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Patentschrift eingereicht bei dem Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA)
Bezeichnung der Erfindung:
Verfahren zur zeitoptimierten Bestimmung von Anfangsmehrdeutigkeiten der
Differenzen synchron gemessener Trägerphasen zu GNSS-Satelliten für den
Raumvektor zwischen den Antennen zweier Empfänger
Erfinder und Anmelder:
Prof. Dr.-Ing. Franz Josef Lohmar
Iltisweg 11
51503 Rösrath
Anmeldetag: 8. November 2015
Aktenzeichen bei dem DPMA: 10 2015 014 303.4
Zusammenfassung:
1. Zeitoptimierte Bestimmung von Anfangsmehrdeutigkeiten
2.1 Zentimeter-genaue satellitengestützte Positionssensoren sind geprägt davon, dass zwei
Empfänger synchron Trägerphasen derselben Satellitensignale messen. Hierbei werden GNSSysteme, z.B. GPS, genutzt. Bestimmt wird der Raumvektor zwischen den Antennen der Empfänger. Zu Beginn der Signalakquisition oder nach Signalunterbrechungen sind Anfangsmehrdeutigkeiten der Differenzen der Phasenmessungen beider Empfänger als ganze Zahlen zu
bestimmen und festzusetzen. Zudem müssen grob fehlerhafte Messungen als solche erkannt
werden. Insbesondere Echtzeitanwendungen benötigen die Position schnell. Hier gibt es Potenzial für zeitliche Optimierung.
2.2 Ergänzend zu den bestehenden Berechnungsverfahren wird der Raumvektor durch virtuelles Versetzen der Basisstation kontrolliert geändert. Alle Trägerphasen der gegebenen Basisstation werden auf eine andere, neue Position, eine eigene virtuelle Basisstation (VBS), umgerechnet. Diese neue Position wird gezielt gewählt, um optimale Voraussetzung zur anschließenden Findung der Anfangsmehrdeutigkeiten herzustellen. Hierbei kommt es insbesondere
auf die Richtung des Vektors im Raum an. Bei Bedarf werden nacheinander oder parallel mehrere alternative VBS prozessiert, bis ein hinreichender Satz an Anfangsmehrdeutigkeiten festgesetzt wurde.
2.3 Heute finden Trägerphasenmessungen vornehmlich im Vermessungsbereich Anwendung,
künftig auch bei der Navigation von Landfahrzeugen.
BESCHREIBUNG
ANWENDUNGSGEBIET
Der Einsatz satellitengestützter Messsysteme als Positionssensoren mit Genauigkeiten im
Zentimeterbereich ist geprägt davon, dass zwei Empfänger synchron Trägerphasenmessungen an den Signalen derselben Satelliten ausführen. Hierbei werden heute und künftig GNS
Systeme (Globale Navigationssatelliten Systeme) wie GPS, GLONASS, Galileo und Beidou
genutzt.
Die Antennenposition des einen Empfängers (als Rover bezeichnet) wird mit ZentimeterGenauigkeiten bezogen auf die Position der Antenne des anderen Empfängers (als Basisoder Referenzstation bezeichnet) berechnet. Hierbei ist die Position der Basisstation zumindest auf einige Meter genau bekannt. Der dreidimensionale Raumvektor, auch als Basislinie
oder Basisvektor bezeichnet, ist gesucht. In aller Regel erfolgen diese Berechnungen in einem erdfesten und erdzentrierten Koordinatensystem, derzeit in Europa dem ETRS89 (European Terrestrial Reference System 1989) oder dem WGS84 (World Geodetic System
1984).
Dies gilt für statische Messungen, aber ebenso für kinematische. Bei letzterem ist einer der
beiden Empfänger in Bezug auf die Erde in Bewegung. Beides, also statische und kinematische Messungen sind heute im Vermessungswesen weit verbreitet. Es ist abzusehen, dass
diese Technologie der zentimetergenauen Positionsbestimmung auch für ganz andere Einsatzgebiete und Märkte interessant wird: Insbesondere der Bereich des assistierten oder
autonomen Fahrens von Landfahrzeugen würde eine Potenzierung der Nutzer bedeuten.
Von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass für den Beginn der Signalakquisition schnellstmöglich und zuverlässig sogenannte Anfangsmehrdeutigkeiten der Differenzen der Phasenmessungen auf den empfangenen Trägerfrequenzen der zwei synchron laufenden Empfänger zu einer hinreichenden Anzahl Satelliten als ganze Zahlen (Integer-Werte) bestimmt und
nachfolgend festgesetzt werden können. Neben dem erstmaligen Empfang der Signale trifft
dies ebenso zu bei erneutem Empfang nach Signalunterbrechungen (z.B. durch "Sichthindernisse"), gleich, ob alle Satelliten oder nur eine Teilmenge von der Unterbrechung betroffen waren. Zudem müssen in diesem Prozess grob fehlerhafte Messungen als solche erkannt und verworfen werden.
