Gültigkeit und Wahrheit © Viktor Weichbold (2012) (1) "Gültigkeit" ist ein schillernder Begriff, dessen Verhältnis zu anderen epistemologischen Begriffen – insbesonders zu "Wahrheit" oder "Geltung" – oft nicht ganz klar ist. Hier einige Anmerkungen: Zunächst ist zu unterscheiden zwischen "Gültigkeit" - im Kontext der Normenbegründung, und - im Kontext der logischen Verknüpfung von Sätzen. (2) "Gültigkeit" im Kontext der Normenbegründung bezeichnet das Vorliegen von hinreichenden Gründen für eine Norm. Eine Norm ist gültig, wenn sie hinreichend begründet ist: wenn ihre Gründe als ausreichend erachtet werden, um sie in Kraft in zu setzen. "Gültigkeit" ist zu unterscheiden von "Geltung", was das In-Kraft-Sein der Norm bezeichnet. 1 Während "Gültigkeit" auf dem Vorliegen von Gründen beruht, beruht die Geltung auf einem Willensakt des Gesetz- oder Normgebers. Allein dadurch, dass eine Norm gültig ist, ist sie noch nicht in Geltung. (3) "Gültigkeit" im Kontext der logischen Verknüpfung von Sätzen ist ein Metakonzept der Wahrheit. Genauer gesagt: Wahrheit ist eine Eigenschaft von Sätzen, Gültigkeit eine Eigenschaft von Satz-Schemata. Satz-Schemata sind Formeln, worin Sätze eingesetzt werden können, wie zum Beispiel: • aussagenlogische Schemata: p ∨ ¬p, p → ¬¬p. • Schluss-Schemata: Alle A sind B, Alle B sind C, Daher: alle A sind C. Satz-Schemata sind nicht wahr, sondern gültig. Das heißt: bei Einsetzen wahrer Sätze resultiert - ein wahrer Gesamtsatz (bei den aussagenlogischen Schemata) oder - eine wahre Konklusion (bei den Schlüssen). Werden hingegen nicht-wahre Sätze eingesetzt, so ist das Ergebnis unsicher. Nicht-wahre Sätze sind einerseits falsche Sätze, andererseits Sätze mit unbestimmtem Wahrheitswert (z.B. "Bei der nächsten Lottoziehung werde ich gewinnen.") (4) Es ist ein häufiger Irrtum, Satz-Schemata für wahr zu halten (statt für gültig). Oft liest man z.B. in Logik-Büchern, dass aussagenlogische 1 vgl. dazu meinen Essay: Eine Anmerkung zur Normenbegründung 1 Tautologien (wie "p ∨ ¬p") wahr seien. Daraus wird dann gefolgert, dass – wenn die Tautologie wahr ist – auch ihre Einzelsätze Wahrheitswerte besitzen müssten. Ein typisches Fehlargument lautet etwa: "Morgen wird es regnen oder morgen wird es nicht regnen" ist wahr. Also ist wahr, dass es morgen regnet, oder es ist wahr, dass es morgen nicht regnet. Nach dieser Auffassung haben Sätze über zukünftige Ereignisse bereits in der Gegenwart einen Wahrheitswert! Daraus ergeben sich aber heikle Konsequenzen (z.B. ein metaphysischer Determinismus), wenn nicht sogar Widersprüche. Denn es ist denkbar, dass die Welt heute Nacht untergeht, sodass es morgen weder regnet noch nicht regnet. Doch der Fehler liegt auf der Hand: die Tautologie ist nicht wahr, sondern gültig. Nur bei Einsetzen von Einzelsätzen mit Wahrheitswert wird der Gesamtsatz wahr. Sätze mit unbestimmtem Wahrheitswert erfüllen dieses Kriterium nicht. Werden sie in eine Tautologie eingesetzt, bleibt der Wahrheitswert der Verknüpfung ebenfalls unbestimmt. 2
© Copyright 2024 ExpyDoc