88 89 wiwo.de/erfolg Revolution von oben ERFOLG GRÜNDER : Chinas Unternehmerszene boomt, auch dank großzügiger Fördergelder der Regierung. Das Problem ist bloß: Innovation lässt sich nicht verordnen. Durch die Decke Fabian Zhou gründete eine Datingplattform für chinesische Investoren WirtschaftsWoche 10/4.3.2016 © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. FOTO: MICK RYAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE C hinesen gehen gerne essen. Sie lieben es, nach den besten Restaurants der Stadt zu suchen. Vor allem lieben sie es, dabei noch etwas Geld zu sparen. Und wo eine Nachfrage, da meist ein Angebot. Seit einigen Jahren sind Gutscheinbücher bei vielen Einwohnern enorm beliebt, die meisten Restaurants bieten Rabattkarten an. Davon wollen auch einige findige Gründer profitieren. Chen Liang zum Beispiel. Mit seinem Startup Urbem will er die chinesische Gastronomieszene verändern. Chen bietet eine digitale Clubkarte für alle Restaurants. Dazu können die Nutzer über den Chatdienst Weixin nach Restaurants in der Umgebung fragen und automatisch einen Tisch reservieren. Seine Idee ist erfolgreich, nach wenigen Monaten hat sein Rabattclub bereits mehr als 10 000 Mitglieder allein in Shanghai. Aktuell verdient er zwar nur an den VIP-Mitgliedern, die für mehr Service und höhere Rabatte umgerechnet etwa 14 Euro im Halbjahr zahlen. Ist die Nutzerzahl hoch genug, sollen in Zukunft auch die Partnerrestaurants zahlen. Die chinesische Regierung blickt hoffnungsfroh auf Gründer wie Chen. Denn die Wirtschaft des Landes wächst so langsam wie seit 25 Jahren nicht mehr. Für so ziemlich jedes andere Land der Welt wären 6,9 Prozent Wachstum im vergangenen Jahr Grund zur scher Popsänger und schaut US-Fernsehserien. Sie geht am Wochenende lange aus und weiß, dass sie nicht automatisch erfolgreicher sein wird als ihre Eltern, die vom chinesischen Wirtschaftswunder profitierten – es sei denn, sie wählen andere Wege. Deshalb steckt hinter vielen Start-ups nicht nur unternehmerischer Ehrgeiz, sondern auch Emanzipation. Freiheit schlägt Staatskonzern Das bestätigt auch eine Studie der Gründerplattform Chuangyeban, die Ende 2014 chinesische Gründer nach dem Antrieb für die Selbstständigkeit befragte: Nur rund die Hälfte hatte monetäre Motive, knapp 90 Prozent nannten Selbstverwirklichung als Hauptgrund. Sie tauschen die Sicherheit eines Arbeitsplatzes in einem Staatskonzern gegen die Freiheit ihrer eigenen Gedanken. Allein das ist noch nicht neu. Der entscheidende Unterschied ist, dass sie es in China Freude, für China sind sie Anlass zur Sorge. tun. Noch vor wenigen Jahren war es der Die traditionellen Branchen wie die Ze- Traum einer chinesischen Familie, ihr Kind ment-, Stahl- und Eisenindustrie leiden un- ins Ausland zu schicken und ihm damit eine ter der schwächelnden Inlandsnachfrage. bessere Zukunft zu ermöglichen. InzwiHunderte Millionen von Arbeitern, die in schen kehren jedoch viele Chinesen in ihre den vergangenen Jahren in den Fabriken des Heimatstädte zurück. Landes für den Wohlstand der Nation ge- Auch Ren Siyi hat ihren gutbezahlten Job schuftet haben, verlieren ihre Jobs. Ver- bei einem Maschinenbauer in Deutschland schärft wird die Situation durch ein veraufgegeben, um an ihrem eigemeintliches Luxusproblem: Jährlich nen Unternehmen in China zu arbeiten. In perdrängen neun Millionen Hochschulfektem Deutsch kann absolventen auf den Arbeitsmarkt. sie sich über AnAuch deshalb setzt China auf die triebssysteme unterFörderung von Gründern. Sie solhalten, spricht mittlen die Werkbank der Welt zu eineue Unternehmen lerweile aber