Der Leuchtturm aus Langroda Oder: wer an der Front steht und wer nicht Hinter den Bergen bei den sieben Zwergen, tief in der Wüste Sachsen-Anhaltiniens steht ein Leuchtturm inmitten eines alten Rittergutes. Sein Licht strahlt hell in die dunklen Lande, so hell, wie Du es noch nie gesehen hast. Er leuchtet in jeden Winkel, und wen sein Strahl berührt, darf sich dankbar und glücklich schätzen. Neben dem Leuchtturm verblassen die kleineren und größeren Lichter unserer Zeit wie ein kleines, verlorenes Sternlein im Antlitz der gleißenden Sonne. Daß dies so bleibt, ist Aufgabe des Wärters. Auf den Zinnen des Leuchtturms wacht er eifrig über die Dunkelheit, die nur von seinem Licht erhellt werden darf. Wehe dem, der es wagen sollte, einen zweiten Turm zu errichten. Dem soll es schlecht ergehen. Der Wärter würde sie mit Pech und Schwefel übergießen und sie in Schandkäfigen an der Zinne seines Turmes befestigen, so wie es ehedem den Ketzern in Münster geschah. Da die Legende wissen will, daß bereits einige der so Gerichteten im sandigen Boden um das Rittergut verscharrt liegen, hat der Leuchtturm kaum Aufmüpfigkeit zu befürchten. Desselbigen gleichen schießt er Pfeile auf die mickrigen Gestalten des Gewimmels, die sich anmaßen, seine Helligkeit in Frage zu stellen, gar zu erwägen, ob es andere Quellen des Lichtes geben könne. In die Finsternis der Nacht schießt er donnernde Blitze des Bannstrahls auf solche Ungläubigen, auf daß jeder im Lande begreife, woher das Licht in der Wüste leuchtet und jeder gewarnt würde, an anderer Stelle Aufklärung zu suchen. Somit blickt der Wärter selbstzufrieden von der luftigen Höhe seins Standortes hinab in die Wirren der Zeit, die er längst entschlüsselt hat. Ex cathedra verkündet er der Welt seine Weisheiten. Dabei bemüht er sich nicht, die geheimnisvoll verschlungenen Gänge seiner Erkenntnis dem Gewimmel mitzuteilen, seine Botschaft gilt den Eingeweihten nur. Der dumme Rest darf lauschen und staunen. Mit Eichendorff singt er: Und dürfte von allem nichts spüren in dieser dummen Zeit was sie da unten hantieren von Gott verlassen zerstreut. Von Zeit zu Zeit versammeln sich die Eingeweihten zu Füßen des Turms im Hofe des alten Rittergutes, um dem Wärter die wohlverdienten Preisgesänge zu entbieten. In solchen Momenten durchflutet den Wärter eine wohlige Wärme vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Die Seele hüpft vor Freude in seinem Körper, und der Wärter ist eins mit sich selbst: „Du hast wohlgetan“, spricht er dann und steigt hinab, um den Jüngern leicht den Kopf zu neigen, ihnen zuzuwinken und sie für einen Abend an seiner Güte teilhaben zu lassen. Sie singen dann im Chor: Lobet den Herren, alle die ihn ehren Wir wollen schwören Seinen Ruhm zu mehren Uns zu ihm bekehren Und für ihn verzehren. Wie er so eines schönen Abends nach Empfang der Huldigungen auf seine Zinne zurückkehren will, fällt ihm eine Tageszeitung in die Finger, die offensichtlich einer der Jünger im Hofe des Rittergutes vergessen haben muß. Der Wärter runzelt die Stirn, ob solcherlei Unbotmäßigkeit. Grummelnd durchblättert er das Papier, nachdem er zunächst eine volle Flasche roten Weines leert, denn nüchtern sind Nachrichten aus der Tagespolitik nicht zu ertragen. Eine Schlagzeile läßt ihn schließlich innehalten. „Meldungen von der Front:“ Was er dort lesen muß, irritiert ihn. Er liest von Parteien, die man bekämpft, davon, daß man ihre Infostände und Parteitage und am Ende sie selbst verbietet und ihre Konten kündigt. Darüber kann er nur verächtlich grunzen, denn in Parteien versammelt sich der Pöbel, der von des Leuchtturms Licht nie erstrahlt werden wird; allenfalls würde es erkennbar werden lassen, wie schäbig die Parteimitglieder gekleidet sind. Er liest ferner von Kameradschaften, die ebenso verboten werden, wie die Parteien, von den Hausdurchsuchungen bei ihren Mitgliedern, von den Prozessen, mit denen man sie überzieht und von den Haftstrafen, die gegen sie ausgesprochen werden. Er verzieht seinen Mund zu einem schäbigen Grinsen über die Primitivität dieser kriechenden Würmer, die es nie begreifen werden, was es heißt, Klugheit an den Tag zu legen. Solche Kröten werden es nicht schaffen, auch nur ein kleines Teelicht in der Dunkelheit zu entzünden. Schließlich liest er, Schreck laß nach, von den Winkeladvokaten, die in derlei Gestrüpp versuchen, ihr schales Süppchen zu kochen und er jault auf vor Schadenfreude, als er dem Blatt entnimmt, daß man jenen Spitzbuben die Scheiben einschlägt, ihnen Farbe und Hetzparolen auf die Wände ihrer Kanzleien schmiert und ihnen die Büroräume kündigt, wie ihren Mandanten aus den Pöbelparteien die Bankkonten. Mit der Miene der Überlegenheit faltet der Wärter, der mittlerweile wieder die luftige Höhe seiner Zinne erreicht hat, das Blatt zu einem Flugzeug. Fingerfertig bastelt er eine He 111 der deutschen Wehrmacht. Der Wärter, entzückt aber nicht verwundert, auch auf dem Gebiete der bildenden Künste mit Geschick gesegnet zu sein, wirft sich in die Brust und beflügelt von dem süßen Trunke beginnt er laut zu singen. „Die schwarzen Vögel ziehen“, „Hoch über Afrikas Polen“ und „Bomben auf Engelland“. Im Rausche steigt er auf die Zinne und tanzt im Kreis. Nun holt er aus, und mit großem Schwunge wirft er den Segler in die Luft, doch oh Weh, es steigt die Not, die Kraft sie sinkt, den Halt verliert. Schon folgt er der He 111, im trudelnden Wirbel nähert er sich dem staubigen Boden des Rittergutes, das Gewimmel weicht zurück, eine schwere Wolke brandet auf, steigt in die Höhe, hüllt den Leuchtturm in dunstigen Nebel. In weiter Ferne hörte man den Knall das Echo rief: Der hohe Mut kommt gerne vor dem Fall! Von Björn Clemens
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