Tier ■ BAUERNBLATT l 25. April 2015 Schweine aktuell: Auftaktveranstaltung in Futterkamp Unversehrte Schweineschwänze sind das Ziel Auf der Norla 2014 wurde durch das Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, den Bauernverband Schleswig-Holstein e. V., die Schweinespezialberatung Schleswig-Holstein e. V. und die Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein eine gemeinsame Vereinbarung zum Verzicht auf das „routinemäßige“ Schwanzkupieren beim Schwein unterzeichnet. Hintergrund für die Vereinbarung ist das im Tierschutzgesetz verankerte Amputationsverbot, welches das Kupieren nur in begründeten Ausnahmefällen zulässt. Trotzdem stellt es eine weitverbreitete „Routinemaßnahme“ gegen das Schwanzbeißen in Ferkelaufzucht und Mast dar. In einem Drei-Stufen-Plan sollen die Bemühungen zum Kupierverzicht vorangetrieben werden. Dieser beinhaltet eine Informationsoffensive für Berater und Tierärzte sowie die Erarbeitung eines Beratungskonzeptes, welches auf Erfahrungen aus anderen Bundesländern zurückgreifen soll. Aus diesem Grund fand jetzt eine Auftaktveranstaltung zum Verzicht auf das „routinemäßige“ Schwanzkupieren beim Schwein statt. Eingeladen waren neben Beratungsorganisationen und Tierärzten, die Schweine haltende Betriebe in Schleswig-Holstein betreuen, auch Vertreter der Futtermittel- und Zuchtunternehmen sowie Vermarkter. Der Präsident der Landwirtschaftskammer, Claus Heller, begrüßte zunächst alle Teilnehmer und Referenten. Er verdeutlichte, dass sowohl der Berufsstand als auch die Landwirtschaftskammer und die Schweinespezialberatung an einer Lösung dieses Themas interessiert sind. Er wies allerdings deutlich darauf hin, dass ein Ausstieg aus dem Kupieren der Schwänze bei Schweinen nur mit sicheren Konzepten zu verantworten ist. Im Anschluss erläuterte Dr. Eckhard Boll, Leiter des Lehr- und Versuchszentrums Futterkamp, dass die Veranstaltung dazu dienen solle, alle beratend auf Schweinebetrieben tätigen Personen über die Verzichtserklärung und den aktuellen Stand des Wissens zu informieren und diese als Partner für die anstehende Herausforderung zu Zirka 40 Akteure aus der Landwirtschaft folgten der Einladung nach Futterkamp. gewinnen. Weiterhin sollten über die Veranstaltung Berater gewonnen werden, die Interesse haben, selber einen oder zwei Betriebe beim Verzicht auf das Kupieren der Schwänze zu unterstützen und Daten in eine geplante Untersuchung einfließen zu lassen. Derzeit sieht das Konzept für die geplante Untersuchung den Kupierverzicht bei zirka 50 Ferkeln je Betrieb und Durchgang vor, begleitet von intensiver Beratung vor und während des Versuchs. Betriebsindividuell sollen dabei Maßnahmen zur Vorbeugung von Schwanzbeißen und Handlungsanweisungen im Fall von Beißvorfällen vorbereitet werden. In einem ersten Vortrag berichtete Sönke Hauschild vom Bauernverband Schleswig-Holstein über das Zustandekommen der gemeinsamen Vereinbarung zum Verzicht auf das „routinemäßige“ Schwanzkupieren beim Schwein. Er machte deutlich, dass bereits seit 2008 in der gesamten EU die Schwänze bei Schweinen nur in Ausnahmefällen kupiert werden dürfen. Weiterhin ist nachzuweisen, dass andere Maßnahmen durchgeführt wurden, bevor diese Ausnahme in Anspruch genommen wird. Die gemeinsame Vereinbarung für Schleswig-Holstein sieht in der ersten Stufe für 2015 zum einen die weitere Förderung von Forschungsprojekten vor. Zum anderen sollen Informationsveranstaltungen für Berater und Landwirte organisiert werden. In der zweiten Stufe sollen 2016 einzelbetriebliche Maßnahmenpläne erarbeitet und dadurch Betriebe bei einem teilweisen Verzicht auf das Kupieren der Schwänze unterstützt werden. Hierfür sollen Eler-Mittel der EU beantragt werden. Ende 2016 sollen die bisher gewonnenen Erkenntnisse bewertet werden. Diese Bewertung wird dann Grundlage für die Entscheidung über weitere Schritte. Sönke Hauschild machte noch einmal deutlich, dass das Ziel der gemeinsamen Vereinbarung nicht der Verzicht auf das „routinemäßige“ Kupieren der Schwänze, sondern die Lieferung von Schweinen mit