Bayerische Staatskanzlei Rede des Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, MdL, beim Festakt anlässlich der Verabschiedung des Präsidenten des ifo-Instituts, Prof. Dr. Dr. mult. Hans-Werner Sinn am 22. Januar 2016 in München Manuskriptfassung: Es gilt das gesprochene Wort. - Anrede Ein herzliches bayerisches „Grüß Gott“ im schönsten Festsaal nördlich der Alpen. Der Kaisersaal ist seit dem 17. Jahrhundert nur Veranstaltungen von höchstem zeremoniellen Rang vorbehalten. Thema des Bilderzyklus ist eine auf Vernunft und Tugend gegründete Herrschaft. Und damit wären wir schon bei dem, um den es heute geht. Empfang durch Staatsministerin Aigner, Festakt in der LMU mit Bundesminister Schäuble, Dr. Wacker und Prof. Berger als 1. Vorspeise, den Ministerpräsidenten als 2. Vorspeise, den Präsidenten der Leibniz-Gemeinschaft als Hauptspeise, die Wirtschaftsredaktion der SZ als Nachspeise. So feiert nur einer, der weiß, wie man die Politik abfrühstückt und die Medien gleich mit vernascht. Einer, der es uns nicht leicht gemacht hat – und sich selbst auch nicht. Einer, der nie den leichten Weg gegangen ist. Da feiert einer, der Großes für Wirtschaft und Wissenschaft geleistet hat. Da feiert einer, dem unser Land viel zu verdanken hat. Da feiert einer, dem ich als Bayerischer Ministerpräsident und ganz persönlich von Herzen „Vergelt´s Gott“ sagen möchte. Herr Präsident, lieber Herr Professor Sinn, Sie sind eine Marke. Sie sind eine Type. An Ihnen haben sich die StylingBerater die Zähne ausgebissen. Aber: Beim Barte des Propheten, diesen Ökonomen kennt jedes Kind. Leidenschaftlich in der Sache, messerscharf in der Analyse, immer der unbequemen Wahrheit verpflichtet – so habe ich Sie kennen und schätzen gelernt. Schuldenkrise, Eurokrise, Flüchtlingskrise – nichts liegt Hans-Werner Sinn ferner als eine falsch verstandene Political Correctness. Dieser eigene Weg außerhalb der medialen Meinungskohorte schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Sie haben es in Ihrer Abschiedsvorlesung gesagt und ich musste es in der Publikation anlässlich Ihrer Pensionierung lesen: Eigentlich seien Sie ein Linker gewesen. Bei den Falken waren Sie, SPD-Mitglied waren Sie – dann haben Sie die SPD verlassen, oder hat die SPD Sie verlassen? Damit gilt auch für Sie, werter Herr Professor Sinn, erstens die Liberalitas Bavarica, zweitens der Minderheitenschutz und drittens der Satz von Franz Josef Strauß: „Wer mit 20 nicht links ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch links ist, hat keinen Verstand.“ Wenn das Ihre Kritiker wüssten! Lieber Herr Professor Sinn, dank Ihres Verstandes haben Sie sich schon weit vor dem 40. Lebensjahr nach Studien des real-existierenden Sozialismus in Jugoslawien dem Pragmatismus zugewandt. Das große Herz, das kräftig für Deutschland, Europa und das Gemeinwohl schlägt, haben Sie sich dabei erhalten. Gottseidank! Sie sind ein Ordoliberaler im besten Sinne Ludwig Erhards und Walter Euckens. Solche würdigen und wortmächtigen Ludwig-Erhard-Preisträger brauchen wir, wenn wir uns weiterhin auf dem Boden der Sozialen Marktwirtschaft bewegen wollen. Das ist eine Frage der geistigen und ethischen Grundlagen unseres Landes. Danke für Ihre Klarsicht und Klarsprache. Sie waren nie ein schmalspuriger Neoliberaler. Sie waren nie einer von den Chicago-Boys. Ich übrigens auch