Die Schattenkinder. Töchter und Söhne des Feindes

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BILD: SN/HISTORISCHER VEREIN NORDRACH
S A M S T A G, 9 . M A I 2 0 15
Die Schattenkinder
Töchter und Söhne des Feindes.
Ihr Schicksal ist eng mit dem Kriegsende verbunden, ihre Geschichte war lang ein Tabu.
Sie litten unter einem doppelten Stigma: unehelich geboren, aus einer Beziehung mit dem ehemaligen
Feind. Sie schleppten zusätzlich die schwere Last von Ausgrenzung und Verhöhnung. Sie kannten ihre Väter
nicht oder wurden von ihnen verlassen. Ehemalige Besatzungskinder – viele von ihnen sind noch heute
auf der Suche nach diesen Männern.
SEITEN 2–4
REISEN
FREIZEIT
KARRIERE
IMMOBILIEN
MOTOR
Pracht und Tränen
Leistungsflüchtlinge
Tipps
Milder Winter
Vorbereitung
Louisiana zeigt seine reiche
Geschichte zwischen Pflanzerprunk und Sklaverei. Seite 11
Sie protestieren nicht, sie rebellieren nicht. Was sind das nur für
junge Leute? Seite 16
Wer effizient arbeiten will, muss
bereit sein für Veränderungen.
Sagt der Experte. Seite 31
Weil der Winter so mild war:
Energieverbrauch für das
Heizen ist gesunken. Seite 39
Wer mit dem Auto ins Ausland
fährt, sollte für Eventualitäten
gerüstet sein. Seite 47
Sizilien von Antike bis Barock
Seite 9
SN CARD – die Vorteile
Seiten 14, 15
Mehr Frauen in Vorständen
Seite 31
Rechtsstreit Immobilie
Seite 40
Nicht immer Erdöl
Seite 48
2 MAGAZIN
S AMS TA G, 9. MA I 2 0 15
Geboren, verlassen,
verfemt, vergessen
Die Geschichte der Besatzungskinder war lang ein Tabu.
Jetzt zeigen sich an ihnen Ungeist und Geist der Nachkriegsgesellschaften.
URSULA KASTLER
Am 8. Mai 1945 endete mit der
Kapitulation der deutschen
Wehrmacht der Zweite Weltkrieg in Europa. Der sechs
Jahre dauernde Weltbrand
hatte Millionen von toten
und lebenden Opfern zurückgelassen. Nie zuvor war das Ausmaß
an Zerstörung so
groß gewesen. Krieg und Massenverbrechen, Hunger, Flucht, Vertreibungen und
Zwangsumsiedlungen prägten Menschen
und Länder. Die politischen, gesellschaftlichen und persönlichen Auswirkungen
sind bis heute sichtbar und spürbar.
Während der Nachkriegsjahre rangen die
Menschen um eine neue Ordnung. In den
Aufbaujahren wollten sie die Gräuel vergessen. Eine Gruppe blieb deshalb am Rande
der Gesellschaften: die Besatzungskinder.
Viele Jahre ihres Lebens trugen sie ein doppeltes Stigma. Sie waren unehelich geboren
und entstammten einer Beziehung mit dem
ehemaligen Feind. Sie schleppten zusätzlich
die schwere Last von Ausgrenzung und Verhöhnung. Sie kannten ihre Väter nicht oder
wurden von ihnen verlassen. Viele ehemalige Besatzungskinder sind bis heute auf der
Suche nach Hinweisen zu diesen Männern.
Die Suche nach den Vätern war für die
Besatzungskinder nicht nur dringlich, als
sie zur Schule gingen, damit öffentlich wurden und wissen wollten, was geschehen
war. Sie war auch dringlich, als sie eigene
Kinder bekamen und diese nach der Familiengeschichte fragten. Als notwendig empfunden wird die Suche jetzt wieder, weil
viele Frauen und Männer im Alter zwischen
60 und 70 Jahren ihr Leben überdenken
und ihr Biografien ordnen möchten.
