Ansprache Botschafter Rolf Schütte zur Feier des Tages der Deutschen Einheit 2015, Riga, 5. Oktober 2015, Kleine Gilde (auf Lettisch:) Sehr geehrter Herr Verfassungsgerichtspräsident Lavins, sehr geehrter Herr Minister Bergmanis, sehr geehrter Herr Minister Rasnacs, sehr geehrte Frau Ministerin Seile, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete der Saeima, Exzellenzen, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Landsleute und Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen von der deutschen Botschaft, ich begrüße Sie alle sehr herzlich. Seit wenigen Wochen habe ich die Ehre und das Vergnügen, als deutscher Botschafter in Lettland tätig zu sein. Leider spreche ich erst drei Worte Lettisch. Wenn ich Sie im nächsten Jahr zum Tag der Deutschen Einheit begrüße, werden es vielleicht doppelt so viele sein. Ich bitte Sie also um etwas Geduld und um Entschuldigung, dass ich meine Ansprache nun auf Deutsch fortsetze. (Auf Deutsch): Sehr geehrte Gäste, schon nach wenigen Wochen in diesem schönen Land kann ich erfreut feststellen, dass hier viele Menschen gut Deutsch sprechen. Alle anderen möchte ich ermutigen, sich mit der Sprache meines Landes zu beschäftigen, das in Geschichte wie Gegenwart so viel mit Lettland verbindet. Unsere heutige Feier zum Tag der Deutschen Einheit findet im Versammlungssaal der Kleinen Gilde statt. Schon ein kurzer Blick auf die Glasmalereien in den Fenstern und auf die Panoramaansichten der Hansestädte macht deutlich, was Riga, aber auch andere Städte und Regionen Lettlands mit Deutschland verbindet. Die gemeinsame Geschichte ist lang. Seit mehr als 800 Jahren sind Deutsche und Letten eng miteinander verbunden, in guten wie in bösen Tagen. Dies konnte ich bereits bei meinen ersten offiziellen Terminen feststellen. So übergab ich Staatspräsident Vejonis mein Beglaubigungsschreiben im Schwarzhäupterhaus unter einem großen Gemälde der Hansestadt Lübeck. Gleich zu Beginn meiner Tätigkeit besuchte ich aber auch das Okkupationsmuseum und die Gedenkstätten in Rumbula und Bikernieki. An diesen Orten wird man an die dunkelsten Kapitel der deutsch-lettischen Geschichte erinnert, an die Besetzung dieses Landes durch Nazi-Deutschland und an die Vernichtung lettischer und deutscher Juden. Auch diese schrecklichen Zeiten und das Leid der Ermordeten und Gequälten dürfen wir nicht vergessen. Wenn ich in mein Büro in unserem schönen Botschaftsgebäude komme, sehe ich die Galerie meiner Amtsvorgänger. Ich bin jetzt der 10. deutsche Botschafter in Riga seit Wiederherstellung der Unabhängigkeit Lettlands. Mein Dienstwagen hat ein Nummernschild mit der Zahl „100“. Das erinnert daran, dass Deutschland der erste Staat war, der hier 1991 seine Botschaft wieder eröffnete. Seither ist fast ein Vierteljahrhundert vergangen. Heute feiern wir den 25. Jahrestag der Deutschen Einheit. Und auch hier gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Lettland. Die Wiedererlangung der deutschen Einheit wie auch die Wiedererlangung der Unabhängigkeit Lettlands standen am Ende eines mehrjährigen Prozesses, der zeitlich fast parallel verlief. Dieser Prozess hatte aber auch dies gemeinsam: zwar gab es mehrere Faktoren, die zum Erfolg beitrugen, vor allem aber waren es der Mut, der Elan und die Entschlossenheit von vielen einzelnen Menschen. Sie waren es, die die großen und noch wenige Jahre zuvor für fast unvorstellbar gehaltenen Entwicklungen auslösten, trugen und schließlich zum erfolgreichen Abschluss führten. Heute blicken wir sowohl in Deutschland als auch in Lettland auf das in den vergangenen 25 Jahren Erreichte mit Stolz zurück. Der Prozess der deutschen Wiedervereinigung war um vieles komplizierter, zeitraubender und auch teurer, als