nicht. Sie haben sich selbst einen „Kathedersozialisten“ genannt, der Sozialreformen gedanklich vorbereitet. Kardinal Marx lobt Sie als Wegbereiter einer chancengerechten Gesellschaft. Sie haben über ein Vierteljahrhundert hinweg die wirtschaftspolitische Diskussion in Deutschland geprägt. Wenn wir uns heute über die Stärke der deutschen Wirtschaft und die Rolle unseres Landes als Stabilitätsanker in Europa freuen dürfen, dann zeigt das doch: Es war mühsam, aber es hat sich gelohnt. Danke für Ihre Beharrlichkeit! Sie haben die Bayerische Staatsregierung bei zahlreichen Gelegenheiten gut beraten: kompetent, praxisnah, preiswert – niemals billig. Die meisten Kabinettsmitglieder träumen bis heute von Ihren Folien voller Power und Pointen. Ausgeträumt hat es sich dann in der Berliner Koalition – da geht es zu wie am Königlich Bayerischen Amtsgericht, da hat jeder ein bisschen Recht. Danke für Ihre Milde, auch wenn Sie selbst sagen: „Für Milde gibt es keinen Anlass.“ Sie haben in München eine Plattform für ökonomische Forschung und Debatten aufgebaut, die in Europa ihresgleichen sucht. Sie haben das ifoInstitut aus der Bezirksliga in die Champions League geführt. Nichts weniger ist der bayerische Anspruch. Erfüllen konnte ihn nur ein Pep Guardiola des Wissenschaftsbetriebs. Danke für Ihren Einsatz zum Wohle Bayerns! Völlig zu Recht tragen Sie den Bayerischen Maximiliansorden und die Staatsmedaille für besondere Verdienste um die bayerische Wirtschaft. Heute sind die Spitzen unseres Landes aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Medien zu Ihren Ehren versammelt. Heute geben sich die internationalen Spitzen Ihrer Zunft die Ehre in München. Viele fühlen sich Ihnen nicht nur fachlich, sondern auch freundschaftlich verbunden. Der heutige Tag bestätigt eine meiner persönlichen Grundüberzeugungen: Das Leben belohnt Leistung. Danke für alles, Hans-Werner Sinn! Meine Herren, insgeheim wissen wir doch: hinter jedem großen Mann steht eine noch größere Frau. Liebe Frau Sinn, ich habe nicht vergessen, längst aber verziehen, dass Sie mit der Wirtschaftspolitik der Regierung Kohl – der auch ich damals angehört habe – hart ins Gericht gegangen sind. Als Initiatorin und Ko-Autorin des Buches zur Wiedervereinigung unseres Vaterlandes „Kaltstart“ haben Sie uns die Leviten gelesen. Das war schon eine kalte Dusche mit hohem Erinnerungswert. Kalte Duschen regen den Kreislauf an. Damit hatten Sie Ihren Mann geschickt auf die Bestsellerlisten gesetzt, als Politikberater unentbehrlich gemacht, zu weiterer internationaler Anerkennung verholfen – und ihn zuhause los. Sie haben ihm – neben Ihrer eigenen Vorlesungstätigkeit – den Rücken frei gehalten, drei Kinder groß gezogen, waren eine kluge Ratgeberin. Nur dank Ihnen macht das heute Abend Sinn! Meinen Dank und Respekt für all das, was Sie möglich gemacht haben! Meine Damen und Herren! Der zugereiste Hans-Werner Sinn ist übrigens ein Musterbeispiel für gelungene Integration. Er achtet Recht und Ordnung, verdient seinen Lebensunterhalt, ist der deutschen Sprache mächtig und redet sogar mit den Einheimischen. Nur sein Verein ist noch immer Arminia Bielefeld. Wir drücken da ein Auge zu. Die Vereinsfarben Schwarz, Weiß und Blau sind grundsätzlich in Ordnung. Seit der Wiedervereinigung sind über 2 Millionen Menschen dem Westfalen Hans-Werner Sinn ins