Von Aufsteigern und Überfliegern

TurnierSport
Und noch ein toller Sieg: Diesmal im Sattel des Cornet
Obolensky-Sohns Cornado II, Vollbruder von Marcus
Ehnings Landbeschäler Cornado NRW, gewinnt der
41-Jährige auch das Championat von Leipzig.
Weltcup-Turnier Partner Pferd Leipzig
Von Aufsteigern und Überfliegern
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PferdeSport International | 4.2016
Der eine verblüfft die Routiniers des Parcours mit einem sensationellen Sieg, der andere
komplettiert mit unverminderter Energie seine Erfolgsbilanz: Niklas Krieg und Christian
Ahlmann waren die gefeierten Helden in der Leipziger Messe.
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„U
nglaublich, einfach unglaublich.“ Niklas Krieg suchte vergeblich nach Worten. Soeben hatte der 22-Jährige aus Villingen-Schwenningen im Süden Baden-Württembergs das Weltcup-Springen, zugleich
Großer Preis von Leipzig, gewonnen – und
das bei seinem allerersten Start überhaupt
in der weltweit bedeutendsten Hallenserie
der Springreiter. Vater Andreas, einst selbst
im Spitzensport bis hin zu Nationenpreiseinsätzen erfolgreich, war die Anspannung
sichtlich anzumerken. Im Freudentaumel
sanken die beiden Kriegs sich in die Arme,
nachdem der Sieg feststand. Doch bis dahin wurde gezittert. Niklas Krieg und seine
routinierte zwölfjährige Holsteinerin Carella, Tochter des Clearwater, hatten gemeinsam mit 13 weiteren Paaren den von Frank
Rothenberger gebauten Parcours fehlerfrei
gemeistert. Als dritter Starter im Stechen
zeigte der Youngster starke Nerven und
steuerte die braune Stute effektiv und blitzschnell über den Kurs. Dass die benötigten
38,04 Sekunden ausreichen würden, glaubten weder Vater noch Sohn. Aber die Routiniers patzten, einer nach dem anderen kas-
sierte einen Abwurf, manche auch zwei. Und
die beiden, die fehlerfrei blieben, ritten viel,
viel langsamer: Der eigentlich für schnelle
Runden bekannte Ire Dennis Lynch und All
Star waren drei Sekunden länger unterwegs,
und der Niederländer Gert-Jan Bruggink, der
nicht umsonst den Spitznamen „fliegender
Holländer“ trägt, versuchte erst gar nicht,
Niklas Kriegs Zeit anzugreifen und drehte eine acht Sekunden langsamere „Kaffeerunde“. So hatte der 22-jährige Neuling solche
Parcoursgrößen wie Kevin Staut, Simon Delestre, Gregory Wathelet oder Pius Schwizer
ganz locker abgehängt.
Dass der junge Krieg das Zeug für den ganz
großen Sport hat, wissen die Insider seit langem. Bundestrainer Otto Becker hatte sich
für eine Startgenehmigung stark gemacht
und Niklas durchaus zugetraut, dass er sich
für das Weltcup-Springen qualifizieren kann.
Optimal von seinem Vater und Trainer Andreas Krieg vorbereitet, hatte der gelernte Pferdewirt schon bei den Jungen Reitern
auf sein Talent aufmerksam gemacht, wurde 2014 Mannschafts-Europameister und
ein Jahr später Vize-Meister. Aber Niklas
Krieg war nicht der einzige junge Mann, der
dem Bundetrainer sichtlich Freude bereitete: Auch der 20-jährige Guido Klatte aus
Lastrup, im Sattel des Oldenburgers Qinghai,
schlug sich achtbar im Weltcup von Leipzig.
Der Einzel-Bronzemedaillen-Gewinner der
EM der Jungen Reiter von 2015 wurde Neunter. Um den deutschen Springreiternachwuchs braucht man sich also keine Sorgen
zu machen.
Ahlmanns Erfolgssträhne
Im Weltcup-Springen ließ der aktuelle Seriensieger zwar anderen den Vortritt, aber dafür war er im Championat nicht zu schlagen:
Christian Ahlmanns Erfolge der letzten Monate sind wahrlich beeindruckend: Drei Siege in den Weltcup-Springen von Stuttgart,
Madrid und Mechelen, Sieg im Großen Preis
von Basel und nun erneut Bester im zweitwichtigsten Springen von Leipzig. „Wenn’s
läuft, dann läuft’s“, brachte er es grinsend
auf den Punkt und fügte hinzu: „Ich genieße die Zeit einfach, es kommt irgendwann
auch wieder anders.“ Ahlmann wirkte ent-
Ein wahrlich geglückter Einstand im Weltcup-Zirkus: Der 22-jährige Niklas Krieg überraschte mit der Holsteinerin Carella die gesamte Szene mit dem
Gewinn des Großen Preises von Leipzig, der zugleich als Weltcup-Springen fürs Finale im März zählte.
