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Seelisch Kranke unter uns
Allgemeine Informationen – Reports – Kommentare
Prof. Dr. med. Volker Faust
Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit
DAS TRAUMA UND SEINE FOLGEN
Erkennen – Verstehen – Behandeln
Der Begriff „Trauma“ findet sich zusehends im täglichen Gespräch. In körperlicher Hinsicht schon länger, in seelischer mit psychosozialen Folgen erst seit
einiger Zeit, dafür in wachsendem Ausmaß. Um was handelt es sich, wenn von
einem psychischen Trauma die Rede ist? Vor allem: welches sind die häufigsten
Ursachen, die schwerwiegendsten Folgen, die schwierigsten Diagnosen, belastendsten Reaktionen und kompliziertesten Behandlungs-Fälle? Dazu eine kurz
gefasste Übersicht.
Das Leben des modernen Menschen ist voller Risiken und Gefahren. Die Folgen
sind u. a. Verwundungen, und zwar nicht nur körperliche, sondern auch seelische und psychosoziale. Dabei mag es uns noch halbwegs gut gehen, zumindest in der westlichen Welt. Was das andernorts für Folgen hat, kann man täglich
den Medien entnehmen. Und wie es unseren Vorfahren gegangen ist, je weiter
zurück, desto vermutlich umso schlimmer, mag man sich gar nicht ausmalen.
Den rein zahlenmäßigen Höhepunkt von Verwundungen jeglicher Art (s. o.) muss
man wohl in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts lokalisieren: zwei Weltkriege,
eine schwere Zeit dazwischen und eine nicht minderschwere Zeit danach, auch
wenn es dann allseits „aufwärts“ zu gehen pflegte.
So hätte man annehmen müssen, dass man schon früh nach entsprechenden
wissenschaftlichen Erkenntnissen zu forschen versuchte, um die Folgen etwas
zu mindern, vielleicht sogar die drohenden Ereignisse zu verhüten. Doch das war
kein Thema, zu keiner Zeit, in keinem Land, unter jeglichen Bedingungen. Entsprechende Schicksalsschläge wurden schicksals-ergeben hingenommen - bzw.
kurz und nüchtern ausgedrückt: man hatte keine andere Wahl.
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Das hat sich inzwischen geändert. Jetzt geht es uns deutlich besser, zumindest
in unseren früher so schwer heimgesuchten Regionen. Und man beginnt sich mit
Ursachen, Hintergründen, mit körperlichen, seelischen und psychosozialen Folgen, mit Erkennen, Behandeln und Verhüten entsprechender Traumata zu beschäftigen: wissenschaftlich, konkret gesellschaftlich einschließlich aller auch nur
annähernd betroffener Fachbereiche, vor allem aber medizinisch. Und hier nicht
nur beispielsweise chirurgisch, sondern auch psychologisch und psychiatrisch.
Nachfolgend deshalb eine kurz gefasste Übersicht zum Thema Trauma bzw.
traumatisiert, insbesondere was Erkennen und Behandeln anbelangt. Grundlage
ist der Fachartikel Traumafolgestörungen – Diagnostik und Behandlung von Frau
Dr. Julia Schellong von der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Dresden in der Fachzeitschrift tägliche Praxis 56
(2015) 337. Im Einzelnen:
Begriff
Der Begriff Trauma, kommt aus dem griechischen und heißt so viel wie Wunde.
Wer traumatisiert wurde, ist also verwundet worden.
Definition
- In körperlicher Hinsicht handelt es sich um eine wie auch immer geartete
äußere oder innere Verwundung bzw. allgemein gesprochen um eine gesundheitliche Beeinträchtigung bzw. Gefährdung.
- Unter einem psychischen Trauma versteht man inzwischen auch umgangssprachlich eine seelische Erschütterung, Verletzung bzw. ein äußerst belastendes Ereignis, das mit ernsthafter Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit,
wenn nicht gar tödlicher Bedrohung einhergeht. Die Psychologen und Psychiater
verstehen unter Trauma-Folgestörungen eine so genannte „Verarbeitungs-Störung des seelischen Schmerzes“.
