40. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde
Zürich, 22. bis 25. Juli 2015
Der 40. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde wird auf Einladung des ISEK –
Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft – Populäre Kulturen vom
22. bis 25. Juli 2015 in Zürich und damit erstmals außerhalb Deutschlands stattfinden.
Vorstand und Hauptausschuss haben sich auf Anregung der Gastgeber auf folgendes
Thema verständigt:
Kulturen der Sinne
Zugänge zur Sensualität der sozialen Welt
Call for Papers
Die Mitglieder der dgv und alle weiteren Interessierten sind herzlich eingeladen, den
Kongress aktiv mit zu gestalten und Beitragsvorschläge für Vorträge und Panels
einzureichen.
Zum Thema
Wahrnehmen und Handeln in der sozialen Welt sind stets körperlich und kulturell zugleich.
Der Gebrauch der Sinne, das ‚Sinnliche‘ ist damit elementarer Bestandteil dessen, was wir
als Kultur zu verstehen gewohnt sind. So selbstverständlich diese Feststellung erscheint, so
sehr bedarf sie – selbst in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit – nach wie vor der Erklärung;
einerseits möglicherweise, weil sie so naheliegend zu sein scheint, andererseits wohl aber
auch, weil ein lange dominantes Konzept von Kultur den Sinnen nur bedingt Platz ließ und
diese in das Reich der Natur verwies. Ein ähnliches Paradox zeichnet die volkskundliche
Denktradition aus: Der Kanon des Faches umschloss in seinem holistischen Anspruch mit
Bildlichem, Musik, Nahrung, Tanz, Kleidung und Glaube im Gegenständlichen zwar die
sinnlichen – und übersinnlichen? – Dimensionen der Alltagswelt, ohne aber die damit
verbundenen sinnlichen Vorgänge und ihrer Bedeutung zu konzeptualisieren.
Die anthropologische Aufmerksamkeit für die Vielfalt sinnlichen Erlebens und seiner
Ordnungen hat dagegen in jüngerer Zeit die Sinne ins Zentrum des Interesses einer Vielzahl
von Disziplinen rücken lassen. Gerade im Raum zwischen den Disziplinen mit seinen
offenen Grenzen und flüssiger gewordenen Paradigmen wird denn auch seit etlichen Jahren
ein „sensory turn“ konstatiert. Hintergrund dafür bildet die wachsende Skepsis gegenüber
den maßgeblichen Denkbildern der Moderne, nach denen eine behauptete zunehmende
Reizüberflutung zwangsläufig zu einem Verlust der Sinne führe. Die soziale und kulturelle
Situiertheit solcher Annahmen in den Wissensordnungen der Moderne selbst ist dabei lange
unerkannt geblieben. Sie gilt dagegen in der kultur- und sozialwissenschaftlichen
Auseinandersetzung mit den Sinnen als Voraussetzung für Zugänge, die von der
Beschreibung der sinnlich erfahrenen Gegenstände zu Analysen der sensorischen Praxis
vordringen und sich dafür buchstäblich selbst zu sensibilisieren haben.
Der Zürcher Kongress lädt dazu ein, die aktuell in Gesellschaft und Wissenschaft breit
diskutierte 'Wiederkehr der Sinne' zum Gegenstand kulturwissenschaftlicher Analyse und die
Expertise der in der Tradition des Faches stehenden Kulturforschung sichtbar zu machen.
Themen und Fragen des Kongresses schließen damit an, ein sich in den letzten Jahren
komplex und nicht widerspruchslos ausdehnendes Begriffsfeld an. Neben der pauschalen
Annahme der erwähnten sinnlichen Wende nimmt der Kongress vor allem auf die als
„sensory/sensual anthropology“ etikettierte kultur- und sozialanthropologische
Forschungsrichtung Bezug, in deren Verständnis es nicht nur um eine „sensual culture“ (D.
Howes) als Gegenstand, sondern auch um eine Öffnung der Forschung im Sinne einer
„sensuous scholarship“ (P. Stoller) geht. Diese markiert auch die Spezifik der historisch und
anthropologisch argumentierenden Kulturforschung, für die das Studium sinnlicher Praxis
zugleich Wege zu Formen des Wissens weist, wie sie bislang außerhalb der Wahrnehmung
rationaler und okularzentristischer Herangehensweisen geblieben sind (C. Classen).
Dementsprechend haben in den letzten Jahren die Reflexion der Epistemiken und die
Diskussion um eine Ausweitung der Methoden breiten Raum eingenommen und die
traditionelle Ethnographie zu einer „sensory ethnography“ (S. Pink) zu erweitern vermocht.
Die Beiträge und Diskussionen des Kongresses könnten die folgenden Probleme bzw.
thematischen Schwerpunkte adressieren. Dabei sind die Vorschläge nicht ausschließend
gedacht, sondern mögen als Anregung verstanden werden, Fragen nach den theoretischen
Grundlinien einer Kultur der Sinne, nach ihrer empirischen Bearbeitung und methodischen
Reflexion nicht zu separieren, sondern in ihren wechselseitigen Verhältnissen zu
thematisieren.
Gebrauch der Sinne: Praxis, Geschichte
Mögliche Themenfelder:
• Geschichtlichkeit sinnlicher Wahrnehmung und Erfahrung: Wie lässt sich die historische
Modellierung des Wahrnehmens und Fühlens historisch-anthropologisch fassen, und wie
rahmen habitualisierte emotionale Stile Erleben und Handeln?
