Gesundheitsrisiko Lehrerberuf?

a. Univ.-Prof. Dr. Georg Hans Neuweg
Gesundheits­
risiko Lehrerberuf?
a. Univ.-Prof.
Dr. Georg Hans Neuweg
Leiter der Abteilung für Wirtschaftsund Berufspädagogik an der
Johannes Kepler Universität Linz
[email protected]
Abstract
Obwohl der Lehrerberuf in Teilen der Öffentlichkeit oft als Schonberuf dargestellt
wird, sind hohe Belastung und psychische
Erschöpfung vieler Lehrkräfte empirisch
gut belegt. Der Beitrag referiert Daten zum
Belastungserleben von Lehrkräften und
geht sowohl bedingungs- als auch personenbezogenen Prädiktoren dieses Belastungserlebens nach. Als solche können vor
allem eine hohe Arbeitsbelastung, insbesondere durch das Verhalten schwieriger
Schülerinnen und Schüler, große Klassen
und eine hohe Unterrichtsverpflichtung,
geringe emotionale Stabilität, Extraversion und Verträglichkeit sowie spezifische
berufliche Verhaltens- und Erlebnismuster
identifiziert werden. Der Schlussteil des
Beitrags wendet sich möglichen Präventions- und Interventionsmaßnahmen zu.
Folgt man einem verbreiteten Aphorismus, dann haben Lehrkräfte vormittags
recht und nachmittags frei; davon erholen
sie sich während langer Ferien. In scharfem Kontrast dazu stehen Selbstauskünfte, in denen Lehrkräfte ihren Beruf als
durchaus belastend beschreiben, sowie
Medienberichte, in denen von einer hohen
Burnout-Gefährdung von Lehrerinnen
und Lehrern die Rede ist.
Vor diesem Hintergrund widmet sich
der folgende Beitrag dem Belastungserleben von Lehrkräften (Abschnitt 1) und
seinen möglichen Ursachen (Abschnitte 2
und 3) sowie den wichtigsten Präventionsund Interventionsansätzen (Abschnitt 4).
1. Das Belastungserleben von
Lehrkräften: relativ erschöpft,
aber ziemlich zufrieden
Hohe Belastung und Beanspruchung und
eine ausgeprägte psychische Erschöpfung
vieler Lehrkräfte sind sehr gut belegt. In
verschiedenen Stichproben berufstätiger
Lehrer wurde unter Einsatz psychologischer
Testverfahren (z. B. Maslach Burnout Inventory) ein Burnout-Prozentsatz von 15–28 %
ermittelt (SOSNOWSKY-WASCHEK 2013,
S. 118). In kaum einem anderen Berufsfeld
existieren vergleichbar hohe psychosomatische Beschwerden, oft mit der Folge krankheitsbedingter Frühpensionierung (CRAMER & BINDER 2015; LEHR 2014a, S. 948).
Das deutsche Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) befragen in Deutschland im
6-Jahres-Intervall ca. 20 000 Erwerbstätige
telefonisch u. a. zu ihren Arbeitsbedingungen und -belastungen. Diese Erwerbstätigenbefragung erlaubt einen Berufsgruppenvergleich. Unter anderem wird die
selbsteingeschätzte psychische Erschöpfung
erfragt: „Sagen Sie mir bitte, ob die folgenden gesundheitlichen Beschwerden bei
Ihnen während oder unmittelbar nach
der Arbeit häufig auftreten“ (Items: Kopfschmerzen; nächtliche Schlafstörungen;
Magen- und Verdauungsbeschwerden;
allgemeine Müdigkeit, Mattigkeit oder Erschöpfung; Nervosität oder Reizbarkeit,
Niedergeschlagenheit). Eine Reanalyse
der im Jahre 2012 erhobenen Daten zeigt,
dass die selbsteingeschätzte psychische Erschöpfung von Lehrkräften im Vergleich
zu anderen Berufen hochsignifikant höher
ist (CRAMER, MERK & WESSELBORG, 2014).
Dabei scheint es, als wäre nicht speziell der
Umgang mit Schülerinnen und Schülern,
sondern die Interaktionskomponente an
sich belastend. Das Personal in anderen sozialen Berufen (Sozialarbeiter, Sozial- und
Heilpädagogen, Erzieher, Altenpfleger, Familienpfleger, Kinderpfleger, Arbeits- und
Berufsberater u. ä.) artikuliert sich in der
Befragung nämlich vergleichbar erschöpft.
