Wer in Zeeland essen geht, will vor allem eins: die Nordsee

NIEDERLÄNDISCHE KÜSTE
Meer auf
TEXT: PATRICIA BRÖHM
Wer in Zeeland essen geht, will vor allem eins: die Nordsee schmecken.
Also kocht man hier mit Meerwasser, sammelt Strandgemüse, ehrt vergessene
Fische und heimische Hummer – die haben jetzt im Frühjahr Saison!
dem Teller
Zeelands frische Schätze
J
eder Tag beginnt für Edwin Vinke am Wasser. Hier
am Strand, nur 500 Meter von seinem Restaurant „De
Kromme Watergang“ in dem kleinen Dorf Hoofdplaat
entfernt, ist ihm jeder Quadratmeter vertraut. Hier
verbrachte er seine Kindheit, sammelte als kleiner
Junge Muscheln und Strandgut. Noch heute geht er jeden Morgen
entlang der rauen Nordsee spazieren, schaut den Wellen zu, die
sich brechen und in einer Gischtwolke enden, und pflückt die kleinen grünen Strandgewächse, die seiner Küche ihren spezifisch zeeländischen Charakter verleihen. Im Restaurant breitet er die Beute
des Tages aus: verschiedene Sorten Seegemüse, darunter knackiger, salzig schmeckender Queller und die leicht bittere Strandaster.
In Zeeland nennt man sie meist lamsoor, weil sie wie das Ohr eines
Lamms geformt ist. „Wenn Gäste von weit her in unser Restaurant
kommen“, sagt Vinke, „dann wollen sie den Geschmack des Meeres auf dem Teller finden.“
Und zwar möglichst authentisch. Einige Jahre schon kocht Vinke deshalb mit Meerwasser: „Seitdem müssen wir in der Küche
nicht mehr salzen. Meerwasser ist sehr mineralhaltig, das Salz wird
ganz anders in die Speisen eingebunden.“ In seinem schwarz gestrichenen, puristisch eingerichteten Restaurant prägt die Nordsee
jedes Gericht, etwa einen Salat von grünem Spargel aus dem eigenen Garten mit hauchdünn geschnittenem und geräuchertem Oktopus, Nordseekrabben und Verbene oder schonend bei niedriger
Temperatur gegarten Kabeljau, den Vinke mit Frühlingsgemüse,
Queller und den für die Region typischen Seeschnecken kombiniert. Die erinnern mit ihrem festen Biss an Muscheln und bilden
einen schönen Kontrast zum butterzarten Fisch. Knackiger Granny
Smith steuert Frische bei, grünes Thaicurry pointierte Schärfe –
ohne vom Wesentlichen abzulenken.
Denn Zeeland, das bedeutet Wasser. Viel Wasser. Mal streift eine
sanfte Dünung den Strand, mal klatschen stürmische Wellen gegen
die Küste. Die weite, flache Polderlandschaft im Südwesten der
Niederlande besteht aus einer Reihe von Inseln und Halbinseln sowie einem Stück Festland an der Grenze zu Belgien. Die Region ist
Edwin Vinke (im Bild links) pflückt mit seinem
Souschef Hendrik Buysse morgens Strandgemüse
(rechts oben), das zum zeeländischen Charakter
der Küche im „De Kromme Watergang“ beiträgt.
Vinkes Gerichte wie Kabeljau mit Muscheln
und Bergamotte (linke Seite) huldigen der Vielfalt,
welche die Nordsee täglich hervorbringt
damit nicht nur für Radwanderer und Badegäste attraktiv, sondern
auch eine gut gefüllte Speisenkammer für erstklassige Produkte –
vorwiegend, klar, aus dem Meer.
Auf der Fischauktion in Colijnsplaat, am Fuße der Zeeland-Brücke, kann man sie jeden Vormittag bewundern: Austern, Herz-,
Stab- und Miesmuscheln, Strandschnecken, Seebarsch, Seezunge,
Aal und natürlich den berühmten Oosterschelde-Hummer. Die
Oosterschelde im Mündungsdelta von Rhein, Maas und Schelde ist
erst seit dem späten 19. Jahrhundert Heimat der begehrten Krebstiere; vermutlich spülte die Nordsee damals Larven in den Meeresarm. Heute gelten die Hummer als typisch zeeländische Delikatesse.