Die zwei richtungs-weisenden Institutionen, nämlich die Internationale Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und
das Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen - DSM-5® der
Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) nehmen dazu wie folgt Stellung:
-
ICD-10: Als psychisch traumatisches Ereignis im klassifikatorischen Sinne gilt
ein kurz oder lang anhaltendes Ereignis bzw. Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß, das nahezu bei jedem
eine tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde.
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-
DSM-5®: Erst in der 5. Auflage dieses Standardwerkes wird das auslösende
Stress-Ereignis konkret angesprochen: drohender Tod, aktuelle oder drohende schwere Verletzung, aktuelle oder drohende sexuelle Gewalt, die direkt
selbst oder als Zeuge erlebt wird. Sogar die indirekte Exposition durch die
Mitteilung, dass ein naher Angehöriger oder enger Freund durch Gewalt oder
unerwartet ums Leben gekommen bzw. in Todesgefahr war, gilt inzwischen
als Auslöser. Im erweiterten Sinne gilt dies auch für wiederholte oder extreme
indirekte Exposition gegenüber solchen Belastungen, meist im Zusammenhang mit beruflichen Notwendigkeiten. Das betrifft dann beispielsweise Ersthelfer, Berufsgruppen die Leichenteile einsammeln oder wiederholt Dokumente zu sexuellem Missbrauch ansehen müssen. Nicht einbezogen ist hingegen das indirekte und nicht beruflich Ausgesetzt-Sein über elektronische
Medien, Fernsehen, Filme oder Bilder.
Häufigkeit
Die nicht selten zu hörende Kritik, dass früher überhaupt nicht und dafür heute
übertrieben von entsprechenden Risiken und ihren Folgen berichtet wird, lässt
sich durch die Statistik eingrenzen: Die genannten Auslöser (fachlich Stressoren
genannt) ziehen keineswegs immer eine seelische bzw. psychosoziale Folgestörung nach sich. Nur eine Minderheit der Überlebenden eines wie auch immer
gearteten Traumas ist von einer ernsteren Störung beeinträchtigt (s. u.).
Das kann sich allerdings ändern. Denn wenn jemand von einem besonders ausgeprägten traumatisierenden Erlebnis betroffen ist, dann steigt naturgemäß auch
die Gefahr einer entsprechenden Reaktion. Kurz: Schwere und Art des traumatischen Erlebnisses spielen also eine Rolle. Das gilt vor allem für die von Menschen zugefügte und insbesondere sexuelle Gewalteinwirkung.
● Was jedoch die statistisch fassbare Belastung in der Gesamt-Bevölkerung
anbelangt, so besteht eine entsprechende Gefahr für etwa 1 bis 9%, im Laufe
des Lebens an einer entsprechenden Folge-Störung leiden zu müssen. Konkret
nennt man das eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).
Art der Traumatisierung und ihre Folgen
Um noch einmal auf den Faktor „Schweregrad“ und „Art“ des traumatisierenden
Ereignisses und seinen Konsequenzen einzugehen, nachfolgend einige Daten
dazu, wie sie J. Schellong anführt:
So droht die erwähnte posttraumatische Belastungsstörung beispielsweise bei
Vergewaltigung in mehr als jedem 3. bis 2. Fall. Bei kriegerischen Auseinandersetzungen sind es zwischen jedem zehnten und vier von 10 Betroffenen. Bei Androhung von Waffen-Gewalt muss man in jedem 5. Fall damit rechnen. Körperliche Gewalt wird sehr unterschiedlich verarbeitet, wobei aber auch bis zu jedem
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10. Opfer mit entsprechenden Konsequenzen zu rechnen ist. Das Gleiche gilt für
Unfälle. Wer Zeuge von Unfällen oder Gewalttaten wurde, kann ebenfalls bis zu
jedem 10. Fall betroffen sein, bei Feuer und Naturkatastrophen sind es etwa die
Hälfte davon.
Und einige weitere Aspekte geben zum Nachdenken Anlasse: Nicht nur die erwähnte Belastung mit mehreren Traumata, auch ein jüngeres Alter kann mit verstärkten Beeinträchtigungen bezahlt werden (z. B. Vernachlässigung als Kind
oder Gewalt-Androhungen mit einer Waffe in jeweils rund jedem 5. Fall). Auch ist
das weibliche Geschlecht stärker betroffen. Selbst eine geringere intellektuelle
Ausgangslage bzw. Bildung scheint das Verarbeiten zu erschweren.
