Hermann Lueer Der Grund der Finanzkrise Von wegen unverantwortliche Spekulanten und habgierige Bankmanager 2 Hermann Lueer, »Der Grund der Finanzkrise« 5. Auflage 2015 © 2015 Syndikat-A Bismarckstraße 41a, 47443 Moers – Tel. (02841) 537316 [email protected] Satz: Hermann Lueer [email protected] Umschlag /Illustrationen: Niki Bong www.bongolai.de ISBN 978-3-9817138-2-4 3 »In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre – die Epidemie der Überproduktion. Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einem Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt; eine Hungersnot, ein allgemeiner Verwüstungskrieg scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten zu haben; die Industrie, der Handel scheinen vernichtet, und warum? Weil sie zu viel Zivilisation, zu viel Lebensmittel, zu viel Industrie, zu viel Handel besitzt. Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktionskräften; andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung der alten Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.« Karl Marx, Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei, 1848 4 Vorwort 1 Der Prozess der »schöpferischen Zerstörung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 10 2 »Bereichert Euch!« ist das Motto der Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 23 3 Wirtschaftskrisen gehören zur Marktwirtschaft wie der Schatten zum Licht 4 Die sogenannte Finanzkrise 4.1 4.2 4.3 S. 43 . . . . . . . . S. 62 Die Chronik der Ereignisse . . . . . . .. . . S. 65 Die Erweiterung des Kredits über den globalen Kapitalmarkt . . . . . . . . . . . . . S. 82 Falsche Zahlenspiele . . . . . . . . . . . .. . S. 113 5 Von wegen unverantwortliche Spekulanten und habgierige Bankmanager . . . . . . . S. 133 6 Die Konkurrenz der Nationen um die Reichtümer der Welt . . . . . . . . . . . . . . S. 174 7 Statt einer Anlageempfehlung . . . . . . . S. 184 Zitate in den Sprechblasen . . . . . . . . . . . . S. 188 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . S. 190 5 Vorwort Die aktuelle Finanzkrise erschüttert das »beste aller Wirtschaftssysteme«, die freie Marktwirtschaft bzw. den Kapitalismus, wie ihn seine Befürworter zunehmend selbstbewusst wieder nennen. Die keynesianischen Vertreter der Marktwirtschaft erleben eine Renaissance, nachdem sie Jahrzehnte von der neoliberalen Fraktion über den Erfolg des globalisierten Kapitalismus als weltfremde Sozialromantiker stillgehalten wurden. Dem Finanzkapital wird eine unverantwortliche Spielbankenmentalität vorgeworfen. Habgier und Zockertum sollen die Krise ausgelöst haben. Die Selbstheilungskräfte des Marktes sind offensichtlich überfordert. Der Staat greift ein, um das verloren gegangene Vertrauen wiederherzustellen. »Die Party ist vorbei« wird gerufen, und die klammheimliche Freude über das Platzen der Blase im Finanzsektor, über das Streichen üppiger Bonuszahlungen und die neue Demut der Banker lässt sich bei vielen kaum verbergen. »Lieber Banker, viel Spaß bei der Talfahrt« wirbt Anfang 2009 ein großer deutscher Autovermieter für seine Geländewagen, während die Unternehmen damit beginnen, Überkapazitäten abzubauen und sich von überflüssigen Arbeitnehmern zu trennen. Mit der aufkommenden Einsicht, dass der eigene Schaden existenzbedrohender 6 ist als das Streichen einiger Nullen vom Vermögen der Gewinner des Booms, verblasst die Schadenfreude allmählich. Argumente gegen die Marktwirtschaft sind aber trotz der sich abzeichnenden verheerenden Folgen für Millionen von Menschen wenig gefragt und das, obwohl schon lange vor der Finanzkrise die Resultate der global erfolgreichen Marktwirtschaft genug Anlass für systemkritische