Dr. Björn Clemens

Der Leuchtturm aus Langroda
Oder: wer an der Front steht und wer nicht
Hinter den Bergen bei den sieben Zwergen, tief in der Wüste Sachsen-Anhaltiniens steht ein
Leuchtturm inmitten eines alten Rittergutes. Sein Licht strahlt hell in die dunklen Lande, so hell,
wie Du es noch nie gesehen hast. Er leuchtet in jeden Winkel, und wen sein Strahl berührt, darf
sich dankbar und glücklich schätzen. Neben dem Leuchtturm verblassen die kleineren und
größeren Lichter unserer Zeit wie ein kleines, verlorenes Sternlein im Antlitz der gleißenden
Sonne.
Daß dies so bleibt, ist Aufgabe des Wärters. Auf den Zinnen des Leuchtturms wacht er eifrig über
die Dunkelheit, die nur von seinem Licht erhellt werden darf. Wehe dem, der es wagen sollte,
einen zweiten Turm zu errichten. Dem soll es schlecht ergehen. Der Wärter würde sie mit Pech
und Schwefel übergießen und sie in Schandkäfigen an der Zinne seines Turmes befestigen, so wie
es ehedem den Ketzern in Münster geschah. Da die Legende wissen will, daß bereits einige der so
Gerichteten im sandigen Boden um das Rittergut verscharrt liegen, hat der Leuchtturm kaum
Aufmüpfigkeit zu befürchten. Desselbigen gleichen schießt er Pfeile auf die mickrigen Gestalten
des Gewimmels, die sich anmaßen, seine Helligkeit in Frage zu stellen, gar zu erwägen, ob es
andere Quellen des Lichtes geben könne. In die Finsternis der Nacht schießt er donnernde Blitze
des Bannstrahls auf solche Ungläubigen, auf daß jeder im Lande begreife, woher das Licht in der
Wüste leuchtet und jeder gewarnt würde, an anderer Stelle Aufklärung zu suchen.
Somit blickt der Wärter selbstzufrieden von der luftigen Höhe seins Standortes hinab in die Wirren
der Zeit, die er längst entschlüsselt hat. Ex cathedra verkündet er der Welt seine Weisheiten.
Dabei bemüht er sich nicht, die geheimnisvoll verschlungenen Gänge seiner Erkenntnis dem
Gewimmel mitzuteilen, seine Botschaft gilt den Eingeweihten nur. Der dumme Rest darf lauschen
und staunen. Mit Eichendorff singt er:
Und dürfte von allem nichts spüren
in dieser dummen Zeit
was sie da unten hantieren
von Gott verlassen zerstreut.
Von Zeit zu Zeit versammeln sich die Eingeweihten zu Füßen des Turms im Hofe des alten
Rittergutes, um dem Wärter die wohlverdienten Preisgesänge zu entbieten. In solchen Momenten
durchflutet den Wärter eine wohlige Wärme vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Die Seele hüpft
vor Freude in seinem Körper, und der Wärter ist eins mit sich selbst: „Du hast wohlgetan“, spricht
er dann und steigt hinab, um den Jüngern leicht den Kopf zu neigen, ihnen zuzuwinken und sie für
einen Abend an seiner Güte teilhaben zu lassen. Sie singen dann im Chor:
Lobet den Herren,
alle die ihn ehren
Wir wollen schwören
Seinen Ruhm zu mehren
Uns zu ihm bekehren
Und für ihn verzehren.
Wie er so eines schönen Abends nach Empfang der Huldigungen auf seine Zinne zurückkehren will,
fällt ihm eine Tageszeitung in die Finger, die offensichtlich einer der Jünger im Hofe des Rittergutes
vergessen haben muß. Der Wärter runzelt die Stirn, ob solcherlei Unbotmäßigkeit. Grummelnd
durchblättert er das Papier, nachdem er zunächst eine volle Flasche roten Weines leert, denn
nüchtern sind Nachrichten aus der Tagespolitik nicht zu ertragen. Eine Schlagzeile läßt ihn
schließlich innehalten. „Meldungen von der Front:“ Was er dort lesen muß, irritiert ihn. Er liest
von Parteien, die man bekämpft, davon, daß man ihre Infostände und Parteitage und am Ende sie
selbst verbietet und ihre Konten kündigt. Darüber kann er nur verächtlich grunzen, denn in
Parteien versammelt sich der Pöbel, der von des Leuchtturms Licht nie erstrahlt werden wird;
allenfalls würde es erkennbar werden lassen, wie schäbig die Parteimitglieder gekleidet sind. Er
liest ferner von Kameradschaften, die ebenso verboten werden, wie die Parteien, von den
Hausdurchsuchungen bei ihren Mitgliedern, von den Prozessen, mit denen man sie überzieht und
von den Haftstrafen, die gegen sie ausgesprochen werden. Er verzieht seinen Mund zu einem
schäbigen Grinsen über die Primitivität dieser kriechenden Würmer, die es nie begreifen werden,
was es heißt, Klugheit an den Tag zu legen. Solche Kröten werden es nicht schaffen, auch nur ein
kleines Teelicht in der Dunkelheit zu entzünden. Schließlich liest er, Schreck laß nach, von den
Winkeladvokaten, die in derlei Gestrüpp versuchen, ihr schales Süppchen zu kochen und er jault
auf vor Schadenfreude, als er dem Blatt entnimmt, daß man jenen Spitzbuben die Scheiben
einschlägt, ihnen Farbe und Hetzparolen auf die Wände ihrer Kanzleien schmiert und ihnen die
Büroräume kündigt, wie ihren Mandanten aus den Pöbelparteien die Bankkonten.
Mit der Miene der Überlegenheit faltet der Wärter, der mittlerweile wieder die luftige Höhe seiner
Zinne erreicht hat, das Blatt zu einem Flugzeug. Fingerfertig bastelt er eine He 111 der deutschen
Wehrmacht. Der Wärter, entzückt aber nicht verwundert, auch auf dem Gebiete der bildenden
Künste mit Geschick gesegnet zu sein, wirft sich in die Brust und beflügelt von dem süßen Trunke
beginnt er laut zu singen. „Die schwarzen Vögel ziehen“, „Hoch über Afrikas Polen“ und „Bomben
auf Engelland“. Im Rausche steigt er auf die Zinne und tanzt im Kreis. Nun holt er aus, und mit
großem Schwunge wirft er den Segler in die Luft, doch oh Weh, es steigt die Not, die Kraft sie
sinkt, den Halt verliert. Schon folgt er der He 111, im trudelnden Wirbel nähert er sich dem
staubigen Boden des Rittergutes, das Gewimmel weicht zurück, eine schwere Wolke brandet auf,
steigt in die Höhe, hüllt den Leuchtturm in dunstigen Nebel.
In weiter Ferne hörte man den Knall
das Echo rief:
Der hohe Mut kommt gerne vor dem Fall!
Von Björn Clemens