Miteinander leben, voneinander lernen, aneinander wachsen In

Artikel aus dem Heft 57 Minimax 2014
Rat & Tat
Auf Schatzsuche bei unseren Kindern
Miteinander leben, voneinander lernen, aneinander wachsen
Gastautorin: "Gedankenwandlerin" und Mentaltrainerin Annick-Cathrin Weikert
"Hast Du mich wirklich lieb?" - Das ist eine
Frage, die Kinder uns Eltern oft stellen.
Natürlich antworten wir darauf mit einem
klaren „JA“! Die eigentliche Frage lautet
wohl aber: „Liebst Du mich genau so,
wie ich bin?“ Diese Frage stellen sie aber
nicht, denn wir liefern ihnen anhand von
vielen kleinen Aussagen im alltäglichen
Leben bereits die Antwort: „Ja, wenn Du
so bist, wie ich es möchte!“. Nie würden
wir diesen Satz so aussprechen, aber so
muss er eigentlich bei unseren Kindern ankommen. Und möglicherweise haben wir
es früher als Kind genau so empfunden:
im Kindergarten sollten wir lieb sein, in der
Schule fleißig und beim Spielen mit anderen bitte brav. Erfüllten wir alle diese Kriterien, waren unsere Eltern zufrieden, aber
wehe wenn nicht! Dann hörten wir Sätze
wie: „Das macht man nicht.“, „Wenn du
nicht fleißig bist, wird nichts aus Dir“ oder
„So kann das mit Dir nicht weitergehen!“.
Wenn man diese Sätze nicht mit dem
Verstand, sondern mit dem Herzen liest,
kommt das Gefühl auf: „So wie ich bin, bin
ich nicht in Ordnung." Unsere Eltern haben
diese Aussagen getroffen, weil sie unser
Bestes wollten. Ihr Ziel war es, Unheil (das
noch nicht da war) abzuwenden und uns
vor unglücklichen oder ungünstigen Situationen zu bewahren. Aber als Kind haben wir das bestimmt so nicht verstanden,
sondern eher empfunden, dass wir mit
dem, was wir gerade tun, nicht „richtig“
sind. Meistens passten wir uns dann mit
unserem Handeln an, um den Eltern oder
dem sozialen Umfeld wieder zu gefallen
und „verdienten" uns Lob. Die, die das
nicht konnten, rebellierten und gerieten
in Streit.
Jetzt als Erwachsene argumentieren wir
mit unseren Kindern und appellieren
an ihren Verstand. Vielleicht erwischen
sich Eltern heute selbst in der Rolle als Mutter oder Vater dabei, unsinnige Sätze zu
sagen wie zum Beispiel „Du wirst es später
mal schwer haben“, „Du wirst schon sehen, was Du davon hast“, „Reiß dich mal
zusammen!“. Es ist wenig verwunderlich,
dass wir die Sätze von unseren Eltern über-
nehmen und uns auch dabei ertappen, in
die Rolle zu schlüpfen, die man vielleicht
nie einnehmen wollte. Zu prägend sind
Denk-, Verhaltens- und Gefühlsmuster der
Eltern, als dass sich die nachfolgende Generation vor ihnen verschließen könnte.
in ihrer ganz eigenen Entwicklung
immer wieder neu
entdecken,
gar
nicht ausreichend
wahr.
Wahrscheinlich können Erwachsene, die
jetzt selbst Kinder haben, ihre Eltern im
Rückblick besser verstehen. Jetzt ist es
aber an ihnen, sich zu fragen, was wirklich die Beweggründe sind, wenn sie die
Kinder ermahnen, mit ihnen schimpfen,
im gemeinsamen Tun unter Druck geraten und sich eben nicht bedingungslos
lieb haben können. Entsteht der Ärger in
der Kita vielleicht auch deshalb, weil man
sich als Eltern zu sehr Gedanken darüber
machen, was die anderen über den eigenen Erziehungsstil denken? Gerät die
Situation in der Schule auch deshalb so
aus den Fugen, weil die schlechten Noten
eines Kindes vielleicht Erinnerungen an eigene Versagensängste wecken und die
Befürchtung im Raum steht, dass aus dem
Kind „nichts wird"? Zeigt ein emotionaler
Wutausbruch möglicherweise nicht auch
die eigene Hilflosigkeit, Konflikte mit anderen Mitteln zu lösen? Nicht selten spiegeln
Kinder unseren Seelenzustand und zeigen uns unsere eigenen Schwächen auf.
Doch schauen wir auch hin, wenn sie das
tun?
Die
Psychologin
Jirina Prekop und
der
Hirnforscher
Gerald Hüther haben sich auf die
Suche nach dem
gemacht, was wir
Erwachsenen von ISBN: 978-3-466-30730-2
unseren
Kindern
€ 16,95
lernen können. Bei
ihrer Suche haben sie ganz besondere
Schätze entdeckt, die alle Kinder in sich
tragen: Mut, Entdeckerfreude, Wissensdurst, Zutrauen, Gestaltungslust und vieles andere. Entstanden ist ein Buch, das
Eltern, Erziehern und Lehrern Mut macht,
Kinder mit anderen Augen anzuschauen.
Wer sich auf dieses Wagnis einlässt, wird
dabei nicht nur sehr viel über die Kinder
erfahren, sondern auch vieles von dem
wiederentdecken, was uns allen beim
Erwachsenwerden leider allzu oft verloren
gegangen ist. Zum Beispiel, was bedingungslose Liebe ist. Liebe ohne Wenn und
Aber.
Es gibt genügend Ratgeber, die beschreiben, wie Kinder dazu gebracht werden
können, möglichst viel von ihren Eltern,
Erziehern oder Lehrern zu lernen. Wir fördern und investieren, wir vergleichen, wir
wiegen und messen, und in vielen Zusammenhängen verurteilen und bewerten
wir das Verhalten der Kinder: sie werden
zum "Problem" stigmatisiert. Wenn etwas
nicht rund läuft, folgen entsprechende
Termine beim Ergotherapeuten, bei der
Nachhilfe und beim Psychologen. Die
vermeintliche Schwäche bekommt so viel
Aufmerksamkeit und Zeit. Bei all diesem
Funktionalismus nehmen wir die vielen
Fähigkeiten, die unsere Kinder jeden Tag
ganz selbstverständlich mitbringen und
Was spricht also gegen einen Familiennachmittag mit heißem Kakao, Büchern
und Spielen und einer gemeinsamen
Schatzsuche, um schöne Gefühle, Talente und Stärken neu zu entdecken? Sich
in aller Geborgenheit einfach angenommen wissen, ohne Forderungen und
Leistungsansprüche, wird allen Beteiligten
gut tun. Eltern können und sollten ihren
Kindern zeigen, dass man OK ist, wenn es
einem nicht gut geht, und dass es sich gut
anfühlt, wenn man das offen und ehrlich
aussprechen kann. Auf dieser Basis lernen
wir zusammen mit unseren Kindern anzunehmen was ist und wachsen mit ihnen
gemeinsam. Es lohnt sich immer wieder,
das auszuprobieren!
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