Arbeitsgemeinschaft im Verwaltungsrecht Allgemeiner Teil - WS 2015/16 Wissenschaftliche Hilfskraft Christian Hähn (Lehrstuhl Prof. Dr. Marc Desens) Fall 4 Die D-Partei wird am 4.6.2014 erstmals zur Landtagswahl in Sachsen zugelassen. Der Landesverband Sachsen der D-Partei (S) möchte in Vorbereitung auf die Wahl im Gebiet der Kreisfreien Stadt Leipzig (L), die ca. 520.000 Einwohner zählt, Wahlplakate mit dem Slogan „Immer feste druff“ aufhängen. Die Plakate sollen ab dem 1.8.2014 aufgehängt werden, um den Wahlkampf des B für die am 31.8.2014 stattfindende Wahl vorantreiben. Also beantragt S noch am 4.6.2014 bei der Stadtverwaltung der L eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis für das Aufhängen der Plakate, wobei sich der Antrag angesichts der noch geringen finanziellen Mittel der Partei auf einen kleinen Bruchteil der Anzahl der Plakate beschränkt, die jeweils von den etablierten Parteien aufgehängt werden. Die Wahlplakate sollen laut Antrag an den Laternenmasten der Gemeindestraßen und den Staatsstraßen S 1 und S 9, soweit es sich dabei um Ortsdurchfahrten durch das Stadtgebiet von L handelt, aufgehängt werden. Beeinträchtigungen des Verkehrs sind durch das Aufhängen der Plakate nicht zu befürchten. Das innerhalb der Stadtverwaltung von L zuständige Verkehrs- und Tiefbauamt lehnt die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis ab. Der Bescheid geht S am 9.6.2014 zu. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Straßen, für die S die Sondernutzungserlaubnis beantragt hat, allein dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, sodass eine andere Nutzung grundsätzlich nicht zulässig sei. Ausnahmen habe man lediglich für die etablierten Parteien zugelassen. Für den Landesverband S käme dies aber nicht in Betracht, da die D-Partei völlig unbedeutend sei. Sie sei nicht im Landtag vertreten und dies sei auch bei Ausschöpfung aller Werbemaßnahmen nicht zu erwarten, sodass es gar keinen Grund gäbe, ihr das Aufhängen von Wahlplakaten zu gestatten. Schließlich sei man schon grundsätzlich nicht verpflichtet, eine Sondernutzungserlaubnis für eine Partei zu erteilen, die sich selbst nicht ernst nimmt und ernsthafte Politik nur verhöhnen will. Bereits am nächsten Tag, dem 10.6.2014, erhebt S Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid der Stadt ein. Es werde nicht in Frage gestellt, dass die Partei einen Hang zur Satire hat, deswegen sei sie aber trotzdem eine Partei wie jede andere. Es könne ihr auch nicht die Erlaubnis verweigert werden, Wahlwerbung zu betreiben, nur weil sie nicht im Landtag vertreten sei und dies angeblich auch nicht erwartet werden könne. Wäre dem so, dann hätte niemals eine neu gegründete Partei ernsthafte Chancen, den Sprung in den Landtag zu schaffen, weil ihr die öffentliche Werbung aus eben diesem Grund nicht gestattet würde. Der Widerspruch hat jedoch keinen Erfolg. Am 16.6.2014 wird der Widerspruchsbescheid mit Übergabeeinschreiben an den Vorstandsvorsitzenden des Landesverbandes Stefan Ratzlaff (V) zur Post gegeben. Dieser Bescheid erreicht den V am 19.6.2014. S ist empört und möchte nun als satzungsgemäßer Gebietsverband höchster Stufe den Erlass der Sondernutzungserlaubnis gerichtlich durchsetzen. Prüfen Sie die Erfolgsaussichten einer Klage des S. Bearbeitungszeitpunkt ist der 20.7.2014. Arbeitsgemeinschaft im Verwaltungsrecht Allgemeiner Teil - WS 2015/16 Wissenschaftliche Hilfskraft Christian Hähn (Lehrstuhl Prof. Dr. Marc Desens) Abwandlung 1 S wartet noch auf den Widerspruchsbescheid, während der Zeitraum, in dem die Plakate aufgehängt werden sollten, vorübergeht und die Wahl durchgeführt wird. Am 2.9.2014 erhält S ein Schreiben von L, in dem mitgeteilt wird, dass