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Interview mit Professor Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts
Frage: Herr Professor Rauschenbach, könnten Sie zunächst bitte die Aufgaben des Deutschen
Jugendinstituts umreißen?
Prof. Rauschenbach: Wenn man das Wort Deutsches Jugendinstitut hört, dann denkt man, da
geht es um Jugend. Aber um es etwas zugespitzt zu sagen, auch wenn Jugend außen
draufsteht, ist nicht nur Jugend innen drin. Das Deutsche Jugendinstitut müsste eigentlich
heißen „Deutsches Institut für Kinder, Jugend und Familie“. Dann wäre das schon sehr viel
präziser umschrieben, weil wir uns eigentlich von Anfang an um Kinderthemen und
Jugendthemen und um Familienthemen kümmern. Und das ist das gesamte Spektrum des
Aufwachsens, der Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen hier und heute auch in
ihren Familien. Deswegen ist uns auch das Familienthema immer wichtig gewesen. Also man
muss erstmal sagen, auch wenn es Jugendinstitut heißt, ist es eben nicht begrenzt auf die
Fragen des Jugendalters, sondern eben auf die ganzen Lebensbedingungen von Kindern,
Jugendlichen und Familien.
Inhaltlich ist es ein sozialwissenschaftliches Institut, das heißt, es nutzt die Mittel und die
Fachgebiete der Psychologie, der Soziologie, der Erziehungswissenschaften. Mit deren Mitteln
werden im Grunde genommen die Lebensbedingungen erforscht und das sind eigentlich
Fragen von Bildung, von Fürsorge, von Kinder- und Jugendhilfe, von den Leistungssystemen,
von den sozialpolitischen Leistungssystemen in dieser Gesellschaft, die für diese
Themenbereiche, für Kinder, Jugendliche und Familien tatsächlich angeboten werden. Das
Deutsche Jugendinstitut hat hier drei Kernaufgaben. Erstens: Es macht Politikberatung, das ist
das Kerngeschäft im Umgang mit den Ministerien. Allen voran bei uns natürlich das
Bundesfamilienministerium, aber auch andere Ministerien, auch mit Länderministerien, auch
mit Kommunen. Es macht zum zweiten Forschung im eigentlichen Sinne, das heißt, wir
versuchen, durch eigene Forschungsprojekte Erkenntnisse in unseren Themenfeldern zu
erzeugen. Und wir machen das, was man wissenschaftsbasierte Dienstleistungen nennen
kann.
Also es gibt einen Wohlfahrtsverband, der sagt, er hat das Problem Armut. Könnt ihr mit uns
bitte in bestimmten Regionen dieses Problem angehen, was wir da tun könnten? Könnt ihr
eure Expertise einbringen und uns dabei helfen? Also Forschung, Politikberatung,
wissenschaftsbasierte Dienstleistungen sind gewissermaßen das Material, das wir haben. Das
ist nicht immer ganz spannungsfrei, weil natürlich die Erwartungen unterschiedlicher Akteure
anders sind. Aber im Großen und Ganzen kann man sagen, ist die Entwicklungsdynamik des
Deutschen Jugendinstituts in den letzten 20 Jahren dadurch geprägt, dass diese Themen
immer wichtiger geworden sind in dieser Gesellschaft, immer mehr auch öffentliche
Bedeutung gewonnen haben. Das Deutsche Jugendinstitut ist an ganz vielen Schnittstellen
gefragt, wo es kaum gesellschaftliche Akteure gibt, die sich mit solchen Themen beschäftigen.
Ich nenne zwei oder drei Themen: sexueller Missbrauch. Vor einigen Jahren sehr
hochgekommen durch bestimmte Skandale in der Öffentlichkeit. Aber da hat sich kaum
jemand damit beschäftigt. Was wissen wir eigentlich wissenschaftlich davon? Das Deutsche
Jugendinstitut hat sehr früh dazu Studien gemacht. Wir haben zu dem sehr umstrittenen
Thema des Betreuungsgeldes Studien gemacht. Nicht zur Freude aller, aber durchaus auch
sozusagen zur Versachlichung von Debatten. Wir haben es sehr früh zum Thema des
Kinderschutzes, wo es um Kindstötung ging, Fragen formuliert. Wie geht es da, was wissen wir
eigentlich darüber? Wie dramatisch ist das Thema. Also es heißt, wir haben auch sehr
schwierige Themen ins Blickfeld gerückt. Ich glaube, in dieser ganzen Palette von
Bildungsthemen, die wir machen, indem wir am Bildungsbericht mitwirken, indem wir an
Studien zur Ganztagsschulentwicklung in Deutschland mitwirken, bis hin zu solchen Themen,
die ich gerade genannt habe, ist es ein sehr, sehr breites Spektrum.