Die Befundlage zur Frage, wie sich die Befindlichkeit mit dem Dienstalter verändert,
ist widersprüchlich. Während SCHAARSCHMIDT und KISCHKE aus der Potsdamer Studie (vgl. dazu 3.2) eine progressive
Verschlechterung der Beanspruchungssituation über die Berufsjahre berichten
(SCHAARSCHMIDT & KISCHKE 2013, S. 90),
bilanziert GEHRMANN (2013, S. 180) über
mehrere Studien, dass der Anteil zufriedener Lehrkräfte einerseits, sich ausgebrannt
fühlender Lehrkräfte andererseits vom Lebens- und Dienstalter unabhängig zu sein
scheint. Danach liegt der Anteil der als beruflich sehr belastet Zeichnenden stabil bei
ca. 25 bis 30 %; bis zu 70 % der Lehrerschaft
kommen mehr oder weniger zufrieden
durch den Berufsverlauf.
Mehrere Studien zeigen, dass (deutsche)
Lehrkräfte trotz hohen Belastungserlebens
mit ihrer Berufswahl und ihrem Beruf
mehrheitlich zufrieden sind (GEHRMANN
2013, S. 178). Auch in den BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragungen unterscheidet
sich die berichtete Arbeitszufriedenheit (Beispielitem: „Wie zufrieden sind Sie mit Art
und Inhalt der Tätigkeit?“) nicht signifikant
von der in anderen sozialen oder sonstigen
Berufen (CRAMER, MERK & WESSELBORG,
2014).
2. Bedingungsbezogene Faktoren:
Arbeitsbelastung, schwierige
Schülerinnen und Schüler, große
Klassen, viele Stunden
Depressive Störungen sind multifaktoriell bestimmt (LEHR 2014a, S. 951); welche
Faktoren den vergleichsweise größten Einfluss auf die Belastung und Beanspruchung
von Lehrkräften haben, ist bislang unklar
(KRAUSE, DORSEMAGEN & BAERISWYL
2013, S. 64; CRAMER, MERK & WESSELBORG 2014, S. 153). Als Hauptursache für
Befindensbeeinträchtigungen werden einerseits häufig Persönlichkeitsmerkmale
und individuelle Bewältigungsstile verantwortlich gemacht (KRAUSE & DORSEMAGEN 2014, S. 987). Ebenso wichtig wie
dieser eher klinisch-psychologische Blick
ist jedoch die stärker arbeitswissenschaftlich ausgerichtete Identifikation belastender objektiver Merkmale des Arbeitsplatzes
und der Rahmenbedingungen der Berufsarbeit.
Im Folgenden wird auf generelle arbeitsplatz- bzw. bedingungsbezogene, im
nächsten Abschnitt auf personenbezogene
Prädiktoren des Beanspruchungserlebens
eingegangen.
Die Analyse der Daten aus den BIBB/
BAuA-Erwerbstätigenbefragungen (CRAMER, MERK & WESSELBORG, 2014) weist
die erlebte Arbeitsbelastung im Sinne externer Anforderungen als wichtigen Prädiktor aus (Beispielitems: „Wie häufig kommt
es bei Ihrer Arbeit vor, dass Sie bis an die
Grenzen Ihrer Leistungsfähigkeit gehen
müssen?“, „Wie häufig kommt es bei Ihrer
Arbeit vor, dass Dinge von Ihnen verlangt
werden, die Sie nicht gelernt haben oder die
Sie nicht beherrschen?“). Diese ist im Lehramt weitaus stärker als in sonstigen Berufen, andere soziale Berufe eingeschlossen.
Über wichtige Facetten dieser Belastung gibt die Potsdamer Lehrerstudie
Aufschluss; die Lehrkräfte geben als die
belastendsten Bedingungen das Verhalten
schwieriger Schülerinnen und Schüler,
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@ Wissenschaft | Forschungsbeiträge
große Klassen und den Umfang der Unterrichtsverpflichtung an (SCHAARSCHMIDT
& KISCHKE 2013, S. 91, 93). Den BIBB/BAuAErwerbstätigenbefragungen ist außerdem
zu entnehmen, dass die Lärmbelastung
(Einzelitem: „Wie häufig arbeiten Sie bei
Lärm?“) im Lehramt weitaus stärker als in
anderen sozialen Berufen und dort wiederum stärker als in anderen Berufen ist, im
Vergleich zur Arbeitsbelastung aber nur
schwache prädiktive Bedeutung für psychische Erschöpfung hat (CRAMER, MERK &
WESSELBORG, 2014).
