Ein Papst-Buch, das Herzen hebt - Heiliges Jahr der Barmherzigkeit

R O M U N D D I E W E LT
23./24. Januar 2016 / Nr. 3
„DER NAME GOTTES IST BARMHERZIGKEIT “
Ein Papst-Buch, das Herzen hebt
Kardinal Parolin: Es bietet keine Geheimnisse, sondern führt in Barmherzigkeit ein
ROM – Papst Franziskus hat erstmals ein eigenes Buch herausgegeben. Es handelt sich um ein
Gespräch zwischen ihm und dem
italienischen Journalisten Andrea Tornielli. Den Umschlag ziert
der Titel des Buches „Der Name
Gottes ist
Barmherzigkeit“, gestaltet nach
der Handschrift von Papst Franziskus.
Das erste Exemplar bekam der
Heilige Vater in der Casa Santa Marta persönlich überreicht. Tags darauf
wurde das Werk der Öffentlichkeit
vorgestellt. Es war eine ungewöhnliche Präsentation: Ein chinesischer
Gefängnisinsasse, ein italienischer
Komiker und der vatikanische Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin
stellten das Buch vor. In deutscher
Übersetzung
hat es 128
Seiten und ist im Kösel-Verlag erschienen.
Die Barmherzigkeit ist das Fundament der Mission von Papst Franziskus, sagte der italienische Komiker,
Schauspieler und Oscar-Preisträger
Roberto Benigni bei der Buchvorstellung. Es reiche schon, wenn man
auf das Leben des Papstes schaue:
„Sein Leben ist geprägt von Mitgefühl, Liebe und Vergebung. Das ist
auch die Basis seines Pontifikats.“
Immer wieder machte Begnini ironische Bemerkungen. „Dieses Buch
hebt eure Herzen, ohne euch dabei
das Hirn zu vernebeln“, scherzte der
Komiker.
In ernsterem, eindringlichem Ton
fuhr er fort: „Die Barmherzigkeit
kommt nicht von oben herab. Sie
ist die größte Gerechtigkeit, die es
überhaupt gibt. Sie löscht die Untat nicht aus, schenkt aber das, was
jeder Mensch braucht: die Freude.“
Benigni zitierte auch Papst Benedikt
XVI. sowie den deutschen evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Die Freude, erklärte Benigni, sei
das große Geheimnis des Christentums. „Gott hat ja – wie es im Psalm
50 heißt – sogar die schrecklichste
Sünde vergeben: die Tötung des
Mannes der Geliebten.“ Mit ironischem Unterton fügte Begnini an:
„Ich glaube niemand hier im Saal im
Vatikan hat sowas gemacht.“
Ein weiteres Zeugnis, das die
Bedeutung des Papst-Buches hervorheben sollte, gab der 30-jährige
Chinese Zhang Agostino Jianqin. Er
Als Buch für Herz und Hirn stellte der
Komiker und Regisseur Roberto Benigni
(rechts) das neue Werk vor. Kardinal
Pietro Parolin lachte auch über seine
Späße.
Foto: KNA
„Eine Erfahrung, die mich sehr berührt hat“
Der italienische
Journalist Andrea Tornielli
(Foto:
KNA)
durfte
Papst
Franziskus 40
Fragen
stellen. So entstand das Interview-Buch. Tornielli
arbeitet bei der Tageszeitung „La
Stampa“ und koordiniert das Internetportal „Vatican Insider“. Im Interview mit unserer Zeitung erzählt
der Journalist, dass es sich nicht
einfach um ein Gespräch mit dem
Papst gehandelt habe, sondern um
einen „Austausch der Herzen“.
Herr Tornielli, Sie haben im Juli 2015
den Papst im Gästehaus Santa Marta getroffen. Er war gerade erst von
seiner Reise nach Ecuador, Bolivien
und Paraguay zurückgekommen.
Was haben Sie in Erinnerung behalten?
Das war eine Erfahrung, die mich
sehr berührt hat, denn dem Papst
gelingt es immer, dass man sich ihm
nahe fühlt. Was mich am meisten
überrascht hat, waren seine Beschrei-
bungen. Da spürte ich, was Papst
Franziskus konkret mit Barmherzigkeit
meint.
Es ist eine Besonderheit, dass ein
Papst den Namen Gottes als „Barmherzigkeit“ bezeichnet. Das ist doch
eine starke Botschaft.
Ja, in der Tat ist das stark! Es hat
mich sehr gewundert, dass er sogar
gesagt hat, die Barmherzigkeit sei
die Kennkarte unseres Gottes. Für den
Papst ist die Barmherzigkeit das, was
Gott ausmacht. Nicht seine Allmacht,
Unendlichkeit, nein, es ist die Barm-
herzigkeit, die also kein Zubehör ist.
Welche Botschaft will dieses Buch
überhaupt vermitteln? Kann man es
als „Reiseführer für das Heilige Jahr
der Barmherzigkeit“ bezeichnen?
Ich denke, jeder Leser kann selbst
entscheiden, was das Wichtigste in
diesem Buch ist. Ich hatte vor – und ich
denke auch der Papst –, die Einfachheit
und Tiefe seines Herzens zu vermitteln. Ich hoffe sehr, dass die Lektüre
dazu führt, sich noch mehr mit dem
Papst verbunden zu fühlen.
Interview: Mario Galgano
R O M U N D D I E W E LT
23./24. Januar 2016 / Nr. 3
Die Gebetsmeinung
... des Papstes
im Monat Januar
Allgemeine Gebetsmeinung
Für den interreligiösen Dialog:
Um Frieden und Gerechtigkeit als
Früchte echten Dialogs unter den
Religionen.
