MIR-Transmissionsspektroskopie Verfahren

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Fachartikel
MIR-Transmissionsspektroskopie Verfahren
Überwachung und Charakterisierung von Bioprozessen
H. Horakh, R. Masuch, J. Hofmann, A. Wolf, A. Steinkämper und R. Biener
Z
eitnahe, präzise Erfassung vieler Prozessparameter, bei gleichzeitiger einfacher und verlässlicher Auswertung
ist in der biopharmazeutischen Forschung
und Entwicklung heute von immenser Bedeutung. Daher bedarf es einer Technik
die, online eingesetzt, aussagekräftige und
übertragbare Messdaten liefert. In diesem
Artikel wird eine neue Herangehensweise
vorgestellt, die MIR-Transmissionsspektroskopie innerhalb der Bioprozesstechnik
anzuwenden.
In den letzten Jahren hat die Entwicklung
neuer Biopharmazeutika stetig an Bedeutung gewonnen, trotzdem fehlen der Bioprozesstechnik weitgehend noch die geeigneten
Echtzeit-Messverfahren. Spektroskopische
Verfahren haben tendenziell das größte
Potential diese Lücke zu schließen, jedoch
konnte sich bisher noch kein Verfahren etablieren. Bisher eingesetzte Verfahren wie NIR,
Raman oder ATR können die gestellten Anforderungen nicht erfüllen. NIR und Raman
weisen eine zu geringe analytische Bandbreite oder eine zu geringe Aktivität der gesuchten Analyten im entsprechenden Spektralbereich auf [1], [2]. Weitere Nachteile beim
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Einsatz von ATR sind, dass die Absorptionen
wellenlängenabhängig sind und Grenzflächeneffekte zwischen optischem Material
und der Probenflüssigkeit, beispielsweise in
Form von Adsorption oder Denaturierung
der Probe, auftreten können [1], [3], [4]. Darüber hinaus stellt die Übertragbarkeit von
Spektrendatenbanken beziehungsweise chemometrischen Modellen von Gerät zu Gerät
ein Problem dar [5].
Abb. 1:
Automatisierter
MIRA Analyzer
Der Einsatz der Mittelinfrarot-Transmissionsspektroskopie (spektraler Bereich von
4000 cm-1 bis 400 cm-1) bei der Überwachung von Herstellungsprozessen sowie für
das Wirkstoffscreening gehört, auf Grund des
hohen Informationsgehaltes der Spektren, zu
den Standardverfahren in der chemischenpharmazeutischen Industrie. Bisher konnte
dieses Verfahren jedoch nicht für wässrige
Proben eingesetzt werden. Grund hierfür ist
die starke Absorption von Wasser im mittleren Infrarotbereich und der damit verbundenen Totalabsorption. Die technologischen
Anforderungen an MIR-Systeme für den Einsatz mit wässrigen Proben sind mit Schichtdicken im Mikrometerbereich und Schichtdicken-Genauigkeiten im Nanometerbereich
sehr hoch.
Neue Schnittstellentechnologie
MIR-Messtechnik
Durchflussmesszellen zur Transmissionsmessung sind in der Infrarotspektroskopie
bekannt und etabliert. Bei derartigen Zellen wird die zu vermessende flüssige Probe über Zu- und Abführkanäle durch einen
Bioprozesstechnik
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Einer der größten Vorteile der Technik
ist, dass mit Hilfe datenbankgestützter
Algorithmen, eine völlig kalibrationsfreie
Auswertung realisiert werden kann
optischen Messraum hindurchgeleitet, welcher durch infrarottransparente Fenster begrenzt
wird. Bei dem hier vorgestellten
MIR-Transmissionsspektroskopie Verfahren wird eine mikrosystemtechnisch hergestellte
Präzisions-Durchflusszelle eingesetzt, die definierte Schichtdicken unter 10 µm aufweist und
darüber hinaus extrem druckstabil ist. Die Messzelle weist
eine Schichtdickengenauigkeit
von unter 1 nm auf. In Kombination mit multivariaten Analysemethoden kann hierdurch
das gesamte Potenzial der Mittelinfrarot-Spektroskopie auch
für wässrige Proben ausgenutzt werden. Dabei sind Analysen im unteren ppm-Bereich
(Nachweisgrenze: 5 – 10 mg/l)
möglich, die vor allem bei der
Prozessanalytik von Bioprozessen gefragt sind. Aufgrund der
geringen Messzeiten von wenigen Minuten und der geringen
Probenvolumina (unter 100 µl)
ist eine simultane und engmaschige Quantifizierung vieler
prozessrelevanter Analyten in
Form einer At-& On-line Anbindung möglich. Neben der
Quantifizierung von Substanzen
ermöglicht die MIR-Technologie
außerdem die Bestimmung von
Proteinstrukturen und Konformationszuständen.
Durch die chemometrische
Auswertung können zudem
unbekannte Effekte, indirekte
Messgrößen und qualitätsrelevante Prozessgrößen detektiert
werden. Einer der größten Vorteile der Technik ist, dass mit
Hilfe datenbankgestützter Algorithmen, eine völlig kalibrationsfreie Auswertung realisiert
werden kann. Dies spielt vor
allem in der Entwicklung von
Bioprozessen eine große Rolle,
da hier viele Variationen in der
Medienzusammensetzung und
der Prozessführung auftreten.