Die hohe Arbeitsbelastung wird vermutlich nicht nur durch die im Berufsgruppenvergleich unauffällige Arbeitszufriedenheit zum Teil kompensiert. Auch eine hohe
soziale Unterstützung (gute Zusammenarbeit
im Kollegium, wechselseitige fachliche und
emotionale Hilfe) hat positive Effekte auf
die Gesundheit von Lehrkräften (SCHAARSCHMIDT & KISCHKE 2013, S. 91; KRAUSE
& DORSEMAGEN 2014). Sie wurde in den
BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragungen
ebenfalls erfasst (Beispielitem: „Wie oft
bekommen Sie Hilfe und Unterstützung
von Kollegen, wenn Sie diese brauchen?“).
Es zeigt sich, dass sich die soziale Unterstützung – entgegen verbreiteter Annahmen – nicht von der in anderen Berufen
oder anderen sozialen Berufen unterscheidet (CRAMER, MERK & WESSELBORG,
2014).
3. Personenbezogene Faktoren:
emotionale Stabilität, Extra­
version, Verträglichkeit und
Distanzierungsfähigkeit
3.1 Der Einfluss der Persönlichkeit
Ein aktuelles internationales Review, in das
insgesamt 21 Studien eingingen, weist eindeutig auf Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit, gefasst über das etablierteste
Modell, das sog. Fünf-Faktoren-Modell („Big
Five“), und subjektiver Beanspruchung hin
(CRAMER & BINDER 2015).
Vor allem hohe Neurotizismus-Werte
(Facetten: Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Depression, soziale Befangenheit, Impulsivität, Verletzlichkeit) sind klare Hinweise
auf erhöhtes Beanspruchungserleben und
Burnout-Risiko. 20 der 21 Studien finden
entsprechende Zusammenhänge. Neurotische Personen erweisen sich nicht nur im
Lehrerberuf vermutlich schon aufgrund
ihrer Persönlichkeitseigenschaften (z. B.
geringes Selbstwertgefühl, irrationaler Perfektionismus, pessimistische Einstellungen) als beansprucht. Hinzu kommt, dass
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Abbildung 1: Vier Beanspruchungsmuster (aus: SCHAARSCHMIDT & KISCHKE 2013, S. 84)
Ängstlichkeit soziale Interaktion hemmt,
der Lehrerberuf aber hohe sozial-kommunikative Anforderungen stellt. Daten aus
Österreich zeigen, dass die emoti­onale Stabilität von Lehramtsstudierenden nur etwa
im Bevölkerungsdurchschnitt liegt (MAYR
2012, S. 7) – ein angesichts der Belastungen im Beruf offenkundig problematischer
Befund.
Als günstig erweisen sich in 13 von 21
Studien hohe Werte im Bereich Extraversion (Facetten: Herzlichkeit, Geselligkeit,
Durchsetzungsvermögen, Aktivität, Erlebnishunger, Frohsinn). Die positive Deutung von Ereignissen, die Fähigkeit, sich
Unterstützung von anderen zu holen, Kontaktfreude und Durchsetzungsfähigkeit
helfen vermutlich bei der Bewältigung
der schulischen Anforderungen im Klassen- und im Konferenzzimmer. Ein großer
Freundeskreis oder Aktivitäten in Vereinen
erleichtern zudem das Herstellen einer
Work-Life-Balance und sind zugleich soziale Unterstützungssysteme. MAYR berichtet
für Österreich Daten, die erfreulicherweise zeigen, dass Lehramtsstudierende im
Durchschnitt deutlich extravertierter sind
als die Durchschnittsbevölkerung (MAYR
2012, S. 7).
Zumindest in 10 von 21 Studien deutet
Verträglichkeit (Facetten: Vertrauen, Freimütigkeit, Altruismus, Entgegenkommen,
Bescheidenheit, Gutherzigkeit) auf ein
geringeres Beanspruchungserleben und
Burnout-Risiko hin.
Gewissenhaftigkeit scheint eine ambivalente Eigenschaft zu sein. In 11 Studien
ist sie Indikator für ein geringeres Beanspruchungserleben. Es wurden aber auch
gegenteilige Effekte gefunden, wohl weil
höhere Gewissenhaftigkeit auch zu überhöhtem Arbeitsengagement führen kann.
