Warum Benjamin Franklin nicht vom Blitz erschlagen

Georg Fischer Marcus H. Bösel
Warum Benjamin Franklin nicht vom Blitz
erschlagen wurde
Vom Abenteuer Innovation
EINLEITUNG
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EINLEITUNG
a) Rastlose Änderungen. ‘Innovation’, so scheint es, ist das Schlagwort unserer rastlosen Zeit. Beständig und allerorten werden wir vom Neuen, Besseren, Bahnbrechenden
oder gar Revolutionären überrascht. Doch ist es nicht die Sehnsucht nach Vervollkommnung, die jedes Gute noch zu verbessern sucht, sondern die Not der Rastlosigkeit,
die uns bis zur Langeweile mit Innovationen überhäuft. Wir bräuchten mehr Innovation,
um die Wachstumsschwäche unserer Wirtschaft zu überwinden, heißt es, um in zunehmend beschleunigten Märkten mit verknappten und verteuerten Energieträgern und
Rohstoffen die immer komplexeren Probleme der Wirtschaft zu bewältigen.1 Geeignete
Innovationen, gilt allgemein die Überzeugung, steigern nicht nur die Wachstumsraten
und reduzieren die Arbeitslosigkeit, sie lindern zugleich die Nebenfolgen modernen
Wirtschaftens und die Risiken der technologischen Entwicklung. Mit intelligenten Innovationen könnten wir uns von zahlreichen Sorgen befreien und wieder Zuversicht schöpfen.
Zugleich aber hören wir die Klage, die Menschen seien verzagt und zeigten einen
nachhaltigen Mangel an schöpferischen Ideen. Überlange und lebensferne Ausbildungen, die ausufernde Bürokratie und ihre trügerische Sicherheit und schließlich ihr sattes
‘Besitzstandsdenken’ hätten die Menschen unfähig gemacht, neue Probleme sensibel zu
erkennen und sie offensiv und flexibel zu lösen. Die eigentlich doch innovative Wirtschaft kranke an unkreativen Mitarbeitern, lautet das Fazit.
Was Innovation allerdings ist und wie ihr nachzuhelfen sei, darüber läßt uns die
Wirtschaft und ihre Wissenschaft wortreich im Dunklen. Aus Innovationen bestehe der
Fortschritt, so heißt es, zugleich aber soll auch der nostalgische Rückgriff durchaus innovativ sein. Innovationen entsprängen dem kreativen Geist, andererseits könne aber
nicht jede überschäumende Phantasie schon für innovativ gelten. Kreativität müsse deshalb wohl gefördert werden, solle aber das Nützliche und Brauchbare nicht aus dem
Blick verlieren.
Inmitten dieser Wirrungen bleibt als einzige Gewißheit unser Sprachgebrauch, der
einem Menschen wohl Kreativität, nicht aber Innovativität zuspricht. Von Innovation
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Stellvertretend: R. Berger: Ein heilsamer Schock, S. 110
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sprechen wir, wenn wir veränderte und verbesserte Strukturen, vor allem aber ein neues
Produkt meinen. Als innovativ gelten uns Organisationen, die solche neuen Produkte
hervorbringen, und welche Produkte innovativ sind bestimmen wiederum diese Organisationen. So stoßen wir auf eine innovative Elite, die allein den Fortschritt treibt. Werfen wir allerdings einen gründlicheren Blick auf diesen Fortschritt, so zeigt sich, daß er
nicht nach Besserem strebt, sondern stets bloß das Gegenwärtige flieht: Kreise könnte er
beschreiben und schritte doch immer fort.
Rastlos und in panischer Angst zu veralten, versorgt die Wirtschaft ihre Kunden mit
immer neuen ‘updates’ und ‘upgrades’ einmal entworfener Produkte und sich selbst mit
zahllosen modischen Veränderungsprogrammen2. Das Ergebnis sind eine überbordende
Produktion kaum mehr nützlicher Waren, gelangweilte, selbst von ‘sensationellsten
Neuentwicklungen’ nicht mehr überraschte Kunden und „erschöpfte Mitarbeiter, denen
man Imagination, Intuition und Motivation – also die Voraussetzungen für kreative
Leistungen – abgewürgt hat.“3
Freilich haben sie gelernt sich dieser Rastlosigkeit zu erwehren, die jede ihrer Ideen
sofort auf Verwertbarkeit prüft und gegebenenfalls in den Dienst nimmt. Erhebliche
kreative Energie wenden sie auf, den Zumutungen zu entgehen indem sie sich fügen:
„Änderungssong
Wir ändern morgen, wir ändern heut
wir ändern wütend und erfreut.
Wir ändern ohne zu verzagen
an allen sieben Wochentagen.
Wir ändern teils aus purer Lust,
mit Vorsatz teils, teils unbewußt.
