Simone Gerlitzki, Pastoralreferentin, Frankfurt Morgenfeier in hr2-kultur am Sonntag, 11. Oktober 2015 Vom Reichtum und der Nachfolge „Jesus aber sagte noch einmal zu ihnen: Meine Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen! Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ (Mk 10, 24b-26) Seit den Tagen meiner Kindheit versuche ich mir vorzustellen, wie denn ein Kamel durch ein Nadelöhr passen kann. Natürlich weiß ich, dass es nicht geht. Und trotzdem bin ich immer wieder neu damit beschäftigt, mir das Unmögliche vorzustellen, und eigentlich traue ich dies auch nur einem zu: Loriot. Er war wahrscheinlich der einzige, der in der Lage gewesen wäre, dieses Bild Jesu in ein Bild umzusetzen. Ich stelle mir vor, wie Herr Müller-Lüdenscheid versucht, das Kamel durch das Nadelöhr zu zerren. Vermutlich würde Loriot das meisterhaft ins Bild bringen. Doch leider kommt das Kamel weder durch das Nadelöhr, noch komme ich einfach so in das Himmelreich. Heute wird das Evangelium vom Kamel und Nadelöhr in den katholischen Gottesdiensten gelesen. Und es bietet wieder reichlich Nachdenkenswertes für meinen Glauben. Da kommt ein junger Mann zu Jesus und stellt ihm die alles entscheidende Frage: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ (Mk 10, 17) Und Jesus antwortet überraschend klar und deutlich, indem er die zehn Gebote aufzählt. Klipp und klare Anweisungen: Wenn du dich so verhältst, wenn du so handelst, dann kommst du in den Himmel. Wer also eine schlichte Regel will nach dem Motto: Was muss ich tun?, hier im Evangelium findet er sie: Halte dich an die zehn Gebote (Mk 10,19). Basta. Aber dann geht die Geschichte weiter. Der junge Mann ist noch nicht zufrieden. Er lebt nach den zehn Geboten, und ich will ihm mal glauben, dass er sich wirklich von Jugend an bemüht, die Gebote zu halten. Aber er spürt tief in sich: Das ist es noch nicht. Da fehlt doch noch was. Und ich glaube, das ist es, was Jesus an diesem Mann gefällt: Er gibt sich nicht zufrieden. Er spürt, es geht im Leben um mehr als darum, die Gebote zu halten. Denn die Gebote halten, das ist ja im Grunde ein negativer Weg: die Gebote sagen uns ja nur, was wir nicht tun sollen: nicht töten, nicht die Ehe brechen, nicht stehlen, und so weiter. Aber was kann ich denn positiv dazutun? Das will dieser junge Mann von Jesus wissen. Wie kann ich Gottes Liebe am besten beantworten? Was kann ich tun, um nach Gottes Geboten zu leben? Musik 1: „Ich bitte dich, Herr Jesu Christ“ (nach BWV 166) Albrecht Mayer, Bach, 2:44 Was kann ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Was kann ich tun, um nach Gottes Geboten zu leben?, fragt sich der junge Mann im Evangelium, welches heute in allen katholischen Kirchen verkündet wird. Spannend ist, was Jesus daraufhin tut. 1 In der Schriftstelle heißt es: „Da sah ihn Jesus an, und weil er ihn liebte, sagte er: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (Mk 10, 21-22) Jesu Forderung ist fast so, wie im Sport, im Hochsprung: die Latte wird von ihm einfach ein Stück höher gelegt, und zwar gleich ein gewaltiges Stück höher. Es scheint fast so, als sei es zu hoch für diesen jungen Mann, denn er geht daraufhin traurig und enttäuscht weg. Und selbst Jesu Jünger erschrecken wegen dieses radikalen und hohen, viel zu hohen Anspruchs, den Jesus da stellt: „Wer kann denn da überhaupt noch gerettet werden?