10. BVM Informationstagung „Aktuelles zum Versicherungsbetrug“

10. BVM Informationstagung
„Aktuelles zum Versicherungsbetrug“
25. August 2015
Prof. Dr. Pascal Grolimund
[email protected]
www.kellerhals.ch
„Versicherungsbetrug“
im strafrechtlichen Sinn (Art. 146 StGB)
arglistige Täuschung
Irrtum
Vermögensverschiebung
Vermögensschaden
Vorsatz
Bereicherungsabsicht
Freiheitsstrafe
bis 5 Jahre oder
Geldstrafe
„Versicherungsbetrug“
im privatrechtlichen Sinn (Art. 40 VVG)
arglistige Täuschung
Vorsatz
Vertragsrücktritt
(Irrtum)
Leistungsverweigerung
(Vermögensverschiebung)
Leistungsrückforderung
(Vermögensschaden)
privatrechtlich besonders geregelte Spezialtatbestände:
 Anzeigepflichtverletzung (Art. 4 ff.)
 Verletzung der Anzeigepflicht nach Eintritt des Versicherungsfalls (Art. 38 III)
 Überversicherung (Art. 51)
 Mehrfachversicherung (Art. 53 III)
 Veränderungsverbot (68 II)
Urteil 5C.245/2004 v. 11.3.2005 (131 III 314)
• Mehrere Policen bei einem VR (Sachversicherung,
Taggeldversicherung)
• Vorgetäuschter Einbruchdiebstahl und Brandstiftung
• VR stellt (auch) Taggelder ein / fordert Taggeld zurück
1) Rücktrittsrecht nach 40 VVG nur für den betroffenen Vertrag
2) Kündigung aus wichtigem Grund offen gelassen, weil Wirkung
nur pro futuro und Erwerbsunfähigkeit bereits zuvor
eingetreten.
Rücktritt / Kündigung per wann?
1
3
2
Vertragsabschluss
1. Täuschungshandlung
Entdecken der Täuschung
Urteil 5C.59/2006 v. 1.6.2006
• 10.11.1995 „Brandanschlag“ auf Geschäft der X AG
• 13.2.2001 Rücktritt vom VV
• 3.3.2003 Klage VP auf Ausrichtung der Versicherungsleistung
Widerklage VR über ~ 50‘000.–
Zahlung an Räumungsarbeiten
1) BGer lässt offen, ob Rückforderungsanspruch des VR nach
Bereicherungsrecht (67 OR) oder nach Vertragsrecht verjährt, da
Verjährung nach 46 VVG ebenfalls eingetreten.
2) Wann verjährt der Rückforderungsanspruch?
1 Jahr, 2 oder 10 Jahre?
Urteil 5P.204/2006 v. 12.12.2006
• Diebstahl Autoradio 1 im Mai 2000
• Diebstahl Autoradio 2 im November 2000
• Diebstahl Auto im April 2003
• Bei Abklärungen zum Autodiebstahl merkt VR, dass jedenfalls
Kaufpreis von Autoradio 2 zu hoch beziffert wurde
1) Der VR darf die Leistung für den Diebstahl des Autos verweigern
und die Leistungen für das Autoradio 2 (?) zurückfordern
Urteil 4A_17/2011 v. 14.3.2011
Falsche Angaben zum Kaufpreis des
gestohlenen Fahrzeugs, zur
Kilometerzahl sowie zu Unfällen
berechtigen zum Vorgehen nach Art.