Die Forschungsarbeiten von Historikern,
die etwa Mitte der 1990er-Jahre einsetzten,
die Öffnung amerikanischer und russischer
Archive, die Berichterstattung in den Medien und das Internet haben inzwischen bis
hin zu Familienzusammenführungen mit
Halbgeschwistern vieles möglich gemacht.
Ingrid Bauer, Professorin für Zeit- und Kulturgeschichte an der Universität Salzburg,
gehörte zu jenem Kreis von Wissenschaftern, die sich früh mit dem Los der Kinder
beschäftigten: „Vor gut 20 Jahren haben
sich die ersten geoutet. Das war schwierig,
weil das vor allem in Österreich gegen die
Kultur des Vergessens gerichtet war. Viele
sagen, mithilfe der Forschung und der Medien seien sie aus der Isolation geholt worden. Aus Einzelschicksalen wurde eine Erfahrungsgemeinschaft.“ Ein neues Selbstbewusstsein blühte auf.
Die Anzahl jener Kinder in Österreich
und Deutschland, die aus Liebesbeziehungen, Affären oder versorgenden „Bratkartoffel-Verhältnissen“ mit amerikanischen, britischen, russischen und französischen Soldaten hervorgingen, ist nicht geklärt. Auch
über die Zahl an Vergewaltigungen gibt es
kaum Register. Historiker sprechen von etwa 400.000 Besatzungskindern in Deutschland und rund 30.000 Kindern in Österreich. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein.
Viele Mütter schwiegen zur Herkunft ihrer
Kinder, um sie zu schützen und nicht auf
sich aufmerksam zu machen. Mehr als 70
Prozent der Frauen brachten den Nachwuchs unter widrigsten wirtschaftlichen
und sozialen Bedingungen selbst durch. Die
Militärregierungen der Alliierten hatten mit
Ausnahme der Franzosen wenig Interesse
an den Früchten der Fraternisierung.
Das Ende des Kriegs, der Einmarsch der
„Besatzer“ in Deutschland und der „Befreier“ in Österreich – das gemäß der Moskauer
Deklaration das „erste freie Land war, das
der typischen Angriffspolitik Hitlers zum
Opfer gefallen war“ – bedeutete nicht, dass
zügig eine Art von Alltag einkehrte.
Der niederländische Historiker Ian
Buruma beschreibt in seinem soeben auf
Deutsch bei Hanser erschienenen Buch
„’45. Die Welt am Wendepunkt“ eindrücklich das, was in allen Kriegsländern unter
dem materiellen Schutt, unter Gräbern und
Gräben verborgen lag: Misstrauen, Feindseligkeit, Rachsucht, Vergeltungsdrang,
Lynchjustiz, eine unbändiger Wille, sich
irgendwie und ohne Rücksicht auf andere
ein neues Leben zu schaffen, erotischer Gefühlstaumel und unwiderstehliches Verlangen nach Zuneigung und Vergessen – all
dies geschürt von Hunger und Obdachlosigkeit, von Verzweiflung und Trauer, von Gewinnsucht und Gier, von einem nicht mehr
existierenden Wirtschaftsleben und vom
Zusammenbruch eines ganzen Wertesystems. „Im Krieg fällt die Moral“, so fasst es
Ian Buruma zusammen. Das menschliche
Elend in den Nachwirkungen des Kriegs sei
ungeheuerlich und allgegenwärtig gewesen.
Es war die Zeit, in der Besatzungskinder
zur Welt kamen. Der deutsche Historiker
und Kommunikationswissenschafter Rainer
Gries, Inhaber des transdisziplinären Franz
Vranitzky Chair for European Studies an
An diesen Kindern hat
sich die Gesellschaft
weiterentwickelt.
Rainer Gries, Historiker
der Universität Wien und Professor an der
Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien, hat
zusammen mit der Magdeburger Historikerin Silke Satjukow die Fakten erforscht und
Lebensgeschichten dieser Kinder in
Deutschland zusammengetragen. „Für 1945
muss man sich das so vorstellen“, sagt er,
„da kommen Fremde, Feinde. Sie erobern
das Land und die Frauen, sie zeugen Kinder.