unversehrten Schwänzen an den Schlachthof sein muss. Nur wenn dieses Ziel sicher erreicht werden kann, ist ein Ausstieg aus dem Kupieren flächendeckend zu vertreten. Fotos: Onno Burfeind Krieter vom Institut für Tierzucht und Tierhaltung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gehalten. Er gab einen Überblick über den derzeitigen Kenntnisstand der Ursachen für Schwanzbeißen. Er machte deutlich, dass es sehr viele Risikofaktoren für das Schwanzbeißen beim Schwein gibt. Insbesondere das Halten von Schweinen mit unkupierten Schwänzen stellt den größten Risikofaktor dar. Aus diesem Grund wurde das Kupieren ursprünglich als Maßnahme für mehr Tierschutz in der Schweinehaltung implementiert. Als weitere wichtige Risikofaktoren führte er die Fütterung, das fehlende Angebot von Beschäftigungsmaterial und die Haltung und das Management beim Absetzen der Ferkel auf. Anschließend stellte Prof. Dr. Joachim Krieter Untersuchungsergebnisse zu der Haltung von Schweinen mit unkupierten Schwänzen aus seiner Arbeitsgruppe vor. In allen Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Problematik des Schwanzbeißens bereits in der Ferkelaufzucht beginnt. Insbesondere die zweite und dritte Woche nach Erkenntnisse dem Absetzen erweist sich hier als der Wissenschaft kritisch. Er erläuterte anhand von Der zweite Vortrag der Veranstal- Studienergebnissen, dass die Zugatung wurde von Prof. Dr. Joachim be von natürlichem Beschäftigungs- 43 44 Tier Erkenntnissen aus ihrer Dissertation, worin sie sich mit einem Interventionsprogramm zum Schwanzbeißen beschäftigt hat, von dem dort geplanten Vorgehen. Die Zuhörer zeigten sich beeindruckt von den umfangreichen Daten, die vom Brocke in diesem Zusammenhang präsentierte. Es handelt sich dabei um eine betriebsindividuelle Schwachstellenanalyse, aus der der einzelne Landwirt die kritischen Punkte für seinem Betrieb direkt ablesen kann. Hieraus konnten die Landwirte in dem Projekt sich jeweils für verschiedene Interventionsstrategien entscheiden. Interessanterweise scheint es nicht unbedingt von Bedeutung zu Prof. Dr. Joachim Krieter identifizierte sein, was die Landwirte in diesem die zweite und dritte Woche nach Zusammenhang unternehmen. Vieldem Absetzen als kritische Phase für mehr scheint das Bewusstsein für die das Schwanzbeißen. Thematik und wiederum eine geschultere Beobachtung der Schweimaterial in der Lage ist, das Beißgeschehen einzudämmen. Voraussetzung für das Arbeiten mit natürlichem Beschäftigungsmaterial ist das tägliche Anbieten von frischem Material. Dies muss außerhalb des Stalles gelagert werden, damit es keinen Schweinegeruch annimmt. Allerdings gelang es in den vorgestellten Untersuchungen nicht, das Schwanzbeißen vollständig zu verhindern, wenn die Schweine mit unkupierten Schwänzen gehalten wurden. Je nach Betrieb konnten nur 5 bis 60 % der Schweine mit langem, unversehrtem Schwanz an den Schlachthof geliefert werden. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass das Vorkommen von Schwanzbeißen nicht nur von Betrieb zu Be- Dr. Astrid vom Brocke leitet die Beratrieb, sondern innerhalb der Betrie- tungs- und Koordinierungsstelle Caube auch von Durchgang zu Durch- dophagie bei der Landwirtschaftsgang unterschiedlich ist. Weiterhin kammer Nordrhein-Westfalen. hob er hervor, dass eine sehr gute Tiergesundheit eine Grundvoraus- ne einen positiven Effekt zu haben, setzung für den Verzicht auf das Ku- der das Schwanzbeißen ein wenig pieren der Schwänze darstellt. Er einzudämmen vermag. Allerdings wies ausdrücklich auf die große Be- basieren die Untersuchungen von deutung der Tierbeobachtung und Astrid vom Brocke nur auf kupierten einer positiven Grundeinstellung ge- Tieren. In einer weiteren Studie wurden über 80.000 Fotos von kupierten genüber der Thematik hin. Schwänzen am Schlachthof ausgewertet. 