Brigitte Pothmer, MdB Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Arbeitsmarktpolitische Sprecherin Dezember 2015 Spätstarter-Initiative: Zielgenauer ausrichten und besser flankieren statt Scheinerfolge feiern Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wirbt auf seiner Homepage für die Initiative "AusBILDUNG wird was - Spätstarter gesucht". Man wolle damit „in den Jahren 2013-2015 insgesamt 100.000 junge Menschen ohne Berufsabschluss in der Altersgruppe der 25 bis 34 Jährigen (…) für eine abschlussorientierte Nachqualifizierung gewinnen“1, heißt es. Kurz vor Ende der Laufzeit der Initiative steht fest: Das 100.000-Teilnehmer-Ziel erreicht das Arbeitsministerium nur mit einem handfesten Etikettenschwindel. Nicht nur geringqualifizierte 2534-Jährige werden gezählt; alle Teilnehmer der Altersgruppe an einer beruflichen Weiterbildung der Jahre 2013-2015 bekommen das Label „Spätstarter“ verpasst. Insgesamt gehören über 25.500 Personen der so vereinnahmten Teilnehmer (38,5 Prozent) nicht zur Zielgruppe des Programms. Der Mehrwert von Aus- und Weiterbildungen ist unbestritten. Bekannt ist auch, dass es schwierig ist, Geringqualifizierte zu einer Aus- und Weiterbildung zu ermutigen. Das Problem löst man aber nicht, indem man mit hochgejazzten Zahlen Scheinerfolge feiert. Arbeitsministerin Nahles muss das Programm endlich zielgenauer ausrichten und die Rahmenbedingungen verbessern. Nur so kann es wirklich gelingen, die Zahl der jungen Erwachsenen ohne Ausbildung in Deutschland spürbar zu reduzieren. Bisher stammt die Mehrheit der Spätstarter-Teilnehmer aus dem SGB III. Fast 90 Prozent der arbeitslosen Geringqualifizierten wird aber im SGB II betreut. An ihnen – aktuell fast 300.000 Menschen - geht die Initiative zu oft vorbei. Diese Gruppe muss zukünftig viel stärker in den Fokus genommen werden. Dazu müssen auch die angebotenen Weiterbildungsformate überprüft werden. Anderenfalls bleibt es bei den weit unterdurchschnittlichen Teilnahmezahlen von Arbeitslosengeld-IIBeziehern und deren deutlich höheren Abbruchquoten. Diese lagen zuletzt mit 27,3 Prozent um 8 Prozentpunkte über denen von Arbeitslosengeld-I-Beziehern. Neben differenzierteren Maßnahmen sind bessere gesetzliche Rahmenbedingungen notwendig. Bemängelt wird zum Beispiel seit langem, dass Arbeitsuchende, die sich weiterbilden, finanziell schlechter gestellt sind als Ein-Euro-Jobber. Die Zahlung einer monatlichen Bildungszulage könnte mehr junge Erwachsene ohne Ausbildung zu einem neuen Anlauf zu motivieren. Dringend erforderlich sind außerdem weiterbildungsbegleitende Hilfen, um die Zahl der Abbrüche zu verringern und die Integrationschancen zu erhöhen. Hintergrund Initiative „Spätstarter gesucht“ Seit 2013 will die Initiative „Spätstarter gesucht“ junge Menschen zwischen 25 und 35 Jahren zum Nachholen einer beruflichen Ausbildung motivieren. Bis Ende 2015 sollen insgesamt 100.000 Personen erreicht werden. Diese Zielsetzung ist bitter nötig. In der Altersgruppe der 25-34-Jährigen haben ca. 1,4 Millionen Menschen in Deutschland keine Ausbildung. Auch die Arbeitslosenstatistik spiegelt das Problem wider: Die Hälfte aller arbeitslosen jungen Menschen in diesem Alter hat keine abgeschlossene 1 vgl. http://www.bmas.de/DE/Themen/Aus-und-Weiterbildung/Weiterbildung/weiterbildung.html 1 Brigitte Pothmer, MdB Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Arbeitsmarktpolitische Sprecherin Berufsausbildung. Zählt man noch die „Berufsentfremdeten“ hinzu, dann sind aktuell 344.000 arbeitslose junge Menschen unter 35 Jahren geringqualifiziert, von denen 44.000 (13 Prozent) im Rechtskreis SGB III und fast 300.000 (87 Prozent) im SGB II betreut wurden.2 Die fehlende Ausbildung ist ein massives Handicap für die Betroffenen. Ihre Chancen auf eine neue Arbeit sind geringer als die ihrer