man ursprünglich erwartet hatte. Nicht alle Hoffnungen jedes Einzelnen konnten verwirklicht werden. Dank gemeinsamer Anstrengungen in beiden Teilen unseres Landes können wir aber heute zufrieden sagen: Die deutsche Einheit ist gut gelungen. Und das ist ein Grund, dankbar zu sein und zu feiern. Deutschland und Lettland verbindet aber nicht nur eine lange gemeinsame Geschichte. Wir sind auch aufs engste miteinander verbunden als Partner in NATO und EU, nicht zuletzt auch im EURO- und im Schengen-Raum. In diesem Zusammenhang erinnern wir uns auch an die äußerst erfolgreiche und von vielen als Meisterleistung bewunderte erste EUPräsidentschaft Lettlands im 1. Halbjahr 2015. Doch die Geschichte bleibt nicht stehen. Wir können und dürfen uns auf dem Erreichten nicht ausruhen, sondern müssen uns gemeinsam immer wieder neuen Herausforderungen stellen. So beschäftigen uns nach wie vor die Folgen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und des Konflikts in der Ost-Ukraine, auch im Hinblick auf unser Verhältnis zu Russland. Diese Entwicklungen haben auch dazu geführt, dass Deutschland im Rahmen der NATO und bilateral seine Unterstützung Lettlands im sicherheitspolitischen und militärischen Bereich erheblich verstärkt hat. Darüber hinaus haben die Außenminister unserer beiden Länder im April dieses Jahres einen Aktionsplan vereinbart, der eine intensivierte Zusammenarbeit in den Bereichen Medien und Kommunikation, Stärkung der Zivilgesellschaft sowie Bildung, Ausbildung und Austausch vorsieht. Zusammen mit verschiedenen offiziellen und zivilgesellschaftlichen lettischen Partnern wurden bereits mehrere Maßnahmen auf dieser Grundlage durchgeführt, andere sind in der Planungsphase. Doch es gibt neben der EURO- und der Ukraine-Krise bereits große neue Herausforderungen, denen wir uns gemeinsam stellen müssen. Europa erlebt derzeit den größten Zustrom von Flüchtlingen seit dem Zweiten Weltkrieg. Deutschland allein hat seit Jahresbeginn 600.000 Flüchtlinge bei sich aufgenommen; derzeit kommen jeden Tag bis zu 10.000 hinzu. Aber kein EU-Land kann diese Herausforderung allein bewältigen. Wir brauchen eine gemeinsame und globale Antwort auf die Flüchtlingskrise, die auf den Prinzipien von Solidarität, Verantwortung und Menschlichkeit beruht. Dies sind elementare europäische Werte und Grundprinzipien, die wir gerade in der Krise aufrechterhalten müssen. Auch sollten wir meines Erachtens nicht vergessen, dass fast alle unsere Länder in ihrer Geschichte auch einmal Ursprung von Flüchtlingsbewegungen waren und die Flüchtenden damals ebenfalls Aufnahme und Solidarität in anderen Ländern benötigten. Zudem müssen wir uns bewusst sein, dass die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen für jedes EU-Land – auch für Deutschland und Lettland – eine große Herausforderung darstellt, die mit neuartigen Aufgaben und Belastungen einhergeht, ganz unabhängig davon, wie sich diese dann in Zahlen darstellt. Gerade ein Tag wie heute, an dem wir uns an den 25. Jahrestag eines wahrlich historischen Ereignisses erinnern und den erfolgreichen Prozess der deutschen Wiedervereinigung feiern, sollte uns ermutigen: Die Geschichte nicht nur der Europäischen Union, sondern auch unserer Nationalstaaten zeigt, dass auch zuvor für fast unmöglich Gehaltenes Wirklichkeit werden kann, dass wir an Krisen und großen Herausforderungen auch wachsen können, wenn wir den inneren Zusammenhalt und die Solidarität bewahren. Gemeinsam ist nichts unmöglich. In diesem Sinne möchte ich mein Glas erheben auf ein weiteres Gedeihen der deutschlettischen Beziehungen innerhalb der europäischen Familie und auf das persönliche Wohl von Ihnen allen!
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