2 % der Schweine kamen Betriebsindividuelle mit hochgradigen Verletzungen Schwachstellenanalysen oder Schwanzverlusten an den Wie in Schleswig-Holstein gibt es Schlachthof, während 75 % der auch in Nordrhein-Westfalen eine Schweine gar keine SchwanzverletVerzichtserklärung. Die Landwirt- zungen aufwiesen, was noch einmal schaftskammer Nordrhein-Westfa- den ursprünglichen Tierschutzgelen hat eine Beratungs- und Koordi- danken verdeutlicht. nierungsstelle Caudophagie eingerichtet, die von Dr. Astrid vom Brocke Nordrhein-Westfalen besetzt ist. Um von den Erfahrungen einen Schritt voraus aus Nordrhein-Westfalen zu lernen und einen länderübergreifenden ErIm zweiten Teil ihres Vortrags befahrungsaustausch herzustellen, er- richtete Dr. Astrid vom Brocke von läuterte sie neben umfangreichen dem aktuellen Stand der Umsetzung BAUERNBLATT l 25. April 2015 ■ der dortigen Vereinbarung zum Kupierverzicht. Auch in NordrheinWestfalen wurde eine Informationskampagne über Berichterstattung in den Wochenblättern und Vortragsveranstaltungen gestartet. Aktuell konnten dort 15 Kombibetriebe gewonnen werden, die bei einem Teil der Ferkel auf das Kupieren der Schwänze verzichten. Als Basismaßnahmen werden den Ferkeln und den Mastschweinen Heu und offene Wasserstellen bereitgestellt. Die Schwänze der Schweine werden täglich gruppenweise und wöchentlich auf Einzeltierebene durch den Landwirt beurteilt. Die gute personelle Ausstattung des Projektes in Nordrhein-Westfalen erlaubt es, die Betriebe wöchentlich und im akuten Fall durch zwei Tierärzte und Dr. Astrid vom Brocke zu besuchen. Auch sind in allen Betrieben die Hoftierärzte eng in die Beratung der Betriebe eingebunden. Wie in SchleswigHolstein sollen die gewonnenen Ergebnisse ebenfalls nach Ablauf der Projektzeit bewertet werden, bevor über weitere Schritte entschieden wird. seiner Aussage nach allerdings eine besondere Bedeutung zu. So wurde in einer Studie durch eine unzureichende Futterversorgung eine technische Panne im Betrieb imitiert. Dadurch konnte ein Aktivitätsanstieg als Vorstufe zum Schwanzbeißen bei den Schweinen beobachtet werden. Es wurde allerdings deutlich, dass hier bisher konkrete Empfehlungen für die Praxis nicht gegeben werden können, da die Datenlage noch sehr dünn ist. Schweinespezialberatung hielt das Schlusswort Eiken Struve, Vorsitzender der Schweinespezialberatung Schleswig-Holstein, nutzte im Schlusswort die Gelegenheit, nochmals für eine Teilnahme an dem Projekt zu werben. Interessierte Berater und Tierärzte sind dazu aufgerufen, mit von ihnen betreuten Betrieben an einer Untersuchung teilzunehmen, in der gruppenweise auf das Kupieren der Schwänze verzichtet werden soll. Nur wenn Daten hier vor Ort generiert werden, sieht er eine Gelegenheit, mit den Politikern auf Augenhöhe zu Fütterung diskutieren und als Berufsstand in mit Einfluss? der Diskussion nicht übergangen In dem letzten Vortrag des Tages zu werden. zeigte Prof. Dr. Christian Frank Visscher vom Institut für Tierernährung der Tierärztlichen Hochschule Hannover mögliche Ansätze auf, über In der Auftaktveranstaltung die Fütterung Einfluss auf das zum Kupierverzicht wurde die Schwanzbeißen beim Schwein zu schwierige Thematik unter unnehmen. Neben vielen kurz beterschiedlichen Gesichtspunkschriebenen Einflussfaktoren zog er ten beleuchtet. Es wurde wiedas Zwischenfazit, dass es bisher der einmal klar, dass es keine noch keinen zentralen Fütterungseinfache Lösung geben wird. schalter gibt, an dem man drehen Aus diesem Grund sind Berater, kann. Der Futterversorgung kommt Tierärzte und Betriebe dazu aufgerufen, sich an einer Datenerfassung zu beteiligen, bei der in einigen Gruppen (von zirka 50 Tieren) auf das Kupieren der Schwänze bei Schweinen verzichtet wird. Interessenten melden sich bitte bis zum 7. Mai bei der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein. Ansprechpartner ist Dr. Ole Lamp, der die Koordination übernehmen wird. FAZIT Dr. Onno Burfeind Landwirtschaftskammer Tel.: 0 43 81-90 09-20 [email protected] Prof. Dr. Christian Frank Visscher arbeitete verschiedene Zusammenhänge zwischen der Fütterung und dem Verhalten von Schweinen heraus. Dr. Ole Lamp Landwirtschaftskammer Tel.: 0 43 81-90 09-16 [email protected]
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