Nummer 249 UNSER KINZIGTAL Das Leben ist eine Wildwasserbahn Psychologie | Christian Firus über das Wachsen an schlimmen Erfahrungen und den Weg zum Glück Schlimme Erfahrungen können das Leben unglücklich machen. Sie müssen es aber nicht. Der Arzt und Therapeut Christian Firus hat auf der Grundlage der Kriegserfahrungen seines Vaters ein Buch über das Wachsen an schwierigen Erlebnissen verfasst. Morgen kommt er damit nach Hausach. Hausach. Der Autor arbeitet in der psychosomatischen Rehaklinik Glotterbad. Vor dem Fenster seines Arbeitszimmers erstreckt sich ein herbstliches Schwarzwaldpanorama, der Morgennebel verzieht sich. Ein schöner Anblick. ist unmöglich, meine Kinder verhalten sich nicht so wie ich will... Es ist menschlich, das zu tun. Aber diese Dinge kann man nicht ändern, und deswegen ist mein Vorschlag immer, darauf zu blicken, was man verändern kann und worauf man selbst Einfluss hat. Dass man sich mal über andere aufregt, ist völlig in Ordnung, das darf man auch tun. Aber irgendwann muss ich sagen: Hat man Einfluss darauf, wie der Chef ist? Eigentlich nicht. Also ist der Focus darauf zu richten: Was kann ich denn für mich tun? Und das sind oftmals tatsächlich Kleinigkeiten, die darüber entscheiden. Und: Was sind denn eigentlich meine persönlichen Werte? Und gehe ich noch dafür? Herr Firus, Sie haben einen Ratgeber zum Thema Glück geschrieben. Warum? Das Buch soll Menschen Mut machen, mit Schwierigkeiten umzugehen und die Herausforderung des Lebens anzunehmen. Es geht nicht um diesen einfachen Begriff von »Happiness« im Sinne von Spaß haben, sondern es geht um Zufriedenheit. Um Glück in der Bewältigung von Krisen, und dass das möglich ist. Zum Beispiel? Junge Menschen wollen etwas, die haben Ideen und Perspektiven – und verlieren sie im Laufe des Lebens oft aus den Augen. Sie sagen, ich bin mal für etwas angetreten, das jetzt gar nicht mehr so richtig präsent ist. Wenn wir dauerhaft gegen unsere persönlichen Werte verstoßen, dann werden wir unglücklich, vielleicht sogar seelisch krank. Glück in der Krisenbewältigung? Meine vielen Patienten zeigen mir das seit Jahrzehnten. Auch die Forschung beweist, dass es so etwas wie Wachsen an schwierigen, ja sogar an traumatischen Erfahrungen gibt, dass es möglich ist, dass man danach sagt, jetzt habe ich sogar einen Zugewinn an Lebensfülle und damit auch an Glück. Sind die Erwartungen an sich selbst oft zu hoch? Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die abfärbt. Von allen wird viel verlangt. Die ganze Beschleunigungsdynamik, in der wir leben, dass es in ganz vielen Bereichen immer mehr sein muss, und dass wir in einem Wirtschaftssystem leben, das auf Steigerung beruht. Das erlebe ich auch bei Patienten, die mir sagen, die Arbeit hat sich wahnsinnig verdichtet in den letzten zehn, 15 Jahren, was vorher drei gemacht haben, mache ich jetzt alleine. Das hat natürlich Folgen. Gibt es da ein Rezept? Glück ist etwas Flüchtiges, Glück ist nichts, was man dauerhaft haben kann, sonst würde sich es gar nicht so anfühlen. Es gilt, verschiedene Zugangswege dazu zu beschreiten. Es sind immer wieder Momente, Erfahrungen, die einen glücklich machen, und von denen man auch zehren kann, und es ist gut, wenn man verschiedene Perspektiven und Wege kennt, weil oft auch einer verstellt ist und man deswegen froh ist, wenn man noch andere kennt. Wie ist das Buch entstanden? Ganz wesentlich an der Entstehung des Buches war die Im Gespräch mit Christian Firus Geschichte meines Vaters, der kriegstraumatisiert oder besser gesagt, eben nicht traumatisiert ist. Er war Flüchtling und hat in seinem Leben Schlimmstes erlebt. Trotzdem hat er keine schwere seelische Belastung davongetragen, sondern hat seine Erlebnisse auf eine sehr konstruktive und positive Weise bewältigt. Das hat mich sehr interessiert. Ich habe ihn