Laudatios Kulturpreis 2015

2015
Stadt Biel
Ville de Bienne
KULTURPREIS
PRIX DE LA CULTURE
Laudatio Linus Bill + Adrien Horni
von par
San Keller
Laudatio Pod‘Ring
von par
Martin Schütz
1/3
Mesdames, Messieurs, bonsoir!
Liebe Anwesende!
Stellt Euch folgendes Szenario vor: eines
schönen, nicht allzufern in der Zukunft liegenden Sonntags im September des Jahres
2016, vibrieren Eure Smartphones und melden folgende Breaking News: Eine Partei
mit drei Buchstaben, angeblich die stärkste
Partei der Schweiz, fährt einen sogenannten
Erdrutsch Sieg ein. Und das in der Stadt Biel/
Bienne! In der roten, seit längerem rot-grünen Stadt! In der ehemaligen Stadt der Zukunft. In der ehemaligen Stadt der Kommunikation. Und, haha, der zukünftigen Stadt
der Improvisation!
Für Viele ein böses Erwachen an jenem
Sonntagabend: merde, wird sich so manche
und so mancher sagen, ich habe die Wahl
verpasst, verschlafen an jenem Morgen, ich
habs nicht mehr zur Urne geschafft. Manch
andere oder manch anderer mag die Wahl
absichtlich ausgelassen haben. Aus dem Gefühl heraus: ich fühle mich eh von keinem
Kandidaten/keiner Kandidatin, keiner Partei
vertreten. Beides fatale Ausreden wie sich
einmal mehr zeigen würde. Die Folge: ein
Desaster… nun ja, von diesem Abend an ist
es eine Tatsache: die Herren (und die einzige Dame) der Partei mit drei Buchstaben
werden fortan also sowohl den Stadtrat wie
auch den Gemeinderat dominieren. Kaum
im Amt werden dort die Aermel hochgekrempelt. Und zack werden Sparmassnahmen
auch in der Kultur umgesetzt: 50% der Subventionen werden gestrichen!
Als Begründung dient den neuen Stadtherren das Positionspapier der Partei mit drei
Buchstaben zur Kulturpolitik mit dem Titel: „Unabhängige, reichhaltige Kultur ohne
staatliche Förderung“.
Ich zitiere im O-Ton:
«Die Schweiz besitzt eine reiche eigenständige Kultur, die national wie international ein
hohes Ansehen geniesst. Die Partei bekennt
sich zu dieser Kultur. Das Spektrum reicht von
der Malerei mit bekannten Vertretern wie
Anker und Hodler, zur Literatur mit Gotthelf,
Keller sowie Dürrenmatt (wirklich?), den
Exponenten moderner Kunst wie Tinguely
(aha?) bis hin zu Satirikern und Vertreter
(!!! kein Fehler von mir sondern hier zeigen
sich die Kultur-Spezialisten der Partei mit
drei Buchstaben sprachlich wirklich gross
wenn nicht sogar innovativ!) der Volkskultur
wie Emil, Walter Roderer, Paul Bühlmann,
Jörg Schneider – um nur einige wenige zu
nennen. Nicht zu vergessen die unzähligen
Bürger, welche sich in Laientheatern, Gesangsvereinen, Musikformationen, Trachtengruppen bis hin zu Guggenmusiken mit viel
Enthusiasmus engagieren. Diese Kultur ist
unabhängig und ohne staatliche Förderung
entstanden. Kultur ist vorab Ausdruck privater Initiative. Staatlich geförderte Kultur läuft
immer Gefahr, dass sie dem Zeitgeist und
den persönlichen Präferenzen der Kulturbürokraten huldigt, statt länger gültige, über
die Tagesaktualität hinausgehende Werte zu
schaffen».
Einer der Votanten in der Ratsdebatte meinte dann noch ergänzend: «In Afrika singe si u
tanze si jo ou ohni Subventione!/ En Afrique
ils chantent et dansent d’ailleurs aussi sans
subventions!» Er hatte den Satz wohl in der
Weltwoche, dem Kulturleitblatt der Leitkultur Schweiz.ch gelesen. Grosser Beifall für
den Abgeordneten und sein Argument.
Nun denn, der Pod’Ring fällt also dem
Sparszenario zum Opfer.
Werden wir dieses inzwischen 37-jährig gewordene Sommerfest in der Altstadt vermissen? Ich denke, dass nicht nur die Anwesenden hier diese rhetorische Frage mit einem
einstimmigen Ja beantworten würden. Was
ist es denn also was dieses «nicht-kommerzielle Sommerfestival» preiswürdig und erhaltenswert macht? Ist der Wunsch, eine Institution, die so alt schon ist, zu erhalten, denn
nicht einfach per se total konservativ?
Da kann ich getrost und überzeugt nur sagen: eben gerade nicht!
Laudatio Pod‘Ring
von par
Martin Schütz
2/3
Und zwar weil:
Dieses Fest hat sich über all die Jahrzehnte
stetig weiterentwickelt, ist zu einem absolut
einmaligen Edelstein der Stadtkultur geworden. Nein, nicht ein Edelstein, es ist kein in
Stein gemeisseltes, unter seiner Geschichte
erstarrtes Ding. Es ist eher ein flüssiger Kristall, der mittlerweile schon von mehreren
Generationen von Leuten mitgetragen und
mitgestaltet wird, und auch von der Stadt
vorbehaltlos integriert wurde.
