Reform der Richtlinie über bestimmte Aspekte der

Reform der Richtlinie über bestimmte Aspekte
der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie)
Brüssel, Juni 2015
Inhaltsübersicht:
I.
II.
III.
1.
2.
3.
IV.
1.
2.
3.
4.
Überblick............................................................................................... 1
Kerninhalte ........................................................................................... 1
Arbeitszeiten in der Gesundheitsversorgung ................................... 2
Bereitschaftsdienst ................................................................................. 2
Rufbereitschaft ....................................................................................... 2
Ausgleichsruhezeiten: ............................................................................ 3
Reformbedarf ....................................................................................... 3
Legislativvorschlag der Europäischen Kommission ............................... 3
Verhandlungen der Sozialpartner .......................................................... 4
Öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission ........................ 5
Ausblick.................................................................................................. 5
I.
Überblick
Die Arbeitszeitrichtlinie (Richtlinie über bestimmte Aspekte der
Arbeitszeitgestaltung vom 04.11.2003) regelt u.a. die Sicherheit und den
Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung im Hinblick auf tägliche
Ruhezeiten,
Ruhepausen,
wöchentliche
Ruhezeiten,
wöchentliche
Höchstarbeitszeit, Jahresurlaub sowie Aspekte der Nacht- und der
Schichtarbeit und des Arbeitsrhythmus. Sie dient damit dem Schutz der
Arbeitnehmer vor entsprechenden Gesundheits- und Sicherheitsrisiken, die
mit überlangen oder unangemessenen Arbeitszeiten und unzureichenden
Ruhe- und Erholungszeiten einhergehen.
II.
Kerninhalte
Zentrale Regelungsbereiche der geltenden Arbeitszeitrichtlinie sind:
o Begrenzung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit, die einschließlich
Überstunden 48 Stunden nicht überschreiten darf
o pro 24-Stunden-Zeitraum eine
zusammenhängenden Stunden
tägliche
Mindestruhezeit
von
o pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit
24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden
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elf
von
1
o bezahlter Jahresurlaub von mindestens vier Wochen pro Jahr
o zusätzliche Schutzmaßnahmen bei Nachtarbeit (z. B. sollte die Arbeitszeit
für Nachtarbeiter im Durchschnitt acht Stunden pro 24-Stunden-Zeitraum
nicht überschreiten)
Die Richtlinie gilt für alle öffentlichen und privaten Tätigkeiten und schließt
insbesondere die Gesundheitsversorgung und Notdienste ein. Die
Europäische Kommission ist als „Hüterin der Verträge“ gehalten, die
Einhaltung der geltenden Vorschriften zu überwachen. So wurde
beispielsweise Irland wegen Nichteinhaltung der EU-Vorschriften über die
Höchstarbeitszeit für Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen vor dem EuGH
verklagt.
Die Richtlinie sieht allerdings auch die Möglichkeit von Ausnahmeregelungen
im Rahmen der sog. Opt-Out-Klausel vor.
III.
Arbeitszeiten in der Gesundheitsversorgung
Die Arbeitszeitgestaltung im Gesundheitswesen wurde durch verschiedene
Urteile des EuGH konkretisiert.
1. Bereitschaftsdienst
Der EuGH hat entschieden, dass jeder Bereitschaftsdienst bei dem sich der
Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bezeichneten Ort aufhalten muss, in
die Berechnung der Arbeitszeit nach der Richtlinie einfließen muss und nicht
auf Mindestruhezeiten angerechnet werden darf. Für die Arbeitnehmer
bedeutet dies, dass ihr Bereitschaftsdienst in vollem Umfang in die
Berechnung ihres Anspruchs auf Ruhezeiten und der wöchentlichen
Höchstarbeitszeit einfließen muss. Für die Arbeitgeber bedeutet es, dass sie
bei der Gestaltung und Planung der Arbeitszeit die Beschränkungen der
Richtlinie beachten und den Bereitschaftsdienst ihrer Mitarbeiter in vollem
Umfang als Arbeitszeit berechnen müssen. Dieser Grundsatz gilt für Zeiten, in
denen der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitet (aktive Bereitschaft) sowie für
Zeiten, in denen sich der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz zur Verfügung
hält (inaktive Bereitschaft).