gelobte Bayern gefolgt. Das halten wir aus! Menschen aus ganz Deutschland und allen Teilen der Welt – damit ist Bayern das Land der gelingenden Integration. Wir wissen um die Bedeutung eines guten Miteinanders für eine erfolgreiche Zukunft. Bayern geht auch jetzt bei der Integration voran: Wir investieren 4,5 Mrd. Euro in zwei Jahren für diese Zukunftsaufgabe. Wir schaffen 5.500 neue Stellen, davon 1.800 Lehrer vor allem an Mittelschulen und Berufsschulen. Wir stellen 2,6 Milliarden Euro für einen großen Wohnungspakt zur Verfügung. Damit stärken wir den sozialen Wohnungsbau – auch für die einheimische Bevölkerung. Integration durch Arbeit, Bildung, Sprache – das ist der bayerische Weg. Ich sage auch: Eine grenzenlose und regellose Zuwanderung ist nicht im Interesse unseres Landes. Wir sind vierfach überfordert. Überfordert bei Sicherheit, Integration, Verwaltung, Finanzen. Deshalb kämpfe ich für eine Abkehr von der chaotischen Einladungspolitik und für eine Rückkehr zu Recht und Ordnung. Politik muss Seismograph der Lebenswirklichkeit sein. Nur so schaffen wir das. Unser Herz schlägt für die wirklich Schutzbedürftigen. Aber unser Herz schlägt auch für die hart arbeitenden Familien in Bayern. Eltern und Kinder bilden das Fundament unserer Gesellschaft – diese Wertvorstellung teile ich aus tiefstem Herzen mit Hans-Werner Sinn. Die kapitalgedeckte Zusatzrente, die längere Lebensarbeitszeit, die Mütterrente stehen heute im Gesetz. Gerade weil Generationengerechtigkeit eine Daueraufgabe bleibt, sollte man Ihrer Idee der Kinderrente näher treten. Schnüren wir dem Klapperstorch ein Anreizpaket, zu dem er nicht Nein sagen kann. Und weil Kinderlärm Zukunftsmusik ist, denke ich, damit ist Deutschland durchaus noch zu retten! Die Arbeiten von Professor Sinn zeigen eindringlich: Wir müssen uns wieder mehr auf unser Erfolgsmodell Soziale Marktwirtschaft besinnen. Die Grundlagen für den einzigartigen Aufstieg unseres Landes wurden durch Ludwig Erhard im Freistaat gelegt. Damit bleibt Bayern Gralshüter der Sozialen Marktwirtschaft. Damals wie heute gilt: Nicht eine Politik für Sozialuntertanen von Vater Staat, sondern Freiheit, Eigentum und Wettbewerb sind das Fundament für wirtschaftlichen Erfolg und soziale Sicherheit. Dazu gehört auch: Verantwortung und Haftung sind untrennbar. Nur dort wo Wohlstand auf Eigentum und Leistung gründet, ist gerechte Teilhabe möglich. Wir sagen: Wachstum auf Pump ist kein tragfähiges Wirtschaftsmodell. Auf Dauer sind nur die finanziell Soliden die wirtschaftlich Dynamischen. Der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahre ist „made in Germany“. Unsere Unternehmen, deutscher Erfindergeist, die soziale Mobilität, die berufliche Bildung – all das hat Vorbildcharakter. Gerade uns in Bayern geht es gut, weil so viele in Lohn und Brot stehen wie noch nie. Es geht uns gut, weil das gesellschaftliche Klima stimmt. Es geht uns so gut, dass Professor Sinn schon vor dem „Rausch des Erfolges“ warnt. Das hat nichts mit Kassandrarufen zu tun. Ich sage: Die größte Gefahr für den Erfolg der Zukunft liegt immer im Erfolg der Gegenwart. Jetzt gilt es, das Erreichte nicht zu verspielen! Verantwortliche Politik muss sich am Machbaren, nicht am Wünschbaren orientieren! Mit Blick auf Europa sage ich: Wir fordern von anderen Ländern nur das, was wir selbst geleistet haben. Das