Frage: Eine ganz aktuelle Frage bezieht sich auf jugendliche Flüchtlinge. Wie ist aus dieser
zunächst politischen oder gesellschaftlichen Problematik ein Forschungsprojekt in Ihrem Institut
entstanden?
Prof. Rauschenbach: Naja, es ist nicht ein Forschungsprojekt entstanden, sondern als das
Thema dann auch politisch im letzten Herbst sehr hochgekocht ist, hat natürlich das Haus hier
gemerkt, an vielen Ecken und Enden drängt auch das Thema bei uns. Es kommt auf die
Tagesordnung und sehr schnell ist im Hause und auch von den Mitarbeitern die Frage
entstanden, was tut das DJI bei diesem Thema. Jetzt nicht nur im emphatischen Sinne des
ehrenamtlichen Engagements, da haben wir die Mitarbeiter zum Teil auch freigestellt.
München war ja mal Ende September sozusagen der Mittelpunkt der Flüchtlingsbewegung.
Da haben sich viele bei uns auch engagiert. Was ist wissenschaftlich eigentlich unter diesem
Gesichtspunkt zu tun? Und wir haben gemerkt, dass auch ganz viele aufgeregte Debatten des
Pros und Kontras gibt ohne gutes Wissen, ohne wirklich die Bedingungen der Flüchtlinge, aber
auch über die Bedingungen der Institution etwas zu wissen. In diesen letzten Wochen und
Monaten haben wir deswegen auch immer Arbeitsgruppen zusammen gerufen und haben
gesagt, welche Herausforderungen es da gibt. Wir haben beispielsweise jetzt in den letzten
Tagen einen Workshop gemacht: Flüchtlinge in Kitas. Wir haben jetzt kurzfristig eine
sogenannte Blitzumfrage gestartet, indem wir 3000 Kindertageseinrichtungen in Deutschland
befragen zurzeit, ob das Thema dort eigentlich virulent ist. Gibt es schon Kinder aus
Flüchtlingsfamilien, die jetzt zu denen kommen? Helfen die vor Ort Brückenkurse zu machen?
Also wie stellt sich das Thema eigentlich dar, um ein Gefühl zu kriegen für die
Gesamtlandschaft in Deutschland. In dieser Hinsicht haben wir an ganz vielen Ecken und
Enden gesagt, da müssen wir aktiv werden. Es steht die Frage im Raum, reicht eigentlich die
Personalkapazität, die Fachkräfte in den Einrichtungen, um die zusätzliche Flüchtlingsarbeit zu
machen oder haben wir Personalprobleme. Da kann kaum jemand etwas Qualifiziertes zu dem
Thema sagen. Und das sind Herausforderungen, wo wir sagen, da müssen wir eigentlich
versuchen, etwas sichtbar zu machen.
Eines dieser Projekte, die wir eben auch jetzt vorangetrieben haben, um das erstmal zu sehen,
ist, wir wollen mit Flüchtlingen selber ins Gespräch kommen. Wie sehen sie eigentlich ihre
Lage, damit man nicht nur über Flüchtlinge, sondern auch mit Flüchtlingen spricht. Aber da
fängt es ganz praktisch an: In welcher Sprache mach ich das? Wie zuverlässig ist ein
Dolmetscher im Zweifelsfall? Ist das wirklich brauchbar? Bis hin zu der Frage: Sind eigentlich
Flüchtlinge in dieser Situation, wo sie noch in einem Prüfverfahren sind, eigentlich offen
genug, um mit uns über ihre realen Vorstellung zu reden? Trauen sie sich das zu sagen? Wie
authentisch ist das, was wir hören? Deswegen haben wir erstmal gesagt, wir müssen in das
Feld rein und probieren. Das ist nicht so einfach, hier empirische Forschung zu machen,
einfach Mikro hinzuhalten und zu glauben, man kriegt zuverlässiges Material. Mit den ganzen
Erfahrungen muss man erstmal arbeiten, bevor wir da qualifiziert etwas machen können.
