Das Gen Psd95 kontrolliert kritische Periode in der Augen

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ÿ Das Gen Psd95 kontrolliert kritische Periode in der Augen-Entwicklung
ÿ Neue Archaea aus der Tiefsee als Vorfahren der Eukaryoten?
ÿ Calcilytika, eine neue Arzneistoffklasse zur Behandlung des Asthma bronchiale
© Springer-Verlag 2015
Gen in den Schlagzeilen
Das Gen Psd95 kontrolliert kritische Periode in der Augen-Entwicklung
ó Zur vollen Ausbildung seiner Funktion bedarf das visuelle System von Wirbeltieren nach
der Geburt einer Phase der Reifung (kritische
Periode), bei der die Augen visuellen Reizen
ausgesetzt sein müssen (erfahrungsabhängige Plastizität). Werden die Augen dagegen während dieser Phase verschlossen, so werden die
Synapsen im visuellen Cortex nicht aktiviert
und visuelle Signale nicht wahrgenommen.
Wird nur ein Auge verschlossen, dominiert das
offene Auge nach der kritischen Periode über
das vorher verschlossene. Die Gruppen um
Siegrid Löwel und Oliver Schlüter, Universität
Göttingen, haben jetzt molekulare Charakteristika der kritische Periode untersucht (Huang X et al., Proc Natl Acad Sci USA (2015)
112:E3131–E3140). In dieser Arbeit berichten
die Autoren von der Abhängigkeit der Reifung
des visuellen Systems in der Maus von der Aktivität des Gens Psd95 (postsynaptic density
Abb.: Neuron mit angefärbtem Psd95 (grün) und
Synapsin (rot). (Bild: Prof. Dr. Mary B. Kennedy,
California Institute of Technology).
protein-95) im visuellen Cortex. In WildtypMäusen beginnt die Expression des Psd95Gens im visuellen Cortex zwischen dem Öffnen der Augen (ab Tag 14 nach der Geburt) und
dem Beginn der kritischen Periode am Tag 25;
zum Ende der kritischen Periode am Tag 38 beträgt der Anteil von PSD25 etwa 80 Prozent
von dem adulter Mäuse. Zu Beginn der kritischen Periode sind im visuellen Cortex etwa
55 Prozent der Synapsen nicht aktiv – dieser
Anteil ist in Wildtyp-Mäusen und in Psd95Knockout-Mäusen zunächst identisch, in den
Knockout-Mäusen verbleibt er jedoch auf diesem Niveau, wohingegen es beim Wildtyp nach
dem Ende der kritischen Periode nur noch ca.
5 Prozent „stille“ Synapsen gibt. Ist das Psd95Gen also über die kritische Periode hinaus inaktiv, so bleibt die okuläre Dominanzplastizität
das Leben lang erhalten.
Y Das Gen Psd95 ist auch unter der Bezeichnung Dlg4 (discs, large homolog 4 (Drosophila)) bekannt; es codiert für eine Membranassoziierte Guanylat-Kinase. Das DLG4-Protein kann sowohl mit N-Methyl-D-Aspartat
(NMDA)-Rezeptoren als auch mit bestimmten
Kalium-Kanälen in Wechselwirkung treten
(OMIM 602887). Psd65-Maus-Mutanten sind
auch als Modelle für Autismus und für das
Williams-Beuren-Syndrom eingeführt (mgiDatenbank). Jochen Graw, Neuherberg ó
Mikroorganismus in den Schlagzeilen
Neue Archaea aus der Tiefsee als Vorfahren der Eukaryoten?
ó Der Ursprung der eukaryotischen Zelle aus
prokaryotischen Vorläuferorganismen ist eine
der zentralen Fragestellungen in der Evolu-
Abb.: Der Stammbaum der Archaea mit dem
TACK-Überstamm, der Thaumarchaeota, Aigarchaeota, Crenarchaeota und Korarchaeota einschließt, sowie den Euryarcheota (E). Die neuentdeckte Gruppe der Lokiarchaeota beinhaltet die
nächsten Verwandten der Eukaryoten.
(Bild: Christa Schleper, Universität Wien).
tionsforschung. Mittlerweile kursieren dazu
zahlreiche Hypothesen, wobei sich in letzter Zeit
die Indizien häufen, dass Eukaryoten ihre nächsten Verwandten im Umfeld des „TACK“-Superphylums (Thaumarchaeota, Aigarchaeota, Crenarchaeota und Korarchaeota) innerhalb der
Archaea haben könnten. Dies wird nun durch
die Entdeckung einer neuen prokaryotischen
Gruppe nachhaltig gestützt, den „Lokiarchaeota“ (benannt nach der Probenahmestelle „Loki’s
Castle“ im Norden des mittelatlantischen
Rückens zwischen Grönland und Norwegen).