Ohne diese Festsetzung der Anfangsmehrdeutigkeiten zu genügend vielen Satelliten ist die
zentimetergenaue Positionierung des Rovers aus den Messungen zu den Satelliten nicht
gegeben.
Insbesondere Echtzeitanwendungen (Real-Time) benötigen schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit eine schnellstmögliche Bestimmung dieser Anfangsmehrdeutigkeiten. Für die
Positionierung von Fußgängern oder Landfahrzeugen ist die schnell verfügbare Position zu
Beginn und insbesondere nach Signalunterbrechungen (etwa durch Bewuchs, Gebäude,
Bauwerke, Gelände) elementar wichtig.
Oft ist die verwendete Referenzstation virtueller Art: Aus den Trägerphasenmessungen auf
fest installierten, dauerhaft betriebenen Referenzstationen, die als Netz gebietsdeckend sind,
wird für eine koordinatenmäßig vorgegebene Position ein synthetisch erzeugter Strom an
Trägerphasenmessungen erzeugt und über standardisierte Schnittstellen dem Rover zur
Berechnung des Basisvektors zu ihr bereitgestellt. Man spricht von der "Virtuellen Referenzstation" (VRS). In vielen Staaten existieren Dienste (Services), die derartige Referenzstationsnetze betreiben und dem Anwender ermöglichen, so mit nur einem Empfänger die Posi-
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tionierungsaufgabe zu lösen. Der Gewinn liegt darin, dass ein möglichst weitmaschiges Netz
real vorhandener Referenzstationen hinreichend ist, um durch Modellierung einiger Fehlereinflüsse dennoch die Zentimetergenauigkeit für den Rover allerorts zu ermöglichen. Neben der VRS-Technik existieren Alternativen, die denselben Zweck erfüllen.
STAND DER TECHNIK
Stets ist die sichere Bestimmung und Festsetzung der Anfangsmehrdeutigkeiten von ausschlaggebender Bedeutung. Diese Anfangsmehrdeutigkeiten fallen bei Beginn der synchronen Messungen beider Empfänger zu mindestens vier Satelliten eines oder mehrerer GNS
Systeme in den Auswertealgorithmen an. Unter Umständen tritt dieselbe Aufgabenstellung
bei Unterbrechung des Signalempfangs während der laufenden Messung erneut auf.
Ausgangsbasis sind stets die Beobachtungsgleichungen für die Trägerphasenmessungen
bei Messbeginn und dann, bei ununterbrochenem Signalempfang, fortlaufend in gewissen
zeitlichen Abständen (etwa sekündlich), solange, bis die Aufgabenstellung mit dem Messdatenmaterial gelöst ist. Die Beobachtungen werden als Funktion der Unbekannten, also des
Raumvektors zwischen den beiden Empfangsantennen, sowie, zunächst, diesen Anfangsmehrdeutigkeiten formuliert. Oft werden nicht die Phasenmessungen selbst sondern Differenzen derselben (Einfach- oder Doppeldifferenzen) als Beobachtungen angesehen, oft die
Phasenmessungen auf mehreren Trägerfrequenzen (bei GPS zum Beispiel L1 und L2), zudem Linearkombinationen der Messungen auf den verfügbaren Trägerfrequenzen. Auch die
zeitgleich von den Empfängern ausgeführten Gruppenlaufzeitmessungen mit Hilfe der PRNCodes der Satellitensysteme (bei GPS Pseudostreckenmessungen auf dem C/A-Code oder
dem P-Code (Y-Code)), die nur Dezimeter-Genauigkeiten aufweisen, können gewinnbringend mit in den Algorithmus einbezogen werden.
Vorab werden noch diverse Korrekturen an den Phasenmessungen angebracht. Einige Effekte können durch die erwähnten Differenzbildungen bereits eliminiert werden und müssen
sodann nicht als weitere Unbekannte behandelt werden (z.B. Zeithaltungsfehler bei den Satelliten und den Empfängern, Refraktionseffekte, etc.).