gebeten, seine Geschichte aufzuschreiben und möchte parallel dazu aufzeigen, was wir heute über seelische Gesundheit und Zufriedenheit wissen. Den Himmel umarmen: Wenn Glück dauerhaft wäre, wäre es nicht spürbar. Manche Menschen bewältigen schlimme Erfahrungen erst einmal nicht oder nie – warum gelingt es nicht immer? Es sind immer persönliche Schicksale, und da gibt es auch keine pauschalen Antworten. Manches, was Menschen erleben mussten, ist so überwältigend schlimm, dass ich mir auch niemals anmaßen würde zu sagen, warum kriegst du das nicht hin? Bei meiner Arbeit als Therapeut bin ich wie ein Kellner, der Angebote macht, aber niemals vorher sagen kann, was einem schmeckt und hilft. Gibt es dennoch etwas, das man verallgemeinern kann? Beziehungen sind etwas ganz Wesentliches. Menschen, die einen halten, sind wichtig. Und wenn man selbst Aufgaben hat, die man für andere auch erledigt, dann erhält das auch gesund oder hilft, wieder gesund zu werden. Auch, wenn man sich spirituell oder religiös verbunden fühlt mit etwas, dann ist das etwas, was eindeutig mit mehr Stabilität und Gesundheit einhergeht. Nun ist das nicht jedermanns Sache. Nein, das kann man natürlich nicht verordnen, man kann nicht sagen, werd’ mal religiös, meditiere oder so etwas. Das muss jeder für sich entscheiden. Was die seelische Widerstandskraft letztlich stärkt, muss jeder selbst herausfinden. In Ihrem Buch machen Sie auch konkrete Vorschläge für Übungen. Haben Sie ein Beispiel für eine praktische Übung hin zu mehr Glück und Zufriedenheit? Eine ganz praktische und einfache Maßnahme ist es, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen. Sich mit dem Thema Dankbarkeit zu beschäftigen, das fällt oft erst mal nicht so leicht. Trotzdem kann genau das enorme Veränderungen mit sich bringen – wenn Menschen trotz ihrer Belastung auf das schauen, was gut und schön ist. Das verbessert die Lebenszufriedenheit stark. Kann man so etwas nicht auch als Zumutung empfinden? Nach dem Motto »Was habe ich in meiner schlimmen Situation denn schon für einen Grund, dankbar zu sein?« Erstmal ja. Genau deswegen darf man von niemandem verlangen, Schlimmes einfach zu vergessen. Dann würde man ihn nicht ernst nehmen. Dass man als Therapeut auch zustimmt und sagt, das war richtig schwer, traumatisch, kaum auszuhalten, und trotzdem haben Sie es geschafft zu überleben, allein das ist ja schon eine Frage wert: Mit welchen Fähigkeiten haben Sie so eine schwierige Situation überlebt? Das sind ja Fähigkeiten, die wir brauchen, sonst würden wir es nicht hinbekommen. Dennoch kann Dankbarkeit dem erlittenen Leid etwas entgegen setzen. Viele Menschen haben alles, was eigentlich glücklich und zufrieden machen könnte: Familie, stabile materielle Verhältnisse, äußere Sicherheit, Gesundheit. Aber sie fühlen sich nicht ausgefüllt. Wo kann man da ansetzen? Genau diesen Zustand erleben wir in der westlichen Welt nicht selten. Es gibt zu- Symbolfoto: Möller nehmend ein Sinnlosigkeitsgefühl, gerade in der Wohlstandsgesellschaft wird das durch Bespaßung noch überdeckt und dann passiert es gar nicht selten, dass sich die Menschen eingestehen: Eigentlich erfüllt mich das gar nicht. Genau das ist wichtig und gut, weil es Gelegenheit bietet, zu schauen, was ist es denn statt dessen? Was hilft gegen das Gefühl von Sinnlosigkeit? Wenn ich mich für etwas engagiere, wenn ich Dinge tue, die auch anderen Menschen dienen. Wenn ich mich in der Allgemeinheit, was aktuell ja ganz viele Menschen tun, irgendwie einbringe. Das geht dann mit ganz viel positivem Feedback für mich selbst einher. Aber wenn ich eine dauerhafte unterschwellige Unzufriedenheit spüre, dann ist es wichtig zu schauen, was ist denn da eigentlich los? Und was ist da los? Es kann sein, dass sich dahinter eine Depression verbirgt. Das ist gar nicht selten. In der