Die Ideologie der Nationalsozialisten lässt
sich nicht so rasch abschütteln. Im Rassenwahn ist allen klar, auch Fürsorgern und
Politikern, dass man diese Kinder wegsperren und abschieben muss. Sie sollten nicht
im Volkskörper verbleiben.“
Den französischen Besatzern kam dieses
Denken besonders entgegen. Bereits am
Nikolaustag des Jahres 1945 erging ein Befehl, demzufolge die deutschen Behörden
unverzüglich all jene Kinder an die Besatzungsmacht melden mussten, die seit 1939
vor allem aus Lothringen oder dem Elsass
deportiert worden waren oder künftig eine
Deutsche zur Mutter und einen Franzosen
zum Vater hatten. „Retour en France“ lautete die Devise. Mindestens 17.000 Kinder
dürften zwischen 1945 und 1955 betroffen
gewesen sein, viele von ihnen waren nach
Vergewaltigungen geboren worden. „Unseren Erhebungen zufolge wurden dann aber
nur 1000 bis 1500 Kinder zurückgeschickt.
Der Grund dafür waren strengste Ausleseverfahren“, stellt Rainer Gries fest. In Kinderheimen wurden die Kleinen gesammelt,
gepflegt, sogar liebevoll umsorgt, aber auch
gewogen, gesichtet und auf ihre Tauglichkeit als Franzosen begutachtet. Wer den
Vorstellungen nicht entsprach, blieb auf der
Strecke. Die Franzosen wussten, dass diese
Mission politisch, juristisch und moralisch
heikel war. „Man hat mit allen möglichen
Mitteln versucht, die Mütter zu überreden,
die Kinder wegzugeben. Die Kinder wurden
dann tatsächlich durchwegs von begüterten
Familien des französischen Mittelstands
adoptiert. Das wichtigere Versprechen, die
Kinder in die Obhut der Väter zu übergeben,
wurde aber niemals eingelöst. Das Gnadenlose war, dass man ihnen das Wissen um
ihre Herkunft raubte. Ihnen war nicht einmal mehr der Name, nur der Geburtsort
und das Datum geblieben“, sagt Rainer
Gries. Für Österreich lässt sich laut Ingrid
Bauer eine solche Vorgangsweise nicht feststellen. Die Franzosen reduzierten in Vorarlberg und Tirol bald ihre Truppen. Offiziere holten ihre Familien nach. Die Anzahl
der Besatzungskinder war gering.
Der Abschiebungsgedanke hielt sich als
Hirngespinst bis in die 50er-Jahre. Die Kinder kamen in die Schulen und sollten eine
gute Ausbildung erhalten, um in ihren
„Zielländern“ zurechtzukommen. Als zehn
Jahre später die Gesellschaften sich durch
Liberalisierungsprozesse veränderten, offener wurden und die einstigen Feinde zu
Verbündeten mutierten, hörte die öffentliche Stigmatisierung auf. Die ehemaligen
Besatzungskinder der Franzosen, Amerikaner und Briten wurden zu Subjekten, an denen sich Aufgeschlossenheit demonstrieren
ließ. Dann wurde es still um sie.
Den Kindern russischer Soldaten erging
es weniger gut. Ihnen funkte außerhalb der
DDR die Politik mit dem Kalten Krieg dazwischen. Das erschwerte immens die Anerkennung wie auch die Suche nach den Vätern, wie Barbara Stelzl-Marx, Historikerin
am Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz, berichtet. „1945
kamen 400.000 Rotarmisten nach Österreich, 1955 waren noch 40.000 im Land. Ich
nehme an, dass es rund 15.000 sowjetische
Besatzungskinder gab. Beziehungen zu einheimischen Frauen waren nicht erlaubt,
Eheschließungen nicht einmal ab 1946
möglich, als die anderen Militärs dies bereits gestatteten. Der Kreml fürchtete Spionage, Sabotage und Fahnenflucht. Erst mit
dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 ließen
sich Erkundigungen etwas leichter einholen.“ In der russischen Zone kamen verhältnismäßig viele Kinder nach Vergewaltigungen zur Welt. Sie trugen besondere Bürden.