40 VVG
Urteil 6B_125/2012 v. 28.6.2012
• 10.10.2007 Verkehrsunfall
• 100%ige Arbeitsunfähigkeit
• tatsächlich in beschränktem Rahmen in eigenem Architekturbüro tätig
• laut VP absolut notwendige Organisations- und Kontrolltätigkeit, damit Betrieb nicht
zusammenbricht
• laut VP für VR erkennbar (aus Telefongespräch insbesondere)
1)
Laut BGer keine arglistige Täuschung erstellt, insbesondere weil tatsächlich eine
gesundheitliche Beeinträchtigung bestand und VP keine Täuschung über die
Symptome vorgeworfen werden könne (nur Verschweigen der effektiven Tätigkeit)
2)
Sodann hat VP in Telefonaten mit VR seine Tätigkeit durchblicken lassen
3)
Dies hätte VR zu Nachfragen veranlassen müssen (Opfermitverantwortung)
4)
Gutheissung der Beschwerde
5)
Da Inhalt der Telefongespräche von Strafbehörden nicht weiter abgeklärt,
Rückweisung des Sachverhalts zur weiteren Abklärung
6)
Ist eine falsche Schadenanzeige bereits eine arglistige Täuschung? Muss der
Versicherer Nachforschungen anstellen?
Urteil 6B_447/2012 v. 28.2.2013
• Inszenierter Einbruchdiebstahl am 13./14.3.2010
• Es sei Material/Werkzeug im Wert von ca. 128‘500.– entwendet worden
• Kaufbelege und Materiallisten (gefälscht), aber mit zahlreichen Unstimmigkeiten
• Kleiner Einmannbetrieb
• VR mit spezialisierter Betrugsabteilung
1)
Grundsatz:
Falsche Schadenanzeige = Arglist
gefälschte Urkunde = Arglist
Vertrauen des VR = keine Opfermitverantwortung
2)
Aber:
je grösser der Betrug = Nachfragen/Nachforschung
(Opfermitverantwortung)
je dilettantischer das Vorgehen = keine Arglist
insbesondere: spezialisierte Betrugsabteilung erhöht
Opfermitverantwortung
ZH Ober v. 7.6.2013
• 2003 Versicherung von 4 Bildern gg. Diebstahl; je Bild über 50‘000.–
• Mai 2005 VP lässt Bilder schätzen, je 15‘000.–
• November 2005 Diebstahl der Bilder, in Schadenanzeige wird Wert der
Bilder mit 200‘000.– angegeben
• 4 Jahre Streit über den Wert der Bilder, schwierige Beweislage (z.B.
Offerte Künstler über 160‘000.-)
• Dann reicht VP Schatzung ein, um wenigstens 60‘000.– zu erhalten
(3.9.2009)
• Rücktritt VR am 26.10.2009
1)
VR ist zum Vertragsrücktritt nach Art. 40 VVG berechtigt
2)
Unterdrücken einer Tatsache, um die eigene Verhandlungsposition zu
verbessern, soll ausreichen
3)
Auf den effektiven Wert des Bildes soll es nicht ankommen
4)
Offenlegungspflicht auch ohne konkrete Nachfrage nach Art. 39 I VVG
5)
Keine analoge Anwendung von Art. 6 VVG auf Art. 40 VVG
(Rücktrittsfrist)
Urteil 4A_288/2013 v. 8.10.2013
• VP sagt in der Schadenanzeige, er sei ausserhalb der Strasse in eine
Mauer gefahren
• Tatsächlich Unfall auf Fahrt mit Porsche auf Rennstrecke ohne
Zeitmessung zu Privatzwecken
• AVB schliessen Deckung bei Training auf Rennstrecken aus
1) Kein Training auf Rennstrecken, weil kein Zusammenhang mit
einem Rennen
2) Kein Fall von Art. 40 VVG, weil Täuschung über einen irrelevanten
Sachverhalt
Urteil 6B_750/2012 v. 12.11.2013 (140 IV 11)
• Seit Unfall 3.6.1996 eingeschränkte Arbeitsfähigkeit
• Teilnahme 2005 an verschiedenen Autorennen, polizeiliche
Observation 6.7.2005 (diverse Arbeitstätigkeiten)
• Tatsächlich hat sich Gesundheitszustand der VP verbessert und
gleichwohl wurden einfach Leistungen weiterbezogen