Grundprinzip christlicher Soziallehre im 21. Jahrhundert heißt: Aktivieren statt Alimentieren. Wir müssen die Ordnungsprinzipien Solidarität und Subsidiarität wieder in ein vernünftiges Verhältnis bringen. Hans-Werner Sinn hat stets vor der Entkoppelung von politischer Entscheidungsfreiheit und finanzieller Verantwortung gewarnt, wie sie durch die Vergemeinschaftung von Staatsschulden entsteht. Wir sagen: Gesunde Finanzen in Nord und Süd sind die Basis für ein partnerschaftliches Miteinander in Europa. Mit Blick auf die Innenpolitik sage ich: Der Staat muss seine Kernaufgaben verlässlich erfüllen. Wir brauchen einen starken Staat, der denen hilft, die sich nicht selber helfen können. Aber alles schaffen auch wir nicht. Eigenverantwortung, Leistungswille und Pioniergeist haben unser Land stark und sozial gemacht. Wirklich Neues schaffen nur mutige Menschen. Lust auf Entdecken, Spaß am Wettbewerb, die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, das auf eigener Leistung gründet – wer die Zukunft mitgestalten will, der braucht diese positive Einstellung. Welche Mentalitäten fördern wir? Wir brauchen mehr Kreativität, mehr Risikofreude, mehr Gründergeist. Meine Staatsregierung wird im nächsten Doppelhaushalt ein massives Programm auflegen und Programmierunterricht an die Schulen bringen. Praktiker und Existenzgründer sollen in der Schule Vorbild sein. Bits, Bytes, Bayern – das ist ein Dreiklang der Zukunft. Ganz im Sinne Ludwig Erhards bleiben Unternehmer, Manager, Wissenschaftler in Bayern Vorbild, nicht Feindbild. Kluge Köpfe und mutige Macher finden im Freistaat auch künftig eine Heimat. Das ist am Ende eine Kulturfrage, eine Wertefrage, eine Frage des gesellschaftlichen Klimas. Die beantworten wir in Bayern mit einem klaren „Ja“ zur Leistung, zur Neugierde, zur Schaffenskraft. Mit der Pensionierung von Professor Sinn ergeht meine Bitte an alle jungen Ökonomen, sich ordentlich ranzuhalten – da hat einer vorgelegt, da hat einer Maßstäbe gesetzt, da liegt die Latte hoch. Nach über 40 Jahren in der Politik kann ich Ihnen sagen: So einen Wachrüttler braucht es. Der hat diesem Land gut getan. Einen solchen Mahner braucht es gerade in den Zeiten, in denen man glaubt, man könne sich alles leisten! Als Politpraktiker verstehe ich Max Weber heute so: Verantwortungsethik ist schwer, Gesinnungsethik ist populär. Deshalb: Raus aus dem Elfenbeinturm, rein in den politischen Diskurs, rauf aufs öffentliche Spielfeld. Gebt der Verantwortungsethik eine Chance! München soll die starke Stimme der ökonomischen Vernunft bleiben! Herr Professor Fuest, und alle, die in LMU und ifo in den Startlöchern stehen, ich möchte niemandem drohen, niemanden unter Druck setzen, aber: ohne Ökonomen dieses Formats macht die Politik künftig vielleicht noch mehr Un.Sinn! Es gilt also, möglichst rasch, möglichst entschieden, große Fußstapfen zu füllen. Wir zählen auf euch, Bayern baut auf euch. Die Champions League bleibt der weiß-blaue Anspruch! Ich sage noch einmal Vergelt´s Gott und wünsche Professor Sinn ab März den verdienten Unruhestand, viel Zeit für die Enkel und all das, was bisher zu kurz gekommen ist. Und vielleicht hören wir doch wieder einmal von Ihnen. Dem neuen Präsidenten wünsche ich eine glückliche Hand und Gottes Segen! Glück auf und alles Gute!
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