Wir ändern gut und auch bedingt,
weil Ändern immer Arbeit bringt.
Wir ändern resigniert und still,
wie jeder es so haben will.
Die Alten ändern und die Jungen,
wir ändern selbst die Änderungen.
Wir ändern was man ändern kann
und stehen dabei unsern Mann.
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Die aktuellen heißen „just-in-time, total-quality-management, benchmarking, customer orientation oder outsourcing“ (G. Guntern: Die Krise muß noch größer werden, S. 17)
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Und ist der Ausdruck auch gelungen,
bestimmt verträgt er Änderungen.
Wir ändern deshalb früh und spät
alles, was zu ändern geht.
Wir ändern heut und jederzeit,
zum Denken bleibt uns wenig Zeit.
Änderungen vorbehalten“4
b) In der Fremde. Nein, in dieser Rastlosigkeit fühlen wir uns fremd und daß eine solcherart prosperierende Wirtschaft die größtmögliche Zufriedenheit, gar das größte Glück
aller – oder auch nur der größten Zahl – garantieren soll, können wir kaum glauben.
Allerorten sehen wir bestenfalls die Zufriedenheit der Eigennützigen, die jeden anderen
in Verwirrung oder Zorn zurückläßt, weil sich dem Eigennützigen eigener Nutzen mit
fremder Langmut so trefflich paart. Wir fühlen uns fremd, wenn von unseren Werten
nur noch die meßbaren oder finanziellen zurückbleiben und der ‘Wertewandel’ schließlich den Austausch der Waren gegen Geld meint.5 Wir fühlen uns fremd, wenn der, der
aufwandslos Gewinne einstreicht, all die anderen, die diese Gewinne erzeugt haben,
ohne Scham und Scheu zu Zurückhaltung und mehr Bescheidenheit aufruft. Wir fühlen
uns fremd, wenn von aller Leistung schließlich nur noch das Raffen lohnt.
In einer Zeit, in der sich Unternehmens-, vor allem aber Vermögensgewinne bei abnehmender Steuerlast turnusmäßig verdoppeln, Löhne und Gehälter aber bei steigender
Abgabenbelastung allenfalls stagnieren, muß der Vorwurf in die Irre führen, das
Besitzstandsdenken der Mitarbeiter lähme ihre Kreativität. Schon grundsätzlich können
wir in der Verteidigung stagnierender Einkünfte nichts Verwerfliches erkennen, zumal
der Vorwurf des Besitzvermehrungsdenkens an die wenigen Teilhaber des noch verbleibenden Wachstums selten erhoben wird. Insbesondere aber ist die Vermutung gelähmter
Kreativität schlicht falsch, denn mittlerweile durchzieht ein Netz meisterlichen Ideenreichtums unsere Wirtschaft. Die meisten von uns sind bemüht, sich gegen andere ein
etwas größeres als das nach Verhandlung zustehende Stück vom Reichtum zu sichern.
Inmitten dieser Verteilungskämpfe haben wir uns an die zahlreichen höchst findigen
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(Fortsetzung von voriger Seite)
G. Guntern: Die Krise muß noch größer werden, S. 17
Aushang in einem Büro der Henkel Cosmetic, Düsseldorf
„Wertewandel ist ganz einfach: mehr bekommen und weniger bezahlen. strellson of switzerland. Legen Sie Ihr
Geld in der Schweiz an.“ lautet die Anzeige eines Bekleidungsherstellers (Strellson AG, Kreuzlingen im Spiegel Nr. 13/25.3.1996, S.106/107)
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Spielarten der Steuerhinterziehung, des Versicherungs- und anderen Leistungsbetrugs,
an Wirtschaftskriminalität, illegale Exporte und Preisabsprachen längst gewöhnt. In
Skrupellosigkeit und Vorteilssucht sind sich die einstigen Klassengegner einig, mit einer
umwälzenden sozialen Innovation ist die Raffgier hoffähig, der Kampf aller gegen jeden
wieder modern geworden. Von fehlenden Einfällen jedenfalls kann die Rede nicht sein.