Die Fangsaison beginnt jedes Jahr am letzten Donnerstag im März
und endet am 15. Juli. In dieser Zeit kommen überall in Zeeland
tagesfrische Oosterschelde-Hummer auf den Tisch. Puristen essen
sie am liebsten bei Danny Nolet im kleinen „Nolet’s Vistro“ in
Yerseke, wo sie frisch gekocht serviert werden, nur mit etwas geräucherter Butter und blanchiertem Meeresgemüse.
eine größte kreative Veredelung hingegen erfährt der
Hummer im Nachbardorf Kruiningen, in Jannis Brevets
„Inter Scaldes“. Mit seiner Frau Claudia führt Brevet
inmitten eines gepflegten Gartens mit blühenden Rosen und gestutzten Buchsbaumhecken nicht nur ein Restaurant mit großer
Terrasse, sondern auch ein charmantes, kleines Hotel mit zehn
Zimmern und zwei Suiten. Die Gegend rund um die Halbinsel
Zuid-Beveland ist Brevets Heimat, hier wuchs er auf. Trotzdem ist
sein Stil weniger puristisch-maritim als der seiner ortsansässigen
Kollegen, hat er doch die Grundlagen der großen französischen
Küche in Deutschland gelernt: Drei Jahre bei Heinz Winkler im
„Tantris“, zwei Jahre bei Dieter Müller in den „Schweizer Stuben“,
auch Gastspiele in Eckart Witzigmanns „Aubergine“ und im Ettlinger „Erbprinz“ prägten seinen Weg.
Seinen Hummer kauft Brevet direkt beim Fischer. Den heimischen Edelkrebs hält er für besser als den bretonischen: „Das Wasser
der Oosterschelde ist besonders sauber und reich an Mineralien“,
sagt er, „dadurch schmeckt der Hummer ausgesprochen nussig und
jodig.“ Brevet serviert die Krustentiere als Ragout, angerichtet in
einer 20 Stunden bei 80 Grad gegarten Zwiebel auf Meersalz, begleitet von einer milden Zwiebel-Parmesan-Creme und aromatisiert mit Gewürznelken. Hin und wieder verschafft er Meeresgetier
auch überraschende Auftritte, richtet zum Beispiel OosterscheldeAal mit Apfelsirup und Verjus an oder mariniert Nordseekrabben
mit Zitronengras, schichtet sie mit hauchdünnen Avocadoscheiben
auf einer Radieschen-Rosette mit Vinaigrette zu einem Törtchen
und reichert das mit Rosenblüten und rotem Pfeffer an.
Aber das Verdienst, Zeelands Wasserwelt auf die kulinarische
Weltkarte gebracht zu haben, gebührt Sergio Herman. Mit seinem
S
Links, von oben: Frische
Meeresfrüchte, weite Strände.
Jannis und Claudia Brevet
servieren im „Inter Scaldes“
Oosterschelde-Hummer.
Rechts: Im „Pure C“ bringt
Syrco Bakker Jakobsmuschel,
Ibérico-Schinken, Steinpilze
und Artischocken zusammen
See und Land,
harmonisch vereint
Restaurant „Oud Sluis“ machte er über Jahre hinweg die 25 000Seelen-Gemeinde Sluis an der niederländisch-belgischen Grenze
zu einem Wallfahrtsort für Genießer – bis er Ende 2013 das Spitzenrestaurant auf dem Höhepunkt seines Erfolgs schloss. Kein anderes Gourmetlokal wurde bisher von allen wichtigen Gastro-Führern mit den höchsten Bewertungen ausgezeichnet, aber Herman
wollte neue Wege gehen, moderner, legerer werden und eröffnete
in Antwerpen „The Jane“. An der niederländischen Nordseeküste
schmeckt man seinen Einfluss dennoch weiterhin: Regelmäßig ist
er im Seebad Cadzand anzutreffen, wo er im „Strandhotel“ das
Restaurant „Pure C“ führt. Das Hotel auf den Dünen wird bis 2017
umgebaut, bleibt aber geöffnet.
Starkoch Sergio Herman
ist hier noch präsent
H
erman lässt es sich nicht nehmen, oft persönlich in seiner Filiale an der See zu sein, auch wenn er sich im
„Pure C“ auf seinen talentierten Statthalter Syrco Bakker verlassen kann. Der ist 30 Jahre alt, sieht aber mit den gegelten
Haaren, dem bubenhaften Gesicht und dem riesigen Tattoo am linken Ellenbogen deutlich jünger aus. Bakker kochte bereits mit Herman im „Oud Sluis“, schwört wie sein Vorbild auf die lokalen Zutaten. Auf Muscheln und Austern aus Yerseke etwa oder Fisch aus
dem Nachbarort Breskens, wo die Einheimischen noch mit kleinen
Booten hinausfahren und die „vergessenen Fische“ nach Hause
bringen. Petermännchen, Felsenmakrele und Seewolf stehen zu
Unrecht meist im Schatten der Edelfische und werden als Beifang
geschmäht – Bakker erhebt sie in den Rang seltener Delikatessen.
Den Seewolf hüllt er mit Gewürzen aus der Heimat seiner indonesischen Mutter in eine Sambal-Kruste, dazu serviert er die Adaption
eines balinesischen Salats mit viel Gemüse und leichter Erdnusssauce; eine exotische Aromenfülle, zu der Holunderblütenvinaigrette und die intensive Zitrusnote der Kaffirlimette zusätzlich
Frische und Leichtigkeit beitragen.
