Predigt Mk 10, 2-9 – die Frage nach der Ehescheidung

Predigt Mk 10, 2-9 – die Frage nach der Ehescheidung
Anja und Jochen heiraten nächsten Sonntag. Das große Fest steht vor der Tür – bloß dass
Anja gerade die Vorfreude kräftig vergangen ist. Jochen ist mal wieder zu spät und mit zu
viel Bier intus von seinen Fußballer-Freunden heimgekommen. Er macht es sich auf der
Couch bequem, rülpst zweimal kräftig und schläft bierselig ein. Mit Blick auf die
gemeinsame Ehe denkt Anja einen Augenblick lang: „Naja, zur Not kann ich mich ja auch
wieder scheiden lassen, oder?“
Michael ist am Ende. Volle drei Jahre hat der Scheidungskrieg mit Sarah gedauert:
Sorgerecht, Unterhaltszahlungen, Kommunikation nur noch über den Anwalt und auf
unschöne Weise über die beiden Kinder. Jetzt ist die Scheidung durch, die
Unterhaltszahlungen hoch und seine beiden Kinder sieht er nur noch alle zwei Wochen.
Und er fragt sich: War es das wirklich wert? War es richtig, dass ich die Scheidung wollte?
Gudrun kann nicht mehr. Sie hält es nicht mehr aus. Der Alkohol, der Psychoterror, die
Übergriffe – und dann immer wieder die jämmerlichen Entschuldigungen, all die
folgenlosen Versprechungen, diesmal wirklich, aber auch wirklich mit dem Alkohol
aufzuhören. Sie kann nicht mehr und sie will nicht mehr. Jetzt liegen die
Scheidungspapiere vor ihr und sie fragt sich ein letztes Mal „Soll ich mich wirklich
scheiden lassen?“
Gerold fühlt sich so richtig lebendig. So lebendig wie lange nicht mehr. Endlich mal
wieder ein Abenteuer. Endlich mal wieder das Gefühl: „Das Leben besteht nicht bloß aus
Arbeit und Pflichten! Ich bin ein Mann, ein begehrenswerter, attraktiver Mann – auch
wenn ich schon auf die sechzig zugehe!“ Wie immer vor ihren heimlichen Treffen setzt er
sich ins Auto, nimmt den Ehering vom Finger und träumt von einer gemeinsamen
Zukunft. Er denkt: „Im Prinzip muss ich mich bloß scheiden lassen und dann sind wir frei
– frei alles zu tun und zu lassen, was immer wir wollen!“
Die Frage nach der Ehescheidung – sie merken schon: Eine solche Frage ist selten
inhaltlich neutral. „Soll ich mich scheiden lassen?“ „Darf ich mich scheiden lassen?“ – fast
immer schwingt in dieser Fragestellung eine ganz bestimmte Mischung aus Sehnsüchten,
Nöten, Frustration, Hoffnung, bestimmten Absichten und vielem mehr mit. Eine ganz
bestimmte Absicht hatten auch einige Pharisäer, als sie Jesus einmal die Frage nach der
Ehescheidung stellten. Ich lese aus Mk 10, 2-9:
Einige Pharisäer kamen zu Jesus und fragten, um ihn damit auf die Probe zu stellen: »Darf
ein Mann sich von seiner Frau scheiden lassen?«
»Was hat Mose über die Scheidung gesagt?«, fragte sie Jesus .
»Er hat sie erlaubt«, erwiderten sie. »Er hat gesagt, ein Mann brauche seiner Frau nur
einen offiziellen Scheidungsbrief auszustellen und dürfe sie dann fortschicken.«
Ich unterbreche mal an dieser Stelle und lese Ihnen die Worte aus dem 5. Buch Mose
vor, auf die die Pharisäer hier Bezug nehmen (ich füttere Sie also kurz mit
Hintergrundinformationen). Dort, in 5. Mose, Kap. 24 heißt es: „Angenommen, ein Mann
heiratet eine Frau. Wenn sie ihm später nicht mehr gefällt, weil er etwas Anstößiges an
ihr findet, kann er ihr einen Scheidebrief ausstellen und sie fortschicken.“
So. Und um diese Stelle war nun unter den Rabbinen (also unter den religiösen
Gelehrten der damaligen Zeit) ein großer Streit entbrannt. Die zentrale Frage lautete:
„Was ist ‚etwas Anstößiges‘?“
Es gab im Grunde drei Schulen: Die Schule um Rabbi Schamai sagte: „nur Unzucht (v.a.
