Predigt anlässlich der Eröffnung der Kinderbibelausstellung

Prof. Dr. Christine Reents
Predigt am 31.5.2015
im Gottesdienst in der St.-Petri-Kirche in Westerstede
anlässlich der Eröffnung der Kinderbibelausstellung
Liebe Gemeinde!
Nicht nur Kinder sondern auch wir Erwachsenen lernen durch Geschichten. Deshalb
schaue ich mit meinen Enkelkindern gern Kinderbibeln an; aus der Diskussion mit
den Kindern ist das Thema dieser Predigt entstanden.
Sicherlich haben Sie im Eingangsbereich das große Einladungsplakat mit dem Bild
von David und Goliath gesehen, das unsere Kinderbibelausstellung anzeigt. Das Motiv ist auf dem Bildblatt wieder aufgenommen. Auf den beiden Bildern sind zwei Geschichten zu sehen, die zum Standartrepertoire von Kinderbibeln zählen. Beide Bilder stehen in einem deutlichen Gegensatz:
Das Bild auf der ersten Seite erzählt vom Sieg eines Kleinen über einen Großen,
vom Sieg des Hirtenjungen David über den Riesen Goliath. Mein achtjähriger Enkel
bringt mir gern den Band mit dieser spannenden Geschichte, wie der Kleine den
Großen besiegt.
Das Bild auf der zweiten Seite erzählt von der Hilfe für einen Misshandelten, von der
Zuwendung eines Samaritaners zu seinem Feind. Meine sechsjährige Enkelin bringt
mir gerne den Band mit dieser Geschichte.
Prof. Dr. Christine Reents
Predigt am 31.5.2015
Seite 1
Auf der einen Seite Kampf und Krieg, auf der anderen Feindesliebe, Zuwendung zur
benachbarten feindlichen Bevölkerungsgruppe. Und das in ein- und derselben Kinderbibel. Wie passt das zusammen?
Beide Erzählungen stammen aus der Bibel und finden sich in fast allen Kinderbibeln
wieder. Hier harter Kampf gegen den Feind – dort Hilfe für den Feind. Dieser Gegensatz wird kaum reflektiert. Heute Morgen ist dieser Kontrast unser Thema.
Beide Bilder wurden von Kees de Kort in den 1960er Jahren gestaltet, einem heute
80jährigen niederländischen Kunsterzieher, der im Auftrag der niederländischen Bibelgesellschaft die Bilderbuchreihe „Was uns die Bibel erzählt“ gestaltete. Sie wurde
zum Weltbestseller. Warum? De Kort meint: „Um kindgerechte Bilder zu schaffen,
muss man den Kindern auf die Finger schauen“. So schuf er erstmals eine biblische
Ikonographie für Kinder mit einer sparsamen Bildsprache ohne ablenkendes Detail.
Diese Bildsprache lehnt sich erstmals an Kinderzeichnungen an. Es sind Bilder ohne
räumliche Perspektive, die Figuren sind zumeist auf einer Linie nebeneinander gestellt, das Verhältnis des Kopfes zum Körper beträgt wie beim Kind zumeist 1:4, während die Proportionen beim Erwachsenen 1:7 ausmachen. De Korts Figuren wirken
freundlich, mit großen dunklen Augen. Wahrscheinlich war es diese Bildersprache,
die die biblischen Bilderbücher von Kees de Kort zu einem Weltbestseller machten.
Noch eine kleine Beobachtung: Bislang war es üblich, zumeist erfundene Kinderfiguren als Identifikationsangebote in die Geschichten einzufügen. Diese erfundenen
Kinderfiguren zur Identifikation fehlen bei de Kort.
Das erste Bild illustriert eine Szene aus Israels Frühzeit. Die Story von David und
Goliath spielt vor etwa 3000 Jahren im Umbruch zur Eisenzeit. Auf zwei Bergen stehen sich die beiden feindlichen Heere gegenüber. Auf der einen Seite die Philister
aus der Küstenebene, dem heutigen Gazastreifen. Vom Mittelmeer her waren die
Philister aus dem Westen eingewandert. Auf der anderen Seite waren von Osten her,
d.h. aus der Steppe, die Hirtenstämme der Israeliten eingewandert. Die beiden eingewanderten Gruppen: Philister und Israeliten gerieten wiederholt in Konflikte. Wegen ihrer neuen Waffen aus Eisen waren die Philister zunächst überlegen. Dafür
steht der Riese Goliath als Symbol.
Auch die Israeliten hatten Kanaan noch nicht lange besiedelt; unter ihrem ersten König Saul wollten sie ihren neuen Landbesitz verteidigen und erweitern. Deshalb
herrschte Krieg. Da trat aus den Reihen der kampfbereiten Philister ein überaus großer, Furcht erregender Krieger hervor. Auf dem Kopf hatte er einen eisernen Helm,
sein Körper war durch einen sehr schweren Eisenpanzer von etwa 10 kg geschützt.