Basierend auf den Vorarbeiten von Steffen Jørgensen und Christa Schleper et al. (Proc Natl
Acad Sci USA (2012) 109:16764–16765) und
Front Microbiol (2013) 4:299) wurden nun die
Metagenome dieser neuen Gruppe rekonstruiert und in einer hochinteressanten Arbeit vorgestellt (Spang A et al., Nature 521:173–179).
Phylogenetische Bäume langsam evolvierender
Markergene (z. B. ribosomale Proteine) ergaben
dabei, dass die Lokiarchaeota die nächsten Verwandten der Eukaryoten sind und eine monophyletische tief abzweigende Gruppe des TACKSuperphylums darstellen (Abb.). Die Genomausstattung deutet zudem auf eine unerwartete Komplexität der Lokiarchaeota hin und zeigt
auch, dass hier zahlreiche charakteristisch eukaryotische Signaturgene vorhanden sind, wie
sie z. B. für Aktin-Proteine und für die Komponenten des Vesikeltransports typisch sind. Zudem scheinen sie auch einen nahezu eukaryotischen Ribosomenaufbau zu besitzen.
Y Spannend wird nun, inwieweit sich diese
Organismen auch im Labor züchten lassen und
ob weitere Organismengruppen identifiziert
werden können, die die Lücke zwischen den
Prokaryoten und den Eukaryoten weiter schließen können.
Harald Huber und
Stefanie Daxer, Regensburg ó
BIOspektrum | 05.15 | 21. Jahrgang
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Arzneimittel in den Schlagzeilen
Calcilytika, eine neue Arzneistoffklasse zur Behandlung des Asthma bronchiale
ó Das Asthma bronchiale stellt eine sehr häufige Atemwegserkrankung dar. Asthma ist
durch eine Kontraktion der glatten Muskulatur
der Bronchien und eine Entzündung der
Schleimhäute gekennzeichnet. Zur Therapie
des Asthma stehen zahlreiche Arzneistoffgruppen, wie z. B. bronchodilatierende β2Adrenozeptoragonisten sowie anti-inflammatorische Glucocorticoide und Leukotrienrezeptorantagonisten, zur Verfügung. Da es aber
bei einem erheblichen Teil der Patienten nicht
gelingt, die Symptomatik selbst mit einer Kombinationstherapie ausreichend zu lindern, sind
neue und effektive Ansatzpunkte zur Therapie
dringend erforderlich.
Vor diesem Hintergrund ist eine Arbeit von
P. L. Yarova et al. (Sci Transl Med (2015)
284:ra60) wichtig. Die breitere Bedeutung der
Arbeit von Yarova et al. wird in einer begleitenden Perspective (Penn RB, Science (2015)
348:398–399) sehr schön herausgearbeitet.
Glatte Muskelzellen und Entzündungszellen
in den Atemwegen exprimieren den calcium
sensing receptor (CaSR), der in die Gruppe der
G-Protein-gekoppelten Rezeptoren mit sieben
Transmembrandomänen gehört. Der CaSR
wird durch kationische Substanzen wie Ca2+,
BIOspektrum | 05.15 | 21. Jahrgang
Abb.: Calcilytika wie NPSP795 sind negative
allosterische Modulatoren des CaSR und blockieren schädliche Wirkungen kationischer Substanzen beim Asthma bronchiale.
Ni2+ (Zigarettenrauch), Cd2+ (Autoabgase) sowie körpereigene und bakterielle bzw. virale
polykationische Substanzen aktiviert. Der
CaSR vermittelt eine Kontraktion und Entzündung der Atemwege sowie ein remodelling, das
letztlich zur Chronifizierung der Erkrankung
führt. Die Expression des CaSR ist beim
Asthma bronchiale deutlich erhöht. Basierend
auf diesen Fakten sollten CaSR-Antagonisten
eine erfolgversprechende neue Klasse von Arzneistoffen zur Behandlung des Asthma bronchiale darstellen.
Yarova et al. zeigen, dass negative allosterische Modulatoren des CasR die Signaltransduktion über diesen Rezeptor unterbrechen.
Dadurch werden in einem Tiermodell und an
Gewebe von Asthma-Patienten die schädlichen
Effekte polykationischer Substanzen unterbunden. Die allosterischen CsaR-Antagonisten
werden als Calcilytika bezeichnet. Das Calcilytikum NSPP795 wird bereits für eine ganz andere klinische Indikation, die autosomaldominante Hypokalzämie, in einer Phase IIStudie untersucht.
Y Es dürfte daher nicht lange dauern, ehe
mit Calcilytika die ersten klinischen Studien
beim Asthma bronchiale beginnen. Gegenüber
den sehr breit angewendeten β2-Adrenozeptoragonisten besitzen Calcilytika den konzeptionellen Vorteil, dass sie bei einer Dauertherapie keinen auf Rezeptordesensitisierung beruhenden Wirkungsverlust zeigen sollten.
Roland Seifert, Hannover
und Lutz Hein, Freiburg ó