Kantatengottesdienst am 2. Weihnachtsfeiertag (26.12.2015) um 9

Kantatengottesdienst am 2. Weihnachtsfeiertag (26.12.2015) um 9:30
Uhr in der Stadtkirche St. Rochus in Zirndorf
Georg Philipp Telemann gilt als einer der produktivsten Komponisten der Musikgeschichte. Sein
Werkverzeichnis umfasst etwa 3600 Kompositionen, hinzu kommen viele verschollene Werke
aus seiner Frühzeit. Die 200 von Johann Sebastian Bach komponierten Kirchenkantaten erscheinen schon unfassbar hoch. Gänzlich unbegreiflich präsentiert sich dagegen die Anzahl der Kantatenkompositionen des sechs Jahre jüngeren Telemann, von dem etwa 1750 Kantaten überliefert sind, also fast die Hälfte seines kompletten kompositorischen Schaffens. Allerdings verbietet
sich ein Vergleich auf rein numerischer Basis.
Telemanns Weihnachtskantate "In dulci jubilo" ist vermutlich 1719 erstmals aufgeführt worden.
Ihr Text stammt von dem Theologen Erdmann Neumeister, der auch einige Libretti für Bachs
Kantaten lieferte. Der Textdichter wirkte damals als Hauptpastor an der berühmten St.-JacobiKirche in Hamburg und Telemann als Musikdirektor in Frankfurt. Vermutlich auf Empfehlung
Neumeisters erhielt Telemann etwa zwei Jahre nach der Uraufführung der Weihnachtskantate die
Stelle als Musikdirektor in Hamburg und gleichzeitig als Kantor an St. Jacobi. Bereits ein Jahr davor – noch vor seiner Zeit als Thomaskantor in Leipzig – hatte sich Johann Sebastian Bach an St.
Jacobi mit der berühmten Arp-Schnitger-Orgel um das Organistenamt beworben. Mit seinem Orgelspiel überzeugte er zwar den Kirchenrat, ihn als Favoriten zu benennen. Trotzdem wurde ihm
die Stelle verwehrt. Grund war die damals an St. Jacobi praktizierte Usance, dass der neue Stelleninhaber zum Amtsantritt einen hohen Geldbetrag zugunsten der Kirchenkasse entrichten
musste. Da Bach dazu nicht willens oder fähig war, musste er auf St. Jacobi und St. Jacobi auf
ihn verzichten. Das war Anlass genug, dass Pastor Neumeister in seiner Weihnachtspredigt gegen die fast mafiösen Machenschaften seines eigenen Kirchenrats mit den Worten wetterte: "Ich
glaube ganz gewiß, wenn auch einer von den bethlehmitischen Engeln vom Himmel käme, der
göttlich spielte, hätte aber kein Geld, so möchte er nur wieder davon fliegen."
Den ursprünglichen Text von Erdmann Neumeister ergänzte Telemann noch mit einer Strophe
des Luther-Liedes "Gelobet seist du, Jesu Christ" sowie mit Auszügen aus dem alten lateinischdeutschen Gedicht "In dulci jubilo". Mit dem Text dieses traditionellen Gedichts und der dazugehörenden bekannten Kirchenliedmelodie wird die Kantate eingeleitet. Den festlichen Anlass der
Kantate unterstreicht der Komponist, indem er diesem Satz – wie auch den folgenden chorischen
Sätzen sowie der Bass-Arie – zu der üblichen instrumentalen Besetzung noch zwei Hörner hinzufügt. Die strahlende Helle des Eingangschores deutet schon auf die Kernaussage des biblischen
Geschehens hin: durch die Menschwerdung Christ ist uns das Licht gegeben worden. Nach einem Tenor-Rezitativ wird im folgenden Choral dieser Gedanke durch die vierte Strophe des Martin-Luther-Lieds wieder aufgegriffen und verstärkt: "Das ew'ge Licht geht da herein, gibt der Welt
ein'n neuen Schein, es leucht't wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht. Kyrieleis."
Die folgende Bass-Arie führt den Zuhörer textlich ("O heilige Nacht") wie musikalisch (mit den tiefen Streichern) zunächst in das Dunkle und Geheimnisvolle, bevor die Seele wie in einem Kontrast dazu mit rauschenden 32-tel Läufen zusammen mit den Engeln wieder zu den lichten Höhen
des Himmels empor zu fliegen scheint - bei den Worten "Du hast uns den Himmel auf Erden gebracht".
Ein Alt-Rezitativ leitet dann zu einer Tenor-Arie über, in der Lob und Dank über die der Menschheit geschenkten weihnachtlichen Gnade zum Ausdruck kommen. Auch diese Arie ist ein Meisterwerk telemannscher Arienkunst mit ihrem wiegenden Rhythmus im pastoralen Stil und wiederholten Echo-Effekten.
Den Abschluss der Kantate bildet der Chorsatz "Ehre sei Gott in der Höhe" mit einem sehr dynamischen und frohlockenden Lobgesang der Engel zu Ehren Gottes. Darin melden sich aber auch
wieder die Solisten zu Wort und Ton. Dieser musikalische Freudenausbruch kontrastiert mit einer
leisen und Ruhe ausströmenden Sequenz im mittleren Teil dieses Satzes zu den Worten "Friede,
Friede auf Erden". Der anschließende letzte Teil beginnt mit einem kurzen schnellen Fugeneinwurf, der in ein jubilierendes "Alleluja" mündet und damit einen krönenden Abschluss findet. Der
gesamte Aufbau dieses Satzes erinnert deutlich an den gleichnamigen Satz aus Bachs Weihnachtsoratorium, das 15 Jahre später komponiert wurde als die Weihnachtskantate von Telemann. Ob Bach dieses Werk von Telemann kannte? Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
Immerhin waren sie zumindest befreundet und zudem war Telemann der Taufpate des Berühmtesten der Bach-Söhne, nämlich von Carl Philipp Emanuel Bach.