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bike-Fitting
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TOUR
5-2014
mass-arbeit
Ein professionelles Bike-Fitting ist nicht nur was
für Profis. Vor allem Hobbysportlern kann eine gute
Anpassung des Rades viel bringen. Wir haben das
Team TOUR powered by BULLS beim professionellen
Fitting im Trainingscamp auf Mallorca beobachtet
Text
Jens Klötzer
F oto s
Uwe Geißler
M
T h e or i e u n d P r a x i s
Der Experte passt die
Sitzposition von Martin
Spiessberger auf der
Rolle an (oben), um auch
Auffälligkeiten im Trittmuster zu erkennen.
Das Ergebnis auf der
Straße überzeugt
odernste Heimtrainer, zwei Leistungsmess­
systeme, individuelle Trainingspläne und alle zwei Jahre
ein neues High-End-Rennrad: Was Martin
Spiessberger schon für sein Hobby ausge­
geben hat, mag er gar nicht beziffern. Auf die
Idee, für wenige hundert Euro eine professionelle Sitzpositionsanalyse in Anspruch zu
nehmen, kam er aber bisher noch nicht. Seine
rund 13.000 Jahreskilometer, darunter viele
Wettkämpfe, bewältigt er schließlich auf hohem Niveau und mit wenigen Problemen. Für
2014 hat er sich zum Ziel gesetzt, beim Ötz­
taler Radmarathon die Acht-Stunden-Marke
zu knacken. Die richtige Rahmengeometrie
hat er immer bei einer Probefahrt heraus­
gefunden, bei den Einstellungen hat er sich
vom Händler beraten lassen oder nahm sie
nach Erfahrung und Gefühl selbst vor. Die
Sitzposition kontrolliert er außerdem mit
­einer speziellen Smartphone-App. „Hat scho’
passt“, lautete die Einschätzung des 40-jährigen Österreichers – bis zu diesem Frühjahr.
Als Mitglied des TOUR-Jedermann-Teams
2014 kam Spiessberger erstmals in den Genuss
einer umfassenden, professionellen Betreuung.
Team-TOUR-Partner 1Place unterstützte die
Mannschaft im Trainingscamp auf Mallorca
mit dem vollen Programm: Dazu gehörten
eine sportmedizinische Untersuchung, ein
­
s­ ogenanntes Bike-Fitting und eine Leistungsdiagnose. Darüber hinaus erstellt 1Place-­
Mitgründer Mathias Nothegger über die
ganze Saison dynamische und individuelle
­
Trainingspläne für alle Team-Mitglieder.
Große Erkenntnisse oder Veränderungen erwartete sich der gut informierte Martin
Spiessberger von dem Termin im Trainingscamp zunächst nicht. Viel Literatur hat er
zum Thema ­Rennrad-Training schon gewälzt
und über die J­ahre stetig an den Positions­
einstellungen gefeilt, damit er sich auf dem
Rad so wohl wie möglich fühlt. Nach sehr langen Einheiten habe er natürlich Sitzprobleme
und ein bisschen Zwicken im Knie, aber das
war’s eigentlich. „Ich hab halt immer gedacht,
so was ­gehört auch dazu“, sagt er. Anspruchsvolle Wettkämpfe, vor allem Radmarathons in
den heimischen Alpen, machten ihn auch ein
bisschen leidensfähig.
Jeder Sportler kann profitieren
Ob jemand gerade erst mit dem Radsport
anfängt oder schon erfahrener Rennfahrer
­
ist, spielt für die 1Place-Mitarbeiter zunächst
keine Rolle. Schließlich profitiert nach Ansicht
des Bike-Fitting-Experten Schartel-Weber
­jeder Sportler davon: „Wettkampforientierte
Fahrer können mit einer detaillierten Anpassung bis zu zehn Prozent mehr Leistung
­rausholen – ohne zusätzliches Training. Bei
Anfängern kann man vermeiden, dass
Schmerzen oder körperliche Schäden überhaupt erst entstehen.“ Fälle, bei denen alles
passe, begegnen ihm selten. Er würde sich
wünschen, dass vor allem Einsteiger und
junge Sportler schon so früh wie möglich
­
kompetente Hilfe in Anspruch nähmen,­
um Langzeitschäden zu vermeiden. „Leider
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­ ommen die meisten Leute erst, wenn die Schmerzen sie
k
schon längst plagen“, sagt Schartel-Weber. Welches Trainingspensum, Leistungsvermögen oder Ziel der Kandidat
hat, spielt dagegen für seine Herangehensweise eine große
Rolle – einen Einsteiger würde er grundsätzlich anders
aufs Rad setzen als einen Profi-Rennfahrer.
