Am Anfang war Erlebnispädagogik - Verein für sozialpädagogisches

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Am Anfang war Erlebnispädagogik
Oder: Eins auf`s Maul
Es war im Juli 1982. In der Tat:
Vergangenheit . Doch immer noch
präsent. Denk ich an den „Verein“,
denk ich an damals.
Es war halt die erste sozialpädagogische Maßnahme, die ich, zusammen mit meiner damaligen Partnerin,
Dorothee, initiierte, organisierte und
durchführte. Diese Aktion hatte es in
sich wie keine nachher – zwischenzeitlich sind fast ein Dutzend anderer
Unternehmungen dazu gekommen,
beim „Verein“ und anderswo.
Frischer Wind und
neue Perspektiven
Wir wollten es anders machen,
Dorothee und ich. Das taten wir
auch. Als Halbjahres - Praktikanten
der Bewährungshilfe in Ludwigsburg,
Vom Leid der
bzw. Fellbach hatten wir vor allem
Unverbindlichkeit
eines im Sinn: unkonventionelle
Wege gehen.
Jetzt sollte es losgehen. Denkste.
Rehabilitation
durch
Die Liste der gut 20 Personen, die
Erlebnispädagogik,
weg
vom
sich für diesen „billigen Urlaub“ inSchreibtisch – hin zum Menschen.
teressierten, lichtete sich von Tag zu
Doch zuvor war allerhand
Tag. Einer setzte sich ins Ausland ab,
Vorarbeit nötig. Die acht Probanden
beim nächsten wurde die Bewährung
– zwischen 17 und 30 Jahren – brach- widerrufen, ein anderer konnte seine
ten reichlich Lebenserfahrung und
lang ersehnte Lehrstelle antreten.
lange Vorstrafenregister mit, allein es
Lauter bestechende Argumente und
fehlte die Kohle. Also Betteln gehen, solche, die zu diesem Personenkreis
auf neudeutsch „Sozialsponsoring“.
eben passten: Unverbindlichkeiten
So recht wollten uns keine schlüs- und Spontanaktionen.
sigen Argumente einfallen, warum
Von
unseren
gruppendynadie nadelgestreiften Vorstände der
mischen Überlegungen über die
Dresdner, Deutschen oder Volksbank
Zusammensetzung der Crew blieb
einen ordentlichen Betrag für wild- nicht viel übrig. Wir nahmen jeden
fremde Gestrauchelte bereitstellen
mit, der uns die Durchführung der
sollten.
Maßnahme garantierte, Hauptsache
Da war Charme, Esprit und ge- „Leinen los“.
winnender Humor angesagt – und
Und dafür war Michael zuständavon hatte Dorothee im Überfluss. dig. Der hatte immerhin schon ein
Gut dreitausend Mark kamen so und
paar Jahre Skippererfahrung auf
mit einem Zuschuss des „Vereins für
dem Buckel, ebenso einen unüberBewährungshilfe“ zusammen, die
schaubaren Fundus an Seglerlatein.
Chartergebühr für eine Woche und
Beides fand Gehör. Der Umgang mit
alles andere konnten davon begli- Outlaws war indes für ihn ebenso
chen werden. Selbst über einen VW- neu wie für uns.
Bus verfügten wir auf einmal. Den
Kaum im Camp, war das
hatte Dorothee einem ortsansässigen
Zeltarrangement in aller Kritik. Die
Bauunternehmer aus dem Fuhrpark
einen Iglus waren zu klein für die
geleiert, in dem sie an sein soziales
ganze Gruppe aus Ludwigsburg,
Gewissen appellierte. Er hatte eins.
die Fellbacher wollten sich allesamt
Natürlich wird sowohl auf dem Campingplatz wie auf der „Shalom“
viel Spaß gemacht. Als besonderes Ereignis hat sich Michael Zube eine
Flaschenpost- Aktion einfallen lassen. Mitten auf „hoher“ See setzte jedes
Kind eine Nachricht in einer Flasche aus und wartete gespannt auf eine
Antwort. Es kann Wochen dauern, bis sich jemand meldet, der die Flasche
aus dem Wasser gefischt hat.
Mit dazu gehört auch die Bodensee- Taufe, eine abgeänderte Variante
der Äquatortaufe. Auch hier ist es Neptun persönlich, der die Jünger seines
Elementes mehr oder weniger sanft mit einem Schwall Bodensee- Wassers
tauft und sie so in die Gemeinschaft der Segler aufnimmt.
