POLITIK & GESELLSCHAFT Luxemburger Wort Mittwoch, den 21. Oktober 2015 3 LEITARTIKEL E „Eine Investition, von der unser Land mittelund langfristig profitiert“ – Finanzminister Pierre Gramegna über den „Preis“, den Luxemburg für die Flüchtlingskrise zahlt. (FOTO: GUY JALLAY) „Budget der Solidarität“ Mehr Geld für Flüchtlinge und Militär 45,5 Millionen Euro als Antwort auf die Krise – Rüstungsausgaben steigen VON CHRISTOPH BUMB „Das ist keine Politik des kalten Herzens, das ist eine Politik der Solidarität“ – Mit diesen Worten begründete Finanzminister Pierre Gramegna (DP) vor einer Woche die steigenden Ausgaben des Staates zur Bewältigung der europäischen Flüchtlingskrise. Die „Solidarität über unsere Grenzen hinaus“ sei eine Priorität des Budgets für das Jahr 2016, so der oberste Kassenhüter des Staates. Die von Gramegna angesprochenen Mittel schlagen sich folgendermaßen im Staatshaushalt nieder. 25,5 Millionen Euro plant die Regierung für die kommenden drei Jahre zusätzlich für das Budget des Aufnahme- und Integrationsamtes (Olai) ein. Das Geld soll dem Bau von neuen Flüchtlingsheimen sowie deren Ausstattung und Unterhalt dienen. Zusätzlich werden im neuen Haushalt pauschal 20 Millionen Euro im Rahmen des „Haut Commissariat à la protection nationale“ bereitgestellt. Dabei handelt es sich um einen Notfallfonds, der nicht an ein bestimmtes Ressort oder eine Regierungsverwaltung gebunden ist. Regierung will vorbereitet sein Die Regierung wappnet sich also für die anhaltenden Flüchtlingsströme. Laut Familien- und Integrationsministerin Corinne Cahen (DP) werde das Budget den aktuellen Anforderungen völlig gerecht. Allerdings sei man sich in der Regierung einig, dass damit der weiteren Entwicklung der Krise nicht vorgegriffen werden kann. „Wir stellen uns auf die Ankunft weiterer Flüchtlinge ein, doch keiner kann sagen, wie viele Menschen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch zu uns kommen und um Asyl bitten“, so Cahen. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass sich der Flüchtlingsstrom nach Luxemburg relativ zu seiner Größe und im Vergleich mit den Nachbarländern noch in Grenzen hält. Im September 2015 haben 374 Personen Asylschutz beantragt; mehr als zwei Drittel davon stammen aus Syrien und dem Irak. Im Oktober haben die Behörden bis Anfang dieser Woche 390 Flüchtlinge registriert, so Cahen. Dies sei allerdings noch keine verlässliche Zahl, denn einige der aufgenommenen Menschen würden nach ein paar Tagen weiterziehen und nicht dauerhaft in Luxemburg bleiben. Doch selbst mit der Fortsetzung des Trends über die Wintermonate würde das Großherzogtum laut Cahen nicht die Grenzen der Belastbarkeit erreichen. Mit bisher 1 212 Flüchtlingen in 2015 (Stand: 30. September) liegt man etwa noch weit unter der Gesamtzahl von 2 171 Flüchtlingen in 2011. Folgekosten noch nicht absehbar Demnach orientieren sich die von Gramegna bei der Budgetpräsentation genannten Zahlen am aktuellen Bedarf der staatlichen Behörden. In der Rechnung sind jedoch nicht die „Folgekosten“ der Krise enthalten. So erhält jeder Asylbewerber in den ersten drei Monaten ein „Taschengeld“ von 25 Euro sowie nach drei Monaten weitere Zuschüsse. Laut der Reform der Asylbetreuung, die die Asyl, Entwicklung und Militär: Eckdaten des Budgets 2016 45,5 Millionen Euro zusätzlich zur Bewältigung der Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten – 25,5 Millionen Euro für Maßnahmen des „Office luxembourgeois de l’accueil et de l’intégration“, 20 Millionen Euro im Rahmen des „Haut Commissariat à la protection nationale“. n 343 Millionen Euro bzw. ein Prozent des Bruttonationaleinkommens für die staatliche Entwicklungshilfe. n 40 Millionen Euro für den staatlichen Rüstungsfonds entsprechend den Nato-Verpflichtungen zur Steigerung des Verteidigungsetats von 0,4 auf 0,6 Prozent bis 2020. n Regierung noch dieses Jahr verabschieden will, stehen anerkannten Flüchtlingen zudem nach einem halben Jahr 450 Euro pro Monat (bzw. 265 Euro für Minderjährige) zu. Weitere Kosten sind aber noch schwer abzuschätzen. Neben den Mehrausgaben für die Flüchtlinge betonte Gramegna im Rahmen der Stärkung der Solidarität die nachhaltigen Anstrengungen in der Entwicklungshilfe. Seit 2009 hält sich Luxemburg nämlich an sein Engagement, mindestens ein Prozent seines Bruttonationaleinkommens („Revenu national brut“) für öffentliche Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. 