A n s L i c h t g e h olt
Sitzprobleme resultieren
oft aus Druckspitzen
(rot), die mit Messfolie
sichtbar gemacht werden
können. Oben der
­Ursprungszustand bei
Martin Spiessberger,
­unten eine ideale Druckverteilung am Sattel
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RACING
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Dubai Tour 2014
RIDER: Peter Sagan
Team Cannondale
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Genau Hinschauen und gut Zuhören
Martin Spiessberger liegt als ambitionierter Hobbyfahrer
irgendwo dazwischen. Er bringt eine durchtrainierte Muskulatur, viel Beweglichkeit und eben eine gewisse Leidensfähigkeit mit. Da er viel in den Bergen fährt, wäre eine allzu
gestreckte Position dennoch kontraproduktiv, das weiß
er selbst. Auch bei seinem neuen Bulls-Rennrad hat er
­zunächst das Gefühl, dass er den Lenker etwas näher montieren sollte, um entspannter und aufrechter zu sitzen.
Während der athletische Spiessberger seine sportliche
­Biographie, seine Ziele und Probleme erzählt, pedaliert er
locker auf einer Trainingsrolle. Schartel-Weber hört ihm
zu und schaut genau hin.
Das Erste, was ihm bei Spiessberger auffällt, ist eine leicht
unterschiedliche Stellung seiner Füße. Auf die Frage, nach
welchen Anhaltspunkten er seine Pedalplatten montiert
hat, weiß Spiessberger keine Antwort – außer Nachlässigkeit. Nachdem die Platten neu ausgerichtet sind, fühlt
sich das Treten für ihn deutlich runder an, ihm selbst wäre
die Asymmetrie nie aufgefallen. Ob es auch die Lösung für
seine Knieprobleme ist, wird sich erst noch herausstellen.
Da es sonst keine Auffälligkeiten gibt, ist das für SchartelWeber aber wahrscheinlich.
Ein geschultes Auge und das ausführliche Gespräch mit
dem Sportler sind für Peter Schartel-Weber die wichtigsten Werkzeuge, um Probleme zu lokalisieren, auch wenn
sie sich noch nicht in Schmerzen äußern. Wo er nicht genau genug hinsehen kann, helfen ihm Druckmessfolien
oder eine Videoanalyse. Asymmetrische Bewegungs­
muster, verkrampfte Muskelpartien, Schonhaltungen –
selbst minimale Ausprägungen versucht er zu erkennen
und Stück für Stück zu beseitigen.
Doch nicht immer sind Ursache und Lösung so simpel wie
bei Spiessbergers Pedalplatten. Ein Problem kann eine
Fülle von Ursachen haben, und es gibt etliche Stell­
schrauben. Dieses Puzzle richtig zusammenzusetzen, ist
für Schartel-Weber oft eine Herausforderung. Deshalb
sucht er sich bei der Ursachenforschung auch Unterstützung – oft hilft ihm dabei die gründliche Voruntersuchung
von Sportarzt Dr. Markus Theißen. Dieser beurteilt nicht
nur die Beweglichkeit der Athleten, sondern sucht gezielt
nach anatomischen Besonderheiten, die beim Radfahren
erfahrungsgemäß Probleme bereiten, von anderen Ärzten
und Orthopäden mitunter aber gar nicht als relevant erkannt werden. Das können zum Beispiel eine gekrümmte
Wirbelsäule, ein Senk-Spreiz-Fuß oder eine leichte Beinlängendifferenz sein. Letzteres gibt es häufiger als man
denkt – allein unter den diesjährigen zwölf
Team-TOUR-Fahrern sind es drei. Gemerkt
hat es von ihnen bisher keiner. Die Symptome
auf dem Rad reichen vom einseitig abkippenden Becken bis hin zu sichtbar unterschiedlich stark ausgeprägter Beinmuskulatur, langfristig sind Schmerzen im unteren Rücken
und Knieprobleme zu erwarten. Ihnen hilft
Schartel-Weber mit Distanzscheiben unter
den Pedalplatten. Für fast jedes Problem findet er eine Lösung, doch manchmal muss er
dabei Kompromisse eingehen. „Mein Ziel ist
immer: In erster Linie garantiert schmerzfrei.
Im Rahmen dessen kann ich dann nach Leistung optimieren“, erklärt er seinen Grund­satz.