Der Riese Goliath forderte zum Zweikampf heraus, eine damals übliche Form, um
eine Schlacht ohne größeres Blutvergießen zu entscheiden. Goliath brüllte: „Wählt
einen von Euch aus, der allein gegen mich kämpft. Wenn er mich besiegt und totschlägt, wollen wir eure Knechte sein. Wenn ich ihn besiege und erschlage, sollt ihr
unsere Knechte sein und uns dienen.“ Der Riese verhöhnte und verspottete das kleine Israel, die aber fürchteten sich sehr. (1 Sam 17, 8-10). Unter ihnen waren auch
die drei älteren Brüder Davids, die mit in den Krieg gezogen waren.
Währenddessen hütete David als der Jüngste die Schafe seines Vaters. Eines Tages
bat ihn sein Vater: „Geh zu Deinen Brüdern ins Heerlager und bringe ihnen zu Essen. David machte sich rasch auf und als er in die Nähe der Wagenburg kam, hörte
Prof. Dr. Christine Reents
Predigt am 31.5.2015
Seite 2
er das Kriegsgeschrei und sah, wie Goliath die Israeliten lautstark zum Zweikampf
herausforderte. So ging das schon vierzig Tage lang.
Da fragte David den König Saul, ob er mit dem Riesen kämpfen dürfe. „Nein“, antwortete Saul, „Du bist noch zu jung! Goliath aber ist ein erfahrener Krieger.“ Da
schilderte der junge David, wie er gegen Löwen und Bären kämpfte, um die Schafe
seines Vaters zu schützen. Daraufhin erlaubte Saul dem David, gegen den Riesen
zu kämpfen, mit den Worten: „Geh hin! Der Herr wird mit Dir sein!“ Saul zog David
seine eigene Rüstung an: Panzer, Helm und Schwert, doch der Junge konnte nicht
darin gehen. Deshalb legte er alles wieder ab und suchte sich einen Stock und fünf
glatte Steine aus einem Bach; diese Kiesel steckte er in seine Hirtentasche und
nahm seine Schleuder mit. So trat der Hirtenjunge dem hochgerüsteten Riesen entgegen.
Dieser schaute den jugendlichen David von oben herab an, verlachte und verachtete
ihn mit den Worten: „Bin ich denn ein Hund, dass Du mit einem Stock zu mir
kommst? Komm nur her! Bald fressen Dich die Vögel und die Tiere!“ Doch David
antwortete: „Du kommst zu mir mit Schwert, Speer und Spieß, ich aber komme im
Namen des Gottes, den du verhöhnt hast. Dieser Gott wird dich mir ausliefern, dass
ich dir den Kopf abschlage.“
Mit voller Wucht rannte Goliath auf David zu, David aber griff in seine Tasche, nahm
einen Stein und schleuderte ihn zielsicher auf den Philister. Der Stein traf den Riesen
an der Schläfe und drang in seinen Kopf ein, so dass der Riese zu Boden fiel. Diesen
dramatischen Moment des ungleichen Zweikampfes hat de Kort ins Bild gebracht.
Erst danach nahm David Goliaths Schwert, zog es aus der Scheide und schlug dem
Riesen den Kopf ab. Als die Philister sahen, dass ihr Held tot war, flohen sie. So beginnt die lange Geschichte Davids, der zum größten König Israels vor rund dreitausend Jahren wurde. Er führte das kleine Hirtenvolk zu Macht und Ansehen durch Eroberungen. Bis heute gilt diese Zeit als die goldene Zeit Israels – und vielleicht auch
als Legitimation für Kriege.
Sicherlich ist die Geschichte von David und Goliath für Kinder spannend. Sicherlich
erfreut das Thema: der Kleine besiegt den Großen – vor allem die Kleinen. Wenn ich
die Bilder mit Kindern angeschaut habe, wenn ich ihnen die Geschichte erzählte,
dann habe ich eine Frage nicht ausgelassen: Krieg und Sieg im Namen Gottes – ist
das für uns noch o.k.? Heute müssen Konflikte friedlich gelöst werden. Deshalb sollten Kinder zu Peacemakern, zu Schlichtern von Konflikten, zur Kompromissfähigkeit
erzogen werden; nicht zum Hauen und Kämpfen. Wie sieht es dann aber mit der Geschichte von David und Goliath in Kinderbibeln aus? Das habe ich öfter mit meinen
Enkelkindern diskutiert. Ich habe sie gefragt, ob die Geschichte in Kinderbibeln gestrichen werden sollte. Die Antwort war zumeist: Nein! Aber diskutieren!
