Ein Geistlicher in Zeiten des Ungeistes

Ein Geistlicher in Zeiten des Ungeistes
Bruno Fritsch veröffentlicht Biografie über Engelbert Niebecker
Von Peter Berger
BORKEN. Fliegerleutnant,
Priester, Pädagoge – Engelbert Niebecker (1895-1955)
vereinigte mehrere Berufe
und Berufungen in seiner
Person. Dies tat er in der von
zwei Weltkriegen geprägten
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Leben des
Borkener Geistlichen in all
seinen Widersprüchen beleuchtet Dr. Bruno Fritsch in
seiner Studie, die er in dieser
Woche vorgelegt hat.
Fritsch (66) forschte anderthalb Jahre in Archiven,
tauchte dafür tief in die Geschichte „seiner“ Schule ein.
Der pensionierte Studiendirektor war nämlich bis
2012 stellvertretender Schulleiter des Remigianums –
des Borkener Gymnasiums,
das eben jenem Engelbert
Niebecker seinen heutigen
Namen verdankt.
Die Taufe der Lehranstalt,
die Niebecker anno 1953 vehement vorantrieb, ist aber
eher eine Randnotiz in
Fritschs anschaulicher Biografie. Sein Hauptaugenmerk liegt auf dem Zeitraum
ab 1929. In jenem Jahr kam
der Geistliche als Studienrat
für Religion, Mathematik
und Physik an die hiesige
Oberschule
für
Jungen.
Auch die Kleinstadt und katholische Hochburg Borken
wurde 1933 von der Gleichschaltung erfasst. Die NaziIdeologie durchdrang alle
Lebensbereiche. An den
Schulen engte das mehr und
mehr die Handlungsspielräume der Lehrer ein. Argwohn erregte Niebecker
schon dadurch, dass er die
Religionsstunden vom Rand
des Stundenplans in dessen
Mitte verlegte.
Ein Soldat, der Theologe
wurde? Was heute paradox
und anti-pazifistisch wirken
mag, war in patriotisch aufgeheizten Zeiten keine Seltenheit. Selbst im Priestergewand heftete sich Niebecker hin und wieder de-
Bruno Fritsch recherchierte für seine Biografie unter anderem im Borkener Stadtarchiv.
monstrativ
das
Eiserne
Kreuz, mit dem er im Ersten
Weltkrieg dekoriert wurde,
an die Brust. Vieles an seinem Lebenslauf wirkt aus
heutiger Sicht widersprüchlich und irritierend. Fritsch
versteht es, Engelbert Niebecker, der sich stets in
priesterliches Schwarz kleidete, als anschauliches und
ungewöhnliches Beispiel für
die unzähligen Grautöne
vorzustellen, die denkende
und fühlende Menschen in
einem totalitären Regime
annehmen. Annehmen müssen.
Zwischen
dem
„Schwarz-weiß“ verblendeter Anhängerschaft und glühender Ablehnung liegt die
Anpassung.
Niebecker war alles andere
als ein Mann des Widerstands: Er verhielt sich loyal,
zweifelte die staatliche Autorität nicht an. In einem Anliegen lag er – wenngleich
aus gänzlich anderer Richtung kommend – mit dem
Regime sogar auf einer Linie:
in der Bekämpfung des Bolschewismus. Für Niebecker
war die Stalin‘sche Ideologie
die Inkarnation des Antichristen. Dennoch: Eine Rü-
„Möge der Herrgott
uns davor behüten,
dass unsere Heimat
zum Kampfgebiet
wird.“
Engelbert Niebecker, 2. November
1944
ge des Nationalsozialistischen Lehrerbundes wegen
seiner religiösen Prioritäten
ist dokumentiert, insgesamt
aber lehnte er sich nicht so
weit aus dem Fenster, als
dass es bedrohlich für ihn
hätte werden können.
Andererseits legte Niebecker gemäß seines christlichen Menschenbildes eine
ausgeprägte Fürsorge an den
Tag. Dies spiegelt sich vor allem in den „Niebecker-Briefen“ wider. 35 und damals
teils hundertfach vervielfältigte Rundschreiben sind belegt. Sie wurden überwiegend an ehemalige Schüler
geschickt, die inzwischen an
der Front waren. Der stellvertretende
Schulleiter
sprach ihnen darin, auch vor
dem Hintergrund seiner eigenen soldatischen Erfahrungen, Mut zu. Es ging ihm
darum, den kaum erwachsenen Ex-Pennälern in schwerer Zeit einen Halt auf christlichem Fundament zu bieten.
Am Ende des empfehlenswerten Buches von Bruno
Fritsch weiß der Leser: So
hat sich Engelbert Niebecker
verhalten. Bleibt die Frage,
Foto: Berger
wie man sich selbst in solcher Zeit verhalten hätte.
Bruno Fritsch: Engelbert
Niebecker (1895-1955). Das
Buch ist erschienen als siebter Band der Borkener
Schriften zur Stadtgeschichte und Kultur und ist für 24
Euro im Buchhandel erhältlich
(ISBN
978-3-73951007-1)
Engelbert
1927)
Niebecker
(um