Fragen boten. Schließlich stellte die Marktwirtschaft für einen Großteil der Bevölkerung bereits parallel zum erfolgreichen Geschäftsverlauf eine permanente Krise dar: Für Menschen, die auch in den reichen Industrienationen trotz langer und intensiver Arbeit am Existenzminimum leben, die nach dreißig Jahren Berufsleben von Altersarmut bedroht sind, die in Kinderarmut aufwachsen und von den Einschnitten im öffentlichen Bildungswesen und bei der medizinischen Versorgung betroffen sind. Ganz zu schweigen von dem Sechstel der Menschheit, das außerhalb der erfolgreichen Industrienationen unterernährt, ohne Zugang zu sauberem Wasser, in bitterer Armut und elenden Arbeitsbedingungen lebt. Der Ausschluss von den vorhandenen Reichtümern, die die »Wunder der Technik« im 21. Jahrhundert ermöglichen, ist offensichtlich nicht erst eine Frage der marktwirtschaftlichen Krise, sondern eine normale Begleiterscheinung der funktionieren- 7 den Marktwirtschaft. Mit dem »Konjunkturzyklus« schwankt die Armut der Bevölkerung lediglich in ihrem Ausmaß. Statt einer kritischen Hinterfragung der Leistungen der Marktwirtschaft bestimmt die Sorge um deren Funktionsfähigkeit die öffentliche Diskussion. Die Finanzkrise ist daher gewiss nicht das »Ende der Party«, sondern der Neuanfang auf Kosten der abhängig Beschäftigten. Grund genug für die hier vorliegenden Überlegungen zur Finanzkrise, deren Gegenstand keine Anlageempfehlungen bzw. Vorschläge für eine bessere Marktwirtschaft sind, sondern die kritische Auseinandersetzung mit einem Wirtschaftssystem ist, dessen Reichtum offensichtlich in etwas anderem besteht als in einem sorgenfreien Leben der Bevölkerung. 8 1. Der Prozess der »schöpferischen Zerstörung« Im Konjunkturaufschwung, wenn die Wirtschaft wächst und die Geschäfte erfolgreich sind, gibt es in der Marktwirtschaft bekanntlich jede Menge Armut: Arbeitslose und sogenannte working poor, Menschen, die mit ihrer Arbeit nicht genug verdienen und daher vom Reichtum der Gesellschaft weitgehend ausgeschlossen sind. Gemessen am Reichtum, der produziert wird, werden über die unsichtbare Hand der Marktwirtschaft die Reichen reicher und die Armen ärmer. Plötzlich lohnt es sich dann aber auch für die Unternehmen nicht mehr, produzieren zu lassen. Für die Marktwirtschaft ist das, wie die Vertreter der Volkswirtschaftslehre bestätigen, ein ganz normaler Zyklus. Dass sich die periodisch auftauchenden marktwirtschaftlichen Krisen vermeiden ließen, will niemand behaupten. Größere oder kleinere Wirtschaftskrisen, ob lokal begrenzt oder als globale Weltwirtschaftskrise, gelten als eine selbstverständliche Begleiterscheinung der Marktwirtschaft. In volkswirtschaftlichen Wissenschaftskreisen streitet man sich lediglich darüber, ob es sich bei der zur Marktwirtschaft gehörenden Krise um kurze oder lange Konjunk- 9 turzyklen oder um Finanzblasen handelt. Eine erstaunliche Selbstverständlichkeit vor dem Hintergrund, dass die Folgen für die Mehrheit der Bevölkerung alles andere als angenehm sind. 10 Am 24. Oktober 1929 begann mit dem Crash an der New Yorker Börse die Weltwirtschaftskrise. Das Welthandelsvolumen fiel von 1929 bis zum Tiefpunkt der Rezession 1932 um 25 Prozent. In der Folge der Krise brach das amerikanische Bankensystem zusammen. Gelder, die in den Jahren davor in andere Volkswirtschaften investiert worden waren, wurden überstürzt abgezogen. Für die 10 Prozent der amerikanischen Bevölkerung, die über mehr als 60% des Reichtums der Nation verfügten, bedeutete die Wirtschaftskrise die Streichung einiger Nullen ihres Vermögens. Für den Rest der Bevölkerung begann mit der Wirtschaftskrise ein Kampf ums Überleben. Drei