Noch als Erwachsene hatten viele von ihnen das Gefühl, sie hätten als „Feindeskinder“ und „Russenbälger“ kein Recht zu leben und müssten permanent Sühne für eine
Schuld leisten.
In der Rückschau der Historiker haben
die Besatzungskinder für die Gesellschaften
ihrer Zeit wesentliche Leistungen erbracht,
wie Rainer Gries feststellt: „Sie waren das
Fremde, das zunächst Ausgegrenzte, das
Neue und wurden so zu Medien, an denen
Mitbürger wie auch Politik lernten und
liberaler werden konnten.“
Das persönliche Leid war dessen ungeachtet hoch. Manches davon ist nie geheilt.
Unehelich und
dunkelhäutig.
Für die Kinder der
Afroamerikaner war die
braune Ideologie nicht
mit dem Krieg vorbei.
URSULA KASTLER
BÜCHER
„Bankerte!“ Besatzungskinder in Deutschland nach 1945, von Silke Satjukow und Rainer
Gries, Campus Verlag 2015. Besatzungskinder. Die Nachkommen alliierter Soldaten
in Österreich und Deutschland, von Barbara
Stelzl-Marx, Silke Satjukow (Hg.), Böhlau 2015.
Wir Besatzungskinder. Töchter und Söhne
alliierter Soldaten erzählen, von Ute BaurTimmerbrink, Ch. Links Verlag 2015.
Befreiungskind, von Eleonore Dupuis,
Edition Liaunigg 2015.
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S A M S T A G, 9 . M A I 2 0 15
Die Fotografien auf diesen Seiten wurden in der
„Pouponnière de
Nordrach“ im Schwarzwald aufgenommen. Das
Heim war eine Sammelstelle für Kinder deutscher Mütter und französischer Soldaten, die zur
Adoption in der „Heimat“
freigegeben werden sollten. Die Bilder stammen
aus dem Archiv von Helene Haas (1. kleines Bild,
sie steht ganz links), die
dort als Krankenschwester arbeitete. Alle Fotos
sind mit 1949 datiert. Fotografiert wurde mit der
Kamera ihres späteren
Ehemanns (3. kleines Bild
von oben, er steht links).
BILDER: SN/HISTORISCHER VEREIN NORDRACH
„Die schwarze Schmach“
Schweigen, Demütigungen, Lügen, Scham:
Sogar, wenn sie das Glück hatten, von
ihren Müttern oder Großeltern geliebt
und behütet zu werden, wuchsen in diesem Labyrinth die meisten österreichischen und deutschen Kinder ehemals
feindlicher Soldaten auf. Unentrinnbar
wurde das Dickicht für jene Mädchen und
Buben, deren Hautfarbe dunkler war und
deren Haare sich mehr kräuselten. „Die
schwarze Schmach“ nannte man sie gemäß der Propaganda des Dritten Reichs
noch lang nach dem Krieg. Ihre Mütter
galten als „Amiflitscherl, Amihuren, Dollarflitscherl, Schokoladenweiber“. Die
Frauen hatten sichtbar „Schande“ über
das Dorf oder die Familie und die aus dem
Krieg zurückgekehrten Männer gebracht,
die die Beziehungen zum „Feind“ als Verrat an ihrer Männlichkeit und ihrem
Kampf für das Vaterland ansahen.
In Deutschland dürften ab 1946 mindestens 5000 Kinder afroamerikanischer
Soldaten oder französischer Kolonialsoldaten zur Welt gekommen sein. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. Für Österreich
gilt die Anzahl von 300 Kindern als Annäherungswert. In Salzburg sollen einem
Bericht aus dem Jahr 1955 zufolge 1899
uneheliche Kinder einer Beziehung von
Österreicherinnen mit Soldaten der U. S.
