Wie Florian das Christkind rettet

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Wie Florian das Christkind rettet
Florian freute sich auf Weihnachten: auf die Gerüche, die am Heiligen Abend durch die
Wohnung zogen, auf das Kribbeln im Bauch und die Aufregung. Und natürlich auf
Geschenke. Nur aufs Krippenspiel freute er sich nicht. Aber seine Mutter sagte: „Das
Christkind sieht doch, wenn du beim Krippenspiel dabei bist. Dann freut es sich und bringt
dir sicher schöne Geschenke.“
Florian war sich da nicht so sicher. Überhaupt – ob das Christkind wirklich die Geschenke
brachte? Oder ob es doch der Weihnachtsmann war, von dem in allen Bilderbüchern die
Rede war? Aber vorsichtshalber spielte er doch mit – sicher ist sicher.
Schon die ganze Adventszeit über hatten sich die Kinder jede Woche zur Probe für das
Krippenspiel getroffen. Florian hatte in diesem Jahr nur eine kleine Rolle übernommen. Er
spielte den Esel. Dafür hatte er einen Kopf aus Pappmaché auf und musste im richtigen
Moment über den Krippenrand schauen und dreimal laut „I-ah! I-ah! I-ah!“ rufen.
Am Vormittag des Heiligen Abends trafen sich die Kinder mit dem Pfarrer zur
Generalprobe. Und es war eine einzige Katastrophe. Dem Kaiser Augustus fiel die Krone
vom Kopf, Maria klopfte so heftig mit dem Stock auf den Boden, dass man überhaupt
nicht mehr hören konnte, was sie sagte. Josef zerrte sie im Schnellschritt durch die Kirche.
Der Wirt vergaß seinen Text, die Hirten vergaßen ihre Schafe mitzunehmen und die
Heiligen Drei Könige hatten ihre Ferngläser vergessen, um den Stern zu suchen. Nur
Florian schrie im richtigen Moment dreimal laut „I-ah! I-ah! I-ah!“
Der Pfarrer seufzte und sagte: „Kinder, das proben wir noch einmal.“
Der Kaiser Augustus kletterte wieder auf die Leiter hinauf und rief: „Geld! Ich brauche
Geld!“. Beim hinuntersteigen von der Leiter verfing er sich in seinem Umhang, blieb auf
der letzten Stufe hängen, stolperte und riss die ganze Leiter mit sich. Die Leiter stürzte auf
die Krippe, die Krippe fiel um und das Christkind kullerte aus dem Stroh heraus - erst der
Kopf, dann der Körper. Kaiser Augustus wurde glühend rot, richtete schnell die Krippe auf
und stopfte die zwei Teile des Christkindes unter das Stroh, damit niemand merkte, dass
es kaputt war.
Der Pfarrer seufzte und sagte: Ich glaube, wir hören lieber auf. Wenn schon die
Generalprobe so schief geht, dann wird die Aufführung sicher klappen.“
Florian hatte gesehen, was mit dem Christkind passiert war. Heimlich zog er die zwei Teile
aus dem Stroh und versteckte sie unter seinem Pullover. Zu Hause lief er in die Küche zu
seiner Mutter. Sie sah ein wenig aufgeregt und erschöpft aus, wie immer um diese Zeit
am Heiligen Abend. Er streckte der Mutter die beiden Teile entgegen und sagte: „Schau
mal, Mama. Wir müssen es unbedingt reparieren. Sonst gibt es heute kein Christkind.“
„Nimm doch eine Puppe“, antwortete die Mutter ohne hinzusehen.
„Dann habt ihr auch ein Christkind.“
Florian hatte keine Puppe. Und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass irgendeine
Puppe auf einmal das Christkind werden konnte. Also ging er zu seinem Vater. Der
versuchte im Wohnzimmer gerade, den Tannenbaum in seinem Ständer festzumachen.
Das gelang nicht wirklich und sein Vater war ein wenig gereizt, wie immer um diese Zeit
am Heiligabend. Florian streckte ihm das Christkind entgegen und sagte: „Wir müssen das
unbedingt reparieren. Sonst gibt es heute kein Christkind.“
„Mach doch aus einem alten Lappen ein Bündel, dann habt ihr ein Christkind.“, antwortete
der Vater und schraubte weiter an dem Baumständer herum.
Florian verstand die Eltern nicht. Jedes Jahr sollte er beim Krippenspiel mitmachen, um
das Christkind zu erfreuen. Und nun, da es kaputt war und Hilfe brauchte, kümmerte sie
das überhaupt nicht. Schließlich schlich er sich in den Keller. Hier hatte der Vater sein
Werkzeug. Florian wusste zwar, dass er es nicht allein benutzen darf. Aber dies war ein
Notfall. Er nahm den Leimtopf aus dem Regal und drückte mit einem Pinsel einen dicken
Klecks Leim auf den Hals des Christkinds. Dann setzte er den Kopf darauf. Der Leim tropfte
auf die Schultern und der Kopf saß ein wenig schief, so als neige das Christkind ihn zur
Seite. Aber wenigstens war es nun nicht mehr zweigeteilt.
Zum Gottesdienst am Nachmittag trug Florian das Christkind wieder unter seinem
Pullover versteckt in die Kirche. Er ging an seinen Platz hinter der Krippe und setzte den
Eselskopf auf. Das Krippenspiel begann und dieses Mal stieg der Kaiser Augustus von der
Leiter, ohne sie umzureißen oder seine Krone zu verlieren. Josef führte Maria langsam
durch die Kirche und alle konnten hören wie sie sagte: „ Ich bin so müde. Ich kann nicht
mehr.“
Auch der Wirt wusste seinen Text und wies ihnen den Weg. Als aber Maria und Josef vor
der Krippe niederknieten und Maria das Kind unter dem Stroh hervorziehen wollte, fand
sie es nicht. Sie durchsuchte die ganze Krippe und auch Josef half mit. Die Leute in den
Kirchenbänken wurden ganz unruhig. Da schob Florian seinen Eselskopf über den
Krippenrand, legte das geleimte Christkind in die Krippe und sagte dreimal laut: „I-ah! Iah! I-ah!“
Die Mutter lächelte. Der Vater lächelte. Und einen Moment glaubte Florian zu sehen, dass
auch das Christkind lächelte.
nach Luise Holthausen