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Der herrliche 15-jährige Holsteiner Schimmel Carlo (v. Contender) unter dem Spanier Sergio Alvarez
Moya wurde Zweiter in der Weltcup-Qualifikation und Sechster im Weltcup.
spannt und souverän. Freimütig plauderte die zierliche Belgierin noch mehr Arbeit.
er über seine mehrere Wochen andauernde „­ Judy muss jetzt vieles alleine schafDiät. Kohlehydratfreie Ernährung und im- fen, zumal dort ja auch zahlreiche
mer frisch Gekochtes („war alles sehr lecker“) Veranstaltungen stattfinden“, erhaben die Kilos purzeln lassen. „Es war aber zählt Christian Ahlmann. So oft es
sehr schwierig, diese Ernährung auf Turnie- geht, ist er zum Training dort, oder Judyren durchzuhalten, das hat meist nicht ge- Ann kommt mit dem gemeinsamen
klappt.“ Dennoch: 14 Kilo hat er abgespeckt, dreijährigen Sohn Leon für ein
obwohl er ja vorher schon ein schlanker paar Tage nach Marl. Ändern will
Mann war. Auch seine früher so schlimmen das Paar diesen Zustand nicht.
Rückenschmerzen hat er längst im Griff. „Ich „Es sind zwei Betriebe, wir müshatte so viele Tabletten gefressen, dass mir sen die Arbeit und unser Leben
fast der Magen zerrissen wäre, so ging das nur gut genug koordinieren. Wir
nicht weiter.“ Nun arbeitet er mit Gymnas- haben beide ein gutes Team, aber
tik und gezieltem Krafttraining für die Stär- wir suchen noch personelle Verkung seiner Rückenmuskulatur. „Wenn ich stärkung, damit wir etwas entlastet
das regelmäßig mehrmals die Woche mache, werden“, sagt Ahlmann. Jedenfalls
habe ich keine Probleme, aber ich darf keine denke er nicht daran, seine Anlage
langen Pausen einlegen, dann kommen die in Marl aufzugeben und ganz zu seiSchmerzen wieder.“
ner Judy Ann nach Belgien zu ziehen. Auch ein NationalitätenwechMarl-Zangersheide
sel steht „keinesfalls zur Debatte“.
Ahlmann wird auch weiterhin für
Ahlmanns Zeitplan ist straff organisiert. Deutschland starten.
Nach wie vor pendelt der 41-Jährige zwischen seinem Stall in Marl und Zangershei- Cornado vom Pech verfolgt
de in Belgien, stets etwas über eine Stunde
Fahrzeit. Seitdem Zangerheide-Chef Leon Im Championat von Leipzig setzMelchior, der Vater von Ahlmanns Lebens- te Ahlmann den elfjährigen
gefährtin Judy-Ann, nicht mehr lebt, hat Cornado II, Vollbruder des von
Auch Guido Klatte mit Qinghai schlug sich achtbar im Weltcup: Der 20-Jährige wurde Neunter.
Felix Haßmann und Horse Gym‘s
Balance, Vollschwester seines
Balzaci, lässt großes Potenzial
erkennen. Die neunjährige Balou
du Rouet-Tochter wurde Zweite
im Championat. Felix‘ Bruder
Toni erlebte nach einem Sturz
im Eröffnungsspringen
(Schlüsselbeinbruch)
das Turnier als
Zuschauer und
Kommentator
im MDRFernsehen.
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Tobias Bremermann
gewinnt Goldenen Sattel
Sieger 2016: Tobias Bremermann (Oyten).
Eine der interessantesten Prüfungen für
junge Springreiter ist der „Goldene Sattel
– HGW Nachwuchsförderpreis“, bei dem
vier vom Bundestrainer ausgesuchte junge Talente sich in einem Stilspringen mit
Pferdewechsel messen. Manchmal traten
bereits international erfolgreiche Junge
Reiter an, diesmal hing die Messlatte ein
wenig niedriger. Das eigene Pferd und die
drei Pferde der Mitstreiter am besten vorzustellen, gelang Tobias Bremermann. Der
19-Jährige aus Oyten bei Bremen, der im
vergangenen Jahr bereits zwei Nationenpreise seiner Altersklasse bestritten hatte,
brachte es auf eine Wertnotensumme von
31 und verwies ganz knapp die Team-Europameisterin der Junioren, Leonie Krieg
(18), „kleine“ Schwester des WeltcupSiegers Niklas Krieg, auf Rang zwei mit
30,8. Dritter wurde ihr erst 16-jähriger
Mannschaftskollege Christoph Maack
aus Kirch-Mummendorf in MecklenburgVorpommern (28,9). Der große Pechvogel
war Jesse Luther aus Wittmold (Kreis Plön).
