Freitag, 02.12.2016 SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs

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Freitag, 02.12.2016
SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs: Vorgestellt von Dagmar Munck
Beseelt, natürlich, unkompliziert
MOZART ARIEN
REGULA MÜHLEMANN
Kammerorchester Basel
Umberto Benedetti Michelangeli
SONY CLASSICAL 88985337582
Genial lautmalerisch
LE THÉÂTRE MUSICAL DE TELEMANN
ENSEMBLE MASQUES
OLIVIER FORTIN
ALPHA CLASSICS 256
Differenziert und klangsinnig
GEORG PHILIPP TELEMANN
GIOVANNI ANTONINI
IL GIARDINO ARMONICO
ALPHA CLASSICS 245
Lupenreine Intonation
Carlo Gesualdo
O dolce mio Tesoro
Sesto libro di madrigali, 1611
Collegium Vocale Gent
Philipp Herreweghe
Phi LPH024
Intensität und Klangzauber
Friedman | Rózycki
Piano Quintets
Jonathan Plowright
Szymanowski Quartet
hyperíon CDA 68124
Feinfühlig
The Romantic Piano Concerto 69
Hill
Piano Concerto in A major
Piano Sonata in A major
Boyle
Piano Concerto in D minor
Piers Lane
ADELAIDE SYMPHONY ORCHESTRA
Johannes Fritzsch
hyperíon CDA 68135
Signet „SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs“ … dazu begrüßt Sie Dagmar Munck. Im Angebot
sind heute zwei CDs mit Musik des nächstjährigen Jubilars Telemann, eine des diesjährigen
Gesualdo und zwei ohne Jubiläen und ohne Bekanntheitsgrad der Komponisten mit Werken des
beginnenden 20. Jahrhunderts: Klavierquintette zweier polnischer Komponisten und
Klavierkonzerte zweier Komponisten aus Australien.
Zu Beginn darf es erst einmal jubilieren, so wie Mozart sich das vorgestellt hat. Oder fast! Es ist die
falsche Jahreszeit. „Schon lacht der holde Frühling“ heißt die Arie, die sich Mozarts Schwägerin,
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die Starsängerin Josepha Hofer, als brillante Einlage von ihm gewünscht hat. Sie konnte sie dann
doch nicht unterbringen, so dass Mozart die Arie bei Seite legte, für seine Begriffe fertig, zumindest
mit den wichtigsten Stimmen, dem Bass, der Gesangsstimme und den meisten Stellen der ersten
Geigen.
Die junge Schweizer Sopranistin Regula Mühlemann eröffnet mit dieser Arie ihre Debüt-Solo-CD.
So klingt für mich Lebensfreude, so klingt pures Glück. Die Töne leuchten, die Koloraturen perlen
mühelos.
Wolfgang Amadeus Mozart: „Schon lacht der holde Frühling“
8:05
Singen kann nicht schwer sein! – Meint man, wenn man Regula Mühlemann lauscht, so beseelt,
natürlich, unkompliziert und frisch. Sie gestaltet die Arie „Schon lacht der holde Frühling“ zu einer
kleinen dramatischen Szene, arkadische Frühlingsgefühle neben zartem, nachdenklichem
Innehalten, wenn die Sehnsucht nach dem Liebsten sie trübt. In dieser Mozart-Arie entfaltet
Regula Mühlemann ihr Spektrum. Sie kann ihre jugendlich strahlende Stimme sprühen lassen und
sich in lyrischen Phrasen mit fließendem Legato zärtlich und bescheiden einfühlen. Eine
wunderbare Mozartstimme, von der man gerne mehr hört, was wir hier auch noch tun: So seufzt
die Turteltaube fern vom Geliebten in Mozarts „Finta giardiniera“.
Wolfgang Amadeus Mozart: „Finta giardiniera“, „Geme la tortorella“
4:30
„Geme la tortorella“ aus „La Finta giardiniera“. Regula Mühlemann hat sich aus dem großen
Mozart-Reich bis auf eine Blondchen-Arie eher unbekannte Arien für Ihre erlesene Solo-Debüt-CD
ausgesucht und Mozarts strahlendes „Exsultate, jubilate“ angefügt. Das Basler Kammerorchester
unter Umberto Benedetti Michelangeli trägt sie mit farbiger und feinfühliger Begleitung auf
Orchesterhänden. Eine CD von SONY CLASSICAL.