Offenheit für neue Erfahrungen als fünfter
und letzter Faktor scheint Belastungserleben nicht vorhersagen zu können.
3.2 Der Einfluss arbeitsbezogener
Verhaltens- und Erlebensmuster
Eng mit der Person verwoben, aber weniger stabil als die „Big Five“ sind die
von SCHAARSCHMIDT (vgl. SCHAARSCHMIDT 2011; SCHAARSCHMIDT &
KISCHKE, 2013) mithilfe eines auf elf
Merkmale bezogenen Fragebogenverfahrens herausgearbeiteten arbeitsbezogenen
Verhaltens- und Erlebensmuster, die sich
auf das persönliche Bewältigungsverhalten beziehen (Abb. 1):
Muster G (Gesundheit) – hohe Anstrengung, positive Emotionen – ist gekennzeichnet durch Ehrgeiz und deutliches,
aber nicht exzessives Arbeitsengagement
bei gleichzeitig erhalten gebliebener Distanzierungsfähigkeit, durch offensive
Problembewältigung, eine geringe Resignationstendenz und ein hohes Maß an
innerer Ruhe.
Muster S (Schonung) – geringe Anstrengung, positive Emotionen – ist gekennzeichnet durch geringes Arbeitsengagement und sehr hohe Distanzierungsfähigkeit. Dahinter steht aber nicht Resignation, sondern eine relativ hohe innere
Ruhe und Ausgeglichenheit und ein
positives Lebensgefühl, dessen Quelle
bevorzugt außerhalb der Arbeit gesucht
wird.
a. Univ.-Prof. Dr. Georg Hans Neuweg
Risikomuster A (Selbstüberforderung) – überhöhtes Engagement, negative Emotionen – ist durch sehr hohe Verausgabungsbereitschaft, hohes Perfektionsstreben
und gleichzeitig sehr geringe Distanzierungsfähigkeit und ein geringes Maß an
innerer Ruhe und Ausgeglichenheit gekennzeichnet. Die Person erlebt sich als
relativ erfolgreich im Beruf bei allerdings
vergleichsweise geringer Lebenszufriedenheit; nicht selten werden Lehrer dieses
Typs wegen ihrer hohen Einsatzbereitschaft besonders geschätzt.
sind zwar überzufällig häufig. Aber offenbar kann Leistungszurückhaltung ebenfalls zum Gesundheitsrisiko werden, weil
auch Übergänge von Muster S auf Muster B
vorkommen (SCHAARSCHMIDT & KISCHKE 2013, S. 87, 91 f.). Fatalerweise zeigen
sich ungünstige Muster außerdem schon
vor dem Berufseintritt. Bei Lehramtsstudierenden und Referendaren ist der Anteil
des Risikomusters B (je 25 %), vor allem aber
der des S-Musters (31 bzw. 29 %) hoch (ebd.,
S. 90).
Risikomuster B (Burnout) – geringe Anstrengung, negative Emotionen – ist
gekennzeichnet durch geringes Arbeitsengagement bei zugleich geringer Distanzierungsfähigkeit. Resignation und negative Emotionen herrschen vor. Die Person
versucht, irgendwie „über die Runden“ zu
kommen, Verhalten und Erleben entsprechen den Symptomen eines fortgeschritteneren Burnouts.
4. Präventions- und
Interventionsmöglichkeiten
Im Rahmen der Potsdamer Lehrerstudie
wurden insgesamt mehr als 20 000 Lehrkräfte und etwa 8000 Vertreterinnen und
Vertreter anderer Berufe untersucht. Im
Vergleich mit anderen Berufen, die ebenfalls durch eine erhöhte psychosoziale Beanspruchung gekennzeichnet sind, zeigt
sich, dass für Lehrkräfte die ungünstigste
Musterverteilung besteht (Abb. 2). Der Anteil an Personen mit Risikomuster A oder B
liegt bei knapp 60 %. Frauen haben höhere
Anteile in den Risikomustern A und B.