ausgebildeten Altersgenossen. Klappt es doch mit einem Arbeitsplatz, dann erhalten sie in der Regel niedrigere Löhne als ihre qualifizierten Kolleginnen und Kollegen.3 Belegt ist auch, dass sich längere Phasen der Jugendarbeitslosigkeit negativ auf das gesamte Erwerbsleben auswirken.4 Das alles sind Gründe, die für den Ansatz der Spätstarter-Initiative sprechen. Aus- und Weiterbildungen mit Abschluss erhöhen die Arbeitsmarktchancen deutlich.5 Das Programm leistet einen Beitrag zur nachhaltigen Arbeitsmarktintegration und hilft gleichzeitig, den wachsenden Fachkräftemangel zu bewältigen. Die Spätstarter-Initiative darf aber nicht länger Geringqualifizierte im SGB II vernachlässigen. Auch sie brauchen eine echte Chance. Ergebnisse der grünen Anfrage Kurz vor Ende der Laufzeit der Spätstarter-Initiative sieht die Bilanz wie folgt aus: Von Januar 2013 bis Juli 2015 sind nach Angabe der Bundesregierung 81.150 Arbeitslose durch Spätstarter erreicht worden.6 o Knapp 15.100 Personen konnten in eine ungeförderte Ausbildung vermittelt werden. Weitere Daten (Rechtskreis, Vorqualifizierung, Abschluss, Abbrüche) über diese Gruppe liegen nicht vor. o 66.050 Personen begannen eine berufliche Weiterbildung, 38.600 (oder 58,4 %) davon kamen aus dem Rechtskreis SGB III (= Arbeitslosengeld I), 27.460 (oder 41,6 %) aus dem Rechtskreis SGB II (= Arbeitslosengeld II) o 40.540 dieser 66.050 Teilnehmer an einer abschlussbezogenen Weiterbildung waren geringqualifiziert. Die anderen 38,5 Prozent (oder 25.500 Personen) der Teilnehmer gehören jedoch nicht zur Zielgruppe des Programms. Nahezu 90 Prozent der Zielgruppe bezieht Arbeitslosengeld II (Rechtskreis SGB II).7 Trotzdem kommen fast 60 Prozent der Weiterbildungsteilnehmer aus dem Kreis der Arbeitslosengeld-IBezieher. 2 Stand November 2015, Auswertung der Bundesagentur für Arbeit vom 04.12.15. Als „berufsentfremdet“ gelten Menschen, die zwar eine Ausbildung verfügen, aber mehr als vier Jahre an- und ungelernt eine andere Tätigkeit ausgeübt haben. 3 vgl. http://doku.iab.de/kurzber/2014/kb0114.pdf 4 vgl. http://doku.iab.de/kurzber/2014/kb1614.pdf 5 vgl. http://doku.iab.de/kurzber/2015/kb2215.pdf 6 Alle Daten: Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf die Anfrage „AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“ vom 01.12.15, Antwort auf Fragen 1 und 2 7 Stand November 2015, Auswertung der Bundesagentur für Arbeit vom 04.12.15 2 Brigitte Pothmer, MdB Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Arbeitsmarktpolitische Sprecherin Bei den Austritten zeigt sich, dass 74 Prozent der Teilnehmer ihre Weiterbildung erfolgreich abschließen. Deutlich wird auch, dass die Abbruchquoten im Rechtskreis SGB II erheblich höher sind als im Rechtskreis SGB III. Die Differenz ist zudem über die Jahre immer größer geworden. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2015 lag gemessen an den Austritten die Abbruchquote im SGB II mit 27,3 Prozent um 8 Prozentpunkte höher als im SGB III (19,4 Prozent)8. Die Eingliederungsquoten der erfolgreichen Absolventen einer Maßnahme unterscheiden sich deutlich nach Rechtskreisen. Während im Bereich SGB III von den erfolgreichen Teilnehmern sechs Monate nach der Maßnahme 70 bis fast 80 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, waren es im Bereich SGB II 36 bis maximal 50 Prozent.9 8 Vgl. Tabelle 3 der Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf die Anfrage „AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“ vom 01.12.15, eigene Berechnungen. 2013: 21,1% (SGB III), 24,2 % (SGB II); 2014: 24,7 % (SGB III), 30,2 % (SGB II) 9 Antwort des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales auf die Anfrage „AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“ vom 01.12.15, Tabelle 4 3
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