Die Grüne Zitrusblattlaus – auch im Schweizer Obstbau

PFLANZENSCHUTZ OBSTBAU
Die Grüne Zitrusblattlaus – auch im
Schweizer Obstbau
In den Jahren 2000 und 2001 kamen aus der Praxis vereinzelt Anfragen über «resistente» Grüne Apfelblattläuse. Bereits damals wurde in Fachkreisen vermutet, dass es sich um eine andere
Blattlausart handeln könnte. Im Jahr 2002 häuften sich diese Meldungen, sodass es uns möglich wurde, verschiedene Proben einzusammeln und im Labor genauer zu untersuchen. Hier
stellte sich heraus, dass es sich bei diesen Blattläusen tatsächlich um eine Art handelt, die bisher im schweizerischen Obstbau nicht auftrat: die Grüne Zitrusblattlaus Aphis spiraecola.
HEINRICH HÖHN, HANSUELI HÖPLI UND BENNO GRAF,
EIDGENÖSSISCHE FORSCHUNGSANSTALT WÄDENSWIL
JOEL MEIER UND HANSJÖRG KULL,
SYNGENTA AGRO AG, DIELSDORF
Abb. 1: Kolonie der
Grünen Zitrusblattlaus an Apfelsämling. (Foto: Hansueli
Höpli, FAW)
n den Sommern der Jahre 2000 und 2001 ent-
I wickelten sich in einzelnen Obstanlagen an Langtrieben von Apfelbäumen grössere Blattlauskolonien,
die in der Praxis aufgrund ihres Auftretens und
Aussehens als Grüne Apfelblattläuse (Aphis pomi De
Geer) bestimmt wurden. Da die Bekämpfung mit
dem Wirkstoff Pirimicarb nicht den gewohnten Erfolg brachte, zog man den voreiligen Schluss, dass es
sich dabei um resistente Stämme der Grünen Apfelblattlaus handeln musste. Aufgrund der verschiedenen Beobachtungen und den Meldungen aus dem
Ausland, mussten wir hingegen annehmen, dass es
sich eher um eine andere Blattlausart handeln dürfte.
Im Sommer 2002 häuften sich die Meldungen über
das Auftreten solcher «resistenter» Stämme. So konnten wir in verschiedenen Obstanlagen Blattlausproben einsammeln und im Labor genauer untersuchen.
In diesen Untersuchungen bestätigte sich unser Verdacht: Es handelte sich um die Grüne Zitrusblattlaus
Aphis spiraecola Patch (Syn. A. citricola v.d. Groot).
Beschreibung und Lebensweise
Die Grüne Zitrusblattlaus ist im Aussehen sehr ähnlich wie die Grüne Apfelblattlaus und tritt meistens
auch in Mischpopulationen mit dieser zusammen auf.
Die ungeflügelten Weibchen sind oval, 1,2 bis 2 mm
lang und von gelbgrüner Farbe (Abb. 1). Kopf, Antennenbasis und Fussenden sind dunkel, Siphonen und
Cauda sind schwarz. Mit blossem Auge kann sie daher
von der Grünen Apfelblattlaus nicht unterschieden
werden. Eine Bestimmung der beiden Arten ist nur
anhand mikroskopischer Präparate (Abb. 2) möglich:
Das letzte Rüsselglied ist bei A. spiraecola länger als
bei A. pomi und die Zitrusblattlaus hat weniger Härchen an der Cauda und weniger Höcker am Hinterleib. Eine eindeutige Unterscheidung der beiden Arten war auch im Labor für molekulare Diagnostik der
Eidgenössischen Forschungsanstalt Wädenswil (FAW)
auf genetischer Basis möglich.