lieber nem kreativen Innovationsstandort entstehen in China nach über Tee. machen. Im vergangenen Jahr hat Angaben der Regierung Die 28-Jährige entwidie Regierung daher die Hürden für jeden Tag ckelt mit ihrem Start-up Gründungen gesenkt und milliardenTea Plays einen Keramikstab, schwere Förderprogramme aufgelegt. Damit sollen unter anderem Stipendien finan- der sich in die Tasse stellen lässt und einen ziert, der Aufbau von universitären Tech- Teebeutel sowie ein Thermostat vereint. Er parks alimentiert und Gründungsberatun- zeigt nicht nur an, wenn das Getränk fertig gen offeriert werden. Geht es nach Minister- ist, sondern soll sich später auch per Bluepräsident Li Keqiang, soll der Unternehmer- tooth mit dem Handy verbinden und übergeist das ganze Land erfassen. wachen, ob der Nutzer genug trinkt. Zudem Auf den ersten Blick scheint Pekings Plan gibt die App Gesundheitstipps.Die Idee kam aufzugehen, denn die Gründerszene boomt Ren während ihrer Zeit in Europa. Dort betatsächlich. Wichtigste Branchen sind der- merkte sie, dass das Bild ihres Landes im zeit der Onlinehandel, die Unterhaltungs- Wesentlichen von Chinarestaurants und branche und der Dienstleistungssektor. In Billigläden geprägt wird – das wollte sie Städten wie Shanghai, Peking und Shenzhen nicht hinnehmen: „Das hat mich so wütend eröffnen Coworking-Spaces und Gründer- gemacht, weil Produkte in China auch eine zentren, in denen sich die junge, urbane Mit- hohe Qualität haben können“, sagt Ren. telschicht über Finanzierungen und guten Doch Chinas Regierung träumt längst von Kaffee unterhält. Diese Entwicklung ist Teil mehr als gutem Tee. Potenzial sieht die Reeiner altersbedingten Veränderung. Die jun- gierung vor allem im Dienstleistungssektor, ge, gut ausgebildete und wohlsituierte Gene- im elektronischen Handel und bei der Inration des Landes hört Lieder amerikani- dustrie 4.0. In diesem Bereich gibt es mitt- 10 000 ! 4.3.2016/WirtschaftsWoche 10 90 91 ERFOLG Rabatt im Restaurant Gastro-Gründer Chen Liang möchte mit vergünstigtem Essen Geld verdienen ihren Gründungsideen befragt. „Am meisten Erfolg haben wir mit jungen Chinesen, die aus dem Ausland zurückkommen.“ Denn sie sind wie viele ihrer Landsleute einerseits fleißig und diszipliniert, haben andererseits aber auch ein globales Verständnis. Auf dem Weg in die Selbstständigkeit werden sie derzeit großzügig alimentiert. Durch die jubelnden Staatsmedien sind mittlerweile nicht nur die Investitionssummen der Regierung astronomisch, sondern auch die Milliarden Euro Investorengelder. steckte die Regierung Das Vertrauen in die Bör2015 in die Förderung se ist erschüttert, die Entvon Gründern wicklungen in der Immobilienbranche undurchsichtig. So haben Geldgeber die Gründer für sich entdeckt und im vergangenen Jahr drei Mal mehr in Start-ups gesteckt als noch 2014. Wer verstehen will, was das bedeutet, muss in das teuerste Viertel von Shanghai fahren. Dort hat Gründer Fabian Zhou sein Büro in einem der Hochhäuser, die die neue Skyline der Metropole bilden. Seit dem vergangenen Herbst baut Zhou eine Art digitale Dating-Plattform für chinesische Investoren, die nach Akquisitionsmöglichkeiten in anderen Ländern suchen. „Die ausländischen Firmen finden keine Käufer, den Investoren fehlt der Überblick über potenzielle Angebote“, sagt Zhou. Genau da sieht er das Potenzial für sein Unternehmen Investarget. „Geld war von Anfang an kein Problem“, sagt Zhou. Sie werden unter anderem von Yiyi Tianshi finanziert, einem der bekanntesten Business Angels in China. Doch die ersten Wolken am vermeintlich strahlenden Horizont sind bereits erkennEurope International Business School in bar. Weil so viel Geld im Markt ist, halten Shanghai. „Dahin ist es aber noch ein weiter Experten wie Wissenschaftler Vincent Weg.