Verloren allerdings gingen die nicht allein ihrem Produzenten sondern allgemein
nützlichen Ideen. Verloren ging der Wettbewerb, in dem nicht der gewinnt, der andere
effektiver zurückzuwerfen oder auszustechen versteht, sondern der, der die überzeugenderen Ideen präsentiert, der Wettbewerb um etwas und nicht gegen die anderen . Diese
Konkurrenz, die Schumpeter noch als Motor des Wachstums galt, ist abhanden gekommen und die in bunter Werbewelt sich dynamisch darstellende Ökonomie tritt bloß noch
lautstark auf der Stelle. Hinter glitzernder Fassade hat der Reiz zukünftiger ökonomischer Erfolge heimlich in der Sicherung gegenwärtiger Erfolge einen unwürdigen Nachfolger gefunden, anstatt vorwärts blickt die Wirtschaft ängstlich um sich. Tatsächlich,
„diese Ökonomie, von einem erstaunlich flexiblen und angepaßten Institutionensystem
unterfangen, konserviert sich prächtig ohne Vergangenheits- und Zukunftssinn.“6
c) Der Weg zurück nach vorn. Wir aber wollen unsere Möglichkeiten erobern und
die Zukunft gestalten anstatt uns vom drohenden Abgleiten in die Vergangenheit bloß
treiben und jagen zu lassen. Über unsere Einfälle wollen wir Klarheit gewinnen und im
Vertrauen auf unsere je eigene und zweifellos vorhandene Phantasie unsere Ideen freisetzen. Gemeinsam mit anderen wollen wir unseren Ideenreichtum entdecken. Vor allem wollen wir deshalb eines wissen: Wie können wir durch alle selbst auferlegten Verstellungen und fremden Forderungen hindurch zu unseren eigenen kreativen Fähigkeiten vordringen?
(I) Zuvörderst werden wir uns dazu der Innovation widmen, die von aller Kreativität
die nützliche und nutzbringende für sich reklamiert, die verwertbaren Ideen dem Verwertungsprozeß zuführt und alle anderen als wertlos dem Reiche bloßer Phantasie zuweist. Innovation erweist sich dabei als der Verwertungsprozeß selbst, dem Einfälle
nicht etwa aufsteigen sondern der sich aus den vorhandenen die verwertbaren aneignen
muß.
(II) Wir werden uns deshalb anschließend der Kreativität zuwenden, deren Wirken
Ideen hervorbringt und die uns die Welt mit anderen Augen sehen läßt. Kreativität zeigt
sich dabei als Fokussieren aller Fähigkeiten, allen Wissens auf die Suche nach Antwor-
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ten, Lösungen oder Ideen und als Erweiterung der Fähigkeiten und des Wissens zugleich.
(III) Abschließend werden wir um den eigenen Ideenreichtum zu entdecken eine
Reise in die eigene Kreativität unternehmen. Wir beginnen beim Einzelnen, dessen Begriffe zu fließen beginnen und dessen Selbstverständlichkeiten sich zu gewählten Möglichkeiten unter vielen verflüchtigen. Wir öffnen das Denken, um andere als die gewählten Möglichkeiten zu erobern. Und schließlich wenden wir uns dem Anderen zu und
suchen zwischen Gemeinsamkeit und Differenzen den Weg zu neuen Möglichkeiten.
Im Verlaufe all dieser Überlegungen werden wir zahlreiche theoretische Beiträge zu
würdigen haben, uns aber auf keine vorhandene Theorie festlegen, und trotz der konkreten Schritte des dritten Teils bemühen wir uns nicht um ein weiteres Programm zur
‘Kreativitätsförderung’. Weil wir überzeugt sind, daß sich Ideenreichtum vielerorts verbirgt, kann eine Anleitung, die den Weg zur Kreativität weist, nicht hilfreich sein. Um
einen der zahlreichen möglichen Wege einzuschlagen, ihn Schritt für Schritt vorwärts,
zuweilen aber auch bis zur verpaßten Abzweigung zurückzugehen, ist vielmehr selbst
Kreativität vonnöten. Und wer schließlich seinen Weg mit anderen geht, muß keineswegs immer bei der Gruppe bleiben: Neuland ist leichter zu erschließen, wenn sich die
Mannschaft im Gelände verteilt.
Dieser Weg erfordert Geduld und Beschäftigung, es ist uns daher kaum möglich die
wesentlichen Erkenntnisse zusammenzufassen, um einen kurzen Überblick zu ermöglichen. So wünschenswert ein knapper Überblick für den stets unter Zeitnot leidenden
modernen Menschen auch sein mag, so verantwortungslos wäre es, noch die komplexesten Überlegungen in den Rahmen einer grob vereinfachenden Zusammenfassung zu
zwingen. Ohnehin bieten unsere Überlegungen weniger Antworten als neue Fragen,
denn nicht durch die Lektüre eines solchen Textes sondern durch die Beantwortung eigener Fragen läßt sich der Weg zum eigenen Ideenreichtum finden. Dem rastlos Eiligen
sei deshalb gesagt: Wer nur noch Zeit findet für Fragen, die in wenigen Stunden verständlich zu beantworten sind, kann in wenigen Stunden ersetzt werden.
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(Fortsetzung von voriger Seite)
C. Koch: Schwierigkeiten mit der Identität, S. 48; zit. in H. M. Enzensberger: Mittelmaß und Wahn, S. 255