Medienanthropologische Szenen

Medienanthropologische Szenen
Call for Papers
Tagung der AG Medienphilosophie
der Gesellschaft für Medienwissenschaft
7-9. Juli 2016, IKKM Weimar
Medienanthropologie ist ein relativ neues medien- und kulturwissenschaftliches
Untersuchungsfeld, auf dem es um die im weitesten Sinne medienbasierte Verfertigung,
Transformation und Distribution anthropogener Existenzweisen und Selbstentwürfen geht.
Dies führte speziell im englischsprachigen Raum in den letzten Jahren zu
kulturkomparativen, empirischen und ethnografischen Erforschungen der Einflüsse konkreter
historischer Medienumbrüche auf Subjektivitäts-, Gesellschafts- und Massenformationen (u.a.
bei Fürnkäs, Pfeiffer, Schnell, Askew, Wilk, Rose u.v.a.m.). Zum anderen rücken auf diesem
neuen Forschungsfeld auch im deutschsprachigen Raum neue Methoden, Konzepte und
Gegenstände ins Zentrum des Interesses, die bisher keine festen Diskursgrenzen ausbilden
und offen für interdisziplinäre Anschlüsse sind. Der Schwerpunkt dieser Tagung wird dabei
auf einer medienphilosophischen Herangehensweise liegen, die in gewisser Weise quer zu
herkömmlichen philosophischen Ansätzen steht (vgl. Engell, Mersch, Krämer, Voss u.a.).
Die seit Nietzsche z.B. immer wieder beschworene ‚Unbestimmbarkeit des Menschen’ führte
in einigen Feldern der Philosophie (z.B. in der Technikphilosophie von Hubig, Huning,
Ropohl u.a.) und in den Medienwissenschaften wahlweise zu einer Abwehr aller
reduktionistischen Definitionsversuche des Menschen (homo faber, homo ludens, homo
oeconomicus, homo ridens etc.), oder zur Ausformulierung negativer Anthropologien (u.a. bei
Lacan, Derrida, Deleuze, Guattari oder Blumenberg) oder gar zu deren Abschaffung und
Ersetzung durch medienmaterialistische Studien (u.a. in der sog. ‚Kittlerschule‘). Doch die
Unbestimmbarkeitsthese wirkt latent weiter und sie mystifiziert weiterhin, zumindest implizit,
die vermeintliche ‚Geistbestimmtheit des Menschen‘, die sodann für die angeblich
charakteristische ‚Freiheitsfähigkeit‘ des Menschen verantwortlich gemacht wird.
Ein davon emanzipiertes, anthropologie- und anthropozentrismuskritisches Echo geht bis
heute von den kybernetischen, informations- und systemtheoretischen Denkformationen aus.
Ihr produktiver Einfluss führt, bei allen Unterschieden im Detail, zu einer systematischen
Fokussierung auf autopoietische Dynamiken und Kräfte in medienanthropologischen und
medienphilosophischen Analysen der Verschränkung von Mensch und Medien/Techniken
(u.a. bei Flusser, McLuhan, Wiener, Sloterdijk, Anders, Simondon, Latour, Haraway,
Hansen, Hörl u.a.m.). Ansätze, die in dieser Linie stehen, bringen gegenüber einem
substanzialistischen Denken ein tendenziell konstellativ-dynamisches in Stellung. Anstatt also
länger von einem ahistorischen und anthropozentrischen Gesichtspunkt aus über die
vermeintlich rein instrumentellen Funktionen von Medien, Medialitäten und Techniken für
menschliches Leben nachzudenken, geht es in medienanthropologischer Perspektivierung um
die Hervorhebung der wechselseitigen Ein- und Umformungen von und in MenschMedien/Technik-Relationen (so auch bei Voss, Engell, Rieger, Mitchell, Ihde, u.a.m.).
Gegenüber einer Wendung ins Abstrakt-Allgemeine und Identitätstheoretische sollen auf
dieser medienphilosophisch orientierten Tagung konkrete, situations- und mediengebundene
Figurationen menschlicher Existenzweisen im Plural Thema sein.
Aus der Literatur kennt man die Rede von der ‚Schreibszene‘, in der auf die Bedingungen
und Effekte des Schreibens auch für die Konstitution von Subjektivität oder für Formen der
Desubjektivierung reflektiert wird. In Erweiterung dieses Settings lässt sich womöglich auch
auf andere Typen und Rahmen von Szenen blicken, in denen menschliche Existenzweisen
und Reflexionsformen, auch in nicht-sprachlichen Figurationen, hervorgebracht werden.
So könnten etwa neben dem Kino, der Kunst und den Digitalmedien sowie den Laboren der
Wissenschaften, Forensik oder der Industrieforschung auch so etwas wie Dioramen und
museale Installationen medienanthropologisch ernst genommen werden, die sich massenhaft
in völkerkundlichen Museen und Naturkundemuseen finden. Auch solche Anordnungen
mögen dann als performative Objekte der Generierung eines Wissens über den Menschen in
Anspruch genommen werden, wobei sie nie einfach nur neutral abbilden, wie etwas (gewesen)
ist. Vielmehr könnte z.B. gefragt werden, wie derartige szenische Anordnungen etwa von
biologischen und kulturellen Gruppen die imaginären Welten performativ hervortreiben, die
sie vermeintlich nur zur Anschauung bringen.
Unter dem Stichwort „medienanthropologischer Szenen“ soll auf der Tagung nach den
anthropogenerischen Funktionen konkreter Materialitäten und Historizitäten
unterschiedlicher Räume, Dinge, Praktika, Techniken und Diskurse gefragt werden.
Inspirierend sein könnten dafür Arbeiten, wie sie sich etwa im Rahmen ‚symmetrischer
Anthropologien‘ finden (z.B. von Haraway, Rheinberger, Bennett oder Latour).
Die Tagung zur Medienanthropologie verschiebt den Fokus weg von der Frage danach, was
der Mensch sei, hin zu denen nach dem Wie und Wo seiner medial-diskursiven Rahmungen
und Positionierungen. Auch ephemere, reversible, misslingende oder unscheinbare
anthropogenerische Formierungen, die evtl. nur für Augenblicke des immersiven, kognitiven,
imaginären oder auch nur haptischen Kontaktes mit und aus bestimmten Settings
emergieren, sollten berücksichtigt werden. Dabei könnte es sich lohnen, näher auf die
Operativität von Begriffen wie ‚Szenen’ und ‚Situativität’ einzugehen.
Der Call wendet sich an alle medienphilosophisch und medienanthropologisch
Interessierten. Die Tagung findet vom 7. bis zum 9. Juli 2016 an der BauhausUniversität Weimar statt und wird organisiert von Prof. Dr. Lorenz Engell
(Internationales Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie) und
Prof. Dr. Christiane Voss (Kompetenzzentrum Medienanthropologie).
Ein einseitiges Abstract sowie eine Kurzbiographie können bis zum
31. Dezember 2015 an die E-Mail-Adresse der AG Medienphilosophie geschickt
werden: [email protected].