bike-Fitting 62 TOUR 5-2014 mass-arbeit Ein professionelles Bike-Fitting ist nicht nur was für Profis. Vor allem Hobbysportlern kann eine gute Anpassung des Rades viel bringen. Wir haben das Team TOUR powered by BULLS beim professionellen Fitting im Trainingscamp auf Mallorca beobachtet Text Jens Klötzer F oto s Uwe Geißler M T h e or i e u n d P r a x i s Der Experte passt die Sitzposition von Martin Spiessberger auf der Rolle an (oben), um auch Auffälligkeiten im Trittmuster zu erkennen. Das Ergebnis auf der Straße überzeugt odernste Heimtrainer, zwei Leistungsmess systeme, individuelle Trainingspläne und alle zwei Jahre ein neues High-End-Rennrad: Was Martin Spiessberger schon für sein Hobby ausge geben hat, mag er gar nicht beziffern. Auf die Idee, für wenige hundert Euro eine professionelle Sitzpositionsanalyse in Anspruch zu nehmen, kam er aber bisher noch nicht. Seine rund 13.000 Jahreskilometer, darunter viele Wettkämpfe, bewältigt er schließlich auf hohem Niveau und mit wenigen Problemen. Für 2014 hat er sich zum Ziel gesetzt, beim Ötz taler Radmarathon die Acht-Stunden-Marke zu knacken. Die richtige Rahmengeometrie hat er immer bei einer Probefahrt heraus gefunden, bei den Einstellungen hat er sich vom Händler beraten lassen oder nahm sie nach Erfahrung und Gefühl selbst vor. Die Sitzposition kontrolliert er außerdem mit einer speziellen Smartphone-App. „Hat scho’ passt“, lautete die Einschätzung des 40-jährigen Österreichers – bis zu diesem Frühjahr. Als Mitglied des TOUR-Jedermann-Teams 2014 kam Spiessberger erstmals in den Genuss einer umfassenden, professionellen Betreuung. Team-TOUR-Partner 1Place unterstützte die Mannschaft im Trainingscamp auf Mallorca mit dem vollen Programm: Dazu gehörten eine sportmedizinische Untersuchung, ein s ogenanntes Bike-Fitting und eine Leistungsdiagnose. Darüber hinaus erstellt 1Place- Mitgründer Mathias Nothegger über die ganze Saison dynamische und individuelle Trainingspläne für alle Team-Mitglieder. Große Erkenntnisse oder Veränderungen erwartete sich der gut informierte Martin Spiessberger von dem Termin im Trainingscamp zunächst nicht. Viel Literatur hat er zum Thema Rennrad-Training schon gewälzt und über die Jahre stetig an den Positions einstellungen gefeilt, damit er sich auf dem Rad so wohl wie möglich fühlt. Nach sehr langen Einheiten habe er natürlich Sitzprobleme und ein bisschen Zwicken im Knie, aber das war’s eigentlich. „Ich hab halt immer gedacht, so was gehört auch dazu“, sagt er. Anspruchsvolle Wettkämpfe, vor allem Radmarathons in den heimischen Alpen, machten ihn auch ein bisschen leidensfähig. Jeder Sportler kann profitieren Ob jemand gerade erst mit dem Radsport anfängt oder schon erfahrener Rennfahrer ist, spielt für die 1Place-Mitarbeiter zunächst keine Rolle. Schließlich profitiert nach Ansicht des Bike-Fitting-Experten Schartel-Weber jeder Sportler davon: „Wettkampforientierte Fahrer können mit einer detaillierten Anpassung bis zu zehn Prozent mehr Leistung rausholen – ohne zusätzliches Training. Bei Anfängern kann man vermeiden, dass Schmerzen oder körperliche Schäden überhaupt erst entstehen.