westlichen Wohlstandswelt haben wir mehr Depressionen als Menschen in anderen Ecken der Welt. Und wir haben eine zunehmende Vereinzelung in unserer Gesellschaft, Familienstrukturen brechen auseinander. Dann gibt es zunehmenden selbst auferlegten Druck: Ich muss möglichst früh arbeiten, wie kriege ich Familie und Beruf zusammen? Was eigentlich positiv besetzt ist, die Familie, wird zur Belastung, und kann zu solchen Gefühlen führen. Viele suchen ja erst einmal nach Gründen außerhalb von sich selbst: Der Chef Was wollen Sie für Ihr Publikum? Mir geht es darum, den Blick auf das Kleine zu richten. Wo sind die Glücksmomente im Alltag, die unser Leben bereichern? Wie kann es gelingen, gut, zufrieden zu leben und mit den Hindernissen, die das Leben so mit sich bringt, so umzugehen, dass ich sie nicht als belastend erlebe, sondern als Herausforderung? Um in einer Metapher zu sprechen: Das Leben ist wie ein Fluss, von dem ich nicht genau weiß, was hinter der nächsten Biegung kommt. Es geht nicht darum, zu sagen, jetzt schippere ich da gar nicht mehr lang, denn da gibt es auch Stromschnellen. Denn ich bin auf dem Fluss unterwegs, und da gibt’s mal Hochwasser, da gibt’s mal Niedrigwasser. Und manchmal auch Wildwasser. n Die Fragen stellte Nicola Schwannauer. INFO Vortrag Christian Firus ist Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiatrie, Traumatherapie und systemische Therapie. Er ist Oberarzt in der Rehaklinik Glotterbad und Buchautor. uDer Autor spricht am morgigen Donnerstag, 29. Oktober, um 19 Uhr in der Mediathek in Hausach. Mittwoch, 28. Oktober 2015 Na so was Von Arwen Möller Erdumrundung In die Reihe der navigatorischen Irrtümer und Wirrungen schleicht sich ein Tolles auf dem Weg vom vorderen Kinzigtal nach Lahr ein. »Gell, nach Offenburg muss ich noch etwas weiter fahren«, lautete die Frage eines gerätehörigen Technikfreaks – fast als wäre dies die Antwort auf die jüngst an dieser Stelle erschienene Wo’s lang geht-Glosse. Geleitet von der sanften Stimme des Navis war der Orientierungslose an Offenburg vorbei und nach Lahr gefahren. Und dann soll’s noch weiter nach Offenburg gehen? Daher die Antwort: »Im Falle einer Erdumrundung – ja.« Oder einfach Augen auf, dann merkt man sich die Orte auf dem Weg. Und ganz altmodisch: den Blick in die Landkarte riskieren – das Gesuchte liegt so nah. Wer denkt, eine Karte sei im digitalen Zeitalter so leicht zu beschaffen, irrt ebenso. Weder Buchladen noch Tankstelle haben eine parat. n Wir gratulieren OBERWOLFACH Emma Fritsch, Burgfelsen 6, 78 Jahre. HAUSACH Zäzilia Schmalz, Auf der Gumm 2, 74 Jahre. HASLACH Vincenzo Marino, Wilhelm-Engelberg-Straße 8, 88 Jahre. RIPPOLDSAU-SCHAPBACH Lore Heilig, Wolftalstraße 6, 77 Jahre. HORNBERG Gislinde Mielke, Im Buchenbronn 1, 70 Jahre. n Im Notfall NOTRUFNUMMERN Notarzt, Feuerwehr: 112 Krankentransport: 0781/1 92 22 Polizei: 110 Gift-Notruf: 0761/1 92 40 Seelsorge: 0800/1 11 01 11 APOTHEKEN Mittleres Kinzigtal/Gutachtal jeweils ab 8.30 Uhr: BärenApotheke Hornberg, Am Kirchplatz 6; Stadt-Apotheke Zell, Nordracher Straße 2. ÄRZTE Offenburg. Notfallpraxis am Ortenau-Klinikum, Ebertplatz 12. Erwachsene: Öffnungszeiten: Montag, Dienstag, Donnerstag 19 bis 22 Uhr; Mittwoch, Freitag 16 bis 22 Uhr. – Kinder: Montag bis Freitag 19 bis 22 Uhr (ohne Anmeldung). Bundesweiter ärztlicher Bereitschaftsdienst: 116 117. Fahrdienst (ärztliche Hausbesuche): 01805/19 29 24 60. n Impressum ABO- UND ANZEIGENSERVICE (Gebührenfrei anrufen): Mo.-Fr. 7.00-19.00, Sa. 8.00-12.00 Uhr Telefon: 08 00-780 780 1 Fax: 0 74 23/78-328 E-Mail: [email protected] GESCHÄFTSSTELLEN Haslach, Hauptstraße 41 Telefon 0 78 32/97 52-0 Öffnungszeiten: Mo.-Fr. 8.30-12.30 Uhr Wolfach, Hauptstraße 47 Telefon 0 78 34/83 75-0 Öffnungszeiten: Mo.–Fr. 8.30-12.30 Uhr
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