Jahre nach Ausbruch der Krise waren in Nordamerika 25% der Bevölkerung arbeitslos. Da an einem Arbeitsplatz gewöhnlich die Versorgung ganzer Familien hing, kennzeichnete Massenverelendung die Lage breiter Bevölkerungsschichten. Die Zahl verwahrloster Menschen, die verzweifelt auf der Suche nach Nahrung, Kleidung und Unterkunft waren, stieg täglich. Hooverville war der verbreitete Name für die Unterkünfte, die Obdachlose aus Pappe und sonstigem Abfall bauten. »Fotos aus dieser Zeit zeigen gezeichnete Menschen, in Lumpen, vor verfallenden Häusern oder unter löchrigen Planen, und es fällt 11 schwer zu glauben, dass diese Bilder aus modernen Industriestaaten stammen.«1 4 Jahre nach Beginn der Finanzkrise beträgt die offizielle Arbeitslosigkeit in den USA 9%. Die wahre Arbeitslosenquote liegt demgegenüber zwischen 15 und 20 %, wenn die Personen, die aus der Arbeitslosenunterstützung herausgefallen sind und die, die weniger arbeiten als sie wollen, mitgezählt würden. Entsprechend steigt die Armut in den USA und die Zeltstädte, die mit dem Begriff Hooverville beschrieben werden, sind auch im 21. Jahrhundert alles andere als Geschichte. Laut dem offiziellen Bericht der Kommission zur Aufklärung der Finanzkrise in den USA waren in 2010 »über 26 Millionen Amerikaner arbeitslos, können keine Vollzeitstelle finden oder haben die Suche nach Arbeit aufgegeben. Rund viereinhalb Millionen Familien haben durch Zwangsvollstreckung ihr Haus verloren, und weitere viereinhalb Millionen stecken bereits im Prozess der Zwangsvollstreckung oder sind mit ihren Hypothekenraten weit im Verzug. Fast 11 Billionen privaten Vermögens haben sich in Luft aufgelöst, Altersversorgungskonten und lebenslange Ersparnisse wurden vernichtet. Michael Heim, http://einestages.spiegel.de Der Name Hooverville wird auch heute noch gelegentlich benutzt, um die in den USA verbreiteten Zeltstädte zu beschreiben. 1 12 … Die Leittragenden der Krise sind echte Menschen, echte Gemeinden. Wir werden die Auswirkungen wahrscheinlich eine Generation lang spüren, und der Weg zu neuer wirtschaftlicher Stärke wird steinig.«2 England erreichte den Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise 1932, Frankreich im Frühjahr 1935. In Deutschland stieg die Zahl der Erwerbslosen zwischen September 1929 und Anfang 1933 auf über 16% der Gesamtbevölkerung. Sechs Millionen Arbeitslosen standen lediglich zwölf Millionen Beschäftigte gegenüber, zu denen auch die große Masse der schlecht bezahlten Kurzarbeiter und Angestellten zählte. »Armut und Kriminalität nahmen sprunghaft zu. ... Für ältere Menschen bestand keinerlei Hoffnung auf eine Anstellung. Auch jüngere Arbeitslose mussten jede Chance eines kleinen Verdiensts ergreifen, um dem gefürchteten sozialen Abstieg und der Obdachlosigkeit zu entgehen. Viele Menschen erkannten nur im Freitod einen Ausweg aus ihrer existenziellen Not. Andere versuchten durch Heimarbeit, Hausieren und Tauschgeschäfte den täglichen Überlebenskampf zu gewinnen oder zogen als Straßenmu- Financial Crisis Inquiry Commission, United States of America (Hrsg.), Der FCIC Report, FinanzBuch Verlag, 1. Aufl. 2011, S. 7 2 13 sikanten von Haus zu Haus. Für unzählige Frauen war Prostitution der letzte Ausweg.