Biologische Aspekte
Nun könnte man meinen, dass eine seelische Traumatisierung ein mehr oder
weniger theoretisches Phänomen ist, gemessen an körperlich sichtbaren Einbußen. Hier musste man aber dazu lernen (was sich auch erst seit rund 30 Jahren
realisieren lässt). Im Einzelnen:
Das beginnt mit rein funktionellen Aspekten. Denn die Folgestörungen eines
Traumas (oder gar deren mehrere) werden ja vor allem von massiven Angstreaktionen geprägt. Und die sind psychophysiologisch verhaftet, d. h. biologische und
psychologische Aspekte treten hier gemeinsam und sogar noch verstärkt auf.
Oder kurz: Das Ereignis wird im Gehirn gespeichert, prägt eine so genannte
trauma-bedingte Gedächtnis-Struktur, die das Ereignis aus dem Kurzzeit- in das
Langzeit-Gedächtnis überführt und dort - gleichsam „überreagierend“ - auf entsprechend gefährlich eingeschätzte Situationen programmiert. Und dies nicht nur
geistig und seelisch, sondern auch vegetativ, d. h. körperlich mit entsprechenden
Folgen, die zwar psychosomatisch, aber gleichwohl belastend bis unerträglich
werden können.
Das bezieht sich übrigens nicht nur auf ein ggf. neues traumatisierendes Erlebnis, das darüber hinaus nicht einmal real sein muss, sondern lediglich „eingebildet“ bzw. auch nur befürchtet. Ebenfalls folgenreich ist die Entwicklung ungünstiger Gedankenmuster (Fachbegriff: dysfunktionale Kognitionen): Dabei genügt
bereits eine Situation, die der früheren bedrohlich ähneln könnte, und es entstehen (oder explodieren geradezu) entsprechende Erinnerungsbilder, Ängste, Erregungszustände und belastende körperliche Missempfindungen wie z. B. Schweißausbrüche, Herzrasen, Zittern, inneres Beben, Mundtrockenheit u. a.
Und nicht nur das: Die erwähnten Gedächtnis-Strukturen und Gedanken-Muster
führen bei solchen Trauma-Folgestörungen notgedrungen zu einem typischen
Vermeidungs-Verhalten und können sogar chronisch werden. Das lässt sich
pathophysiologisch beweisen und hängt mit dem menschlichen Stress-System
zusammen, wobei - in Fachwörtern ausgedrückt - mehrere Regel-Kreise (z. B.
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Hypothalamus, Hypophyse und Nebennierenrinde) und Stress-Hormone (Adrenalin, Noradrenalin, Kortisol) beteiligt sind, so Frau Dr. Julia Schellong.
Welche trauma-bedingten Krankheitsbilder gibt es?
Über so genannte trauma-spezifischen Krankheitsbilder erfährt man am meisten
in Kranken- und Kriegsberichten sowie nachfolgend in der entsprechenden wissenschaftlichen Fachliteratur. Das Problem einer möglichst genauen Darstellung
sind aber nicht nur die belastenden Erlebnisse, sondern auch die Schuld- und
Schamgefühle, die vor allem den weiteren Verlauf komplikationsreich gestalten
können. Ist es ein einmaliges Erlebnis, von dem man erwarten kann, dass es einen nicht nochmals überfällt, sind die Verarbeitungs-Bedingungen etwas besser.
Es gibt aber Opfer, die nicht nur schwerwiegenden, sondern auch längerfristigen
Belastungen ausgesetzt sind, z. B. körperliche und/oder gefühlsmäßige Vernachlässigung in der Kindheit (siehe oben: je früher, desto folgenreicher), ferner
Misshandlung oder sexueller Missbrauch, häusliche Gewalt, schließlich auch
Krieg oder gar Folter u. a. Das führt zu einer zusätzlichen Verunsicherung mit
Erweiterung des folgenreichen Leidens-Spektrums.