Alles hatte nach seinem Sieg ausgesehen,
nachdem der 18-Jährige mit zwei Pferden
seiner Meistreiter hervorragende Runden gezeigt hatte und zu recht mit den
Wertnoten 9,0 und 8,8 belohnt wurde.
Doch das letzte Pferd machte seinen Sieg
zunichte. Verweigerungen und Abwürfe
– die Jury, zu der auch der 89 Jahre alte
Prüfungsinitiator Hans Günter Winkler gehörte, verzichtete auf eine Notenbekanntgabe – Platz vier für den unglücklichen
deutschen Vize-Meister der Junioren.
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Marcus Ehning gerittenen NRW-Landbeschälers Cornado, ein. Trotz seines Alters hat
der Hengst noch nicht viel Erfahrung. Verletzungen warfen ihn immer wieder im Training
zurück, und besonders die Folgen einer KolikOperation machten dem Schimmel schwer
zu schaffen. „Er hatte sich einen Keim eingefangen, bei Menschen bezeichnet man so etwas als Krankenhauskeim. Wenn er nicht so
einen starken Überlebenswillen gehabt hätte, wäre er längst tot“, sagt Ahlmann. Nun ist
auch Cornado in die Riege der großen FünfSterne-Pferde im Stall aufgestiegen. So gut
wie jetzt war Christian Ahlmann noch nie beritten. Taloubet Z und Codex One haben derzeit etwas Pause und sollen rechtzeitig zum
Saisonhöhepunkt, den Olympischen Spielen
in Rio de Janeiro, auf den Punkt fit sein. „Sie
müssen sich in die richtige Form reinspringen“, so Ahlmann. Mit Colorit, Aragon Z,
Epleaser und eben Cornado II kann er ebenso jeden Großen Preis dieser Welt bestreiten.
Wen er wie aufbaut und wann und wo einsetzt, ist ein Ahlmannsches Luxusproblem,
um das ihn sicher die allermeisten Springreiter beneiden.
Exell jetzt in Valkenswaard
Überraschungssiege wie den von Niklas
Krieg im Springreiter-Weltcup sucht man im
Vierspännersport vergebens. Zum einen sind
es immer dieselben zwei Hand voll Fahrer,
die sich im Weltcup messen, zum anderen
führt ohnehin selten ein Weg an der Nummer
eins vorbei. Boyd Exell, zigfacher WeltcupChampion und Weltmeister, zelebrierte auch
vor dem euphorisierten Leipziger Publikum
Fahrkunst in einer anderen Liga. Mit über 20
Punkten Vorsprung (dies sind fünf Fehler im
Kegel- und Hindernisparcours) deklassierte
der Australier regelrecht seine Konkurrenten. Aus deutscher Sicht konnte noch am
besten Rainer Duen mithalten (Platz drei bei
über 33 Punkten Rückstand auf den Sieger).
Exell ist Perfektionist durch und durch, er
überlässt nichts dem Zufall. Videoanalysen seine Prüfungen betreibt er penibel, um
beim nächsten Mal auch die allerletzten
Schwachstellen oder Fehlerchen auszumerzen. Seinen Hang zu Akribie wird er in Kürze auch als Turnierveranstalter unter Beweis
stellen. Er hat seine Wahl-Heimat in Großbritannien verlassen und lebt seit kurzem mit
seiner Familie im niederländischen Valkenswaard. Sein nagelneues Fahrsport-Eldorado
mit Geländestrecke wird derzeit um eine 40
mal 100 Meter große Trainings- und Veranstaltungshalle erweitert und liegt nur einen
Steinwurf entfernt von den beiden Riesenanlagen des niederländischen Unternehmers
Jan Tops und des Ehepaars Athina Onassis/
Doda de Miranda. Im Frühsommer soll die
offizielle Eröffnung des Exell-Fahrsportzentrums mit einem internationalen Turnier erfolgen. Valkenswaard ist um noch eine attraktive Adresse reicher geworden.
Text: Susanne Hennig
Fotos: Stefan Lafrentz
Fahren wie von einem anderen Stern: Multichampion Boyd Exell ließ auch in Leipzig seinen Konkurrenten im Weltcup der Vierspänner nicht den Hauch einer Chance.