Es gibt in Deutschland schon wieder viel Unruhe. Alle wollen jetzt große Studien machen.
Aber das ist alles nicht so einfach und diese benannten Probleme, die ich gerade angedeutet
habe, machen es erst sichtbar. Wir haben gesagt, lasst uns Schritt für Schritt kleinteilig erstmal
versuchen zu sehen, was machbar ist. Insofern werden wir uns in ganz verschiedenen
Bereichen um das Thema kümmern. Wir haben gerade eine große Expertise in Auftrag
gegeben, die die Situation der beruflichen Ausbildung von Flüchtlingen zum Thema macht.
Also, egal ob ich Familien angucke, Kindergärten angucke, Schulen angucke oder die Situation
in den Einrichtungen: Das alles sind Fragen und da müssen wir uns ganz breit damit aufstellen.
Natürlich sind wir auch mit den Ministerien im Gespräch, was können wir, was wollen wir, was
sollen wir vielleicht auch im Auftrag der Ministerien tun und was würden wir gerne selber
vorantreiben?
Frage: Wie viel von Ihren Forschungsergebnissen bleibt intern und ist nur für das Ministerium
bestimmt und wie viel für die Öffentlichkeit?
Prof. Rauschenbach: Also tendenziell würde ich sagen, eigentlich ist alles für die
Öffentlichkeit bestimmt. Ich kann auch nicht im großen Stil sagen, dass wir
Forschungsergebnisse im eigentliche Sinne -dass man eine richtige Studie macht, dass man
Erhebungen macht, dass man Menschen befragt -, dass diese Ergebnisse nicht an die
Öffentlichkeit kommen. Es gibt aber selbstverständlich Politikberatung - und das gehört zu
den genuinen Aufgaben, was ich vorhin genannt habe. Natürlich ist es notwendig und legitim,
dass ein Ministerium auch von uns zum Beispiel Spezialisten zu einem Gespräch in kleiner
Runde einlädt, dass es die Institutsleitung, eine Abteilungsleitung einlädt und sagt, wir würden
gerne mal über Thema x oder y mit euch reden. Ist das politisch umsetzbar, wie seht ihr das
usw.? Das man sich beraten lässt, dass man sensibel wird für Fallstricke bei einem Thema.
Natürlich das sind dann auch mal interne Gespräche, natürlich beraten wir die Ministerien
auch, wenn es um kleine und große Anfragen im Bundestag geht. Dass die Fachexpertise oft
bei uns dann ist und dass sie uns bitten, zum Thema zuzuarbeiten. Das heißt, da bleibt
manches unsichtbar. Das ist dann nicht DJI, aber es sind Leistungen, die das DJI natürlich für
Beratungs- und Informationsprozesse erbringt.
Im Großen und Ganzen würde ich aber sagen, dass unsere Forschungsergebnisse öffentlich
werden. Wir sind bemüht, das mit den Ministerien auch abzustimmen, also zu sagen da und da
kommt etwas, damit das Ministerium Bescheid weiß und dann nicht eine Ministerin eine Frage
gestellt bekommt: Ihr Institut hat doch das und das veröffentlicht. Was sagen Sie denn dazu?
Dann zu sagen, davon weiß ich gar nichts, das wäre natürlich keine gute Kommunikation.
Insofern versuchen auch die Kommunikationsabteilungen bei uns im Haus, sowas immer dann
auch früh zu kommunizieren. Aber im Großen und Ganzen habe ich das Gefühl, dass wir eine
gewisse Freiheit haben, diese Dinge zu machen und dass es auch respektiert wird, dass es dann
auch das ein oder andere Mal abweichende Positionen gibt, die nicht unbedingt mit der
offiziellen Linie der Bundesregierung übereinstimmen. Aber ich glaube, das ist im
Spannungsfeld, in politischen Gefilden auch notwendig, dass man mal so auch ein bisschen
etwas abweichend macht. Ich halte es für existenziell, dass ein Institut wie unseres auch in der
Öffentlichkeit als eigener Meinungsproduzent aber auf wissenschaftlicher Basis dann auch
ernst- und wahrgenommen wird und nicht nur als verlängerte Bank der Ministerien.
Deswegen glaube ich sind wir da in einer ganz guten Situation.