2. Rufbereitschaft
Der EuGH hat entschieden, dass eine Rufbereitschaft, bei der ein
Arbeitnehmer Leistungen erbringen muss, wenn er dazu aufgefordert wird, bei
der er sich aber nicht am Arbeitsplatz aufhalten muss, sondern auch
(beispielsweise) zu Hause oder an einem anderen Ort seiner Wahl bleiben
kann, nicht in vollem Umfang als Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie berechnet
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werden muss: In solchen Fällen wird nur diejenige Zeit als Arbeitszeit gezählt,
in der Arbeitnehmer auf einen entsprechenden Anruf hin arbeiten.
3. Ausgleichsruhezeiten:
Nach der Richtlinie können tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten ganz
oder teilweise hinausgeschoben werden, allerdings nur unter der Bedingung,
dass die nicht in Anspruch genommenen Ruhezeiten später vollständig
nachgeholt werden. Die Richtlinie schreibt jedoch nicht vor, innerhalb welcher
Zeitspanne dies geschehen muss. Der EuGH hat dazu geurteilt, dass sich die
„gleichwertige Ausgleichsruhezeit“ unmittelbar an die betreffende verlängerte
Schicht anschließen muss. Für die Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie
unmittelbar nach Ableistung der verlängerten Arbeitszeit Anspruch auf eine
Ruhezeit haben, damit sie sich von der geleisteten Arbeit erholen und wieder
fit für die nächste Arbeitsschicht werden können. Für die Arbeitgeber bedeutet
es, dass sie denjenigen Mitarbeitern, die überlange Arbeitszeiten abgeleistet
haben, unmittelbar anschließend die gleichwertige Ausgleichsruhezeit
gewähren müssen, was sich auf die Gestaltung und Planung des Einsatzes
ihres Personals auswirkt.
Diese Rechtsprechung hat viele Mitgliedstaaten dazu veranlasst, von der OptOut-Klausel Gebrauch zu machen. So hat z.B. Deutschland eine Regelung
eingeführt, wonach tarifvertraglich die werktägliche Arbeitszeit auch ohne
Ausgleich auf über acht Stunden verlängert werden kann, wenn in die
Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienst fällt
und sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet
wird. Gemäß einem Ende 2010 veröffentlichten Durchführungsbericht der
Kommission hatten zu diesem Zeitpunkt 16 Mitgliedstaaten von der Opt-OutKlausel Gebrauch gemacht.
IV.
Reformbedarf
Vor diesem Hintergrund und angesichts der sich stetig ändernden
Bedingungen in der Wirtschafts- und Arbeitswelt ist die Notwendigkeit einer
Reform der Arbeitszeitregelungen deutlich. Die Überarbeitung der
Arbeitszeitrichtlinie steht schon lange auf der Tagesordnung der EU.
1. Legislativvorschlag der Europäischen Kommission
Im Zeitraum von 2004 bis 2009 diskutierten Rat und Parlament umfassend
über einen Legislativvorschlag der Kommission, der eine Reihe von
Änderungen an der Arbeitszeitrichtlinie vorsah. Der Vorschlag der
Kommission basierte auf einer Überprüfung und Konsultationen, in denen es
u.a. um die „Opt-out“-Möglichkeit ging. Weitere Punkte waren die Behandlung
des Bereitschaftsdienstes und der Zeitpunkt von Ausgleichsruhezeiten.