Im großen, ganz in Weiß gehaltenen Restaurant mit der breiten
Fensterfront zum Meer ist die Stimmung dank Loungemusik und
gut gelaunten jungen Kellnern fast mediterran. Die Abendsonne erleuchtet die Tische, Möwen kreisen über der Terrasse, am Horizont
zieht ein Schiff vorbei. Unter allen Delikatessen der Region passt
kaum eine besser als der Klassiker „t’Zwin“, eine Komposition aus
der gemeinsamen Küche von Sergio Herman und Syrco Bakker.
Das Gericht ist eine kulinarische Liebeserklärung an das nahe gelegene Naturschutzgebiet, in dem Herman als Kind mit seinem Vater
viel Zeit verbrachte. Strandgewächse, Seeschnecken, verschiedene
Muscheln, fast alle roh belassen und nur leicht mariniert, bilden ein
hochästhetisches Arrangement. Bakker tritt an den Tisch und gießt
einen Stabmuschelsud an, der langsam alle Bestandteile des Gerichts umspült und den Übergang von Ebbe zur Flut darstellen soll.
„Das ist Zeeland auf einem Teller“, sagt er. Wohl wahr.
r
Starkoch Sergio Herman (o.) schloss
sein „Oud Sluis“ und eröffnete das
„The Jane“ in Antwerpen (ganz oben).
Das „Pure C“ (ganz unten) bleibt
seine Filiale am Meer, dort gibt es
etwa Muscheln in zweierlei Suppen
A-Z Adressen, Karten und FEINSCHMECKER-Bewertungen fff ab Seite 120
ZEELAND
SEITE 42
fjhhh
Boogerdweg 1,
NL-4321 SN Kerkwerve,
Tel. 111 67 12 79, www.
deheerenkeet.nl, kein Ruhetag, Hauptgerichte € 17-43
kcbgt
4De Kromme
Watergang
Vorwahl: 0031
Info: www.vvvzeeland.nl/de/
Hotels
1Guesthouse
Ensenada
Sehr persönlich geführtes Bed
& Breakfast, idyllisch gelegen
an einem Wasserlauf mit alter
Windmühle. Gemütliche, großzügige Zimmer, stimmungsvolle Terrassen am Wasser.
fhhhh Lange Heerenstraat 71, NL-4507 KR Schoondijke, Tel. 117 42 00 75,
de.guesthouseensenada.eu,
5 Zi., DZ ab € 161
mvgt?
2Inter Scaldes
Manoir Restaurant
Stilvoller wohnt man nirgendwo in Zeeland: zwölf individuelle Zimmer und Suiten unterm Reetdach, Anfang 2015
komplett neu gestaltet. Schöner englischer Garten, bestes
Frühstück, Top-Restaurant von
Hausherr Jannis Brevet. Montag und Dienstag geschlossen!
ffffh Zandweg 2,
NL-4416 NA Kruiningen,
Tel. 113 38 17 53, www.inter
scaldes.eu, 12 Zi., DZ ab
€ 260, Hotel Mo, Di geschl.
amvbgt? z
ffffh
Restaurant Mo, Di
ganztägig, Sa mittag geschl.,
Hauptgerichte € 44-89 cw
Restaur ants
3De Heerenkeet
Sympathisches Lokal mit großer Terrasse direkt an der Oosterschelde, sehr gutes Angebot an Fisch und Meeresfrüchten. Eigener Fischladen.
Die Lage in den Poldern inspiriert auch die Küche: Gekocht
wird nur mit Meerwasser;
Fisch, Strandgemüse und
Meeresfrüchte spielen die
Hauptrolle. Sehr gute Weinkarte, vier Suiten.
fffjh Slijkplaat 6,
NL-4513 KK Hoofdplaat, Tel.
117 34 86 96, www.kromme
watergang.nl, Mo, Di geschl.,
Hauptgerichte € 62-75
admv
cgtüw
5Etablissement 1880
In einem historischen Haus
am Kirchplatz kocht Autodidaktin Mariëlla Jongman leichte,
moderne zeeländische Gerichte mit lokalen Produkten.
ffhhh Markt 27, NL-4503
AH Groede, Tel. 117 37 60 66,
www.etablissement1880.nl,
Di, Mi ganztägig, Sa mittag
geschl., Menü ab € 51
mvcbt
6Nolet’s Vistro
Unkompliziertes Bistro in
Sichtweite der Austernbänke,
sehr gute Qualität an tagesfrischen Meeresfrüchten.
fhhhh
Burgemeester Sinkelaan 6, NL-4401 AL Yerseke,
Tel. 113 57 21 01,
www.vistro.nl,
kein Ruhetag,
Hauptgerichte € 22-35
admvctg
7Pure C
Im „Strandhotel“ kocht Sergio
Hermans talentierter Schüler
Syrco Bakker. Coole LoungeAtmosphäre in den Dünen,
große Terrasse und hochästhetische Teller, inspiriert von den
Produkten des Meeres.
fffjh Boulevard de
Wielingen 49, NL- 4506 JK
Cadzand-Bad,
Tel. 117 39 21 10,
www.strandhotel.eu,
Mo, Di geschl., Menü ab € 79
mvcbgtüw