Überraschende Massnahmen
TEAM
POWERED BY
Impressionen aus
dem Trainingscamp auf
Mallorca und alle
Infomationen über das
Team und seine zwölf
Mitglieder finden Sie auf
w w w.tour -t e a m . d e
Spiessbergers leicht unangenehme Sitzposi­
tion möchte er lieber anders lösen, als es ihm
der Athlet vorgeschlagen hat. Dass ihn die
Sitzlänge stört, kann Schartel-Weber durchaus nachvollziehen. Doch für eine aufrechtere
Sitzhaltung findet er Spiessberger zu durchtrainiert. Mit einem Knie-Lot stellt er fest,
dass der Sportler sehr weit hinten auf dem Rad
sitzt. Mit der Einstellung, die Schartel-Weber
jetzt probeweise vornimmt, hätte Spiessberger
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Die häufigsten
Probleme
Sitzprobleme
Ursachen Falsche Sattelbreite oder -form,
Sitzposition zu gestreckt oder zu aufrecht
Maßnahmen Sattel und/oder Lenker justieren,
Sattel austauschen
Knieschmerzen
Ursachen falsche Sattelhöhe, Sattel zu weit
hinten oder vorn, Pedalplatten falsch montiert,
Senk-Spreiz-Fuß („Knieflattern“), Beinlängendifferenz
Maßnahmen Sattel justieren, Pedalplatten
­ausrichten, spezielle Einlegesohlen, Längen­
differenz mit Pedalplatten ausgleichen
Rückenschmerzen
Millimeter arbeit
Peter Schartel-Weber löst das
Puzzle aus Problemen,
Ursachen und Einstellungen
A n s c h au l i c h
Sportarzt Dr. Markus Theißen
(im Foto rechts) erklärt
anatomische Zusammenhänge
(ganz oben)
am wenigsten gerechnet: Er schiebt den Sattel
fast zwei Zentimeter nach vorn und gleich­
zeitig wenige Millimeter nach oben, den Len­
ker setzt er einen Zentimeter tiefer. Von der
Summe der Effekte ist Spiessberger angenehm
überrascht. Das Ziel, die Sitzlänge zu verrin­
gern, ist so auch erreicht. Ohne Zweifel sitzt
er jetzt auch aerodynamischer. Eine zweite
Messung der Sitzdruckverteilung zeigt außer­
dem an, dass sich die Druckspitzen im Damm­
bereich verringert haben. Auch das spürt
Spiessberger schon auf der Rolle; Schartel66
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Weber stellt ihm zudem in Aussicht, dass ein
anderer Sattel eine noch bessere Verlagerung
auf die Sitzknochen bringen dürfte. Die Posi­
tion fühlt sich auf Anhieb gut an, Spiessberger
willigt ein, so auf Probefahrt zu gehen. Nach
einer ausgedehnten Tour am nächsten Tag ist
er überzeugt: „Diese Einstellung behalte ich
bei.“ Er sitzt zentraler auf dem Rad und hat es
besser unter Kontrolle, hat auch an langen
Anstiegen keine Probleme und zudem das
­Gefühl, mehr Druck aufs Pedal zu bringen.
Psychologie als Nebenfach
Diese Radikalität ist bei Schartel-Weber
­jedoch eher die Ausnahme. Wenn umfang­
reiche Veränderungen notwendig sind, kann
der Prozess auch mal mehrere Monate dau­
ern. Im Gespräch mit Spiessberger hat er aber
festgestellt, dass dieser sehr aufgeschlossen
ist, Neues auszuprobieren. „Ein bisschen bin
ich auch Psychologe. Viele Leute werden skep­
tisch, wenn sich das Radfahren nach so einer
Sitzung signifikant anders anfühlt. Bei man­
chen muss ich sehr behutsam vorgehen und
die Änderungen in kleinen Schritten machen.
Aber oft reichen auch schon wenige Milli­
meter, um Probleme zu entschärfen.“
Für Spiessberger steht nach diesen Erfahrun­
gen fest: An ausgefeilter Rennradtechnik wird
er auch in Zukunft nicht sparen. An einer
­f undierten Anpassung des nächsten Renners
jedoch auch nicht, denn das Preis-LeistungsVerhältnis ist für ihn einfach unschlagbar.
Ursachen Sitzposition zu gestreckt oder zu
­aufrecht, schlecht passende Sattelform, Beinlängendifferenz
Maßnahmen Sattel- und Lenkerposition
­justieren, Sattel austauschen, Ausgleich an ­den
Pedalplatten
Nackenschmerzen
Ursachen zu große Überhöhung oder Sitzlänge
Maßnahmen Lenker und/oder Sattel justieren
Schmerzende oder
einschlafende Hände
Ursachen Lenkerposition, Druckspitzen an
­Lenker und Bremshebel
Maßnahmen Lenker justieren, zusätzliche
­Polster (Gelpads)
Schmerzende oder
einschlafende FüSSe
Ursachen Position der Pedalplatten, schlecht
sitzender Schuh/Einlegesohle
Maßnahmen Pedalplatten justieren, Einlegesohle oder anderer Schuh
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