In einem Ausgleichungsansatz, in der Regel nach vermittelnden Beobachtungen, werden
sodann die Unbekannten geschätzt. Falls die geschätzten realwertigen Anfangsmehrdeutigkeiten sich genug Integer-Zahlen genähert haben und statistische Tests dabei eine hinreichende Sicherheit nachweisen, können diese Mehrdeutigkeiten in einer neuen, abschließenden Ausgleichung mit demselben Messdatenmaterial als gegebene Größen behandelt, also
festgesetzt, werden. Die eigentlichen Zielgrößen, die dreidimensionalen Koordinatenunterschiede zwischen den beiden Antennen (also der Raumvektor) haben nur dann ZentimeterGenauigkeiten, wenn diese Festsetzung der Anfangsmehrdeutigkeit für eine hinreichende
Anzahl an Satelliten gelungen ist.
All diese Vorgänge sind hinlänglich in der Literatur beschrieben, hier sei exemplarisch auf
[Mansfeld 2010] verwiesen.
Praktisch genutzt werden bis heute meist die Signale des U.S. amerikanischen GPS und des
russischen GLONASS. Die Verfügbarkeit von umlaufenden Satelliten weiterer GNS Systeme
und die in Bälde praxisreif zur Verfügung stehenden weiteren Trägerfrequenzen erleichtern
die Lösung der Aufgabenstellung in der praktischen Durchführung; die Grundaufgabe zur
Findung und Festsetzung der Anfangsmehrdeutigkeiten und die Bedeutung des Vorgangs
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für die Wirtschaftlichkeit und für die Anwendungsfelder dieser Art von GNSS-Positionssensoren im Zentimeter-Genauigkeitsbereich wird hingegen unverändert gegeben sein.
Es hat seit mehreren Jahrzehnten immer wieder Optimierungen an dieser Stelle der Auswertealgorithmen gegeben. Als Lösung des Problems werden heute Suchprozesse und Methoden eingesetzt, die gezielt im Raum der Mehrdeutigkeiten suchen und auf effiziente Art und
Weise die optimale Lösung in möglichst kurzer Zeit finden. Die meisten Techniken nutzen
auf unterschiedlichste Weise die Kovarianzmatrix der Unbekannten aus, die aus der Schätzung der realwertigen Lösung der Anfangsmehrdeutigkeiten gemeinsam mit dem Raumvektor zwischen den beiden Empfangsantennen gewonnen werden. Exemplarisch wird hier verwiesen auf [HATCH ET AL. 2005].
Die LAMBDA-Methode (Least-squares AMBiguity Decorrelation Adjustment) [Teunissen et
al. 1997] ist einer der weit verbreitetsten Ansätze und prägt bis heute den Stand der Technik.
AUFGABE DER ERFINDUNG
Aufgabe der Erfindung ist, den Zeitbedarf bis zur sicheren Findung und nachfolgender Festsetzung hinreichend vieler Anfangsmehrdeutigkeiten zur zentimetergenauen Bestimmung
des Basisvektors zu verkürzen und damit zu optimieren. Hierbei ist bei Echtzeit-Anwendungen sowohl der Zeitbedarf für die Messungen als auch für die Berechnungen bis zum
Vorliegen eines gesicherten Ergebnisses von Relevanz.
LÖSUNG DER AUFGABE
Die vorlegende Erfindung betrifft ein weiteres Verfahren das geeignet ist, die schnelle und
zuverlässige Bestimmung dieser Anfangsmehrdeutigkeiten erneut zu verbessern. Es ist konzipiert, um ergänzend zu den bestehenden Berechnungsverfahren eingesetzt zu werden:
Alle Trägerphasenmessungen der gegebenen Basisstation werden auf eine andere, neue
Position umgerechnet; es wird also eine eigene, neue virtuelle Basisstation (hier VBS genannt) generiert. Dies ist problemlos und ohne Genauigkeitsverluste möglich. Diese neue
Position wird gezielt gewählt, bei Bedarf auch mehrere alternative, um dasselbe Messdatenmaterial damit zu prozessieren. Bei der neuen Position kommt es praktisch alleine auf die
Richtung der VBS in Bezug auf den zweiten Empfänger, also auf die Orientierung des Basisvektors im Raum, an. Ein Kriterium bei der Wahl der neuen Position könnte etwa die Optimierung der Kovarianzmatrix des Ausgleichungsalgorithmus zur Suche der jetzt neuen Unbekannten (ein anderer Raumvektor und andere Anfangsmehrdeutigkeiten) sein. Man kann
sich mannigfaltige Zielfunktionen vorstellen, die das Optimum zur Bestimmung der Anfangsmehrdeutigkeiten aufgrund der momentanen Konstellation der konkret angemessenen Satelliten darstellen. Unter Umständen ist es angeraten, mehrere konkurrierende Berechnungsläufe mit unterschiedlichen VBS einzusetzen.