Missionsgebetsmeinung
Für die Einheit der Christen:
Austausch und brüderliche Liebe ermögliche
den Christen, mit
Hilfe des Heiligen Geistes alle
Glaubensspaltungen zu
überwinden.
sitzt seit zehn Jahren in einem italienischen Gefängnis und muss weitere
zehn Jahre dort bleiben. Während
seiner Haft hat er sich zum katholischen Glauben bekehrt. Er erläuterte, wie wichtig die Barmherzigkeit
für Gefängnisinsassen sei sowie die
Nähe des Papstes zu all jenen, die
eine Strafe absitzen müssen. „Als ich
dem Papst bei einer Privataudienz
die Hand gereicht habe, habe ich
mich gefragt, ob ich es wirklich wert
bin“, erzählte der Chinese.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin stellte einige Passagen aus dem
Buch vor. „Das Buch bietet keine
tiefen Geheimnisse. Es ist vielmehr
eine Einführung oder Hinführung
zur Barmherzigkeit“, erklärte der
italienische Kurienkardinal und
engste Berater des Papstes. Das
Buch wolle Türen öffnen und zeigen, dass die „Medizin“ schon da
ist: Es reiche bereits der Wunsch,
einen Schritt auf Gott zuzugehen.
Angesichts von Kriegen, Todesstrafen und Gefängnissen öffne die
Barmherzigkeit die Pforte zur Liebe Gottes. Sie rege nicht nur die
Gläubigen dazu an, neue Beziehungen nach dem wesentlichen Merkmal des Christentums einzugehen:
„Liebt eure Feinde“.
Mario Galgano
Brüder und Schwestern besucht
Papst Franziskus in der Synagoge Roms: Gemeinsam gegen Terror kämpfen
ROM – Zum ersten Mal hat Papst
Franziskus der großen Synagoge
Roms in der Nähe der Tiberinsel
einen Besuch abgestattet. In seiner Rede betonte er, dass es bei der
Beziehung zum Judentum um eine „echte Freundschaft“ handelt.
Juden und Christen seien eine
Familie. Diese Familie steht angesichts von Terrorismus und aufkeimendem Rassismus in Europa
vor großen gemeinsamen Herausforderungen.
Franziskus‘ Worte waren einfach
und klar: Die Zeit der Konflikte
und Auseinandersetzungen zwischen Juden und Christen ist vorbei.
Zwischen ihnen hat sich eine echte
Freundschaft gebildet. Mehr noch
als Freunde seien Juden und Christen Brüder und Schwestern vor dem
Herrn, betonte der Papst, der auch
als Erzbischof von Buenos Aires ein
gutes Dialogklima mit den Juden in
seiner Stadt pflegte.
Begleitet wurde das Kirchenoberhaupt bei seinem Besuch vom Präsidenten der Päpstlichen Kommission
für die religiösen Beziehungen zum
Judentum, dem Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch. Dieser erklärte, die Rückbesinnung auf die jüdischen Wurzeln des Christentums
sei entscheidend. Bereits Johannes
Paul II. habe bei seinem ersten Besuch in der Synagoge Roms gesagt:
„Wir können gar nicht anders, als
die jüdischen Wurzeln in unserem
Glauben anzuerkennen und zu vertiefen.“
Der Kardinal betonte, dass es
unmöglich sei, Christ und zugleich
Antisemit zu sein. „In einer Zeit, in
der neue Wellen des Antisemitismus
in Europa aufkommen, ist das eine
Oberrabbiner Ricardo di Segni (ganz rechts) begrüßte Papst Franziskus in der römischen Synagoge und rief zu Freundschaft und Zusammenarbeit auf.
Foto: imago
sehr dringende Botschaft“, fügte
Koch an.
Bei dem Treffen ging es nicht darum, über Theologie zu diskutieren,
betonte der römische Oberrabbiner
Riccardo Di Segni in seiner Rede vor
den Gästen in der Synagoge: „Wir
empfangen den Papst, um zu bekräftigen, dass die religiösen Unterschiede zu erhalten und zu respektieren
sind und nicht für Hass und Gewalt
missbraucht werden dürfen.“ Vielmehr gehe es um Freundschaft und
Zusammenarbeit, sodass die Erfahrungen, Werte und Traditionen dem
Gemeinwohl dienten.
Gemeinsame Wurzeln
Di Segni verwies in seiner Rede
auch auf das Heilige Jahr der Barmherzigkeit, bei dem die beiden Religionen ihre gemeinsamen Wurzeln
wiederentdecken könnten. Mit seinem Fokus auf die Barmherzigkeit
knüpfe es an das Alte Testament und
das Judentum an.
Nicht nur der interreligiöse Dialog steht unter neuen Zeichen. Die
jüdische Gemeinde selbst hat ein
kleines Tabu gebrochen: Empfangen wurde Franziskus von der neuen
Präsidentin der jüdischen Gemeinde
Roms, Ruth Dureghello – der ersten
Frau in diesem Amt. Sie betonte, dass
der Papstbesuch in einer schwierigen
Zeit stattfinde, in der die Religion
im öffentlichen Raum an Bedeutung
verliere. Umso wichtiger sei es, dass
sich Juden und Christen gemeinsam
für das moralische Wachstum der
Gesellschaft einsetzten.
Nach dem Papstbesuch erklärte
der ehemalige Präsident der jüdischen Gemeinde Roms, Riccardo
Pacifici: „Ich finde es mutig, dass der
Papst das Jahr der Barmherzigkeit
trotz der Angst vor dem Terrorismus
eröffnet hat.“ Er fügte an: „Wir lassen uns nicht einschüchtern.“ Das sei
die beste Antwort auf all jene „bösen
Kräfte“, die in Europa derzeit Angst
verbreiten wollten. Der gesamte Besuch war von hohen Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Mario Galgano