Reutlinger General- Anzeiger 17.7.1982
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separieren und einer hängte ohne zu
fragen seine Hängematte gut zwei
Mann hoch in die Laubbäume. Die
Ludwigsburger hatten zwischenzeitlich einige Kumpels aus ihrem
Revier herbeitelefoniert und wollten
die nächsten Tage eine große Sause
machen.
Innovation versus Naivität
Uns schwante Übles. Waren
wir doch zu blauäugig, zu mutig
und dabei reichlich unerfahren?
Wahrscheinlich von allem etwas.
Aber Hahnefeld und Rogers lehrten
uns die Semester zuvor, an das Gute
im Menschen zu glauben.
Das taten wir. Und der Wind
am Folgetag blies auch uns in den
Rücken. Da musste der zusammen
gewürfelte Haufen unter Michaels
Kommando echt anpacken, die
Segel dichtholen, wenden, halsen,
shiften und sogar ausreiten bei, lasst
mich nicht lügen, Windstärke fünf.
Zumindest der Skipper hatte sich
Respekt verschafft.
So gesegelt, war Meersburg
schnell in Sicht. Doch zurück schlief
der Wind ein, dasselbe taten unsere
Matrosen. Nicht vor physischer
Entkräftung – der Whisky aus
Meersburg hatte seine Wirkung gezeigt. Johnny Walker wirkte auch mit,
als – zurück auf dem Zeltplatz – der
Fußball mit Karacho an Nachbars
Wohnwagenfenster schlug und die
erbosten Proteste des Besitzers mit
weiteren Provokationen quittiert
wurden, was schließlich auch die
Polizei
mit
beschwichtigenden
Worten auf den Plan rief.
Alkohol verbindet
Alkohol
als
stehendes
Verhaltensmuster
solidarisierte
die Ludwigsburger Clique enorm.
Männlichkeit, Abenteuerlust und
Protest – vieles davon kam aus der
reflektiert, dass es für fast alle „eine
Flasche.
echt starke Woche“ war, dass sie
Auch der eine oder andere
Gefängnisaufenthalt konnte sie nicht „so was noch nie erlebt..“ hatten, in
naher Zukunft den Segelschein mavom Hochprozentigen abbringen.
chen oder nächstes Jahr mit ihren
Vieles funktionierte in den
Freunden wiederkommen wollten.
Folgetagen auch ganz prächtig. Die
Doch zuvor sollte das eine oder
einen waren fürs Frühstück verandere Abenteuer uns noch herausantwortlich, die anderen für die
fordern.
abendliche Verpflegung. Für ihre
Lebensführung ziemlich ungewohnt,
Ein willkommenes Unwetter
waren diese Rituale mit Gemeinschaft
und Genuss verbunden, gewürzt
Eine
ausgesprochen
gute
und garniert mit Segelepisoden und
Gelegenheit dafür bot uns das
schlauen Sprüchen.
„Wetter der Bodenseeart“.
Auch für Alternativprogramme
Wolkenbruchartige Regengüsse
waren wir gewappnet, als die Winde
verwandelten das Klausenhorn in
ausblieben.
eine Seenlandschaft – unsere und der
Pfahlbauten, Reptilienmuseum, Nachbarn Zelte standen knöcheltief
Konstanz, Birnau. Durchaus ver- im Wasser.
bindende Momente und persönliche
Schnelles Handeln tat Not.
Gespräche stellten sich ein, mehr im
Alle Utensilien schleunigst auf die
Einzelkontakt, als in der heterogenen
schwimmenden Lumas verfrachtet.
Großgruppe.
Aus herbei gekarrtem Kies wurden
Etwas verwundert, weil fast
Dämme errichtet, die Schlimmeres
vergessen, lese ich in meiner
verhüten sollten.
Diplomarbeit, die in einem Kapitel
In der Not kam es zu spontaauch das sozialpädagogische Segeln
nen Verbrüderungen zwischen den
„im Kontext der Bewährungshilfe“ Ludwigsburgern und Fellbachern.
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wir auf unsere Teilnehmer zählen.
An dieser Stelle wäre ich geneigt,
meinen Artikel mit diesem bescheidenen Happyend zu beschließen,
wenn ich nicht noch einmal auf die
Überschrift Bezug nehmen müsste.
um Bewährungswiderruf. Und das
auf unserem erlebnispädagogischen
Ticket… Kaum auszudenken!