Nachfolgend eine kurz gefasste Übersicht zu möglichen Krankheits-Folgen nach
Extrembelastung. Weitere Symptom- und Krankheits-Schilderungen finden sich
in den entsprechenden Beiträgen dieser Serie. Im Einzelnen nach J. Schellong:
●
Akute Reaktion nach einer Traumatisierung
Akut heißt rasch, schnell verlaufend, heftig einsetzend, oft regelrecht überfallartig. Das führt zu einer Schock-Phase, die ein relativ charakteristisches Leidensbild auslöst. Dazu gehört eine Art Betäubungs-Gefühl, was nachvollziehbar
wäre. Hier aber im Wechsel mit überwachen Zuständen, ja blitzartig einschießenden Erinnerungen an frühere Belastungs-Ereignisse, entsprechenden GefühlsBeeinträchtigungen und vor allem vegetativen Reaktionen und so genannten
Körper-Sensationen (z. B. Blutdruck, Puls, Schweißausbrüche u. a.). Dazu eine
überstark ausgeprägte Erinnerung an naturgemäß Negatives von früher (Fachbegriff: Hypermnesie), und dies eigenartig abwechselnd mit Erinnerungslosigkeit
(Amnesie).
Auch zwischenmenschlich geht es extrem zu: Zum einen das Bedürfnis nach
Nähe, Zuwendung, Kontakt, ggf. hilfreicher Unterstützung, zum anderen eine befremdliche Art, auf Abstand zu gehen, Distanz zu fordern, obgleich jeder sieht,
dass hier ein ausgeprägter Wunsch nach Hilfe vorliegt.
Solche akuten Reaktionen können Stunden bis Tage andauern. Danach folgen
Zeiten erhöhter Verletzlichkeit und Erschöpfung. Außerdem Zustände, in denen
das belastende Ereignis plastisch wieder erlebt wird. So etwas nennt man fachlich eine Intrusion (lat.: intrusio = Einschließung, Eindrängen), ein so genanntes
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intrusives Wiedererleben, d. h. ungewollte wiederkehrende Erinnerungen an frühere, belastende Erlebnisse, kaum kontrollierbar, gleichsam in den normalen
Gedankenstrom eindringend, wenn nicht „einschießend“. Und dies nicht nur in
Träumen, sondern auch im Wachzustand, was besonders irritiert, weil man sich
ja dort einigermaßen seiner selbst sicher ist und für kontrolliert hält.
Ähnliches gilt für so genannte Flashbacks (engl.: flashback = Nachhall). Das sind
überwältigende Erinnerungen, aber jetzt als überfallartige Attacke mit Wiederkehr
der sich unkorrigierbar aufdrängenden alptraum-artigen Bildern, Erinnerungen
oder übermächtigen Sinneseindrücken, deshalb auch als Nachhall-Erinnerungen
bezeichnet.
Erträglicher wäre es, wenn man das tatsächlich nur als Erinnerung erleiden
müsste, bei Flashbacks geht es allerdings um regelrecht zeitnahe und genauso
intensiv wie früher erlebte Reaktionen, und das beliebig oft und mehr oder weniger unkalkulierbar.
Solche Zustände werden zwar immer weniger, können auch nach und nach
halbwegs befriedigend verarbeitet werden, bleiben aber als Bruchstücke traumatischen Erlebens weiterhin bedrohlich.
Die meisten Betroffenen können sich aber in den folgenden Monaten erholen,
sofern Sicherheit, Ruhe und Stress-Vermeidung garantiert sind. Auch hängt dies
natürlich von den Selbstheilungs-Kräften ab, die jemand zur Verfügung stehen
oder auch nicht (siehe Alter, Geschlecht, Vorbelastung u. a.).
●
Posttraumatische Belastungsstörung
Während eine Reaktion zeitlich begrenzt ist und eine akute allemal, ist eine Störung ein schon längerfristiges Phänomen. Und dies gilt auch für die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Einzelheiten dazu siehe die entsprechenden
Beiträge in dieser Serie.
Die PTBS ist durch folgende Haupt-Symptome charakterisiert:
-
Ständiges Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von unkontrollierten Gedanken und Bildern, aufdringlichen Nachhall-Erinnerungen und
Träumen (siehe die oben erwähnten Intrusionen und Flashbacks).
-
Entsprechendes Vermeidungs-Verhalten im Denken und Handeln. Das ist
zwar einerseits nachvollziehbar, hat aber andererseits eine erschwerende
Konsequenz: Gemeint ist die so genannte Generalisierung, d.h. Ausbreitung
auf Reize, die bisher keine Rolle spielten, vor allem nicht mit dem zugrunde
liegenden Trauma in Verbindung gebracht werden konnten.
