1 „damit das Warten eine Richtung hat und einen Namen“ – zum Denken von Ugo Perone Ein diskretes Verzögern gibt den Rhythmus seines Denkens vor und seine philosophischen Reflexionen entfernen sich nie zu weit von den Phänomenen, deren Spuren er folgt. Wendepunkte der Philosophiegeschichte werden aufgerufen und erinnert und dienen als Trittsteine einer feinen Dialektik, der sich der Leser und Hörer gerne anvertraut. Auch das vermeintlich Selbstverständliche führt so einen überraschenden Schritt weiter und wirft ein unerwartetes Licht auf die Welt, bis ein Gedankengang abbricht, um an anderer Stelle neu und reicher einzusetzen. Der Weg des Denkens führt an ein vorläufiges Ende, der ein neuer Anfang wird, immer wieder gebunden und gelöst in Sätzen lakonischer Schönheit. Das Buch „Endlichkeit. Von Grenzen und Passionen“ ist reich an solchen Sätzen. Um nur einen zu nennen: „Die Zärtlichkeit ist ein Staunen, das sich in Zuneigung verwandelt.“ Es sind Sätze wie diese, in denen das philosophische Denken von Ugo Perone seinen inneren Stil und seine Haltung offenbart. Behutsam folgen seine philosophischen Überlegungen den Wandlungen der Phänomene und die Texte heben kaum einmal die Stimme im bei Luigi Pareyson geduldig geübten Staunen über die verschiedenen Schichten möglicher Beschreibungen und Interpretationen. Diese werden mit großer Sorgfalt ineinander verwoben und offenbaren so ihre Würde und Schönheit. Aufeinander reduzierbar sind die Interpretationen nicht, aber ihr Zueinander wird getragen von einer Haltung verwundeter Distanz, von einem Warten und einem Zurückhalten des Urteils. Der Hermeneutiker hat die Ontologie nicht vergessen und nicht beiseite getan. Aus ihrem Verlust und ihrem Vermissen ersteht ihm jene umsichtige Klarheit, die nicht blendet, sondern möglichen Sinn und mögliche Wahrheit erschließt. „Die Hermeneutik, diese Ontologie der modernen Zeit,“ – so Ugo Perone – „beginnt mit der Distanz, hält die Angst zurück und sucht ein Wort – einen Sinn –, das fähig wäre, Rechenschaft abzulegen einerseits von der Zäsur, andererseits von dem Bedürfnis nach Einheit.“ Die Philosophie Ugo Perones ist ohne den Kampf mit dem Engel (Gen 32) und ohne die Kraft der Verwandlung (Ovid) nicht zu verstehen. Sie ist eine Philosophie des endlichen Menschen, der vom Unendlichen verwundet ist und nun auf der Suche ist nach einer Verwandlung, die aussteht, nach einem Wohnen in der flüchtigen und vergänglichen Zeit in möglicher Gegenwart. Für den vom Unendlichen Verwundeten haben das Leben und Denken ihren Gleichschritt verloren. Das Hinken dieser 2 Verwundung wird der vom Unendlichen Berührte nicht los und gleichzeitig findet er nur hier seine Anmut und Würde. Zahllos sind die Bilder verlorener Gleichzeitigkeit, des Stockens, des Retardierens und Verzögerns bis zu jenen Punkt, an dem kurz vor dem Ende das Verzögern zur Atempause wird, zu einem Moment des Atemholens und euer unerwarteter Frische des Gedankens. Dort wo Ugo Perone sich der Philosophie der Gefühle zuwendet, befreit er sie von dem philosophischen Bann, nur Objekt zu sein und entdeckt in ihnen, eine kostbare, seltene und reiche Quelle, die das Denken belebt und erfrischt und ihren tiefen Abgründen nicht ausweicht. Begleitet von Dietrich Bonhoeffer, Walter Benjamin, Simone Weil bedenkt er Zärtlichkeit und Gedächtnis, das Begehren und den Wunsch, die Aufmerksamkeit und den Widerstand, das Verzögern und die Unterbrechung, der Tod und die Mystik. Sein klares – umsichtiges Denken ist eine Schule des Wartens, das dem Phänomen Zeit gibt, seine Wahrheit und seinen schwierigen Segen der Endlichkeit zu offenbaren. Das Denken von Ugo Perone ist ein Denken des endlichen Menschen, der leben muss nach dem Anfang und vor dem Ende. Es ist ein Denken, das behütet und schützt und aus dem Geist der Freundschaft, des Respekts und der Großzügigkeit lebt. „Ich denke“ – so schreibt Ugo Perone in einem „Lob der Philosophie“ – „um allen zu ermöglichen, glücklich in jenem uns allen gemeinsamen Ort zu wohnen, der so weit entfernt ist und doch so nah an der Freude. Ich denke, um das Begehren wiederzufinden, ich denke, damit das Warten eine Richtung hat und einen Namen – und damit es sie nicht nur für mich hat.“ Joachim Hake/Elmar Salmann Nachwort des Buches: Ugo Perone, Endlichkeit. Von Grenzen und Passionen, St. Ottilien 2015
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