Army entstammt sein. Bei diesen Besat-
zungstruppen dienten fünf Prozent afroamerikanische Soldaten.
Philipp Rohrbach ist Historiker am
Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien (VWI). Er erforscht zusammen mit Kollegen für das am Zentrum für
Jüdische Kulturgeschichte der Universität
Salzburg angesiedelte Projekt „Lost in Administration“ die Geschichte der österreichischen Kinder mit schwarzer Hautfarbe.
Überrascht hat ihn, dass ein Großteil der
damals oft jungen Mütter sich – wie in
Deutschland auch – weigerte, ihre Kinder
trotz wirtschaftlicher Not und trotz aller
Schikanen wegzugeben. Gesellschaftlich
wäre die Adoption erwünscht gewesen.
Die „Negerbrut“ – so lautetet ein Schimpfwort – sollte bis in die 50er-Jahre hinein
in ihre „Heimatländer“ geschickt werden.
Als Heimat galt das Herkunftsland des
Vaters. Das führte etwa in Deutschland
dazu, dass christlich getaufte Kinder von
marokkanischen Franzosen nach Nordafrika zu muslimischen Familien oder in
die Départements d’outre-mer, die Überseegebiete wie Guadeloupe und Réunion,
verschifft wurden. „In Österreich gab es
einige Zeit vor allem für Halbwaisen und
Waisen einen Vermittlungsschwarzmarkt.
Das war möglich, weil adoptionswillige
Amerikaner nicht persönlich kommen
mussten“, stellt Philipp Rohrbach fest. Für
viele schwarze Kinder begannen die
Schwierigkeiten erst richtig, als sie in die
Schule kamen. Sie waren oft schüchtern,
weil sie zurückgezogen aufgewachsen waren. Verzweifelte Tarnung war das Gebot
der Stunde, wenn die Hautfarbe „glücklicherweise“ nicht ganz so dunkel war.
Mütter und Großmütter versuchten dann
etwa mit Glätteisen die verräterischen Locken in den Haaren zu entfernen. „Man
darf nicht vergessen, dass nationalsozialistisches Gedankengut und Rassendenken in der Gesellschaft in den 50er-Jahren
noch verbreitet war. Es gab fortschrittliche und liebevolle Lehrer, aber auch solche, die von der braunen Ideologie nicht
abrückten“, sagt Philipp Rohrbach.
Während in Deutschland zu dieser Zeit
bereits erste von Politik, Wohlfahrtseinrichtungen und Medien getragene Diskussionen in Gang kamen, die die Aufnahme
der Kinder als gleichwertige Mitglieder
der Gesellschaft zum Ziel hatten, ist solches für Österreich kaum festzustellen:
„In Österreich war erstens die Anzahl vor
allem der schwarzen Kinder dafür zu gering. Deutschland hatte zudem als Täternation schlechte Karten. Die Kinder wurden also dort eine Projektionsfläche für
erfolgreiche Demokratisierung und den
neuen guten Umgang mit Minderheiten.
Österreich fühlte sich als Opfer des Natio-
nalsozialismus. Es gab demnach keinen
Grund, sich mit Folgen auseinanderzusetzen“, erklärt Philipp Rohrbach. Für die
Besatzungskinder – vor allem jene mit
dunkler Hautfarbe – hat das bis in die
heutige Zeit Folgen. Als Kinder lebten sie
vaterlos, weil die Soldaten versetzt wurden, nicht heiraten durften oder sich aus
dem Staub machten. Die Mädchen und
Buben waren jahrelang Anfeindungen
ausgesetzt, mussten miterleben, wie ihre
Mütter gedemütigt wurden, sie hörten
Lügen über ihre Familiengeschichte oder
standen vor einer persönlichen Mauer des
Schweigens, die für viele nie aufgebrochen ist. Als aus den Kindern Jugendliche
und Erwachsene wurden, gab es für sie in
diesem Land keine Öffentlichkeit. Sie waren mit ihren schweren Schicksalen verdrängt und vergessen. „Wenn wir mit ehemaligen Besatzungskindern reden, wundern sich heute viele immer noch, dass
sie nicht allein betroffen sind“, sagt Philipp Rohrbach. Das offizielle Schweigen
hat lang gehalten.