Nächstes Jahr jährt sich Georg Philipp Telemanns Todestag zum 250. Jahr. Anlass, sich dem oft
noch als Vielschreiber in die zweite Reihe degradierten Komponisten zuzuwenden. Das hat er
wirklich verdient, und die Musiker wissen darum und lieben ihn. Telemann war der gefragteste
Mann seiner Zeit. Er hatte die Klangästhetik der italienischen und der französischen Musiker
gleichermaßen inhaliert und in eleganter Weise zu dem berühmten neuen, gemischten Stil
zusammengeführt. Gewürzt hat er das Ganze nicht nur mit deutschen Zutaten, sondern auch mit
Musik anderer Regionen und Länder. Das Ensemble Masques ist diesen Spuren nachgegangen
und hat seine neue CD „Le théâtre musical de Telemann“ benannt. Neben einer bunten Rundreise
von der Türkei über die Schweiz bis nach Moskau, in seiner Suite „Les Nations“, ist Telemann auf
dieser CD in Frankreich unterwegs, in Polen, dessen Volksmusik er besonders liebte, und in
Spanien, im Reich des Don Quichote. Wenn man in das Autograph schaut, sieht man gleich, was
für einen Spaß er dabei hatte, Literatur in Musik zu setzen. Auf dem Titelblatt hat er das O aus Don
Quixote mit einer grotesken Fratze verziert. Telemann ließ sich von den Abenteuern des Ritters mit
der traurigen Gestalt zu einer musikalischen Suite inspirieren: Er lässt uns den Kampf mit den
Windmühlen miterleben, die langen Liebesseufzer für seine Prinzessin Dulcinea, den holprigen
Galopp seiner Rosinante, neben dem der Esel des Knappen Sancho Pansas mit stolpert, und
schließlich die Nachtruhe des Don Quixote. Aber erst – psst – von Ferne Militärmusik. Sie weckt
den fahrenden Ritter sanft.
Georg Philipp Telemann: „Burlesque de Quixotte“, Suite
15:00
„Le couché de Quichote“ heißt dieser letzte Satz. Selbst im Traum verfolgen Don Quichote seine
Abenteuer. Wunderbar, wie das Ensemble Masques hier den Tambourin verebben und Don
Quixote immer tiefer in den Schlaf sinken lässt. Man meint, ein ganzes Orchester in dieser
Burlesque zu hören, es ist aber nur ein Streichquartett mit Kontrabass und Cembalo, mit dem Les
Masques hier Telemanns Musik zu einer zauberhaften Theateraufführung werden lässt, mit viel
Humor und genial lautmalerisch mit allen Schattierungen der Stimmungen und Kämpfe, die Don
Quichote auszufechten hat. Die CD „Le théatre musical de Telemann“ ist, wie auch die nächste,
beim Label ALPHA CLASSICS erschienen.
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Dieses Mal sind es Italiener, die uns vorführen, was für ein lebendiger, eloquenter und
einfallsreicher Komponist Telemann ist. Dabei ist der Interpret wirklich gefragt, denn der Notentext
ist überschaubar. Die Raffinessen kann man nur gestalten, wenn einem die italienische und
französische Musik mit ihren Eigenheiten in Rhythmus und Klangfarbe vertraut sind. Da kennt sich
Altmeister Giovanni Antonini aus. Wie er schon vor 30 Jahren mit seinem Ensemble Il giardino
armonico frischen Wind in die historische Szene gebracht hat, serviert er uns auch heute noch
einen differenziert und klangsinnig musiziertem Telemann und brilliert dabei selbst auf der
Blockflöte. Hier sind zwei Sätze aus der a-Moll-Suite für Blockflöte, Streicher und Basso continuo.
Georg Philipp Telemann: Suite a-Moll TWV 55:A2,
„Les Plaisirs“ und „Réjouissance“
5:30
Etwas weicher und eleganter ist der Klang von Il giardino armonico inzwischen geworden, er lebt
aber nach wie vor von seinem lebendigen Puls und seiner Sinnlichkeit. Giovanni Antonini ist
inzwischen auch auf die Chalumeau gekommen. Der Vorläufer der heutigen Klarinette wurde um
1720 in Deutschland populär, und Telemann, immer am Puls der Zeit, liebte es, den Klang der
Instrumente einzeln und in ungewöhnlichen Verbindungen auszuprobieren. Bei der Sonate für zwei
Chalumeaux, Violine und Basso continuo experimentiert Telemann auch mit der Form. In seiner
Ritornellstruktur ist der folgende Satz eher ein Konzert. Tindaro Capuano spielt hier die AltChalumeau, Giovanni Antonini das Tenorinstrument.