Stichwort «integriert»! Ja!
Es ist nicht nur ein Kulturfestival im herkömmlichen Sinn, es ist eben auch ein Integrationsprojekt: etablierte und randständige Eingeborene, Kinder, Junge, Ältere und
Alte, Zugezogene, Zugeflohene und Fremde,
spiessige Freaks und anarchische Eliten, alle
arbeiten sie auf ihre Art mit an dieser weltoffenen, Stadtbewohner- und nachbarschaftsfreundlichen Kulturwoche in der Altstadt.
Hier, auf den Bühnen des Ringplatzes, der
Obergasse, der Kirchenterrasse, des Höfli’s,
des Théâtre de Poche und in den Gassen
werden Jahr für Jahr erstaunliche, unglaubliche, irritierende, faszinierende, für Kontroversen oder fröhliche Einigkeit sorgende
Konzerte, Performances und Lesungen von
hiesigen und weithergereisten Künstlerinnen
und Künstlern geboten. Und darin ist immer
- und vielleicht vorallem - auch Platz und
Zeit sich mit alten Bekannten, welche man
das ganze Jahr über nie gesehen hatte, und
Unbekannten noch nie getroffenen, kurz
oder ausschweifend zu unterhalten, zusammen zu trinken, essen, rauchen, tanzen, philosophieren, streiten. Ein menschlicher und
kultureller Marktplatz ohne Werbebanner an
jeder Ecke, ohne Kommerz.
Eine Umgebung wie geschaffen für Menschen aus dieser charmanten, unübersichtlichen, unperfekten, fröhlichen, griesgrämigen, sorgenvollen, improvisationsfreudigen,
nicht nur zwei- sondern vielsprachigen
Weltstadt im Miniaturformat! Diese vielgedisste, vielgelobte, vielangezweifelte und
vielbenamste Stadt - wie gesagt - der Zukunft, der Kommunikation oder eben - mein
Vorschlag an das Stadtmarketing: Stadt der
Improvisation - diese Stadt darf sich nicht
unterkriegen lassen vom lautstarken Sparund Angstgeheul der abschottungswütigen,
engstirnigen, klein- und beschränkt denkenden Geschäftemacher, die mit Verachtung
auf so ein Fest der - ja, jetzt kommt das
vielbelächelte Wort: Multikultur - herunterschauen. Grade in diesen wahnsinnigen
Zeiten in denen wir leben, wo sture, dogmatische, stockkonservative Erzreaktionäre von
extrem verschiedenster Seite diese Art von
multikulturellem Zusammenleben in Freiheit und gegenseitigem Respekt lächerlich
machen, bedrohen und mit allen Mitteln
bekämpfen wollen. Einige z.B. mit dem
Sparhammer oder andere gar mit der Kalaschnikov. Wir sollten dringend dafür sorgen, dass sie wenigstens nicht die Oberhand
kriegen. zB indem wir uns im Sommer in die
Altstadt begeben, dort die 20 Franken für
den Pod’Ring-Badge den freundlichen, lustigen und aufgekratzten Badgeverkäufer-Kindern entgegenstrecken und uns entspannt
einlassen auf dieses Fest genannt Pod’Ring.
Im Jahr 1978, dem Gründungsjahr des
Pod’ring, bin ich in die Altstadt gezogen, in
den Ring, habe da jahrelang gelebt, habe
mitgefestet, zugehört und zugeschaut, bin
immer mal wieder selber auf einer der Bühnen aufgetreten. Das heisst ich bin mit dem
heutigen Preisträger zusammen die 37 Jahre
älter geworden. Und mein Sohn, geboren im
Ring 11 im 11. Jahr des Festivals, war von
ganz klein auf in diese Veranstaltung involviert, erst als Sandkastenspieler, LeergutEinsammler, dann Badgeverkäufer, Mitgeniesser und Musikhörer. Nun ist er seit Jahren aktiv in der Organisation engagiert. Man
könnte sagen wir sind also ganz schön alt geworden…und das mit dem Älterwerden hört
ja bei uns allen - wie man weiss - nie auf…
Laudatio Pod‘Ring
von par
Martin Schütz
3/3
In diesem Sinne können wir nun also gemeinsam auch noch ein kräftig strahlendes
Loblied anstimmen auf die unermüdlichen
etwa 120 Leute, die sich Jahr für Jahr engagieren um dieses Fest möglich zu machen.
Menschen, die in vielen - teilweise hirnzermardernden Sitzungen, endlosen Telefonaten und e-mail-Korrespondenzen - das
Programm und die professionelle Logistik
und Infrastruktur eines solchen Grossanlasses planen und realisieren! Und auf diejenigen welche die ganze Woche über - praktisch ohne Pausen - auf dem Platz mehr oder
weniger entspannt und freundlich dafür sorgen, dass das alles überhaupt läuft!
Also: Herzliche Gratulation diesem einmaligen Stadt-Kulturfest zur höchstverdienten
Verleihung des Preises für kulturelle Verdienste! Und ein grosses Dankeschön an die
Stadt für die Unterstützung!
Zum Schluss noch eine Anmerkung und Erinnerung:
Verpennt doch bitte bitte nächstes Mal die
Wahlen nicht. Ihr wisst ja spätestens jetzt,
was das dann unter Umständen für Konsequenzen haben könnte. Und was wir dann
äusserst schmerzlich vermissen würden!