Nachwort Ugo Perone Endlichkeit Von Grenzen und Passionen 2015

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„damit das Warten eine Richtung hat und einen Namen“ –
zum Denken von Ugo Perone
Ein diskretes Verzögern gibt den Rhythmus seines Denkens vor und
seine philosophischen Reflexionen entfernen sich nie zu weit von den
Phänomenen, deren Spuren er folgt. Wendepunkte der
Philosophiegeschichte werden aufgerufen und erinnert und dienen als
Trittsteine einer feinen Dialektik, der sich der Leser und Hörer gerne
anvertraut. Auch das vermeintlich Selbstverständliche führt so einen
überraschenden Schritt weiter und wirft ein unerwartetes Licht auf die
Welt, bis ein Gedankengang abbricht, um an anderer Stelle neu und
reicher einzusetzen. Der Weg des Denkens führt an ein vorläufiges
Ende, der ein neuer Anfang wird, immer wieder gebunden und gelöst in
Sätzen lakonischer Schönheit.
Das Buch „Endlichkeit. Von Grenzen und Passionen“ ist reich an solchen
Sätzen. Um nur einen zu nennen: „Die Zärtlichkeit ist ein Staunen, das
sich in Zuneigung verwandelt.“ Es sind Sätze wie diese, in denen das
philosophische Denken von Ugo Perone seinen inneren Stil und seine
Haltung offenbart. Behutsam folgen seine philosophischen
Überlegungen den Wandlungen der Phänomene und die Texte heben
kaum einmal die Stimme im bei Luigi Pareyson geduldig geübten
Staunen über die verschiedenen Schichten möglicher Beschreibungen
und Interpretationen. Diese werden mit großer Sorgfalt ineinander
verwoben und offenbaren so ihre Würde und Schönheit. Aufeinander
reduzierbar sind die Interpretationen nicht, aber ihr Zueinander wird
getragen von einer Haltung verwundeter Distanz, von einem Warten und
einem Zurückhalten des Urteils. Der Hermeneutiker hat die Ontologie
nicht vergessen und nicht beiseite getan. Aus ihrem Verlust und ihrem
Vermissen ersteht ihm jene umsichtige Klarheit, die nicht blendet,
sondern möglichen Sinn und mögliche Wahrheit erschließt. „Die
Hermeneutik, diese Ontologie der modernen Zeit,“ – so Ugo Perone –
„beginnt mit der Distanz, hält die Angst zurück und sucht ein Wort –
einen Sinn –, das fähig wäre, Rechenschaft abzulegen einerseits von der
Zäsur, andererseits von dem Bedürfnis nach Einheit.“
Die Philosophie Ugo Perones ist ohne den Kampf mit dem Engel (Gen
32) und ohne die Kraft der Verwandlung (Ovid) nicht zu verstehen. Sie
ist eine Philosophie des endlichen Menschen, der vom Unendlichen
verwundet ist und nun auf der Suche ist nach einer Verwandlung, die
aussteht, nach einem Wohnen in der flüchtigen und vergänglichen Zeit in
möglicher Gegenwart. Für den vom Unendlichen Verwundeten haben
das Leben und Denken ihren Gleichschritt verloren. Das Hinken dieser
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Verwundung wird der vom Unendlichen Berührte nicht los und
gleichzeitig findet er nur hier seine Anmut und Würde. Zahllos sind die
Bilder verlorener Gleichzeitigkeit, des Stockens, des Retardierens und
Verzögerns bis zu jenen Punkt, an dem kurz vor dem Ende das
Verzögern zur Atempause wird, zu einem Moment des Atemholens und
euer unerwarteter Frische des Gedankens.
Dort wo Ugo Perone sich der Philosophie der Gefühle zuwendet, befreit
er sie von dem philosophischen Bann, nur Objekt zu sein und entdeckt in
ihnen, eine kostbare, seltene und reiche Quelle, die das Denken belebt
und erfrischt und ihren tiefen Abgründen nicht ausweicht. Begleitet von
Dietrich Bonhoeffer, Walter Benjamin, Simone Weil bedenkt er
Zärtlichkeit und Gedächtnis, das Begehren und den Wunsch, die
Aufmerksamkeit und den Widerstand, das Verzögern und die
Unterbrechung, der Tod und die Mystik. Sein klares – umsichtiges
Denken ist eine Schule des Wartens, das dem Phänomen Zeit gibt,
seine Wahrheit und seinen schwierigen Segen der Endlichkeit zu
offenbaren.
Das Denken von Ugo Perone ist ein Denken des endlichen Menschen,
der leben muss nach dem Anfang und vor dem Ende. Es ist ein Denken,
das behütet und schützt und aus dem Geist der Freundschaft, des
Respekts und der Großzügigkeit lebt.
„Ich denke“ – so schreibt Ugo Perone in einem „Lob der Philosophie“ –
„um allen zu ermöglichen, glücklich in jenem uns allen gemeinsamen Ort
zu wohnen, der so weit entfernt ist und doch so nah an der Freude. Ich
denke, um das Begehren wiederzufinden, ich denke, damit das Warten
eine Richtung hat und einen Namen – und damit es sie nicht nur für mich
hat.“
Joachim Hake/Elmar Salmann
Nachwort des Buches: Ugo Perone, Endlichkeit. Von Grenzen und Passionen, St. Ottilien 2015