Diesbezüglich waren zahlreiche Forderungen an die Kommission gerichtet
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worden, die Anwendbarkeit der Richtlinie nach der einschlägigen EuGHRechtsprechung klarzustellen. Der Kommissionsvorschlag sah u.a.
insbesondere vor:
o die Möglichkeit des individuellen Opt-out von der 48-Stunden-Regel
entweder ganz abzuschaffen oder einer strengen Überprüfungsklausel zu
unterwerfen
o den Bereitschaftsdienst durch Unterscheidung zwischen aktiven und
inaktiven Zeiten am Arbeitsplatz anders zu behandeln als die normale
Arbeitszeit;
o den
Spielraum
bei
der
Festlegung
Ausgleichsruhezeiten zu erweitern
des
Zeitpunkts
der
Die Verhandlungen scheiterten im April 2009 endgültig. Hauptstreitpunkt war
das geplante vollständige Verbot der Möglichkeit von Opt-Outs, welche von
der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten aber für unverzichtbar gehalten wurden
2. Verhandlungen der Sozialpartner
Für einen neuen Versuch zur Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie hatte die
Kommission daraufhin den Sozialpartnern die Initiative überlassen. Dabei war
lange unklar, ob es zu Verhandlungen kommen würde, da die Arbeitgeber
sich auf punktuelle Änderungen und Einzelfragen beschränken, die
Gewerkschaften aber die gesamte Richtlinie überprüfen wollten. Die
europäischen Sozialpartner haben dann am 08.12.2011 die Verhandlungen
zur Revision der Arbeitszeitrichtlinie aufgenommen.
Die Forderungen der Gewerkschaften bezogen sich u.a. auf wirksameren
Schutz der Gesundheit und die Sicherheit der Arbeitnehmer und die
Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben. Die
Arbeitgeber fordern ihrerseits mehr Flexibilität ein, um für unternehmerische
Entscheidungen handlungsfähig zu bleiben und die Verwaltungslasten,
insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, zu begrenzen.
Einigkeit bestand - bei den differierenden Auffassungen über die inhaltlichen
Änderungen - zwischen den Sozialpartnern dahingehend, dass eine
Überarbeitung der EU-Arbeitszeitrichtlinie notwendig ist, da die aus dem Jahr
2003 stammende Richtlinie den Anforderungen an die aktuelle Arbeitswelt
nicht entspricht und zudem die Umsetzung in weiten Teilen der EU
unzureichend ist. Die Reform der Arbeitszeitrichtlinie soll daher das EUArbeitszeitrecht an die geänderten Anforderungen der Arbeitswelt anpassen
und den Bedürfnissen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gerecht werden.
Die Verhandlungen scheiterten jedoch Anfang 2013 endgültig, sodass die
Initiative zur Reform der Richtlinie wieder auf die Kommission überging.
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3. Öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission
Diese hat am 1.12.2014 einen neuen Anlauf genommen und eine öffentliche
Konsultation für die Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie gestartet. Die
Konsultation behandelte themenbezogene Fragen wie Bereitschaftsdienst,
Ausgleichsruhezeiten, Opt-Out-Klauseln, Vereinbarkeit von Beruf und Familie
sowie weitere Ansätze für die zukünftige Ausgestaltung der
Arbeitszeitrichtlinie. Dabei sollte zu verschiedenen Optionen das
Meinungsbild eingeholt werden, z.B. zu einer Abschaffung der Opt-OutKlausel oder zu einer Regelungsbefugnis der nationalen Sozialpartner, dass
nur ein Teil des inaktiven Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit zu rechnen ist.
Die Konsultation richtete sich über einen Online-Fragebogen an alle
interessierten Kreise und lief bis zum 15.3.2015. Sie dient der
Folgenabschätzung und soll insoweit die Reform der Arbeitszeitrichtlinie
vorbereiten. Die Ergebnisse werden dann ggf. in einen neuen
Legislativvorschlag der Kommission einfließen.
Die EU-Kommission hat die ersten Ergebnisse der Konsultation veröffentlicht.
Über 2000 Organisationen und Privatpersonen haben an der Konsultation
teilgenommen. Im nächsten Schritt wird die Kommission die Konsultation
auswerten.
4. Ausblick
Mit konkreten Vorschlägen zur Überarbeitung der Richtlinie ist wohl nicht vor
2016 zu rechnen.
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