Bemerkenswerterweise führt der Weg
nicht immer vom „Brennen“ zum „Ausbrennen“. Übergänge vom A- zum B-Muster
Die zentrale Maßnahme der Verhältnisprävention ist die Verminderung der subjektiven Arbeitsbelastung. Ansatzpunkt sind
dabei einerseits die generellen Rahmenbedingungen des Berufs, z. B. in Form einer
Verringerung der Klassengrößen, einer Reduktion der Lehrverpflichtung oder einer
Entlastung der Lehrkräfte von der Fülle
kaum mehr bewältigbarer erzieherischer
Aufgaben. Naheliegend sind dabei auch
Nachbesserungen in der Lehrerbildung,
hier unter anderem in den Bereichen Klassenführung und Selbstmanagement.
Andererseits sind die Abläufe an der je
konkreten Schule in den Blick zu nehmen.
Die Verbesserung des sozialen Klimas an
der Schule, die Erhöhung der wechselseitigen fachlichen und emotionalen Unterstützung im Kollegium und durch die
Schulleitung, die Optimierung der Informationsflüsse, eine gerechte Arbeitsverteilung und eine positive Fehlerkultur, parti-
Abbildung 2: Die Bewältigungsmuster im Berufsvergleich (aus: SCHAARSCHMIDT & KISCHKE 2013, S. 90)
zipative und transparente Entscheidungsfindung und eine generell hohe Führungsqualität sind hier bedeutsame Faktoren.
Ein interessanter Ansatz der Konkretisierung von Maßnahmen am Schulstandort
besteht in der Gestaltung moderierter eintägiger pädagogischer Tage an den Schulen.
Dabei werden Entlastungsideen gesammelt
und konkrete Verbesserungen vom Kollegium geplant, die danach umgesetzt werden.
KRAUSE & DORSEMAGEN (2014, S. 1005 f.)
nennen eine Reihe interessanter Beispiele
für positive Interventionen, die in ihren
Projekten an schweizerischen und deutschen Schulen entstanden sind, so etwa:
feste Sitzordnung im Lehrerzimmer auflösen; geschlossenes Auftreten im Kollegium
bei Veranstaltungen mit Eltern, gezielt zu
zweit Elternsprechstunden durchführen;
Regeln zum Umgang mit E-Mails festlegen;
Ausbau von kollegialer Beratung, Teamteaching, wohlwollende Unterrichtsbesuche und Supervision.
Weil es sich bei den Big-Five-Dimensionen, vor allem auch bei den kritischen Faktoren Neurotizismus und Extraversion, um
relativ stabile Dispositionen handelt, liegt
eine Verbesserung der Eignungsüberprüfung
schon vor Aufnahme eines Lehramtsstudiums nahe. Als Grundvoraussetzungen
„sind neben emotionaler Stabilität und
einer aktiv-offensiven Haltung den Lebensanforderungen gegenüber vor allem
Stärken im sozial-kommunikativen Bereich gefordert. Und dazu zählen prosoziale Einstellung, Sensibilität und Rücksichtnahme, zugleich aber auch die Fähigkeit
zur Durchsetzung und Selbstbehauptung“
(SCHAARSCHMIDT & KISCHKE 2013, S. 94).
Auch GEHRMANN geht davon aus,
dass es vor allem Personmerkmale sind,
die zu Überlastungserscheinungen führen, und hält daher die Rekrutierung für
den zentralen Ansatzpunkt: „Mindestens
zwei Drittel der Lehrerschaft gelingt es
[...] dauerhaft, Zufriedenheit aus ihrer
beruflichen Autonomie und den kollegi­
alen Kontexten zu gewinnen und Kraft zu
schöpfen aus dem Kontakt mit Schülern
für die Verstetigung der beruflichen Anforderungsprofile. Bis zu einem Drittel der
Lehrerschaft gelingt dies nicht auf Dauer.
[...] D. h., ein Teil der für die Anforderungsprofile des Berufes nötigen Akteure wird
potentiell falsch rekrutiert. Diese sind es
womöglich auch, die sich im Berufsverlauf
immer wieder als sehr belastet und beansprucht ausweisen und potentielle Problemfälle in Schulen ausmachen.“ (GEHRMANN 2013, S. 186).
In den Händen der Lehrkraft selbst
schließlich liegen Maßnahmen der Verhal-
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@ Wissenschaft | Forschungsbeiträge
tensprävention. Sie setzen entweder „innen“,
an der Regulation des Emotionshaushaltes, an oder „außen“ beim Versuch, auf
die Umgebung entsprechend einzuwirken
(zur Unterscheidung zwischen emotionsu. problemorientierten Strategien vgl.