SCHWEIZ. Z. OBST-WEINBAU
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Cauda
letztes
Rüsselglied
Abb. 2: Mikroskopisches Präparat der
Grünen Zitrusblattlaus. (Foto: Hansueli
Höpli, FAW)
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Bei uns überwintert die Grüne Zitrusblattlaus im Eistadium (schwarz, glänzend wie bei anderen Blattläusen) auf Spierstauden und vermutlich auch anderen Rosaceen. Der Eischlupf erfolgt ab April und die Besiedlung der Sekundärwirte (Apfel, Birne) durch geflügelte
Blattläuse ab Mai. Wie bei den anderen Blattlausarten
erfolgt die Vermehrung während des ganzen Sommers
lebend gebärend und ohne Befruchtung der Weibchen.
Die Zitrusblattlaus ist sehr wärmeliebend und vermehrt
sich bei Temperaturen über 25 °C besser als die Grüne
Apfelblattlaus. In unseren Obstanlagen finden wir sie
deshalb hauptsächlich im Juli (Juni bis August). In warmen Regionen (z.B. Süditalien) kann sie ungefähr vierzig Generationen pro Jahr erzeugen.
Verbreitung
Die Grüne Zitrusblattlaus ist heute nahezu weltweit
verbreitet. Ursprünglich stammt sie wahrscheinlich aus
dem fernen Osten oder aus Nordamerika. Ungefähr
1939 trat sie im Mittelmeerraum auf. Seit einigen Jahren
wird sie auch nördlich der Alpen gefunden. Im Jahr
2000 wurde sie erstmals im süddeutschen Raum auf
Äpfeln nachgewiesen. In der Schweiz ist sie wahrscheinlich bereits weit verbreitet, so konnten wir sie im
Jahr 2002 in den Kantonen Bern, Graubünden, Luzern,
St. Gallen, Thurgau, Waadt und Zürich nachweisen.
Die Grüne Zitrusblattlaus ist weit verbreitet und
wie der Name sagt, ein Hauptschädling auf Agrumen
(Zitrusgewächsen). Sie hat aber ein sehr breites
Wirtsspektrum – sie ist polyphag: Ausser auf Zitrus
lebt und vermehrt sie sich auf Äpfeln, Birnen und
Zwetschgen und auf vielen Wild- und Ziergehölzen
wie Spierstaude, Weissdorn, Schwarzdorn, Steinmispeln und anderen. Seit den 80er und 90er Jahren ist
sie zum Beispiel die dominierende Blattlausart auf Apfelbäumen in verschiedenen Staaten der USA, in China, Korea, Brasilien, Israel und Ägypten. Unsere Blattlausproben, bei denen A. spiraecola nachgewiesen
werden konnte, stammten von Apfel- und Birnbäumen; auf Zwetschgen haben wir sie bisher jedoch
nicht gefunden.
Bedeutung
Obwohl teilweise grosse Kolonien an Langtrieben
von Apfelbäumen beobachtet wurden, konnte in der
Schweiz in Ertragsanlagen kaum je ein deutlicher
wirtschaftlicher Schaden festgestellt werden. Dies
dürfte, im Gegensatz zu anderen wärmeren Ländern,
unter anderem daran liegen, dass die Wetterbedingungen für diese Wärme liebende Art bei uns nicht
immer optimal sind und die Zitrusblattlaus in der Regel nur während kurzer Zeit hauptsächlich im Juli in
grösseren Populationen anzutreffen ist. Ähnlich wie
bei der Grünen Apfelblattlaus können auch bei der
Grünen Zitrusblattlaus bei starkem Befall Blattkräuselungen und Triebstauchungen beobachtet werden
und auf dem ausgeschiedenen Honigtau entwickeln
sich die unansehnlichen Russtaupilze. Die Schäden
sind jedoch bis jetzt bei uns unbedeutend. Wieso dieser Blattlausart trotzdem so viel Aufmerksamkeit zuteil wird, liegt vor allem daran, dass die Bekämpfung
sehr schwierig ist und die Blattlausart gegenüber
wichtigen Blattlausmitteln unempfindlich ist, nicht
nur in der Schweiz, sondern weltweit.
