Vorausschauende Versorgungsplanung bei gebrechlichen älteren Menschen – Ergebnisse aus Fokusgruppendiskussionen mit Pflegenden, Hausärzten und medizinischen Fachangestellten Saskia Jünger, Karin Geiger, Katharina Klindtworth, Gabriele Müller-Mundt, Jutta Bleidorn, Nils Schneider Institut für Allgemeinmedizin, Medizinische Hochschule Hannover Hintergrund Fragestellung Die Versorgung gebrechlicher älterer Menschen an ihrem Lebensende ist von verschiedenen Herausforderungen geprägt. Welche Faktoren spielen in der Versorgung gebrechlicher älterer Menschen an ihrem Lebensende aus der Sicht von Pflegenden, Hausärzten und medizinischen Fachangestellten (MFAs) eine Rolle für die erfolgreiche Umsetzung einer vorausschauenden Versorgungsplanung? Vorausschauende Versorgungsplanung wird als Schlüssel für eine gut koordinierte Versorgung gesehen, bei der die Bedürfnisse und Wünsche älterer Menschen angemessen berücksichtigt werden. Methode Kontext: Qualitative Längsschnittstudie zu Versorgungsangeboten für gebrechliche ältere Menschen am Lebensende (2012 – 2015) Drei monoprofessionelle Fokusgruppen mit Pflege-Expert/innen (n=11), Hausärzt/innen (n=5) und Medizinischen Fachangestellten (n=6) (Ende 2014) Diskussionsleitfaden auf Basis der Ergebnisse vorhergehender Teilprojekte; zentrale Themen: Ressourcenförderung Kooperation und Vernetzung vorausschauende Versorgungsgestaltung letzte Lebensphase und Sterben zu Hause Datenauswertung mittels Kombination aus inhaltlich-strukturierender und formaler qualitativer Inhaltsanalyse mithilfe der Textanalyse-Software MAXQDA Kategorienbildung: Oberkategorien mittels deduktivem Kodieren auf Grundlage der Leitfragen; Unterkategorien induktiv am Material. Ergebnisse: kritische Faktoren und förderliche Bedingungen für eine vorausschauende Versorgungsplanung Kritische Faktoren: Förderliche Bedingungen: fachliche und rechtliche Unsicherheit strukturelle und prozessuale Aspekte der Versorgung (z.B. Verfügbarkeit einer Rufbereitschaft durch einen informierten Ansprechpartner) mangelnde Kenntnis und Vertrauen in die eigene Kompetenz, Krisensituationen am Lebensende adäquat zu handhaben professionelle Haltung als essenzielle Komponente für die Begleitung gebrechlicher älterer Menschen an ihrem Lebensende fehlende personelle Kapazitäten ein palliativer Ansatz mit einer proaktiven Koordination als hilfreiche Basis für die erfolgreiche Umsetzung einer vorausschauenden Versorgungsplanung Abb. 1 Kernkategorien aus Sicht der Pflegenden, MFAs und Hausärzt/innen Der „palliative Gedanke“ Persönlichkeit, Würde, Schein aufrecht erhalten Kritischer Faktor Entlass- und Überleitungs-management Kommunikation beteiligter Akteure (Nicht)Respektieren des Patientenwunsches Vorausschauende Versorgungsplanung Delegation ärztlicher Tätigkeiten Beteiligte Akteure im System Proaktives Begleiten und Koordinieren Wunsch versus. Realität Grenzen der Autonomie & der häuslichen Versorgung Spannungsfeld Selbständigkeit Grundlegende Voraussetzungen für ein Leben zu Hause Hemmende & fördernde Instrumente & Abläufe Grenzen professioneller Versorgung Übergang Mobilität - Immobilität Ressourcenerhalt: Hemmende & förderliche Faktoren Kritische Reflektion des Wunsches nach häuslicher Versorgung Nachbarschaft Kommunale Infrastrukturen („Kümmer-Büro“) Sorgekultur Gemeinschaft Zeit als Schlüssel fürsorglicher Begleitung Gesellschaftlicher Auftrag Rahmenbedingungen & Akteure einer sorgenden Kultur für ältere Menschen Gefahren und gesundheitliche Risiken Fokusgruppe MFAs Fokusgruppe Pflegende Fokusgruppe Hausärzt/innen Diskussion und praktische Implikationen Die Ergebnisse der Fokusgruppen unterstreichen: trotz breiterer öffentlicher Diskussion über Fragen am Lebensende besteht auch heute noch ein Spannungsfeld zwischen unterschiedlichen Versorgungs- und Handlungsparadigmen. Strukturen und Prozesse im Gesundheitssystem orientieren sich vorrangig an der Maxime, Leben durch (potenziell) kurative Behandlung zu retten oder zumindest zu verlängern; andererseits gibt es eine wachsende Sensibilisierung für den Anspruch, den Bedürfnissen und dem individuellen Wunsch gebrechlicher älterer Menschen Rechnung zu tragen. Die Exploration des Patientenwunsches sowie Respekt vor der Würde des gebrechlichen älteren Menschen in der konkreten Situation ist ein vielschichtiges Geschehen: zur Verbesserung der Versorgungspraxis müssen unterschiedliche Faktoren auf bio-psycho-sozialer Ebene adressiert werden. Relevanz haltungsbezogener Aspekte: Modelle der Verhaltensänderung, z.B. im Sinne der Theorie des geplanten Handelns oder des Transtheoretischen Modells („Stages of Change“) bieten nützliche theoretische Ansätze für Interventionen auf Akteurs-Ebene. Ein palliativer Versorgungsansatz wird als zielführende Grundlage für eine proaktive und koordinierte Versorgung gesehen, die dem Wunsch der Menschen an ihrem Lebensende Rechnung trägt. Danksagung: Wir danken allen Teilnehmenden der Fokusgruppen für ihren Beitrag zu dieser Studie. Förderung: Bundesministerium für Bildung und Forschung (FK 01GY1120), Laufzeit: 02/2012 bis 03/2015 Ethikvotum: Ethikkommission der Medizinischen Hochschule Hannover (AZ 1398-2012) MHH, Institut für Allgemeinmedizin OE 5440 Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover [email protected] www.mh-hannover.de
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