• Multisensualität – Multimodalität: Was wissen wir über die kulturell modellierte Beziehung
der Sinne, über synästhetische und kinästhetische Praktiken, und welche Konsequenzen
besitzt die Multimodalität sinnlicher Reize für die konkrete empirische Arbeit?
Sinnliche Kultur: Repräsentationen / Populäre Vorstellungen
Mögliche Themenfelder:
• Sinnliche Kultur und kulturelles Gedächtnis: Was und wie erzählen Museen und Archive
über historische sensuelle Praktiken, und welche Bedeutung kommt dem sinnlichen Erbe in
den Institutionen des Gedächtnisses zu?
• Geschlecht der Sinne: Welche Rolle spielt die historische Vorstellung von der Hierarchie
der Sinne für die Aushandlung der Geschlechterverhältnisse, und wo liegt der Beitrag einer
Kulturforschung der Sinne für eine Überwindung dichotomer Konzepte und
Machtbeziehungen?
Ethnographien multisensualer Alltage
Mögliche Themenfelder:
• Kultur der Sinne – sinnliche Wissenschaft: Wie verändert die Aufmerksamkeit für die
sinnliche Dimension der sozialen Welt Selbstverständnis und Arbeitsweisen der
Wissenschaft, und wie reagiert eine reflexive Kulturwissenschaft auf die damit verbundenen
methodischen Herausforderungen?
• Technogene Sinne – Medialität der Erfahrung: Wo liegt der Beitrag der
kulturwissenschaftlichen Technik- und Medienforschung für eine sensory anthropology,
und wie lassen sich ethnographische Zugänge zu mediatisierten Praktiken und Erfahrungen
– auch und besonders in digitalen und augmentierten Umgebungen – denken?
Sinnliches Verstehen:
Mögliche Themenfelder:
• Sinnliche Epistemik – das Wissen der Dinge: Welche Konsequenz besitzt das Interesse an
einer Kultur der Sinne für die Konzepte von Kognition und Emotion, und welche Bedeutung
besitzt etwa die körperliche Erfahrung des Materiellen für die Herstellung und Vermittlung
von Wissen?
• Sinne, Wissen und Macht: In welcher Beziehung stehen die Hierarchie der Sinne und die
machtvollen Konstruktionen und kategorialen Grenzziehungen der Moderne (Natur/Kultur),
und wie wirken sie nach in der Herstellung und Wahrnehmung von Alterität?
• Erforschung von Sensualität und die Überwindung der „zwei Kulturen“: Wie gestaltet sich
das multidisziplinäre Feld sinnlicher Kultur, und wie verändern sich dabei die Beziehungen
einerseits zwischen Science und Humanities, andererseits die Stellung akademischen
Wissens angesichts seiner globalen Entgrenzung?
Wie in der Vergangenheit soll auch der Zürcher Kongress in Form von Plenar- und
Sektionsvorträgen sowie durch Panels gestaltet werden. Daneben sollen Sektionen für
Masterkandidatinnen und -kandidaten und studentische Projekte stattfinden. Panels erhalten
mit zwei Stunden den Umfang einer Sektion. Die Leiterin/der Leiter eines Panels konzipiert
das Thema und schlägt dieses der dgv in Form eines Abstracts vor. Ebenso werden die
Referentinnen und Referenten (unter Beifügung jeweils eines knappen Abstracts ihrer
Vorträge) benannt. Die konkrete Gestaltung des Panels (Form der Einführung, Zahl der
Vorträge, Kommentare) obliegt – unter Einhaltung der zeitlichen Vorgaben – den jeweiligen
Organisatorinnen bzw. Organisatoren der Panels. Sie werden gebeten, innovative und
diskussionsfördernde Formate zu wählen.
Bitte beachten Sie bei der Einreichung Ihrer Abstracts folgende Anforderungen:
• Die Abstracts sollen außer einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung Angaben über die
Fragestellung und die empirische Basis enthalten bzw. Auskunft über den Kontext geben, in
dem die Arbeit entsteht, gegebenenfalls. mit Angaben zu bereits vorliegenden
Veröffentlichungen, den Stand der Arbeit bzw. erste Ergebnisse.
• Es soll sich selbstverständlich um neue und unveröffentlichte Forschungsbeiträge handeln.
• Beiträge können auf Deutsch oder Englisch gehalten werden.
• Die Abstracts sollten Angaben über den beruflichen Werdegang und die derzeitige Tätigkeit
der Bewerberin/des Bewerbers enthalten.
• Bitte geben sie gültige Post- und Emailadressen an, bei Panelvorschlägen sowohl der
verantwortlichen Organisatoren, als auch aller Beitragenden.
• Die Abstracts für Einzelvorträge sollen eine, die für Panels zwei DIN A4-Seite nicht
überschreiten (max. 2.500 bzw. 5.000 Zeichen inkl. Leerzeichen).
• Für die Einreichung per Email benutzen Sie bitte .rtf oder .doc-Format (nicht pdf.). Bitte
fassen Sie alle Teile zu einem Dokument zusammen und benennen sie die Datei mit:
„Ihrem Namen_Proposal_dgvzuerich2015.doc“, bzw.
„Name des/der PanelleiterIn_Panelvorschlag_dgvzuerich2015.rtf“.
• Bitte reichen Sie die Vorschläge bis zum 15.08. 2014 per Email an:
[email protected] ein.
Um das Auswahlverfahren zu erleichtern und transparent zu gestalten, werden alle
Einreichenden dringend ersucht, diesen Vorgaben zu folgen. Vorstand und Hauptausschuss
werden auf ihrer gemeinsamen Sitzung im September 2014 das endgültige Programm
festlegen und zeitnah veröffentlichen.