“, fragen die Jünger ganz entrüstet. (Mk 10, 26b). Ich glaube, Jesus will hier nicht die Latte für den Himmel einfach ins Unermessliche hochlegen, sondern ihm geht es um etwas anderes. Er will dem jungen Mann zeigen, worauf es wirklich ankommt: nämlich Gott von ganzem Herzen lieben und sich von ihm lieben zu lassen! Und er will diesen Mann lehren, wie Liebe funktioniert. Der Mann ist eigentlich ein typisches Beispiel eines Menschen, der glaubt, ich muss mir Liebe zuerst verdienen. Indem ich gut lebe, die Gebote halte, gute Werke tue, einfach versuche, ein guter Mensch zu sein: Damit verdiene ich mir doch die Liebe Gottes. Und doch spürt er: Das ist es nicht, da fehlt noch was. Oder ich muss mir Liebe erkaufen. Menschen, die viel besitzen, sind oft in der Gefahr zu versuchen, sich Liebe anderer Menschen zu erkaufen. Durch große Geschenke, durch Geld, durch übertriebene Großzügigkeit. Aber auch so funktioniert das nicht. Also zeigt Jesus dem Mann einen Weg, wie er Liebe wirklich lernen kann. Gib alles her, gib alles weg, deinen ganzen Reichtum. Und wenn du nichts mehr hast, was du vorweisen kannst, nichts mehr, womit du dir Liebe erkaufen kannst, dann kannst du lernen, dass Liebe ein reines und unverdientes Geschenk ist. Ich denke, genau das will Jesus diesem Mann sagen. Musik 2: „Jesu bleibet meine Freude“ Allegro (nach BWV 147) Albrecht Mayer Bach 2:56 „Was muss ich tun, um in den Himmel zu kommen?“ Schon die Frage des jungen Mannes im heutigen Evangelium ist gründlich falsch gestellt. Ich muss nichts tun, ich kann gar nichts tun. Ich muss mich nur von Gott lieben lassen und ihn lieben. Das bedeutet: allen Stolz ablegen, mit dem ich immer wieder glaube, es kommt doch auf mich und meine Taten an. Und das fällt Menschen unsagbar schwer. Und nicht nur denen, die viel Geld auf dem Konto haben. Das steckt in jedem Menschen: Selbständigkeit, gut dastehen vor Freunden und Bekannten und natürlich auch in den Augen Gottes. Dafür tun Menschen einiges. Aber was Gott eigentlich von mir will, ist meine Liebe. Und Liebe ist dort am tiefsten, wo man den Mut hat, sich dem anderen gerade dann anzuvertrauen, wenn man schwach und hilflos ist. Aus diesem Grund ist Gott Mensch geworden, weil er mehr wollte als ehrfurchtsvolle Verehrung und Anbetung. Er will von mir geliebt werden. Deshalb zeigt er sich als der schwache, ohnmächtige und leidende Mensch am Kreuz. Meine Schwäche und meine Ohnmacht aber kann ich nur Menschen zeigen und anvertrauen, die ich liebe 2 und von denen ich mich geliebt und angenommen weiß. Gott sehnt sich nach meiner Liebe, und ich glaube, sie ist der Schlüssel, das Eingangstor zum Himmel. Das alles hat für mich etwas Befreiendes, denn Jesus sagt mir zu: Du brauchst dich vor mir nicht anzustrengen, um ein besonders vollkommener Mensch zu sein. Du musst nicht erst was tun, um dir den Himmel zu verdienen. Sondern es kommt einzig und allein darauf an, dass du im Leben lernst, Gott zu lieben und dich von ihm lieben zu lassen, so wie du bist! Deshalb gehört für mich auch der Ruf zur Nachfolge mit dazu. Jesus verlangt von dem jungen Mann im Evangelium, nicht nur alles aufzugeben, sondern er lädt ihn zugleich ein, sein Leben mit ihm zu teilen, er bietet ihm seine Freundschaft und Liebe an: „Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (Mk 10,21) Diese alles entscheidende Einladung überhört der junge Mann, denn es wird erzählt, dass er traurig fortgeht. Klar, da ist eine nächste Hürde zu nehmen. Der junge Mann soll alles verkaufen, was er hat und sein Geld den Armen geben. Welch eine radikale, neue Forderung! Musik 3: Concerto a cinque, op.9, Nr. 2, Allegro, Albrecht Mayer Tomaso Albinoni „In Venedig“ 2:49 „Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (Mk 10,21) Auf diese sehr fordernde Einladung reagiert der junge Mann im Evangelium mit Traurigkeit. Betrübt zieht er weg. Sein Reichtum erschwert anscheinend den Weg zu Gott. Aber an seinem Besitz hängt sein Herz. Er kann sich schwer vorstellen, darauf zu verzichten. Viel Geld zu besitzen, bedeutet unabhängig zu sein. Wer will nicht mehr Geld haben? Mit Geld kann ich mir Wünsche erfüllen. Ständig werden ja überall neue geweckt. Da kann ich leicht in einen Zwang geraten, die meine ganze Person bestimmt. Es ist heute schwer, unbeschwert und zugleich vernünftig mit Geld umzugehen. Geld kann den Weg zu Gott schon erschweren und vielleicht ist der junge Mann im Evangelium deshalb betrübt, weil er nicht loslassen kann. Den Armen soll er Geld geben, seinen Besitz soll er verkaufen. Die Geschichte lässt offen, wie sich der Jüngling letzten Endes entscheidet. In diesem Zusammenhang fällt mir eine andere Bibelstelle ein, in der Besitz zu einer Gefahr der persönlichen Gottesbeziehung werden kann. Bei Matthäus heißt es: „Ihr könnt nicht zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz. Darum entscheide dich!