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-
Sehr folgenreich, obgleich vom Umfeld nicht erklärbar, manchmal sogar nicht
einmal erkennbar, ist ein Betäubungs-Gefühl, d.h. die Unfähigkeit, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, emotional gleichsam zu erstarren, zu erkalten,
einzufrieren, wie es die Betroffenen beklagen.
-
Daneben irritiert, belastet oder quält eine unerklärbare ÜbererregungsNeigung (Fachbegriff: Hyperarousal). Das äußert sich in vermehrter Überwachheit, dabei aber mit Merk- und Konzentrationsstörungen, vor allem aber
Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen und einer Reihe psychovegetativer Symptome wie Zittern, Schwitzen, Herzrasen u. a. Auch aggressive
Verhaltensmuster sind zu beklagen, was die Betreffenden noch mehr in die
Isolation treibt (früher auch als reizbare Schwäche bezeichnet).
-
Das Leidensbild dauert Wochen bis Monate und kann sich sogar noch länger
hinziehen. Problematisch sind vor allem so genannte co-morbide Störungen,
d. h. wenn eine Krankheit zur anderen kommt bzw. wenn sich die eine aus
der anderen zusätzlich entwickelt. Dazu gehören vor allem Angst- und Essstörungen, Depressionen, Abhängigkeits-Erkrankungen (Alkohol zur Selbstbehandlung und unkontrollierter Medikamenten-Konsum) sowie somatoforme
Störungen (früher psychosomatisch genannt, d.h. seelisch ausgelöst, aber
ohne organisch fassbaren Befund).
In wissenschaftlicher und zunehmend klinischer Hinsicht werden die posttraumatischen Belastungsstörungen auch noch nach Art des Auftretens unterteilt. Beispiele ohne weitere Erklärung, da der Fachwelt überlassen, sind Typ-I-Trauma
(einmaliges Ereignis) oder Typ-II-Traumata (mehrfach und lang andauernde
traumatische Erlebnisse). Ferner ein weiteres Unterteilungsmuster der PTBS mit
dissoziativen Störungen, die nicht nur seelisch, körperlich und sozial, sondern
vor allem auch konkret zwischenmenschlich belasten. Dazu gehören Veränderungen in der Gefühlswelt, Bewusstseins-Abspaltungen, Selbstschädigungen bzw.
Selbstverletzungen, wenn nicht gar Suizidgedanken und -versuche.
So etwas kann auch mit zeitlicher Verzögerung auftreten, ohne dass man lange
Zeit einen direkten Zusammenhang mit dem auslösenden Ereignis festzustellen
vermag, das Monate, ja Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte zurückliegt. Solche
diagnostischen Erkenntnisse setzen allerdings sehr gezielte Explorationen, Untersuchungen und vor allem ein fundiertes Fachwissen der entsprechenden Experten voraus.
●
Anpassungsstörungen
Schließlich findet sich in diesem Zusammenhang noch das Leidensbild der Anpassungsstörung. Als Begriff nicht gerade glücklich gewählt, denn manche unterstellen hier einen gewissen Vorwurf, so als ob man sich nicht anpassen wolle,
wie das im Alltag gemeint ist.
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Der Unterschied zu den voran gegangenen Diagnosen ist aber konkret nachvollziehbar: Bei der Anpassungsstörung liegt zwar eine schwere Belastung vor, die
jedem durchaus einleuchtet, aber kein traumatisches Erlebnis im engeren Sinne.
Auch hier drohen aber Angst, depressive Verstimmungen, Besorgnis, das Gefühl
der Situation nicht gewachsen zu sein oder mit den auftretenden Problemen
nicht fertig zu werden, nichts mehr planen zu können, auf jeden Fall in der alltäglichen Routine behindert zu sein.
Als Ursache gelten schwere körperliche Erkrankungen, Trauerfälle, TrennungsErlebnisse, fortlaufende oder unlösbare Schwierigkeiten am Arbeitsplatz u. a.
Anpassungsstörungen können mehrere Monate, ja Jahre anhalten (wobei bei
2 Jahren eine diagnostische Grenze gezogen wird).
Wie kann man die Folgen eines Traumas diagnostizieren?