“ Fälle, bei denen alles passe, begegnen ihm selten. Er würde sich wünschen, dass vor allem Einsteiger und junge Sportler schon so früh wie möglich kompetente Hilfe in Anspruch nähmen, um Langzeitschäden zu vermeiden. „Leider 5-2014 TOUR 63 ommen die meisten Leute erst, wenn die Schmerzen sie k schon längst plagen“, sagt Schartel-Weber. Welches Trainingspensum, Leistungsvermögen oder Ziel der Kandidat hat, spielt dagegen für seine Herangehensweise eine große Rolle – einen Einsteiger würde er grundsätzlich anders aufs Rad setzen als einen Profi-Rennfahrer. A n s L i c h t g e h olt Sitzprobleme resultieren oft aus Druckspitzen (rot), die mit Messfolie sichtbar gemacht werden können. Oben der Ursprungszustand bei Martin Spiessberger, unten eine ideale Druckverteilung am Sattel DESIGNED FOR RACING REIFEN: KOUNTACH Der Race-Clincher RACE: Dubai Tour 2014 RIDER: Peter Sagan Team Cannondale www.kendatire.com 64 TOUR 5-2014 Genau Hinschauen und gut Zuhören Martin Spiessberger liegt als ambitionierter Hobbyfahrer irgendwo dazwischen. Er bringt eine durchtrainierte Muskulatur, viel Beweglichkeit und eben eine gewisse Leidensfähigkeit mit. Da er viel in den Bergen fährt, wäre eine allzu gestreckte Position dennoch kontraproduktiv, das weiß er selbst. Auch bei seinem neuen Bulls-Rennrad hat er zunächst das Gefühl, dass er den Lenker etwas näher montieren sollte, um entspannter und aufrechter zu sitzen. Während der athletische Spiessberger seine sportliche Biographie, seine Ziele und Probleme erzählt, pedaliert er locker auf einer Trainingsrolle. Schartel-Weber hört ihm zu und schaut genau hin. Das Erste, was ihm bei Spiessberger auffällt, ist eine leicht unterschiedliche Stellung seiner Füße. Auf die Frage, nach welchen Anhaltspunkten er seine Pedalplatten montiert hat, weiß Spiessberger keine Antwort – außer Nachlässigkeit. Nachdem die Platten neu ausgerichtet sind, fühlt sich das Treten für ihn deutlich runder an, ihm selbst wäre die Asymmetrie nie aufgefallen. Ob es auch die Lösung für seine Knieprobleme ist, wird sich erst noch herausstellen. Da es sonst keine Auffälligkeiten gibt, ist das für SchartelWeber aber wahrscheinlich. Ein geschultes Auge und das ausführliche Gespräch mit dem Sportler sind für Peter Schartel-Weber die wichtigsten Werkzeuge, um Probleme zu lokalisieren, auch wenn sie sich noch nicht in Schmerzen äußern. Wo er nicht genau genug hinsehen kann, helfen ihm Druckmessfolien oder eine Videoanalyse. Asymmetrische Bewegungs muster, verkrampfte Muskelpartien, Schonhaltungen – selbst minimale Ausprägungen versucht er zu erkennen und Stück für Stück zu beseitigen. Doch nicht immer sind Ursache und Lösung so simpel wie bei Spiessbergers Pedalplatten. Ein Problem kann eine Fülle von Ursachen haben, und es gibt etliche Stell schrauben. Dieses Puzzle richtig zusammenzusetzen, ist für Schartel-Weber oft eine Herausforderung. Deshalb sucht er sich bei der Ursachenforschung auch Unterstützung – oft hilft ihm dabei die gründliche Voruntersuchung von Sportarzt Dr. Markus Theißen. Dieser beurteilt nicht nur die Beweglichkeit der Athleten, sondern sucht gezielt nach anatomischen Besonderheiten, die beim Radfahren erfahrungsgemäß Probleme bereiten, von anderen Ärzten und Orthopäden mitunter aber gar nicht als relevant erkannt werden. Das können zum Beispiel eine gekrümmte Wirbelsäule, ein Senk-Spreiz-Fuß oder eine leichte Beinlängendifferenz sein. Letzteres gibt es häufiger als man denkt – allein unter den diesjährigen zwölf Team-TOUR-Fahrern sind es drei. Gemerkt hat es von ihnen bisher keiner. Die Symptome auf dem Rad reichen vom einseitig abkippenden Becken bis hin zu sichtbar unterschiedlich stark ausgeprägter Beinmuskulatur, langfristig sind Schmerzen im unteren Rücken und Knieprobleme zu erwarten. Ihnen hilft Schartel-Weber mit Distanzscheiben unter den Pedalplatten. Für fast jedes Problem findet er eine Lösung, doch manchmal muss er dabei Kompromisse eingehen. „Mein Ziel ist immer: In erster Linie garantiert