erfolgreich behandelt. Eine Frau (60 J.) erhielt zur
postoperativen Analgesie täglich 4 x 1g Metamizol, zwei Tage später zusätzlich Amitriptylin. Fünf Tage nach Beginn der Behandlung
mit Metamizol kam es zu einer Panzytopenie
(Leukozyten 2,0/nl; Thrombozyten 47/nl;
Erythrozyten 2,6/nl). Die Amitriptylingabe
wurde sofort, die von Metamizol drei Tage
später beendet, die Blutwerte normalisierten
sich.
Diskussion
Das Risiko potenziell letaler hypotensiver Reaktionen unter Metamizol steigt mit der Höhe
der Dosis und der Schnelligkeit der intravenösen Gabe sowie bei zuvor bestehender Hypotonie, Hypovolämie oder hohem Fieber. Die
Inzidenz für anaphylaktoide Reaktionen nach
i.v. Gabe wird mit 1:5.000 angegeben. Nach
oraler Gabe treten sie seltener auf. Bei Intoleranz gegenüber Acetylsalicylsäure oder anderen nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR)
besteht die Gefahr einer Kreuzintoleranz gegenüber Metamizol. Für Agranulozytosen wird
in der Literatur eine sehr unterschiedliche Inzidenz zwischen einem Fall pro 1.400 Verschreibungen oder einem Fall pro 1 Million Wochen
der Anwendung genannt; die Letalität wird
mit 7 bis 32% angegeben. Die niedrige Inzidenz geht auf eine Hersteller-gesponserte
Studie zurück, die höhere auf unabhängige
schwedische Erhebungen. Bei aller Unsicherheit von Zahlen, die auf Basis von Spontanmeldungen kalkuliert sind, ist der unabhängigen Erhebung größeres Vertrauen zu schenken. Eine aktuelle Erhebung zeigt, dass in
Deutschland bei hospitalisierten Patienten
jährlich mit 72 Metamizol-induzierten Agranulozytosen gerechnet werden muss. Nicht immer kann eine kausale Beziehung mit Sicherheit belegt werden, insbesondere wenn Be-
gleitmedikationen, wie bei den geschilderten
Fällen MTX bzw. Mirtazapin, auch als Ursache
in Frage kommen. Der Arzneimittelkommission
der Deutschen Ärzteschaft werden in den vergangenen Jahren zunehmend Agranulozytosen unter Metamizol berichtet; die Anzahl
korreliert mit dem Vorordnungsanstieg (Abb.).
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Fazit
Auf den besorgniserregenden Verordnungszuwachs von Metamizol, auch in Bremen, wurde
von den Autoren wiederholt hingewiesen.
Dies mag mit seiner recht großzügigen Nennung in aktuellen Leitlinien zusammenhängen. Die Kasuistiken zeigen, dass die Sicherheitsbedenken keine praxisferne Theorie darstellen. Ohne Zweifel wirkt Metamizol ausgezeichnet antipyretisch und analgetisch. Es
bleibt aber festzuhalten, dass viele Länder der
Welt wie Schweden, Großbritannien und die
USA ohne Metamizol auskommen, weil es
dort wegen des Nebenwirkungsrisikos nicht
zugelassen ist. Sein Einsatz ist dann gerechtfertigt, wenn Paracetamol, NSAR und Opioide
nicht ausreichen oder nicht gegeben werden
dürfen. Ansonsten ist im Fall eines Schadens
der verordnende Arzt rechtlich in einer kritischen Situation.
Dr. Irene Schott-Seidenschwanz
Dr. Hans Wille
Prof. Dr. Bernd Mühlbauer
Institut für klinische Pharmakologie,
Klinikum Bremen-Mitte
Metamizol: Verordnungen und Agranulozytosen
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