85 Prozent davon werden vom Außenministerium bzw. vom Minister für Kooperation und humanitäre Hilfe verwaltet. Im Budget 2016 beläuft sich der Betrag staatlicher Entwicklungshilfe auf rund 343 Millionen Euro. Nato-Verpflichtungen greifen Gleichzeitig verstärkt Luxemburg sein finanzielles Engagement im Bereich der Verteidigungspolitik. Auch hier beweist die Regierung gewissermaßen Solidarität, wenn auch nicht mit Flüchtlingen oder von Armut bedrohten Menschen, sondern mit den Nato-Partnern. Im vergangenen Jahr hatte man sich gegenüber den Bündnispartnern auf eine progressive Erhöhung des Verteidigungsetats verpflichtet. Bis 2020 sollen Luxemburgs Militärausgaben so von 0,4 auf 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bzw. (je nach Berechnungen) von rund 220 Millionen auf über 350 Millionen Euro steigen. Im Vergleich zu 2014 ist demnach der Beitrag zum staatlichen Rüstungsfonds von 14 auf 40 Millionen Euro gestiegen. In den kommenden Jahren steigt der Verteidigungsetat entsprechend weiter an. Zu den Mehrausgaben gehört etwa die Finanzierung des Militärsatelliten „GovSat“ und des umstrittenen militärischen Transportflugzeugs A400M. Zuerst der Mensch s ist eine Meldung, die erst einmal aufschrecken lässt: In Luxemburg könnten laut einer jüngsten ING-Studie 52 Prozent der Arbeitsplätze, d.h. rund 100 000, der fortschreitenden Robotisierung der Arbeitswelt zum Opfer fallen. Vom Schalterbeamten über den Verwaltungsangestellten und die Verkäuferin bis zum Möbelschreiner, alle müssten sich mit dem Gedanken abfinden, in nicht allzu ferner Zeit von einem seelenlosen Roboter ersetzt zu werden. Die weltweite Entwicklung im Bereich der Automatisierung von Produktions- und Dienstleistungsaktivitäten ist nicht neu – auch in unserem Land stellt man mit Erstaunen, wie auch nicht immer ohne Bedauern fest, in welchem Maße der technologische Fortschritt der von Menschen geleisteten Arbeit den Garaus macht. Offensichtlich hat diese Tendenz in letzter Zeit weltweit so sehr Fahrt aufgenommen, dass sich auch die hiesige Wirtschaft ernsthaft darum sorgt, den Anschluss an im Automationsbereich weit fortgeschrittene bzw. rasant expandierende konkurrierende Länder und Märkte nicht zu verpassen. Die Intensität, mit der nun auch in Luxemburg nach verstärkten Anstrengungen im Bereich der Technologisierung der Arbeitswelt gerufen wird, lässt erahnen, welche Prioritäten im Vordergrund stehen: die Interessen der Wirtschaft vor allem Anderen. Eines ist bei so viel Zukunftsbegeisterung zu bedenken: Ob man von Spitzentechnologie, Robotisierung u.a. schwärmt, sobald diese Begriffe im Kontext der Arbeitswelt verwendet werden, sind sie gleichbedeutend mit einem anderen ebenso signifikanten Wort: Rationalisierung zur Produktivitätssteigerung! Luxemburg hat auf dem sich rasant entwickelnden Internetsektor auf Anhieb Innovationsfreudigkeit bewiesen. Unter den Juncker-Regierungen wurden schnell und effizient die Weichen gestellt, um Luxemburg zu der privat und öffentlich vorbildlich vernetzten „Arbeitsplätze für Roboter oder die verführerische Welt der Innovation.“ MARCEL KIEFFER Internet-Gesellschaft zu machen, auf die wir heute stolz sein können. Auch kommendes technologisches Entwicklungspotenzial muss sicher genutzt werden, allerdings nicht ohne den abzusehenden Impakt auf den Faktor Arbeit (nicht nur den Wegfall von 100 000 Arbeitsplätzen!) und die damit zusammen hängenden sozialen, soziologischen und vor allem ethischen Implikationen – der Respekt der Bedeutung der Arbeit als „Gut des Menschen für sein Menschsein“ (Johannes Paul II.) – zu ignorieren. Eine auf die Fundamente unserer sozialen Marktordnung zurückgehende und immer wieder in Erinnerung zu rufende Wertehierarchie kommt einem in den Sinn, wenn die Begeisterung heutiger Wirtschaftsstrategen für die robotisierte Zukunft Purzelbäume schlägt: Der Primat des Menschen gegenüber all den Dingen, die in der Begriffswelt des Produktionsprozesses eine Rolle spielen, d.h. Fortschritt, Kapital, Profit. Ein Technologieaufbruch in die für alle Wirtschaftskapitäne verlockende Roboterwelt, wo keine Löhne bezahlt werden und es keinen Urlaub gibt, wo rund um die Uhr, ohne Krankheitsrisiko und Sozialkonflikte gearbeitet werden kann, darf nicht angegangen werden, ohne sich jenen kulturgeschichtlichen, ethischmoralischen und fundamental human-relevanten Fragen und Herausforderungen zu stellen, die sich in Luxemburg wie in jeder elementaren Werteprinzipien verpflichteten Gesellschaft stellen und die sich in dem schon vor 50 Jahren vom II. Vatikanischen Konzil definierten, immer noch richtigen Anspruch summieren, dass die Ordnung der Dinge stets der Ordnung der Personen „dienstbar“ zu machen ist. n [email protected] Scharfe Angelegenheit Welche Messer sind per Gesetz verboten? Polizei-„Armurier“ Nico Biver erklärt es in unserem Video und zeigt dabei so manch kurioses Fundstück. (6 Uhr) Ein besseres Leben? „Wirtschaftsflüchtlinge“ im 19. Jhdt. kamen auch aus Luxemburg. Wir erklären, warum sie auswanderten. (18 Uhr)
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