Bekämpfung
Dass die Wirkung von Pirimicarb auf die Grüne Zitrusblattlaus völlig unzureichend ist, zeigte sich in verschiedenen Praxisbetrieben und ist aus dem Ausland
allgemein bekannt. Es gibt aber auch Hinweise aus der
Schweiz und insbesondere aus dem Ausland, dass die
Grüne Zitrusblattlaus auch gegenüber vielen anderen
Produkten aus verschiedenen Wirkstoffgruppen Resistenzen zeigt. Allerdings scheint das Resistenzmuster bei
verschiedenen Herkünften unterschiedlich zu sein.
Um mehr Hinweise zu den Resistenzmustern und
Bekämpfungsmöglichkeiten zu erhalten, wurden bei
der Syngenta Agro AG, Dielsdorf und der FAW mehrere Gewächshausversuche vorerst auf einem Zuchtstamm der FAW, ursprünglich aus dem Kanton Thurgau stammend, durchgeführt. Pro Versuchsserie wurden fünf bis acht verschiedene Produkte in verschie-
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Abb. 3: Wirkung (in
%) verschiedener
Produkte auf Aphis
spiraecola (Stamm
«Arenenberg») auf
Apfelsämlingen im
Gewächshaus sieben
Tage (bzw. 14 Tage
bei NeemAzal) nach
Behandlung.
Pflanzenextrakt
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denen Konzentrationen getestet. Pro Testverfahren
wurden jeweils drei Apfelsämlinge mit drei bis fünf
Blattläusen infiziert, etwa vier Tage später behandelt
und ein, drei, sieben und vierzehn Tage danach ausgewertet. Die Wirksamkeit der Produkte ist in solchen
Versuchen jeweils deutlich besser als im Feld, sodass
in der Regel mit 1/4 der üblichen Konzentration noch
Wirkungsgrade von 100% erzielt werden sollten. So
wurden in diesen Versuchen je nach Produkt 1/2 bis
1/16 der normalen Feldkonzentration geprüft.
Die Wirkungsgrade (sieben Tage nach der Behandlung bzw. 14 Tage bei Azadirachtin) einiger wichtigen
Produkte, die in diesen Versuchen geprüft wurden,
sind in Abbildung 3 dargestellt. Jedes Verfahren, mit
Ausnahme von Acetamiprid, wurde in mindestens
zwei Versuchsserien getestet. Die schlechte Wirkung
von Pirimicarb (1/2 Konzentration) bestätigte sich in
allen Versuchen. Ähnlich war die Situation bei Triazamate (AZTEC). Recht gute Resultate wurden bei diesem Blattlausstamm mit Produkten aus der Gruppe
der Nitroguanidine beziehungsweise Neonicotinoide
(Thiamethoxam = ACTARA, Thiacloprid = ALANTO
und Acetamiprid = GAZELLE) erzielt. Bei den Phosphorsäureestern zeigten Heptenophos (HOSTAQUICK) und Chlorpyrifos-methyl (RELDAN) gute
Wirkungen, während Chlorpyrifos-ethyl (PYRINEX)
sehr schlecht abschnitt, was aber vermutlich auf den
Formulierungstyp zurückgeführt werden muss, wobei dazu noch weitere Abklärungen notwendig sind.
Im Weiteren wurden mit Azadirachtin (NEEMAZALT/S) gute Wirkungsgrade erzielt, aber erst etwa zehn
Tage nach der Behandlung.
In den Praxisanwendungen wurden in der Ostschweiz beim Einsatz mit ALANTO eine gute und mit
HOSTAQUICK eine sehr gute Wirkung beobachtet. In
der Westschweiz scheinen die Blattläuse hingegen eine breitere Resistenz aufzuweisen, wurde doch trotz
Einsatz verschiedener Mittel kaum je eine befriedigende Wirkung erzielt.