KRAUSE, DORSEMAGEN & BAERISWYL
2013). Zur Gruppe der emotionsorientierten Strategien gehören z. B. Entspannungstechniken, Stressbewältigungstrainings,
Sport oder Supervision. Problemorientierte Strategien sind z. B. das Erlernen einer
bestimmten Technik der Klassenführung
und generell die Arbeit an der eigenen
fachlichen und erzieherischen Kompetenz, die sich in der Potsdamer Lehrerstudie vor allem bei Risikomuster B als problematisch herausgestellt hat.
Der geneigten Leserschaft sei abschließend der Hinweis auf eine Publikation
Jochen GRELLs nicht vorenthalten (GRELL
1998). Seine Ratschläge zur Aufrechterhaltung der seelischen Gesundheit zielen
durchgängig auf mentale Selbststeuerung
und Selbstbehandlung durch aktives
Stimmungsmanagement, Selbstfürsorge
und Bewegung. Freude, so GRELLs These,
komme nicht von selbst, sondern: „Sich
freuen ist eine Tätigkeit.“ (GRELL 1998,
S. 233). Das ist zwar insbesondere langfristig kein geeigneter Ersatz für Maßnahmen
der Verhältnisprävention und darf nicht
entpolitisierend wirken. Es erinnert aber
in sympathischer Weise daran, dass wir
Selbstverantwortung übernehmen können, noch bevor „die Verhältnisse“ sich
endlich ändern.
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M. Rothland (Hrsg.), Handbuch der Forschung
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Phänomens. In M. Rothland (Hrsg.) (2013)
(S. 117–135.)
(Vor)wissenschaftliches Arbeiten mit Schülern
und Schülerinnen der BHS: die Diplomarbeit NEU
und ihre didaktische Begleitung aus Sicht einer
wirtschaftspädagogischen Wissenschaftspraxis
Univ.-Prof.
Dr. Annette Ostendorf
Leiterin des Instituts für Organisation
und Lernen Bereich Wirtschafts­
pädagogik und Personalentwicklung
Universität Innsbruck
[email protected]
Abstract
Die Diplomarbeit ist ein neues Element
der Reife- und Diplomprüfung an den österreichischen berufsbildenden höheren
Schulen (BHS). In diesem Beitrag werden
im ersten Teil der Charakter und der Bildungsauftrag einer BHS-Diplomarbeit genauer herausgearbeitet. Es wird erläutert,
in welcher Weise sie als spezifische Text­
sorte interpretiert werden kann, worin sie
sich von universitären Abschlussarbeiten
unterscheidet, wie ein Praxisbezug inte­
18 wissenplus 5–14/15
griert werden kann und dass eine Zusammenarbeit der Lehrkräfte unterschiedlicher Fachgebiete und Jahrgangsstufen
hilfreich wäre. Im zweiten Abschnitt geht
es dann um die konkreten Aufgaben der
Betreuung von BHS-Diplomarbeiten. Entlang eines Phasenmodells werden Empfehlungen und Besonderheiten aus Sicht
einer wirtschaftspädagogischen Wissenschaftspraxis begründet.
1. Über den Sinn und Nutzen einer
Diplomarbeit an BHS
Der Schultypus berufsbildende höhere
Schule, den ich in diesem Beitrag insbesondere in der Ausprägung der Handelsakademie (HAK) fokussieren möchte,
umfasst einen doppelten Bildungsauftrag.
Zum einen geht es um die Erlangung der
Studierfähigkeit mit der entsprechenden
Notwendigkeit der Berücksichtigung allgemeinbildender Fächer und zum anderen soll eine volle kaufmännische Berufsbefähigung erreicht werden, die eine unmittelbare Aufnahme eines angemessenen Beschäftigungsverhältnisses möglich
macht. Letzteres wurde, zusätzlich zum
Schwerpunkt des Fachunterrichts, vor allem durch die Integration von „Brückenelementen“ zur betrieblichen Praxis wie
Übungsfirma, Projektunterricht, Betriebspraktikum und der Projektarbeit unterstützt. Im Rahmen der Einführung der Diplomarbeit NEU als verbindliches Element
der neuen Diplom- und Reifeprüfung mit
explizit (vor-)wissenschaftlichem Charakter scheint nun die Studierfähigkeit der
Schüler/innen wieder stärker betont zu
werden. „Die Neukonzeption der Bestimmun-