Georg Philipp Telemann: Sonata F-Dur TWV 43: F2, 1. Satz
8:40
Ein Ausflug in das Klanglabor Georg Philipp Telemanns: agil und sanft geben die beiden
Chalumeaux hier den Ton an und seufzen herzergreifend im Klezmer-Sound. – Telemann at his
best in dieser Aufnahme des französischen Labels ALPHA CLASSICS mit dem Ensemble Il
giardino armonico und seinem Chef Giovanni Antonini als Solist nicht nur auf der Blockflöte,
sondern auch auf dem Vorläufer der Klarinette.
Entsprechend dem Satz von Karl Valentin „Es ist schon alles gesagt, aber nicht von allen“, hat
Philipp Herreweghe mit seinem Collegium Vocale Gent jetzt auch eine CD mit Madrigalen von
Carlo Gesualdo herausgebracht. Gesualdo hat es den Interpreten, die gerne die Jubiläen zum
Anlass für neue Einspielungen nehmen, leicht gemacht in letzter Zeit: Wer vor drei Jahren seinen
400. Todestages verpasst hat, konnte die Chance dieses Jahr zu seinem 450. Geburtstag
wahrnehmen. Was dem Collegium Vocale Gent mit der neuen Aufnahme geglückt ist, hätte keines
Jahrestages bedurft. In dem sechsten und letzten Madrigalbuch treibt Gesualdo seine
harmonischen Exzesse auf die Spitze. Fast ausnahmslos geht es um bitter-süße Liebe, die nur im
Tod erreichbar ist. Die Musik folgt den emotionsgeladenen Texten, leuchtet die Worte einzeln aus,
folgt ihnen in die entferntesten Ecken. Das Collegium Vocale Gent, in lupenreiner Intonation,
überdehnt die harmonischen Spannungen noch durch Rubato, durch Innehalten und wieder
Vorangehen, durch starke Akzente und eine Dynamik, die vom Zarten ins Grelle geht. Und das
allem im äußersten Legato.
Carlo Gesualdo: „Beltà, poi che t'assenti“
3:05
Oft ist die Musik Gesualdos als Produkt eines Psychopathen interpretiert worden. Der brutale Mord
an seiner Frau, die Gesualdo in flagranti erwischt und mit ihrem Liebhaber zusammen
abgeschlachtet hat, gilt als Beweis dafür. Aber damals hätte Gesualdo die Schmach des
Gehörnten kaum ungerächt lassen können. Seine Musik entstand in einer Zeit, in der man für die
bildreiche Sprache der Dichtkunst einen adäquaten Ausdruck suchte. Gesualdo ist keine
Einzelerscheinung: Vicentino, Marenzio und Luzzaschi experimentierten mit Chromatik, und in
Ferrara fand er sich in einer der fortschrittlichsten Musikzentren Italiens. In seinem sechsten
Madrigalbuch arbeitet Gesualdo mit den größtmöglichen Kontrasten im Bereich der Dynamik, des
Tempos und auch der Form und einer sich ständig entwickelnden und verändernden Balance der
Stimmen. – Hier noch zwei weitere Kostproben der Klang gewordenen Todessehnsucht des
unglücklich Liebenden.
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Carlo Gesualdo: „Resta di darmi noiaMille volte il dì moro“,
„Deh come ivan sospiro”
6:05
Komponierte Todessehnsucht, schrecklich-schön und intensivst vom Collegium Vocale Gent
gesungen – die 23 Madrigale des sechsten Madrigalbuchs von Carlo Gesualdo haben sie unter
der Leitung von Philipp Herreweghe bei dessen Label Phi veröffentlicht.
Dagegen ist die nächste Musik – hier in „SWR2 Treffpunkt Klassik mit neuen CDs“ – pure
Unterhaltungsmusik: Es sind Klavierquintette von Ludómir Rózycki und Ignaz Friedman. Wenn Sie
beide Namen noch nie gehört haben, dann sind Sie in bester Gesellschaft. Die beiden wurden
1882 und 83 in Polen geboren und sind in der spätromantischen Tonsprache verhaftet geblieben,
haben also weder den Weg in die neuen Klangwelten ihres Landsmanns Szymanowski mit
vollzogen, noch die impressionistischen oder die der Neutöner des Schönberg-Kreises. Rózycki
hat sein Klavierquintett 1913 geschrieben, Friedmann seines 1918, zwei ganz besondere,
klangschöne und harmonisch dichte Stücke, die eine Vorliebe für Brahms erkennen lassen und am
ehesten an César Franck oder Zarebskis Klavierquintette erinnern, aber noch nicht einmal
Zarebskis wunderbares Stück ist hierzulande bekannt. Die Literatur für Klavierquintett ist
überschaubar. Jedes weitere Werk neben den bekannten von Brahms, Schumann, Dvořák, Fauré
und Elgar ist also eine Bereicherung. Das polnische Szymanowski Quartet hat sich gemeinsam mit
dem englischen Pianisten Jonathan Plowright mit viel Herz, Intensität und Klangzauber dieser
beiden Stücke angenommen, spannt weite dramatischen Bögen und lässt die Melodien aufblühen.