Für das Projekt „Lost in Administration“ werden Frauen und Männer gesucht, die zwischen
1946 und 1956 als Kinder von Österreicherinnen
und afroamerikanischen GIs geboren wurden,
ihre Geschichte erzählen oder Betroffene kennenlernen möchten. [email protected]
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Auf der Suche nach dem Schatten
Helmut Köglberger wurde als Besatzungskind geboren.
Der prominente Fußballer hat von dem Mann, der sein Vater ist, weder Namen noch Bild.
URSULA KASTLER
Helmut Köglberger
ist in Linz bekannt.
Kaum öffnet er die Tür
zum Café, strecken
sich ihm Hände entgegen: „Hallo, servas,
griaß di“, sagen die
jungen Fußballfans
und lachen. Er
schmunzelt. „Erfolge sind auch nur relativ“, wird er später tiefsinnig anmerken und ebensolche Einblicke
in sein ungewöhnliches Leben erlauben. In
eines, das viele Jahre lang schwierig war,
denn er trug das Besatzungskind im Gesicht
und die Vaterlast, den Vaterverlust auf den
Schultern. Mehr noch als zu jener Zeit, da
er in Österreich ein berühmter Fußballer
war, 236 Tore erzielte und im Oberhaus für
den LASK spielte, packt es ihn jetzt manchmal. Immer noch will er wissen, wer der
Mann war, dem er seine Geburt verdankt.
Bis jetzt ist alles im Dunklen geblieben.
Nächstes Jahr wird er 70. Schwierigkeiten
mit der Gesundheit haben ihm vergangenes
Jahr zu schaffen gemacht. „Ich bin es gewöhnt, dass es nicht so läuft, wie es sich
gehört“, sagt er und fügt milde hinzu: „Ich
nehme das alles an, das hat mir immer geholfen.“
habe aber nie einen Anhaltspunkt bekommen. Nie. Ich habe nicht einmal einen Vornamen. Bei meinen Nachforschungen stieß
ich bis zum Tode meiner Mutter 1988 auf
eine Mauer des Schweigens. Sie wollte es
entweder nicht sagen oder wusste nicht,
wer es war, weil es als Gewaltakt passierte.
Es muss aber knapp nach Kriegsende gewesen sein, weil ich im Jänner im Krankenhaus
Steyr zur Welt kam. Die Mutter hat mich in
den ersten Monaten weggegeben. Abgeschoben wahrscheinlich, ja abgeschoben.
Ich bin in der Verwandtschaft herumgereicht worden, bis mich die Oma zu sich
genommen hat. Sie war damals um die 50.
Bei ihr habe ich bis zum 18. Lebensjahr gewohnt. Die Mutter hat später geheiratet,
aber als ich ein Kind war, hat ihr Mann nur
mit mir geschimpft. Wenn mich die Oma
nicht genommen hätte, wäre ich in ein
Heim gekommen. Ich habe erst später erfahren, was das bedeutet hätte. Die Oma
war super. Das war mein Glück.
SN: Wie war es damals, wenn man
als Kind feststellte, dass man nicht
so aussah wie alle anderen im Dorf?
Schwierig. Im Nachhinein habe ich
aber verstanden, dass viele Leute durch den
Krieg, die Verluste und die Niederlage verkehrt gedacht haben. Sie waren die Verlierer, aber ich war das Kind eines Siegers. Die
Schwarzen hat man mit Afrika verglichen.