Bioprozesstechnik
Klassisch kalibrierte chemometrische Modelle (z. B. PLS-R Partial Least Squares Regression)
müssten für jede Änderung der
Medienzusammensetzung neu
kalibriert werden. Aufgrund des
hohen Aufwandes für die Kalibrierung können diese Verfahren
nicht in der Optimierung und
Entwicklung von Bioprozessen
eingesetzt werden.
Anwendung der MIRTransmissionsspektroskopie
für die Prozessanalytik während Kultivierungen von E. coli.
Die MIR-Transmissionsspektroskopie zeigt ihr Potential während Kultivierungen von E. coli
im Multibioreaktorsystem. Bei
diesen Kultivierungen erfolgte
die begleitende Prozessanalytik
mit Ausnahme der Biomassekonzentration über die MIRTechnik (Abb. 1). Für die quantitative Analyse von Nährmedienbestandteilen wie Glukose,
Ammonium, Phosphat, Sulfat,
Citrat und Prolin wurde ein
speziell für diesen Prozess entwickelter kalibrationsfreier Vorhersagealgorithmus verwendet.
Neben den wichtigsten Nährmedienbestandteilen wurden über
dieses Vorhersagemodell außerdem die Nebenprodukte Acetat,
Lactat, Succinat und Pyruvat erfasst. Das bedeutsamste Nebenprodukt Acetat wird von E. coli
unter aeroben Bedingungen bei
Glucoseüberschuss gebildet und
beeinträchtigt das Zellwachstum sowie die Produktbildung.
Die zeitnahe Analytik von Acetat trägt daher maßgeblich zu
einer effizienten Prozessführung bei und steht bisher nicht
als Online-Messgröße zur Verfügung. Zur Überprüfung des
Vorhersagealgorithmus werden
die Analyseergebnisse aus der
MIR-Transmissionsspektrosko-
GIT Labor-Fachzeitschrift 7/2015
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Abb. 2:
Prozessanalytik von Glucose, Acetat und Phosphat mit
MIR-Transmissionsspektroskopie während einer Kultivierung von E. coli TB1 pGLO. Die Kultivierung erfolgte
mit exponentiellem Zufütterungsprofil in einem Multibioreaktorsystem. Zur pH-Wert-Regelung wurden 0,33
M Phosphorsäure und 25% Ammoniak verwendet. Die
Referenzanalytik von Glucose, Acetat und Phosphorsäure erfolgte mit enzymatischen Testkits. OUR und CER
wurden über eine Abgasanalyse erfasst. Die Kultivierung wurde betriebsbedingt für etwa 20h unterbrochen,
daher beginnt die Fed-Batch-Phase erst nach etwa 22h.
pie mit klassischer Referenzanalytik verglichen (Abb. 2).
Ausblick
Kurze Messzeiten, das Umgehen aufwendiger
Probenvorbereitung, komplette Digitalisierung der Ergebnisse und der hohe Informationsgehalt eröffnen der MIR-Technologie ein
weites Spektrum an innovativen Einsatzmöglichkeiten und bieten gleichzeitig bedeutsame Zeit- und Kostenvorteile. Wie der
Einsatz der MIR-Transmissionsspektroskopie
bei der Kultivierung zeigt, kann das Verfahren bei der Bioprozessentwicklung sein ganzes Potential entfalten. Durch die schnelle
und umfassende Analytik sowie durch die
Möglichkeit der Anbindung multipler Entwicklungsreaktoren an ein automatisiertes
Messsystem, können effiziente Screenings
durchgeführt werden. Die ganzheitliche Erfassung der Parameter ist eine wesentliche
Voraussetzung für moderne Quality-by-Design Ansätze, die ein tieferes Verständnis des
gesamten Prozesses erfordern. Im Gegensatz
zu den gängigen Verfahren wie HPLC oder
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MS, verlangt die MIR-Transmissionsspektroskopie vom Endbenutzer keine komplexe
Auswertung. Eine kontinuierliche Erweiterung der Substanzendatenbank für den Vorhersagealgorithmus ermöglicht in Zukunft
zudem die Erfassung vieler weiterer Stoffe,
ohne dass dabei weitere analytische Verfahren etabliert werden müssen.
Literatur
[1] Payal Roychoudhury et al.: Analytica Chimica Acta, 571(2), 159-166, (2006)
[2] Mazarevica G. et al.: Appl. Spectrosc., 58(7),
804–10, (2004)
[3] Känsäkoski M. et al.: VTT Tech. Res. Cent.
Finl., 60, 99, (2006)
[4] Kondepati V. R. únd Heise H. M.: Trends Biotechnol., 2(1), 117–132, (2008)
[5] Günzler H. and Gremlich H.-U.: IR-Spektroskopie: Eine Einführung, 4th ed. Weinheim:
WILEY-VCH, 2003.
Weitere Beiträge zum Thema:
http://bit.ly/Bioprozesstechnik
Gefördert durch: Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages
Autoren:
H. Horakh1, R.Masuch1; J. Hofmann1, A.Wolf1, A.
Steinkämper2, R. Biener2
1micro-biolytics GmbH, Esslingen
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Fakultät Angewandte Naturwissenschaften,
Hochschule Esslingen
KONTAKT |
Prof. Dr.-Ing. Richard Biener
Fakultät Angewandte Naturwissenschaften
Hochschule Esslingen
[email protected]
Mehr Informationen:
http://bit.ly/GIT-IR
Bioprozesstechnik