Ehebruch) kann ein Scheidungsgrund sein.“ Die Schule um Rabbi Hillel meinte: „Etwas
Anstößiges liegt bereits dann vor, wenn die Frau das Essen anbrennen lässt.“ Und die
Schule um Rabbi Akiba meinte: „Etwas Anstößiges ist schon die Tatsache, dass ein Mann
eine andere Frau findet, die schöner ist, als seine jetzige.“ Was für wunderbare, weise,
gelehrte und sympathische Gottesmänner 
In diesen Streit wollten die Pharisäer Jesus nun also hineinziehen. Sie dachten sich: „Wir
wollen doch mal sehen, wie Jesus sich in diesem verminten Gelände bewegt!“
Da entgegnete Jesus: »Nur weil euer Herz so hart ist, gab euch Mose diese
Anweisung. Doch der Wille Gottes wird schon mit Beginn der Schöpfung deutlich, als er
sie als Mann und Frau schuf. ‚Deshalb wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und sich
an seine Frau binden und die beiden werden zu einer Einheit.´ Dann sind sie nicht mehr
zwei, sondern eins, und niemand darf sie trennen, denn Gott hat sie zusammengebracht.«
Was macht Jesus hier? Jesus weiß um all den Streit und all die unterschiedlichen
Positionen – und fegt all das mit einem wuchtigen Stoß vom Tisch. Sein wuchtiger Stoß
lautet: „All diese Eure elenden Definitionsversuche gehen an der Idee Gottes von einer
Ehe weit, weit vorbei. Ihr starrt ständig nur auf das hässliche Ende einer gescheiterten
Ehe, anstatt dass Ihr versucht, mit der Kraft Eurer Gedanken die Ehe an sich – diese
wunderbare Idee Gottes – in ihrer ganzen Schönheit und Tiefe zu verstehen und groß zu
machen. Sie den Menschen vor Augen zu malen mit den leuchtendsten Farben, die die
unser menschliches Leben hergibt. Den Menschen vorzuschwärmen, dass eine Ehe den
Raum bietet für Vertrauen, Hingabe und Geborgenheit, für gemeinsame
Lebensbewältigung, für Erotik, lustvoll ausgelebte Sexualität und für Kinder. Für Streit
und für Überwindung von Streit. Für Auseinandersetzungen und für Reifeprozesse. Für
Vergebung, Versöhnung und Neuanfang. Für gemeinsames Altwerden. Für das
Miteinander-drauf-Achten, dass eins das andere mit sich in den Himmel bringe. Dass in
einer Ehe nicht einfach nur zwei Menschen vorübergehend Leben teilen, sondern etwas
ganz Neues geschieht. Dass in einer Ehe mit der Hilfe Gottes aus zwei Menschen eine
Einheit wird – und dass der Mensch nicht scheiden soll, was Gott zusammengefügt hat.“
Das ist es, was Jesus hier dem Sinn nach sagt.
Wie finden Sie das?
Auf der einen Seite vermutlich schön. Ist doch schön, dass mit Blick auf die Ehe endlich
einer mal nicht zuerst mit Ehescheidungszahlen kommt, endlich einer mal nicht zuerst
davon redet, wie schwierig eine lebenslange Ehe ist, welche Fliehkräfte an solch einer
Ehe zerren und warum es überhaupt so gut wie unmöglich ist, eine glückliche Ehe zu
führen. Nein. Jesus sagt: „Es ist möglich. Eine lebenslange, glückliche Ehe ist möglich. Sie
sollte sogar der Normalfall sein. Eine lebenslange, glückliche Ehe ist die Grundidee Gottes
für das Zusammenleben von Mann und Frau.“ Solche Worte hören wir viel zu selten in
unserer heutigen Zeit.
Auf der anderen Seite wirkt das, was Jesus hier sagt, aber auch ganz schön
schwärmerisch. Idealistisch. Vielleicht ärgert es Sie, dass Jesus so blauäugig von der Ehe
redet: Vertrauen, Hingabe, Geborgenheit. Lustvoll ausgelebte Sexualität. Reifeprozesse.
Vergebung, Versöhnung und Neuanfang. Vielleicht sind Sie schon eine ganze Weile
verheiratet (oder waren eine ganze Weile verheiratet) und haben viel zu wenig oder
nichts dergleichen erlebt.
Wenn Sie so empfinden, ist es vermutlich hilfreich, wenn wir uns klarmachen: Jesus hat
seine Ethik, seine göttlichen Ideen von Leben noch nie von unserem Können abhängig
gemacht. Oder können Sie etwa Feindesliebe? Können Sie es, in Ihrem Leben vollständig
auf Tratscherei und überflüssige Worte zu verzichten? Können Sie es, niemals einen
falschen begehrlichen Gedanken zu haben?
All das können wir nicht. Und trotzdem fordert Jesus es.
Warum?
Zum einen, weil Gottes großartige Ideen für unser Leben nicht verhandelbar sind. Gott
passt seine wunderbaren Maßstäbe nicht an unser kleinliches Vermögen an. Gott ist Gott
und seine Visionen von Leben bleiben bestehen. Bleiben stehen über unserem Leben.
Das ist das eine.
Das andere ist: Jesus fordert all diese Dinge von uns, weil sie möglich sind. Nicht für uns
und unsere menschlichen Kräfte. Aber für Gott und seinen Heiligen Geist. Ich kann keine
Feindesliebe. Gott aber kann. Ich kann keine glückliche Ehe. Gott aber kann. Wenn Gott
durch seinen Heiligen Geist in uns lebt und regiert, werden auf einmal Dinge möglich,
wie Gott sie sich vorstellt. Wenn Gott durch seinen Heiligen Geist in uns lebt und regiert,
werden wir schon hier und jetzt immer wieder ein kleines Stück Himmel, ein kleines
Stück „Gott kann“ erleben.
Heißt das, dass wenn wir alle nur fromm und geistlich genug leben würden, dass uns
alles möglich ist – und eine glückliche Ehe wäre hier nur so eine Art Aufwärmübung?
Heißt das, dass es keine einzige Situation geben kann, in der eine Ehescheidung vielleicht
sogar mehr in Gottes Sinne wäre, als das Weiterleben und Weiterleiden innerhalb der
Ehe?
Ich bitte Sie: Vergessen Sie für heute mal all diese berechtigten Einwände (darum wird es
in anderen Predigten mal wieder gehen) und nehmen Sie heute nur eine Sache mit nach
Hause: Gott kann. Er kann heilsame Auseinandersetzung. Er kann die Überwindung von
Streit. Er kann Vergebung. Er kann Versöhnung. Er kann Veränderung. Gott kann Ehe.
Auch Ihre. Und zwar lebenslang. Amen.