«3 4 Jahre nach Beginn der sogenannten Finanzkrise beträgt die offizielle Arbeitslosigkeit in Europa 10%. Während Länder wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien über die Schaffung »japanischer Verhältnisse«, d.h. über die zunehmende Verbreitung von befristeten Billiglohnverhältnissen die Arbeitslosenquote bei 5 bis 7 % halten konnten, erreicht die offizielle Arbeitslosenquote in Ländern wie Ungarn, Irland oder Spanien im Zuge der Finanzkrise Werte von 13 bis 20% Japan wurde von der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren nur unwesentlich erfasst. Erst 1990 erlebte die japanische Wirtschaft eine vergleichbare Krise. Ende der Achtziger Jahre hatte der Boom gigantische Ausmaße angenommen. Der Nikkei-Index hatte sich von 1987 bis 1989 auf 39000 Punkte mehr als verdoppelt. »Der Preisindex für Wohnimmobilien in sechs großen Städten stieg von 5800 Punkten im Jahr 1980 auf 20.600 Punkte im Jahr 1989. Zu diesem Zeitpunkt waren die Grundstückswerte des KaiserpaZitiert nach: Deutsches Historisches Museum: Projekt Lebendiges virtuelles Museum Online, http://www.dhm.de/lemo/html/weimar/industrie/wirtschafts krise/index.html 3 14 lastes in Tokio mehr wert als der Grund des USStaates Kalifornien. Alle japanischen Grundstückswerte zusammen waren sogar viermal so hoch bewertet wie die der gesamten Vereinigten Staaten.«4 Als 1990 die Immobilienpreise einbrachen und der Nikkei-Index um 40% fiel, standen die japanischen Banken vor dem Konkurs. Der anstehende Zusammenbruch des Bankensystems wurde vom japanischen Staat jedoch durch massive finanzielle Eingriffe verhindert. In den folgenden 15 Jahren wirtschaftlicher Stagnation stieg in Japan die offizielle Arbeitslosenquote zwar nicht wesentlich über 4 Prozent, aber die Zahl der schlecht bezahlten Teilzeitbeschäftigungen nahm ständig zu. Heute arbeitet fast ein Drittel der japanischen Arbeitnehmer in Teilzeitjobs. Die verlorene Generation werden die heute Ende zwanzig bis Mitte dreißigjährigen genannt, die hofften, irgendwann eine Festanstellung in der Wirtschaft zu finden, aber nun feststellen müssen, dass eine Generation neuer Kandidaten ihnen vorgezogen wird. Neben der ersten und zweiten Ölpreiskrise, 1973 und 1979, mit der die sogenannte Sockelarbeitslosigkeit in Europa auf 5 bis 10 Prozent stieg, sowie der Asienkrise in 1997, konnte man 2002 im Fernsehen die Wirkungen der Argentinienkrise verfolgen. »Die sozihttp://zeitenwende.ch/finanzgeschichte/die-japan-krise-imjahr-1990/ 4 15 alen Folgen waren verheerend: Auf dem Höhepunkt der Krise (Mitte 2002) stieg die Armutsrate auf 57%, die Arbeitslosenrate erreichte 23%. … Großes Aufsehen in den Medien erlangten die Cartoneros, Menschen, die im Müll nach recycelbaren Materialien, meist Papier und Karton, suchten und diese dann verkauften.«5 Der erfolgreiche Unternehmer John D. Rockefeller findet mit Blick auf die Auswirkungen von Wirtschaftskrisen beruhigende Worte: »Dies sind Tage, wo viele entmutigt sind. In den 93 Jahren meines Lebens sind viele Wirtschaftskrisen gekommen und gegangen. Wohlstand ist immer zurückgekehrt und wird immer zurückkehren.«6 So sieht es auch der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman: Für »Millionen Beschäftigte hatte die Krise zweifellos verheerende Folgen gehabt. ... Zwei Jahre nach der TequilaKrise schien es so, als sei alles wieder im Lot. Mexiko und Argentinien boomten, und jenen Investoren, die die Nerven behalten hatten, ging es in der Tat sehr gut.«7 Andere verweisen darauf, dass der Kapitalismus mit jeder Krise dazulernt oder zitieren die berühmte Phrase Joseph Schumpeters vom Prozess de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftskrise Schultz, Stanley K. (1999). »Crashing Hopes: The Great Depression« 7 Paul Krugman, The Return of Depression Economics, S. 52 5 6 16 der schöpferischen Zerstörung. Als blanken Zynismus angesichts des existenziellen Massenelends wird der Verweis auf den erfolgreichen Neuanfang der Marktwirtschaft nach der Krise von kaum jemandem verstanden. Mit der Sorge um die Marktwirtschaft ist von den Bedürfnissen derer, in deren Dienst die Wirtschaft stehen sollte, längst abgesehen. 