schmerzfrei. Im Rahmen dessen kann ich dann nach Leistung optimieren“, erklärt er seinen Grundsatz. Überraschende Massnahmen TEAM POWERED BY Impressionen aus dem Trainingscamp auf Mallorca und alle Infomationen über das Team und seine zwölf Mitglieder finden Sie auf w w w.tour -t e a m . d e Spiessbergers leicht unangenehme Sitzposi tion möchte er lieber anders lösen, als es ihm der Athlet vorgeschlagen hat. Dass ihn die Sitzlänge stört, kann Schartel-Weber durchaus nachvollziehen. Doch für eine aufrechtere Sitzhaltung findet er Spiessberger zu durchtrainiert. Mit einem Knie-Lot stellt er fest, dass der Sportler sehr weit hinten auf dem Rad sitzt. Mit der Einstellung, die Schartel-Weber jetzt probeweise vornimmt, hätte Spiessberger IST DAS ALLES, BERG? POWERBAR® 5ELECTROLYTES Wer beim Sport alles gibt, kommt ins Schwitzen. Unsere PowerBar® 5 Electrolytes liefern dem Körper während des Sports die 5 wichtigsten Elektrolyte im Verhältnis wie man sie durch Schweiß verliert. Und das ohne Kalorien und Zucker, aber mit fruchtigem Geschmack. 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Von der Summe der Effekte ist Spiessberger angenehm überrascht. Das Ziel, die Sitzlänge zu verrin gern, ist so auch erreicht. Ohne Zweifel sitzt er jetzt auch aerodynamischer. Eine zweite Messung der Sitzdruckverteilung zeigt außer dem an, dass sich die Druckspitzen im Damm bereich verringert haben. Auch das spürt Spiessberger schon auf der Rolle; Schartel66 TOUR 5-2014 Weber stellt ihm zudem in Aussicht, dass ein anderer Sattel eine noch bessere Verlagerung auf die Sitzknochen bringen dürfte. Die Posi tion fühlt sich auf Anhieb gut an, Spiessberger willigt ein, so auf Probefahrt zu gehen. Nach einer ausgedehnten Tour am nächsten Tag ist er überzeugt: „Diese Einstellung behalte ich bei.“ Er sitzt zentraler auf dem Rad und hat es besser unter Kontrolle, hat auch an langen Anstiegen keine Probleme und zudem das Gefühl, mehr Druck aufs Pedal zu bringen. Psychologie als Nebenfach Diese Radikalität ist bei Schartel-Weber jedoch eher die Ausnahme. Wenn umfang reiche Veränderungen notwendig sind, kann der Prozess auch mal mehrere Monate dau ern. Im Gespräch mit Spiessberger hat er aber festgestellt, dass dieser sehr aufgeschlossen ist, Neues auszuprobieren. „Ein bisschen bin ich auch Psychologe. Viele Leute werden skep tisch, wenn sich das Radfahren nach so einer Sitzung signifikant anders anfühlt. Bei man chen muss ich sehr behutsam vorgehen und die Änderungen in kleinen Schritten machen. Aber oft reichen auch schon wenige Milli meter, um Probleme zu entschärfen.“ Für Spiessberger steht nach diesen Erfahrun gen fest: An ausgefeilter Rennradtechnik wird er auch in Zukunft nicht sparen. An einer f undierten Anpassung des nächsten Renners jedoch auch nicht, denn das Preis-LeistungsVerhältnis ist für ihn einfach unschlagbar. Ursachen Sitzposition zu gestreckt oder zu aufrecht, schlecht passende Sattelform, Beinlängendifferenz Maßnahmen Sattel- und Lenkerposition justieren, Sattel austauschen, Ausgleich an den Pedalplatten Nackenschmerzen Ursachen zu große Überhöhung oder Sitzlänge Maßnahmen Lenker und/oder Sattel justieren Schmerzende oder einschlafende Hände Ursachen Lenkerposition, Druckspitzen an Lenker und Bremshebel Maßnahmen Lenker justieren, zusätzliche Polster (Gelpads) Schmerzende oder einschlafende FüSSe Ursachen Position der Pedalplatten, schlecht sitzender Schuh/Einlegesohle Maßnahmen Pedalplatten justieren, Einlegesohle oder anderer Schuh 5-2014 TOUR 67
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