21 Wie Florian das Christkind rettet Florian freute sich auf Weihnachten: auf die Gerüche, die am Heiligen Abend durch die Wohnung zogen, auf das Kribbeln im Bauch und die Aufregung. Und natürlich auf Geschenke. Nur aufs Krippenspiel freute er sich nicht. Aber seine Mutter sagte: „Das Christkind sieht doch, wenn du beim Krippenspiel dabei bist. Dann freut es sich und bringt dir sicher schöne Geschenke.“ Florian war sich da nicht so sicher. Überhaupt – ob das Christkind wirklich die Geschenke brachte? Oder ob es doch der Weihnachtsmann war, von dem in allen Bilderbüchern die Rede war? Aber vorsichtshalber spielte er doch mit – sicher ist sicher. Schon die ganze Adventszeit über hatten sich die Kinder jede Woche zur Probe für das Krippenspiel getroffen. Florian hatte in diesem Jahr nur eine kleine Rolle übernommen. Er spielte den Esel. Dafür hatte er einen Kopf aus Pappmaché auf und musste im richtigen Moment über den Krippenrand schauen und dreimal laut „I-ah! I-ah! I-ah!“ rufen. Am Vormittag des Heiligen Abends trafen sich die Kinder mit dem Pfarrer zur Generalprobe. Und es war eine einzige Katastrophe. Dem Kaiser Augustus fiel die Krone vom Kopf, Maria klopfte so heftig mit dem Stock auf den Boden, dass man überhaupt nicht mehr hören konnte, was sie sagte. Josef zerrte sie im Schnellschritt durch die Kirche. Der Wirt vergaß seinen Text, die Hirten vergaßen ihre Schafe mitzunehmen und die Heiligen Drei Könige hatten ihre Ferngläser vergessen, um den Stern zu suchen. Nur Florian schrie im richtigen Moment dreimal laut „I-ah! I-ah! I-ah!“ Der Pfarrer seufzte und sagte: „Kinder, das proben wir noch einmal.“ Der Kaiser Augustus kletterte wieder auf die Leiter hinauf und rief: „Geld! Ich brauche Geld!“. Beim hinuntersteigen von der Leiter verfing er sich in seinem Umhang, blieb auf der letzten Stufe hängen, stolperte und riss die ganze Leiter mit sich. Die Leiter stürzte auf die Krippe, die Krippe fiel um und das Christkind kullerte aus dem Stroh heraus - erst der Kopf, dann der Körper. Kaiser Augustus wurde glühend rot, richtete schnell die Krippe auf und stopfte die zwei Teile des Christkindes unter das Stroh, damit niemand merkte, dass es kaputt war. Der Pfarrer seufzte und sagte: Ich glaube, wir hören lieber auf. Wenn schon die Generalprobe so schief geht, dann wird die Aufführung sicher klappen.“ Florian hatte gesehen, was mit dem Christkind passiert war. Heimlich zog er die zwei Teile aus dem Stroh und versteckte sie unter seinem Pullover. Zu Hause lief er in die Küche zu seiner Mutter. Sie sah ein wenig aufgeregt und erschöpft aus, wie immer um diese Zeit am Heiligen Abend. Er streckte der Mutter die beiden Teile entgegen und sagte: „Schau mal, Mama. Wir müssen es unbedingt reparieren. Sonst gibt es heute kein Christkind.“ „Nimm doch eine Puppe“, antwortete die Mutter ohne hinzusehen. „Dann habt ihr auch ein Christkind.“ Florian hatte keine Puppe. Und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass irgendeine Puppe auf einmal das Christkind werden konnte. Also ging er zu seinem Vater. Der versuchte im Wohnzimmer gerade, den Tannenbaum in seinem Ständer festzumachen. Das gelang nicht wirklich und sein Vater war ein wenig gereizt, wie immer um diese Zeit am Heiligabend. Florian streckte ihm das Christkind entgegen und sagte: „Wir müssen das unbedingt reparieren. Sonst gibt es heute kein Christkind.“ „Mach doch aus einem alten Lappen ein Bündel, dann habt ihr ein Christkind.“, antwortete der Vater und schraubte weiter an dem Baumständer herum. Florian verstand die Eltern nicht. Jedes Jahr sollte er beim Krippenspiel mitmachen, um das Christkind zu erfreuen. Und nun, da es kaputt war und Hilfe brauchte, kümmerte sie das überhaupt nicht. Schließlich schlich er sich in den Keller. Hier hatte der Vater sein Werkzeug. Florian wusste zwar, dass er es nicht allein benutzen darf. Aber dies war ein Notfall. Er nahm den Leimtopf aus dem Regal und drückte mit einem Pinsel einen dicken Klecks Leim auf den Hals des Christkinds. Dann setzte er den Kopf darauf. Der Leim tropfte auf die Schultern und der Kopf saß ein wenig schief, so als neige das Christkind ihn zur Seite. Aber wenigstens war es nun nicht mehr zweigeteilt. Zum Gottesdienst am Nachmittag trug Florian das Christkind wieder unter seinem Pullover versteckt in die Kirche. Er ging an seinen Platz hinter der Krippe und setzte den Eselskopf auf. Das Krippenspiel begann und dieses Mal stieg der Kaiser Augustus von der Leiter, ohne sie umzureißen oder seine Krone zu verlieren. Josef führte Maria langsam durch die Kirche und alle konnten hören wie sie sagte: „ Ich bin so müde. Ich kann nicht mehr.“ Auch der Wirt wusste seinen Text und wies ihnen den Weg. Als aber Maria und Josef vor der Krippe niederknieten und Maria das Kind unter dem Stroh hervorziehen wollte, fand sie es nicht. Sie durchsuchte die ganze Krippe und auch Josef half mit. Die Leute in den Kirchenbänken wurden ganz unruhig. Da schob Florian seinen Eselskopf über den Krippenrand, legte das geleimte Christkind in die Krippe und sagte dreimal laut: „I-ah! Iah! I-ah!“ Die Mutter lächelte. Der Vater lächelte. Und einen Moment glaubte Florian zu sehen, dass auch das Christkind lächelte. nach Luise Holthausen
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