Eine der denkbaren Optimierungen der Kovarianzmatrix wäre beispielsweise, einen dem bei
GNSS bekannten PDOP [Mansfeld 2010] entsprechenden Wert der Basislinie, hier BDOP
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genannt, zu minimieren. Eine andere denkbare Variante wäre, den Basisvektor gezielt in die
Richtung genau eines Satelliten auszurichten, u.U. iterierend über alle angemessenen Satelliten, u.U. zugleich in allen Kombinationen der verfügbaren Satelliten.
Um Rechenzeit zu sparen, wäre hier auch das parallele Rechnen der verschiedenen Lösungen, also mit jeweils anderer VBS, gewinnbringend. Insbesondere bei grob falschen, gestörten Trägerphasenmessungen zu einigen der angemessenen Satelliten bietet die VBSTechnik in Kombination mit der massenweisen Berechnung verschiedener Orientierungen
Vorteile: Die Satelliten mit grobfehler-behafteten Messwerten können schneller identifiziert
und bei Bedarf von den weiteren Berechnungen ausgeschlossen werden. Mit den verbleibenden Messdaten an den ungestörten Satellitensignalen kann sodann die Festsetzung der
Anfangsmehrdeutigkeiten und damit zur Bestimmung des zentimetergenauen Raumvektors
gelingen, wenn eine hinreichende Anzahl an Satelliten im Algorithmus verbleiben.
Die Suche nach den korrekten Phasenmehrdeutigkeiten steht wie gesagt im direkten Zusammenhang mit der Frage, wie lange gemessen werden muss, um mit dem vorliegenden
Datenmaterial die Kandidaten der Anfangsmehrdeutigkeiten zu finden und zu verifizieren,
dass diese die korrekte Lösung darstellen. Auf die Wirtschaftlichkeit und auch auf das Anwendungsspektrum derartiger phasenmessender GNSS-Empfänger hat dieser Themenkomplex ganz erheblichen Einfluss.
Patentansprüche
1. Verfahren zur zeitoptimierten Bestimmung von Anfangsmehrdeutigkeiten der Differenzen
synchron gemessener Trägerphasen zu GNSS-Satelliten zweier Empfänger dadurch gekennzeichnet, dass der gesuchte Raumvektor durch gezielte Verschiebung der gegebenen
Basisstation auf eine virtuelle Basisstation (VBS) und entsprechende Umrechnung der Trägerphasenmessungen eine spezifische Orientierung erhält, die die nachfolgenden Algorithmen zur Suche und Festsetzung der Anfangsmehrdeutigkeiten befördert.
2. Verfahren nach Anspruch 1 dadurch gekennzeichnet, dass statt der Basisstation die andere Empfangsantenne gezielt verschoben und derart die spezielle Orientierung des gesuchten
Raumvektors gleichermaßen erfolgt.
3. Verfahren nach Anspruch 1 dadurch gekennzeichnet, dass dieses Verschieben der Basisstation für dieselben Messdaten mehrfach mit unterschiedlichen VBS, jeweils optimiert für
genau einen Satelliten durchgeführt wird.
4. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass dieses Verschieben der Basisstation für Teilmengen derselben Messdaten mehrfach mit unterschiedlichen VBS, jeweils
optimiert für genau einen Satelliten, durchgeführt wird und die Teilmengen hierbei über unterschiedliche Satellitenkonstellationen unter Auslassung eines oder mehrerer der angemessenen Satelliten gebildet werden.
5. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass dieses Verschieben der Basisstation für Teilmengen derselben Messdaten mehrfach mit unterschiedlichen VBS, jeweils
optimiert für genau einen Satelliten, durchgeführt wird und die Teilmengen hierbei mit einer
Satellitenauswahl in allen Kombinationen von 4 oder mehr Satelliten gebildet werden.
6. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Berechnungen zur Verkürzung der Rechenzeit parallel auf Mehrprozessor-Systemen erfolgen.
7. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass für jeweils einzelne Satelliten
optimiert untersucht wird, ob die prozessierten Trägerphasenmessungen an dessen Signalen
von mindestens einem der beiden Empfänger grob fehlerhaft und somit unbrauchbar sind.
Zitierte Nicht-Patentliteratur
[Mansfeld 2010]
Mansfeld, W.: Satellitenortung und Navigation; Vieweg, Braunschweig Wiesbaden, 3. Auflage, 2010
[HATCH ET AL. 2005]
Ronald R. Hatch, Yunchun Yang, Richard T. Sharper: Minimizing the Integer Ambiguity
Search Space for RTK; White Paper NavCom ID 10080
[Teunissen et al. 1997]
P.J.G. Teunissen, P.J. De Jonge, C.C.J.M. Tiberius: The least-squares ambiguity decorrelation adjustment: its performance on short GPS baselines and short observation spans;
in: Journal of Geodesy 1997