17 Das Dogma »Wirtschaft = Marktwirtschaft« sitzt tief und liefert die unerschütterliche Rationalität innerhalb des mit der Marktwirtschaft gesetzten Rahmens. Wenn »Wirtschaft = Marktwirtschaft«, dann gehören die Krisen mit ihren unangenehmen Folgen eben dazu wie der Schatten zum Licht und einen vernünftigen Grund, das Wirtschaftssystem in Frage zu stellen, gibt es dann auch nicht. Natürlich könnte jeder spätestens an der Krise leicht studieren, dass die Versorgung nicht der vorherrschende Zweck in der Marktwirtschaft ist. Zur Krise im Sinne einer Versorgungskrise gäbe es ja schließlich angesichts der unverändert vorhandenen Produktionsmittel gar keinen Grund. Alle materiellen Reichtümer und Produktionsmittel sind in der Wirtschaftskrise unverändert vorhanden und dennoch herrscht Massenverelendung. Große Teile der Bevölkerung verlieren ihren Arbeitsplatz und werden darüber außer Lohn und Brot gesetzt. Funktionsfähige Produktionsstätten und Maschinen werden stillgelegt, und wenn die Bevölkerung die Fabriken besetzt, um die Produktion aufrechtzuerhalten, wird sie von Polizei und Militär daran gehindert. 18 Komische Krise! Es wurde nicht zu wenig produziert, sondern zu viel: zu viele Fabriken, zu viele Häuser, zu viele Konsumartikel. Überproduktion ist das Synonym für Wirtschaftskrise. Aber wieso kann Überproduktion überhaupt zum Problem werden? Wenn zu viel produziert worden wäre, könnte man es ja einfach liegen lassen oder entsorgen. Ärgerlich wäre nur, dass zu viel gearbeitet worden wäre, statt sich früher der wohlverdienten Freizeit zu widmen. Innerhalb des mit der Marktwirtschaft gesetzten Rahmens ist das natürlich Unsinn. »Wirtschaft = Marktwirtschaft« funktioniert so nicht. Essen kann in 19 der Marktwirtschaft nur, wer auch bezahlen kann und wenn nicht genügend bezahlen können, gibt es auch keinen Grund zum Produzieren. So einfach können Massenelend und vorhandener Reichtum zusammengehen. 20 Was ist das für ein komischer Reichtum, der – obwohl sich die materiellen Produktionsbedingungen gar nicht verändert haben, obwohl Lebensmittel, Unterkünfte und alle möglichen sonstigen Konsumartikel weiterhin vorhanden sind – plötzlich für einen Großteil der Bevölkerung immer weniger zur Verfügung steht? Was ist in der Marktwirtschaft der Maßstab, was ist der Zweck für den Einsatz der Produktionsmittel? 21 2. Bereichert Euch! ist das Motto der Marktwirtschaft Wirtschaft, sollte man meinen, dient dazu, die Menschen mit Lebensmitteln, Kleidung, Unterkunft und je nach Entwicklung der Produktivkräfte mit allen möglichen anderen nützlichen Gebrauchswerten zu versorgen. Der Wohlstand würde sich dementsprechend daran messen, inwiefern es gelingt, die für eine umfassende Versorgung notwendige Arbeitszeit zu reduzieren und so die frei verfügbare Zeit für alle Menschen zu vermehren. Die Qualität der Erzeugnisse, der hierfür zu leistende Arbeitsaufwand, die Arbeitsbedingungen sowie die Auswirkungen der Produktion auf die Umwelt wären wesentlicher Bestandteil in der Kalkulation ob, was und wie produziert wird. Mit anderen Worten: der Zweck der Wirtschaft wäre die Bedürfnisbefriedigung. Wenn, wie in der Marktwirtschaft, alle nützlichen Sachen als Waren produziert werden, ändert sich der Zweck der Wirtschaft. Weder bei der Forschung, noch bei der Produktion geschweige denn beim Marketing geht es in der Marktwirtschaft darum, gesundheitlich unbedenkliche und qualitativ hochwertige Lebensmittel und sonstige Konsumartikel zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen. 22
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