Statt Frühstück Krisensitzung
Den Ludwigsburgern hatte es die
Sprache verschlagen. Wie geprügelte
Grenzüberschreitungen
Hunde schlichen sie am Morgen um
inklusive
die Zelte. Aber auch wir „Experten“
Wieder war Alkohol mit im Spiel. fanden kaum Worte.
Diesmal besonnener als in
Dorothee und ich hatten uns längst
der Nacht, machten wir unseren
zur verdienten Nachtruhe in unser
Gefühlen, vor allem der Enttäuschung,
Zelt zurückgezogen, aber an Ruhen
war kaum zu denken. Unsere whis- dennoch gehörig Luft. Er solle sich
gefälligst entschuldigen, bedrängten
ky- oder weinseligen Ludwigsburger
die Ludwigsburger ihren Freund.
grölten und provozierten um die
Sein gequältes Lippenbekenntnis
Wette, vor allem in Richtung unserer
konnte ich damals nicht annehmen.
Behausung.
Wir brachen die Freizeit noch am
Worum ging es? Natürlich um die
einzige Frau im Bund, um Dorothee. selben Tag ab. Einen Tag früher als
Die war ihr Begier. Gegenseitig sta- geplant. Auch Michael plädierte für
Demnächst werde ich doppelt so alt wie der Verein.
chelten sie sich an, „die Lockige“ diese Lösung.
Und das ist gut so. Denn heute verfüge ich über die
Zum Nachtreffen acht Wochen
aus dem Zelt zu holen und ihr eine
Erfahrung mit Kindern, Jugendlichen, deren Eltern
„scharfe Nacht“ zu bereiten. „Ruhe, später kam nur ein einziger (Ihr
und mancherlei Institutionen, die kaum vielfältiger
wisst
schon:
Verbindlichkeit
verdammt noch mal…“, tönte es
sein könnten. Das freut mich. Ob Bewährungshilfe,
war ihre Stärke nicht). Und wer
aus der Nachbarschaft. Und als
Jugendamt, Erziehungsberatung oder Supervision?
war`s? Genau! Der muttrunkene
schließlich einer der Provokateure
immer hatte ich mit Menschen zu tun, die es vorüFaustkämpfer. Nunmehr konnte ich
an unserem Zelt nestelte, war es
bergehend nicht eben einfach hatten und es durch
seine Entschuldigung annehmen.
mit unserer Fassung vorbei. Beide
Erlebnispädagogik, positive menschliche Begegnungen
Im Folgejahr begegneten wir uns
sprangen wir aus dem Iglu, stießen
und nicht zuletzt mein Geschick schafften, wieder Mut
wie zufällig gut ein halbes Dutzend
den Mutgetrunkenen zur Seite und
zu schöpfen. Neben aller Therapie halte ich das Tun
Mal in der Fußgängerzone. Zunächst
machten unserem Ärger Luft. Darauf
vor Ort, die Auseinandersetzung miteinander und die
eher zögerliches Begrüßen, später
hatte wohl sein Publikum spekuliert
gegenseitige Anerkennnung im gemeinsamen Erleben
auch ein Händedruck und schließund feuerte seinen Kumpan weiter
für das Entscheidende.
lich ein „Dankeschön“, dafür, dass
an: „Gib`ihm eins aufs Maul...“
ich seine Bewährung nicht in Gefahr
„Hört auf mit dem Mist“, waren
Martin Zahn
brachte. Für mich war es 0.K..
meine letzten Worte, bevor mich ein
In jedem Fall hat diese
Kinnhaken traf, hart traf. Das war
wohl doch zu viel. Nun musste der „Erlebnispädagogik“ alle erreicht:
Besonders den körperbehinderten
Teilnehmer, Betreuer und bestimmt
Zeltnachbarn kam die neu ge- betrunkene Schläger Schelte seiner
auch Skipper Michael.
peers über sich ergehen lassen, da sei
wonnene Solidarität zu Gute. Sie
wurden mit vereinten Kräften eva- er doch zu weit gegangen.
Dorothee versorgte mich un- Martin Zahn
kuiert und mit Sack und Pack im
terdessen mit kalten Umschlägen
Toilettentrakt untergebracht. Selbst
und gemeinsam dachten wir -völlig
vom Campingwirt war das ein Lob
aus dem Häuschen- über adäquate
wert.
Konsequenzen nach.
Bei Dorothee und mir stellte sich
Körperverletzung hätte eigentlich
indessen ein zufriedenes Gefühl ein:
Anzeige bedeutet und diese wiederwenn´s darauf ankommt, können