Das Wichtigste zum Erkennen und Verstehen einer solchen psychosozialen Belastungs-Situation und ihrer traumatischen Folgen ist das zwar gezielte, aber
verständnisvolle, mitfühlende Gespräch. Es gibt aber auch eine Vielzahl von so
genannten Selbstbeurteilungs-Skalen und strukturierten Interview-Methoden, die
das Leidensbild halbwegs objektivieren sollen.
Einzelheiten dazu - z. B. zur Posttraumatischen Stress-Skala PTSS-10 oder
Posttraumatischen Diagnose Skala PDS oder zur Impact of event Scale revised
IES-R oder zum Essener Traumainventar - ETI usw. - siehe die entsprechende
Fachliteratur.
Zur Behandlung von Trauma-Folgestörungen
Die Grundidee einer gezielten Therapie ist die Aufgabe, von einem (bisweilen
fast schon hilflosen) Opfer wieder zu einem handlungsfähigen, selbstbewussten
und innerseelisch stabilen Menschen zu werden. Oder wie es die Experten nennen: „Das einst überwältigende Trauma-Ereignis zum integrierten Teil der persönlichen Geschichte zu machen“. Aber auch die so genannte akute BelastungsReaktion hat erst einmal keinen Krankheitswert, sondern gilt als verständliche
Reaktion auf eine außergewöhnliche Erfahrung, die wohl die Mehrzahl der Betroffenen erst einmal zu destabilisieren vermag.
Wichtig und nützlich ist auch der Versuch, sich den seelischen und psychosozialen Folgen einer solchen Belastung bewusst zu werden, gleichsam eine konkrete
Lehre und Erziehung auf dieser Ebene, deshalb auch Psychoedukation genannt.
Oder kurz: Erkennen und Verstehen, wie derlei von praktisch jedem Organismus
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seelisch, körperlich, psychosomatisch und psychosozial verarbeitet wird, und
damit ein Schritt zur eigenen innerseelischen Befreiung und psychophysischen
Stabilisierung. Dabei versucht man auch die individuellen Fähigkeiten und Ressourcen zu erkennen und zu mobilisieren. Unter diesem inzwischen häufig zu
hörenden Fachbegriff der gesundheitlichen Ressourcen versteht man die Gesamtheit aller gesundheits-förderlichen bzw. schützenden, persönlichen, sozialen, körperlichen und seelischen Reserven, um entsprechende Belastungen zu
erleichtern und drohende Risikofaktoren abzumildern.
Dazu gibt es eine Reihe von psychotherapeutischen Techniken, die unter fachlicher Anleitung und mit individuellem Schwerpunkt nachweisbar hilfreich sind.
Beispiele in Fachbegriffen: Grounding, imaginative Techniken, schließlich intensive Expositionen in der Erinnerung, EMDR, kognitive Verhaltenstherapie usf.
Entscheidend ist der Versuch bzw. schließlich der therapeutisch geleitete Erfolg,
die traumatische Erinnerung nicht zu verdrängen und damit psychosomatische
Langzeit-Konsequenzen zu riskieren, sondern darüber zu reden, sich der Erinnerung wach zu stellen, das Erlebte zu akzeptieren und - falls situationsbedingt
notwendig - selbst Desillusionen, Verluste und ernstere, nicht reparable Folgen
zu akzeptieren, so Frau Dr. Schellong.
Wichtig ist vor allem, sich wieder in das alte soziale Gefüge einlassen zu können,
was hier als erschüttertes Grundvertrauen verloren gegangen ist. Fachlich helfen
hier konkret die Anleitungen der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) weiter.
Sind Medikamente nötig?
Je nach Belastungs-Intensität und vor allem individueller Verarbeitungs-Möglichkeit kann sich auch die Frage nach entsprechenden Medikamenten stellen. Das
aber sollte gerade hier kritisch und vor allem von fachärztlicher Seite beurteilt
werden.
Manche Medikamente drängen sich förmlich auf, sind aber mit Vorsicht zu beurteilen und schon gar nicht auf Dauer empfehlenswert. Das sind vor allem die
so genannten Benzodiazepine, also die Beruhigungsmittel. Sie haben zwar
durchaus ihre angstlösende, spannungsmildernde, schlafbahnende, erwünscht
dämpfende und distanzierende Wirkungen, die durchaus nicht in Frage gestellt
werden sollen. Ihr Haupt-Problem ist aber die Suchtgefährlichkeit, und das bei
relativ raschem Abhängigkeits-Risiko.