Hier ist der Epilog aus dem Klavierquintett von Ignaz Friedman.
Ignaz Friedman: Klavierquintett c-Moll, 3. Satz
7:35
Während das Klavierquintett von Rózycki vielleicht etwas geschwätzig und langatmig daher kommt,
spielt das von Ignaz Friedman originell mit Kaffeehausmusik, in diesem letzten Satz dann mit einer
osteuropäisch anmutenden Tanzweise, einem schmissigen zweiten Thema und Reminiszenzen an
die beiden vorausgegangenen Sätze.
Zwei durchaus überzeugende und hörenswerte Klavierquintette, die Jonathan Plowright und das
Szymanowski Quartet hier wiederentdeckt und für hyperíon aufgenommen haben. Ignaz Friedman
ist Ihnen vielleicht als Pianist ein Begriff. Er gehört zu den Stars seiner Zeit. Zahlreiche Aufnahmen
belegen sein wunderbares Klavierspiel. Als Komponist hat er sich verkniffen, den Klavierpart
virtuos auszulegen. Das Klavier ist als gleichwertiger Partner in das Streichquartett eingebettet.
Der Jude Friedman lebte lange Zeit in Berlin und floh 1939 nach Australien, wo er auch bis zu
seinem Tod 1948 blieb.
Dort dürfte er Alfred Hill begegnet sein, einem der meist geachteten Komponisten des
australischen Kontinents. Hill, 13 Jahre älter als Friedman, hat in Leipzig studiert und als Geiger im
Gewandhausorchester die Musik-Größen als Solisten oder am Dirigentenpult erlebt, von Brahms
über Tschaikowsky, Grieg, Busoni, Sarasate, Bruch und Clara Schumann bis zu Richard Strauss.
Und er hat ihre Musiksprache mit in die Heimat zurückgenommen. Ab 1911 lebte er wieder in
Sydney, war Solist, Dirigent, Professor für Komposition und ein äußerst produktiver Komponist.
Der in England lebende australische Pianist Piers Lane hat Hills Klaviersonate erstmals
aufgenommen und gemeinsam mit dem Adelaide Symphony Orchestra die Klavierkonzert-Fassung
dieser Sonate. Dafür hat Hill viele Passagen umgearbeitet und farbig instrumentiert, mit
solistischen Bläsern, die sich weite, schwelgerische Themen zuspielen, und samtigem
Streichersound wie im folgenden langsamen dritten Satz, einer „Hommage a Chopin“.
Alfred Hill: Klavierkonzert A-Dur, 3. und 4. Satz
13:20
Fern vom Krieg, der alle Werte ins Wanken gebracht hat, und fern von jedem Druck, modern sein
zu müssen: Alfred Hill mit diesem 1941 in Sydney geschriebenen Klavierkonzert, das aus seiner
um 1920 komponierten Klaviersonate hervorgegangen ist. Piers Lane und das Adelaide Symphony
Orchestra unter der Leitung von Johannes Fritzsch stellten hier die letzten beiden Sätze vor. Mit
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auf dieser CD ist als weitere Weltersteinspielung ein Klavierkonzert des australischen
Komponisten George Frederick Boyle, das Alfred Hill am Dirigentenpult 1913 in Sydney aus der
Taufe gehoben hat. Auch das ist ein einfallsreiches Konzert, in seinen Ideen mitunter vielleicht
etwas beliebig, dafür hochdramatisch. Es bewegt sich irgendwo zwischen Brahms, Rachmaninow,
Gershwin und Filmmusik. Die australische Musikwelt des beginnenden 20. Jahrhunderts in
feinfühliger und klangsinniger Interpretation ist zu entdecken auf dieser neuen CD des Labels
hyperíon, der inzwischen schon 69. Folge der Reihe „Das spätromantische Klavierkonzert“, die
immer noch mit interessanten und ganz neu zu erlebenden Klavierkonzerten von zumeist
unbekannten Komponisten aufwartet.
Das war „SWR2 Treffpunkt Klassik mit neuen CDs“, die Ihnen heute Dagmar Munck vorgestellt hat.
Hier geht es weiter mit SWR2 Aktuell mit Nachrichten und dem Kulturservice vorweg.