“ (Mt 6, 21.24) Wenn mein Herz ganz an materiellen Dingen hängt oder an sozialer, gesellschaftlicher Anerkennung, dann ist das sicher alles andere als im Sinne Jesu. Es geht, genau wie im heutigen Evangelium, um ein Loslassenkönnen: Eines fehlt dir noch, obwohl du alle Gebote treu erfüllst! Lass los! Mach dich frei von deinem Reichtum! Schenke Gott dein ganzes Herz! Dein Herz möge frei und unbeschwert werden wie das der Kinder. Dann bist du in Gottes Nähe – das möchte Jesus wohl ausdrücken. Bischof Kamphaus hat das einmal so ausgedrückt: „Armsein vor Gott meint: Ich darf der sein, der ich bin, in meinen Grenzen. Ich muss nicht mehr sein oder darstellen, als ich bin; 3 ich brauche mir nichts vorzumachen… Ich darf davon ausgehen: Wert und Anerkennung muss ich mir nicht selbst verschaffen; ich brauche sie mir nicht von anderen erbetteln oder erzwingen, oder durch großes Vermögen erwerben. Sie sind mir von Gott geschenkt.“ (Johannes Bours/Franz Kamphaus, Leidenschaft für Gott. Ehelosigkeit – Armut – Gehorsam, Freiburg 1981, S. 91) Musik 4: Menuett „Piagge serene“ Concerto for Oboe, Bassoon, Harpsichord und B.c. Albrecht Mayer “New Season” 2:56 Gott will mich beschenken. Wenn ich mich zum Beispiel im Gebet immer wieder für dieses Geheimnis Gottes öffne, dann werde ich reich beschenkt werden. Wohlstand und irdischer Reichtum werden dann relativiert. Wie beschenkt bin ich doch, wenn mich ein Kind anlächelt oder mich mein Nachbar erfreut begrüßt oder ein langjähriger Freund nach Jahren des Nicht Sehens mich endlich wieder besucht. Das sind in meinem Leben Momente, die ich von Gott geschenkt bekomme und die mit Geld nicht aufzuwiegen sind. Das alles klingt sicher einfacher, als es letzten Endes wirklich ist. Aber wenn ich mit Gottes Hilfe in diesem Bewusstsein wachse, dann wird mir das Bildwort vom Kamel und dem Nadelöhr mich immer wieder aufschrecken und Anstoß zum Nachdenken über meinen persönlichen Lebensstil schenken. Ich persönlich verstehe Jesu Worte als Ermutigung, meinen Reichtum zu teilen, d.h. im Rahmen meiner Möglichkeiten z.B. den Armen materiell zu helfen. Viele Möglichkeiten habe ich da, die ich auch nutze: von einer Spende für die Caritas oder eine andere Hilfsorganisation, die sich gezielt um arme Menschen oder jetzt gerade um Flüchtlinge kümmert. Darüber hinaus die vielfältigen, konkreten Projekte für Bedürftige. Ich denke da an die Tafel Projekte, die in den Städten für viele Menschen eine Quelle des „täglichen Brotes“ ist. Um das „tägliche Brot“ beten Christen in jedem Vater Unser. Sie tun das im Bewusstsein, dass es nicht allein in des Menschen Macht steht, alle Probleme und Ungerechtigkeiten dieser Welt zu lösen. Doch da, wo Menschen etwas zur Beseitigung materieller Armut tun können, sollten sie nicht versäumen, das in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Welt ein klein bisschen besser zu machen. Dazu gehört für mich auch: Das Gebet für die Notleidenden dieser Welt, denn letztlich hängt – Gott sei Dank – nicht alles an meinem Tun oder Lassen. Ich darf mich an Gottes Wort festmachen, mit dem er auch seinen Jüngern ihre große Besorgnis nehmen will. Ich darf auf den Schlusssatz des heutigen Evangeliums vertrauen, den Jesus seinen Jüngern zuspricht: „Für Menschen mag vieles unmöglich scheinen, aber nicht für Gott, denn für ihn ist alles möglich“ (Mk 10,27). Musik 5: „Piagge serene“ Concerto for Oboe, Bassoon, Harpsichord and B.c. Albrecht Mayer “New Season” Allegro 4:18 Zum Nachhören als Podcast http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=43760 4
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