In den ersten Jahren hieß es, diese Kinder
gehören weg. Man wollte sie in Heime
schieben, nach Amerika oder Afrika verfrachten. Es war aber nicht immer schwierig
für mich. Mein Aussehen hat mir auch Vorteile gebracht. Das habe ich bald ausgespielt. Wenn ich zu den Amerikanern ging,
habe ich immer etwas bekommen. Man war
ja auf sich allein gestellt.
In der Schule habe ich Glück gehabt. Ich
hatte einen Lehrer, der auf die Schüler einging. Er hat mich und mein sportliches Talent gefördert. Damals habe ich auch gelernt, dass man Dinge zuerst erledigen
muss, dann gibt es Zuwendung und Fußballspielen. Ich habe gelernt, dass man etwas tun muss, um ein Ziel zu erreichen. Das
hat mich geprägt. Mein Talent für den Fußball hat sich bald gezeigt. Das hat mir geholfen. Außerdem war ich bald der Murli von
Österreich und damit etwas Besonderes.
SN: Herr Köglberger, stört es Sie
nicht manchmal, dass Sie immer
wieder über Ihre Kindheit und Jugend,
über Ihre Erfahrungen als schwarzes
Besatzungskind befragt werden?
Köglberger: Nein. Es ist mein Leben und
ich kann es nicht ausradieren. Vielleicht
kann ich damit jemandem helfen, dem es
auch so ergangen ist. Ich arbeite gern sozial.
SN: Wie sind Sie aufgewachsen?
Meine Mutter war Magd auf einem
Bauernhof in Sierning. Dort war eine Gruppe von schwarzen Amerikanern untergebracht, mit denen sie in Kontakt kam. Einer
davon muss mein Vater gewesen sein. Ich
Helmut Köglberger, der Stürmer, verschaffte
sich beim LASK
rasch mit Toren
Respekt. Hier
spielt er 1973 im
Austria-Dress.
BILDER: SN/SÜNDHOFER,
GEPA/ CHRISTIAN ORT
SN: Hat Sie das getroffen?
Nein, das hat mich nie gestört. Blöde
Bemerkungen habe ich ausgehalten. Die gab
es vor allem bei Auswärtsspielen. Da flogen
schon manchmal Bananen und beleidigende Zurufe. Aber das gibt es heute auch
noch. Heute werde ich nicht mehr angefeindet. Ich bin Jahrhundertspieler beim LASK.
Ich habe meinen Platz gefunden, ich habe
einen guten Namen.
SN: Was hat Sie gestärkt?
Mit 20 Jahren habe ich die Frau meines
Lebens kennengelernt. Wir bekamen drei
Söhne und sind immer noch zusammen.
Meine Frau hat in allem zu mir gehalten,
wir haben einander gut ergänzt. Das war
das Wichtigste. Dadurch hat mich die Vergangenheit nicht mehr so belastet. Ich lebe
in einer glücklichen Familie.
Eine meiner Überlebensstrategien war,
nicht nur auf mich selbst zu schauen. Wenn
man teilt, ist man willkommen. Ich habe so
von anderen auch immer etwas bekommen.
Ich bin mit meinem Leben zufrieden.
SN: Was macht Sie glücklich?
Glücklich macht mich die Freude der
Kinder in unserem Projekt in Nairobi, das
wir zusammen mit dem Land Oberösterreich und der Caritas aufgezogen haben.
Wir planen eine sichere Zukunft für die
Kinder und Familien in Korogocho, dem
zweitgrößten Slum in Kenias Hauptstadt.
Mittlerweile gibt es dort eine Schule für
1300 Kinder, eine Bäckerei mit Ausbildungsstellen und die Fußballakademie. Die jungen Talente, die sie besuchen, sind sehr
stolz darauf. Ich bin alle zwei Monate dort.
Als Nächstes wird es ein Gesundheitszentrum geben. Alles ist so organisiert, dass
Einheimische mitarbeiten und es in den
nächsten Jahren übernehmen können. Das
ist unser Ziel.
Wer sich für das Projekt „Hope for Future“
interessiert, findet unter www.hopeforfuture.at
weitere Informationen.