1) Blosses Schweigen ist keine arglistige Täuschung, insbesondere
begründen Mitwirkungspflichten in AVB und Gesetz keine
Garantenstellung
2) VR hätte gelegentlich über allfällige Veränderungen des
Gesundheitszustandes nachfragen müssen
Urteil 4A_382/2014 v. 3.3.2015
• 16.10.2007 Verkehrsunfall
• 100%ige Arbeitsunfähigkeit
• Tatsächlich in beschränktem Rahmen in eigenem Architekturbüro tätig
• Laut VP absolut notwendige Organisations- und Kontrolltätigkeit, damit Betrieb
nicht zusammenbricht
• Laut VP für VR erkennbar
1)
Strafrechtliche Beurteilung bei Art. 40 VVG nicht zu beachten
2)
Täuschung bejaht, da Ärzten gegenüber immer volle Arbeitsunfähigkeit
deklariert
3)
VR ist nicht verpflichtet, allfälligen Widersprüchen nachzugehen. Keine
analoge Anwendung von Art. 8 III VVG
4)
VP müsse sich ein grob unsorgfältiges Verhalten vorwerfen lassen, dass er VR
nicht korrekt informiert habe
5)
Weil VP Geschäftsführerin der VN war, kann nicht nur die Leistung verweigert
werden, sondern auch vom Vertrag zurückgetreten werden
6)
Die Observationskosten des VR in Höhe von 10‘000.– sind von der VP zu
ersetzen
Urteil 4A_491/2014 v. 30.3.2015
• VP gibt auf der „Meldung der Arbeitsunfähigkeit Kollektiv-Taggeld“
Lohn von ~ 7‘800.— an
• Ausbezahlter Lohn der VP betrug tatsächlich 4‘800.—
1) Kein Fall von Art. 40 VVG, da die AVB auf den Lohnanspruch und
nicht auf den tatsächlich ausbezahlten Lohn abstellten
2) Offenbar hat VP nie verheimlicht, nur 4‘800.– bezogen zu haben
3) VP konnte aber Anspruch über 7‘800.– nicht nachweisen, damit ist
von 4‘800.— auszugehen
„die 3 Eskalationsstufen“
arglistige
Täuschung
Nachweis des
Eintritts des
Versicherungsfalls
durch VP
i.c. 4‘800.– nicht
7‘800.–
=
Leistung über
4‘800.–
Nachweis des
Versicherungsbetrugs durch VR
i.c. VR kann
nachweisen, dass
VP vorsätzlich
falsche Angaben
über Lohnanspruch gemacht hat
(7‘800.– statt
4‘800.–)
= Wegfall der
Leistung
= 0.—
=
Versicherungsbetrug nach
Art. 146 StGB
+
Freiheitstrafe/
Geldstrafe
Urteil 4A_680/2014 v. 29.4.2015
• VP nach Kündigung ab 25.2.2011 voll arbeitsunfähig
• Ab 16.11.2011 Miete einer 4.5 Zimmer Wohnung mit Zweck „Führung
Kosmetikstudio“
• Ab 10.8.2012 Registrierung einer Lehrtochter
• VR stellt per 25.10.2012 Leistungen ein und fordert ausgerichtete
Leistungen zurück
1) Kein Fall von Art. 40 VVG, VP hätte tatsächlich einer neuen
Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, blosses Verschweigen von
Vorbereitungshandlungen sei irrelevant, da kein Einfluss auf die
Leistungspflicht des VR (AVB)
Urteil 4A_119/2015 v. 3.6.2015
• VN gibt Kaufpreis Fahrzeug mit EUR 50‘000.— statt CHF 38‘500.— an
1) Relevante Täuschungshandlung, da AVB so auszulegen seien, dass
der tatsächliche Kaufpreis die maximale Verrichtungsleistung bildet,
wenn dieser tiefer liegt als der in den AVB pauschalisierte
Zeitwertzusatz
„ Erkenntnisse“ u.a.:
• 40 VVG oft in Verbindung mit Streit um die Auslegung der AVB
(Grund: nur relevante Täuschungshandlung)
• Blosses Schweigen des VP als Täuschung? Bzw. Pflicht des VP zur
unaufgeforderten Information?
• Nachfrage- und Nachforschungspflicht des VR?
• Pflicht zur Offenlegung nachteiliger Informationen, die aus Sicht der
VP falsch sind?