Außerdem können sie so genannte dissoziative Phänomene verstärken. Darunter versteht man verschiedene Störungen von Bewusstsein, Gedächtnis, eigener
Identität, Wahrnehmung der Umwelt, Kontrolle eigener Körperbewegungen u. a.
Einzelheiten dazu siehe die entsprechenden Beiträge in dieser Serie. Entschei-
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dend in diesem Zusammenhang ist jedenfalls die Erkenntnis: Benzodiazepine
empfehlen sich nicht in der Behandlung traumatischer Folgen. Das gleiche gilt für
die Opiate, was sich noch am ehesten von selber erklärt.
Aktuell bieten sich dagegen bestimmte depressions-mildernde Psychopharmaka
an, insbesondere Antidepressiva aus der Gruppe der so genannten SerotoninWiederaufnahmehemmer (SSRI), vom Facharzt angeordnet und vor allem im
Weiteren kontrolliert.
Sollten spannungs-lösende Arzneimittel notwendig werden, die auch den Schlaf
bahnen, empfehlen die Experten so genannte nieder-potente Neuroleptika, die
allerdings ihre eigenen Nebenwirkungen haben, die es dann auch zu beachten
gilt. Bei ausgeprägten dissoziativen Beschwerden diskutiert man auch bestimmte
antiepileptische Medikamente.
Was kann man als Laie tun?
Es sind nicht die medizinischen und psychologischen Fachkräfte, die als erste
Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Es ist das persönliche Umfeld, also Laien, die mehr oder weniger überraschend und ohne entsprechende Ausbildung
gefragt, ja gefordert sind. Ihnen kommt deshalb fürs erste eine wichtige Schlüsselrolle zu. Das kann sehr irritierend, mühsam, aufregend, ja für die Betreffenden
selber bis an die Grenze des Möglichen belastend werden.
Dabei ist der Beistand, den ein Nicht-Fachmann zu leisten vermag durchaus bedeutsam. Das Stichwort lautet: Begleiten ohne zu drängen. Einfach reden oder
gemeinsam schweigen lassen. Man darf davon ausgehen, dass die traumatisierten Opfer durchaus selber wissen, zumindest aber instinktiv spüren, was ihnen
im Augenblick am besten hilft.
Was nicht schaden kann, sind aber beruhigende und tröstende Worte, die durchaus auch eine eigene Ratlosigkeit durchschimmern lassen dürfen. Zeigt sich
doch damit, dass der Betreffende nicht „schwache Nerven“ hat, sondern das Ereignis jeden erst einmal entwurzeln kann. Deshalb gilt auch für die späteren Experten: Beruhigende und tröstende Worte sind hilfreicher als hoch spezialisierte
Kommentare, Fragen, Empfehlungen, Anordnungen u. a. Es geht vor allem darum, die Selbstheilungskräfte zu unterstützen, und die hat jeder, auch wenn sie je
nach Ausgangslage oder Belastbarkeit erst einmal geweckt werden müssen.
Später kommt es darauf an, was konkret Not tut, also z. B. ambulante „traumasensible Begleitung“ oder bestimmte Psychotherapie-Verfahren, wobei sowohl
Hausarzt als auch Facharzt und psychologische Experten gemeinsam an dem
gewünschten und vor allem notwendigen Endziel arbeiten: die akute Krise zu
meistern, eine möglicherweise verstärkte Verwundbarkeit für weitere Krisen und
Belastungen ähnlicher Art zu mildern, sich wieder voll und ganz in Partnerschaft,
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Familie, Gemeinschaft und Beruf integrieren zu können. Und vielleicht sogar stolz
darauf sein, ein so hartes Los bzw. schweres Trauma erfolgreich überwunden zu
haben.
Oft sind solche ehemaligen Opfer auch die verständnisvollsten Begleiter, wenn
es dann je einen anderen treffen sollte.
Weitere Informationen dazu siehe auch die Kapitel „Posttraumatische Belastungsstörung“ sowie „Anpassungsstörungen“ in den Sparten Psychiatrie heute
sowie Seelisch Kranke unter uns dieser Internet-Serie
http://www.volker-faust.de/psychiatrie
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