das Verfahren eingestellt wurde, da sich der Antrag ja nun erledigt habe. Dies will S sich nicht gefallen lassen und erhebt daher am 22.9.2014 Klage gegen L. Die beklagte Stadt L meint, die Klage des Landesverbands S sei schon unzulässig, da das Ziel ja nicht mehr erreicht werden könne. Da die Wahl vorbei ist, mache es schon grundsätzlich keinen Sinn mehr, sie jetzt noch zu verpflichten, die Sondernutzungserlaubnis zu erlassen. Der Vorstand des S erklärt, dass man aber trotzdem festgestellt haben möchte, dass die Nichterteilung der Sondernutzungserlaubnis rechtswidrig war. Immerhin habe die Partei fest vor, auch bei allen künftigen Wahlen mitzumischen, wobei das Aufhängen der Plakate ein elementarer Teil des Wahlkampfes sei. Prüfen Sie, ob die Sachentscheidungsvoraussetzungen für die Klage des S vorliegen. Abwandlung 2 Anders als im Ausgangsfall möchte B auch für die Neuwahl zum Leipziger Stadtrat am 12.10.2014 Wahlplakate aufhängen. Hierfür erhält der S – nach entsprechender Anhörung – auf seinen Antrag vom 4.6.2014 hin die begehrte straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis mit Bescheid vom 9.6.2014, der am 10.6.2014 mit einfachem Brief zur Post gegeben wird und den S am 11.6.2014 erreicht. Jedoch enthält der Bescheid unter „III. Ergänzende Bestimmungen“ folgende drei Regelungen: Erstens bestimmt das Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadtverwaltung von L, dass die der S erlaubten Plakate an den beiden Staatsstraßen S 1 und S 9 nur aufgehängt werden dürfen, wenn diese statt des Slogans „Immer feste druff“ die sprachlich neutral gehaltene Mitteilung des Wahltermins und eine Aufforderung an die Passanten enthalten, wählen zu gehen. Zweitens erlaubt das Verkehrs- und Tiefbauamt das Aufhängen der Wahlplakate an allen Standorten bis spätestens 14 Tage nach dem Tag der Neuwahl. Drittens wird die Sondernutzungserlaubnis mit der Maßgabe erteilt, dass der S seine in L aufzuhängenden Wahlplakate ausschließlich in örtlichen Druckereien drucken lässt. Für diese dritte Bestimmung ordnet das Amt die sofortige Vollziehbarkeit an. Zur Begründung der „Ergänzenden Bestimmungen“ führt das Verkehrs- und Tiefbauamt aus, die erste Bestimmung sei erforderlich, um der seit Jahren sinkenden Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen entgegenzuwirken und die Bürger über den bevorstehenden Wahltermin zu informieren; wenn der S den Einzug in den Stadtrat anstrebe, müsse er eben einen Teil seiner Plakate auch für derartige Informationen bereitstellen. Von anderen Parteien werde dies zwar nicht verlangt, da diese aber auch bereits über Stadtratsmandate verfügten, bestehe kein Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihres Begehrens. Die zweite Bestimmung werde vom Gesetz unmittelbar verlangt; Sondernutzungserlaubnisse dürften nur befristet oder mit Widerrufsmöglichkeit erteilt werden. Vorliegend habe man dem S – wie allen Landesverbänden der anderen Parteien auch – 14 Tage nach dem Wahltag als Frist eingeräumt, um eine zügige, gleichwohl mit vertretbarem Aufwand bewirkbare Beseitigung der Sondernutzung nach Erfüllung ihres Zwecks zu erreichen. Die dritte Bestimmung diene schließlich der Förderung der örtlichen Druckereiwirtschaft; diese liege seit Jahren „am Boden“. Durch die Vorgabe an den S, die Arbeitsgemeinschaft im Verwaltungsrecht Allgemeiner Teil - WS 2015/16 Wissenschaftliche Hilfskraft Christian Hähn (Lehrstuhl Prof. Dr. Marc Desens) inhaltlich der an die Landesverbände der anderen Parteien entspricht, werde der Druckereiwirtschaft zumindest ein kleiner Auftrag verschafft; der S habe aber immer noch die Auswahl, welche Druckerei aus L er konkret beauftrage. Am 14.7.2014 erhebt der B gegen die drei „Ergänzenden Bestimmungen“ im Bescheid vom 9.6.2014 Widerspruch. Er trägt vor, die erste Bestimmung sei rechtswidrig, weil er allein entscheiden dürfe, was auf seinen Wahlplakaten zu sehen sei. Wenn er einen Anspruch auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis habe, dürfe die Verwaltung diesen nicht faktisch dadurch konterkarieren, dass sie ihm zwar die Erlaubnis erteile, ihn aber zum Aufhängen inhaltlich gänzlich anderer Plakate zwinge. Auch die zweite Bestimmung sei rechtswidrig; die D-Partei trete dafür ein, den öffentlichen Straßenraum auf Dauer mit den „leeren Worthülsen“ ihrer „politischen Kampfrhetorik“ zu füllen, um die öffentliche Debatte auch zwischen den Wahlterminen zu beeinflussen. Dazu müssten aber die Plakate hängen bleiben. Schließlich sei auch die dritte Bestimmung rechtswidrig; die D-Partei lehne grundsätzlich die Förderung der regionalen Wirtschaft ab, allein internationale Großkonzerne erhielten Aufträge der Partei bzw. ihrer Landesverbände. Die Verwaltung dürfe sie zu nichts anderem zwingen. Mit Widerspruchsbescheid vom 1.8.2014 wird der Widerspruch des B zurückgewiesen; der Widerspruchsbescheid wird an den B am selben Tag per Übergabeeinschreiben zur Post gegeben. Infolge eines längerfristigen Streiks bei der Post geht das Übergabeeinschreiben aber erst am 3.9.2014 bei dem B ein. Dieser erhebt am 6.10.2014 Klage gegen alle drei „Ergänzenden Bestimmungen“ mit der Begründung aus dem Widerspruch. Hat die Klage des B gegen alle drei „Ergänzenden Bestimmungen“ Aussicht auf Erfolg? Arbeitsgemeinschaft im Verwaltungsrecht Allgemeiner Teil - WS 2015/16 Wissenschaftliche Hilfskraft Christian Hähn (Lehrstuhl Prof. Dr. Marc Desens) Gesetzesauszüge: § 26 BGB Vorstand und Vertretung (1) Der Verein muss einen Vorstand haben. Der Vorstand vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich; er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Der Umfang der Vertretungsmacht kann durch die Satzung mit Wirkung gegen Dritte beschränkt werden. (2) Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so wird der Verein durch die Mehrheit der Vorstandsmitglieder vertreten. Ist eine Willenserklärung gegenüber einem Verein abzugeben, so genügt die Abgabe gegenüber einem Mitglied des Vorstands. § 187 BGB Fristbeginn (1) Ist für den Anfang einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt maßgebend, so wird bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. (2) Ist der Beginn eines Tages der für den Anfang einer Frist maßgebende Zeitpunkt, so wird dieser Tag bei der Berechnung der Frist mitgerechnet. Das Gleiche gilt von dem Tage der Geburt bei der Berechnung des Lebensalters. § 188 BGB Fristende (1) Eine nach Tagen bestimmte Frist endigt mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist. (2) Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum - Jahr, halbes Jahr, Vierteljahr - bestimmt ist, endigt im Falle des § 187 Abs. 1 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, im Falle des § 187 Abs. 2 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht. (3) Fehlt bei einer nach Monaten bestimmten Frist in dem letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endigt die Frist mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats. § 193 BGB Sonn- und Feiertag; Sonnabend Ist an einem bestimmten Tage oder innerhalb einer Frist eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken und fällt der bestimmte Tag oder der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag, einen am Erklärungs- oder Leistungsort staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so tritt an die Stelle eines solchen Tages der nächste Werktag.
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