Nun zum zweiten Bild. Es zeigt den Höhepunkt eines bekannten Gleichnisses. Auf
die Frage. „Wer ist mein Nächster?“ antwortet Jesus mit einer Geschichte: Ein
Mensch ging von Jerusalem nach Jericho hinab. In dem einsamen Bergland fiel er
Räubern in die Hände, die zogen ich aus, schlugen ihn, hauten schnell ab und ließen
ihn halbtot liegen. Zufällig ging ein Priester dieselbe Straße hinab; er sieht den Verletzten, aber schaut weg und geht einfach schweigend weiter. Ein zweiter kommt
vorbei, ein Tempeldiener. Auch er sieht den Verletzten, auch er schaut weg und geht
einfach schweigend weiter.
Prof. Dr. Christine Reents
Predigt am 31.5.2015
Seite 3
Das kennen wir: vieles sehen und einfach so weitergehen, weitermachen und nichts
sagen. Ehrlich gesagt: oft weiß ich mir auch keinen anderen Rat.
Als dritter kommt ein Mann aus Samarien, aus dem feindlichen Nachbarland. Die
Leute von Jerusalem und die Samaritaner waren Feinde. Als er nahe bei dem Verletzten war und ihn sieht, hatte er Erbarmen mit ihm, bleibt stehen und geht zu ihm
hin. Er versorgte seine Wunden, hebt ihn auf seinen Esel und bringt ihn in eine Herberge am Wege. Dort pflegt er ihn. Der Feind sorgt für den Verletzten! Und als der
Samaritaner am nächsten Tag weiterziehen muss, nimmt er zwei Geldstücke heraus
und gab sie dem Wirt mit der Bitte um weitere Pflege. Meine Enkelkinder waren ganz
erstaunt, als wir die Geschichte anschauten: der Feind sorgt für den Verletzten, das
wundert mich!
Im Vergleich der beiden biblischen Geschichten stellt sich die Frage: Angriff und Verteidigung oder Zuwendung und Fürsorge, auch seinem Feind helfen! Die erste Geschichte erzählt vom Gegeneinander; hier freut mich die List des Kleinen, die ihm
zum Sieg über den Großen verholfen hat. Klein schlägt Groß durch eine List! Trotzdem bleibt es eine Geschichte der Gewalt. Die zweite Geschichte erzählt vom Füreinander und vom schweigenden Wegschauen. Das ist heute Morgen unser Thema:
gegeneinander – füreinander oder besser noch: miteinander.
Ich halte es für gut, wenn Große und Kleine beide Verhaltensweisen auch anhand
biblischer Geschichten und Bilder diskutieren. Es geht um eine Kultur des Lebens,
der Zuwendung. Jede Form des gelungenen Füreinander und Miteinander ist für uns
alle wohltuend. In diesem Sinne wünsche ich uns einen guten Sonntag, eine gute
Woche!
Amen
ZUM KONZEPT DER AUSSTELLUNG
Unsere Kinderbibelausstellung zeigt Motivreihen zu acht Biblischen Themen: Vier aus dem
Alten Testament: Sabbat, Kain und Abel, Isaak muss nicht sterben und David und Goliath –
Vier aus dem Neuen Testament: Jesu Geburt, der zwölfjährige Jesus im Tempel, Jesus und
die Kinder sowie Jesus und der Sturm.
Deutschsprachige Bibeln gab es schon vor Luther; manche enthalten Bildmotive, die sich
später in Kinderbibeln wiederfinden. Martin Luther hat selbst im Jahre 1529 die erste kleine
Kinderbibel mit 50 Holzschnitten zusammengestellt. Seitdem entstanden knapp tausend Kinderbibeln evangelischer, katholischer und seit der Aufklärung auch jüdischer Herkunft. Ein
Beispiel einer neuen jüdischen Kinderbibel liegt auf dem Büchertisch.
„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“, weiß ein Sprichwort. Fast alle Kinderbibeln sind im
Stil ihrer Epoche illustriert. Auf den acht Fahnen finden Sie jeweils das älteste und das jüngste Bild zu einem Thema, z.B. der Ruhetag, der Sabbat im Symbol einer Hängematte oder
Kain und Abel als ein Gesicht, denn in einem Menschen findet sich beides: Abels Friedfertigkeit und Kains Zorn. So können Sie durch die Motivreihen in den Bilderrahmen viel entdecken zum jeweiligen Verständnis einer Biblischen Geschichte.
Allen, die dazu beigetragen haben, diese Ausstellung hier in dieser alten Kirche aufzubauen,
ein herzliches: Danke!
Prof. Dr. Christine Reents
Predigt am 31.5.2015
Seite 4