Folgerungen
Obwohl die Grüne Zitrusblattlaus bei uns in Ertragsanlagen kaum grosse wirtschaftliche Schäden anrichtet, ist eine Bekämpfung in Einzelfällen durchaus angebracht. Da sie in der Praxis oft zusammen mit der
Grünen Apfelblattlaus auftritt und erst erkannt wird,
wenn der Einsatz von Mitteln mit dem Wirkstoff Pirimicarb keinen Erfolg bringt, sind zusätzliche Abklärungen sinnvoll. Es ist wichtig, dass wir über die
Wirkung der verschiedenen Pflanzenschutzmittel
und über die regionalen Resistenzsituationen genauere Auskunft bekommen. Daher ist es unumgänglich in
diesem Jahr noch zusätzliche Versuche durchzuführen, um die Wirksamkeit der wichtigsten Produkte auch im Feld abzuklären. Im Weiteren ist geplant,
das Resistenzmuster eines Ostschweizer und eines
Westschweizer Stammes genauer zu untersuchen.
Dank
Unser Dank geht an Thomas Thieme, BT Biotech-Labor
Sagerheide (D) für die Überprüfung unserer Bestimmungen der mikroskopischen Präparate und an die Arbeitsgruppe von Jürg Ernst Frey, FAW, für die molekulargenetischen Untersuchungen.
Literatur:
Barbagallo S., Cravedi P., Pasqualini E. und Patti I.: Afidi delle principali colture fruttifere. Bayer, Milano, 123 S., 1996.
Blackman R.L. und Eastop V.F.: Aphids on the World's Crops. John
Wiley & Sons, Chichester, 466 S., 1984.
Frankenhuyzen A. van und Stigter H. (Übersetzung von E. Dickler):
Schädliche und nützliche Insekten und Milben an Kern- und Steinobst in Mitteleuropa. E. Ulmer, Stuttgart, 288 S., 2002.
Litterst M. und Thieme T.: Die Zitruslaus – erstmaliger Nachweis im
Apfelanbau. Obstbau 2, 67, 2001.
Thieme T.: Vorkommen und Verbreitung von Aphis spiraecola in Europa. Mitt. Biol. Bundesanst. Land- Forstwirtsch. 390, 312–313,
2002.
RÉSUMÉ
Le puceron vert des orangers – un problème dans l'arboriculture suisse aussi
Durant les étés 2000 et 2001, on a vu se développer dans certaines cultures fruitières des colonies assez importantes
d'aphides sur les rameaux à bois qui, à cause de leur aspect et de leur insensibilité au Pirimicarb, ont été un peu hâtivement qualifiés de pucerons verts du pommier «résistants» (Aphis pomi De Geer). Au cours de l'été 2002, les déclarations
d'infestations se sont multipliées, de sorte que nous avons pu récolter des échantillons de ces pucerons dans plusieurs installations et les étudier de plus près au laboratoire. Les analyses microscopiques et moléculaires ont révélé qu'il s'agissait
en réalité du puceron vert des orangers (Aphis spiraecola Patch). Cette espèce a été identifiée sur des plantations de pommiers et de poiriers des cantons de BE, GR, LU, SG, TG, VD et ZH. Il s'agit d'un ravageur connu dans le monde entier qui
produit des dégâts importants sur les agrumes, mais qui est aussi l'aphide dominant sur les pommiers dans certains pays.
Les deux espèces de pucerons vivent souvent en populations mixtes et ne peuvent être distinguées l'une de l'autre à l'œil
nu. Elles apparaissent presque simultanément, ont un comportement de colonisation à peu près identique et causent aussi des dommages très similaires, à ceci près que le puceron vert des orangers préfère des températures un peu plus élevées.
Les essais effectués sous serre avec une souche de pucerons de Thurgovie ont confirmé l'efficacité aléatoire du Pirimicarb
et du Triazamate. Les produits du groupe des nitroguadanines et des esters phosphoriques se sont montrés plus
concluants. L'Azadirachtine a également montré un effet lent, mais néanmoins assez intéressant. Cependant, il faut s'attendre à ce que des souches d'origine différente présentent aussi des caractéristiques de résistance différentes. Les investigations vont se poursuivre dans ce sens pour obtenir plus de précisions.
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