“ Den Hauptgrund für den Rückstand Chang die Start-ups für überbewertet. ZuChinas sieht Chang im chinesischen Bil- dem zeigen sich viele Gründungen als nicht dungssystem. Kein Wunder: Jahrzehntelang sehr nachhaltig. brauchte das Land eine Armee von einfa- So hat das chinesische Marktforschungsunchen Arbeitern, die in den Fabriken am chi- ternehmen IT Orange ab 2013 drei Jahre nesischen Wirtschaftswunder schraubten. lang über 400 Start-ups beobachtet. 90 ProKreative, innovative Denker brauchte die zent davon scheiterten. Deshalb hält Chang chinesische Regierung lange nicht. Doch die aktuelle Politik für einen Fehler. „Die Inausgerechnet die sollen es nun richten. Und novation muss von unten kommen, sie kann wenn sie Geld brauchen, kommen viele von nicht von oben diktiert werden“, sagt er. Der ihnen zu Todd Embley. Geldsegen sei zwar gut gemeint, Der Kanadier ist Leiter des Chidoch besonders im Bereich des Onlinetipp naccelerator, einer der ersten Gründertums richte er mehr Gründertagebuch Einrichtungen in China, die Schaden an, sagt er: „Zu viel Der intelligente HandGründern bei der Entwicklung Geld ist manchmal weniger als schuh des Gründerwettihrer Start-ups hilft. Er hat in bewerbssiegers ProGlove zu wenig.“ n den vergangenen Jahren Tau- steht vor der Serienreife. gruender.wiwo.de lea deuber | [email protected] sende von jungen Chinesen zu Bleib Optimist! SERIE : Unternehmer schildern den schwersten Schritt ihrer Karriere. Der erste: Schraubenkönig Reinhold Würth über die Herausforderung, stets frohen Mutes in die Zukunft zu blicken. 208 WirtschaftsWoche 10/4.3.2016 © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. FOTO: LAIF/FINANZEN-VERLAG GMBH/AXEL GRIESCH; ICON:CREATVE STALL 1 FOTO: MICK RYAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE lerweile auch chinesische Branchengrößen, die im Ausland reüssieren. Dazu gehören unter anderem Xiaomi, der viertgrößte Handyhersteller der Welt mit einem Marktwert von derzeit etwa 46 Milliarden US-Dollar, der Drohnen-Marktführer DJI mit einem Wert von acht Milliarden USDollar und das an der New Yorker Börse notierte Unternehmen Alibaba. Wert: rund 170 Milliarden US-Dollar. Wie weit China trotzdem noch von einer Gründerrevolution entfernt ist, zeigt der Global Entrepreneurship Monitor 2014. Daraus geht hervor, dass in den USA rund 14 Prozent der Erwerbstätigen Unternehmer sind, in China sind es 1,2 Prozent. Dabei soll es nicht bleiben. „Die Regierung versucht, die ganze Nation in Richtung einer innovationsgetriebenen Gesellschaft zu drücken“, sagt Vincent Chang, Professor an der China Betrachten wir die Welt zu Beginn des Jahres, dann konstatiere auch ich, dass die Lage vor allem geopolitisch so unsicher ist wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr: Stellvertreterkriege zwischen Iran und Saudi-Arabien, im Hintergrund natürlich die alte Rivalität zwischen den USA und Russland, in die als neuer Player auch China mitzumischen beginnt, lassen im kollektiven Gedächtnis der Menschen schon Parallelen aufziehen zu den Ereignissen vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Eine solche Hammeraussage widerspricht natürlich dem Titel dieses Textes. Der geneigte Leser gestatte mir deshalb, hier meine Lebenserfahrung ins Spiel zu bringen. Geboren 1935, habe ich noch sehr bewusst die HitlerDiktatur und den Zweiten Weltkrieg miterlebt und bin heute im 67. Berufsjahr immer noch für mein Unternehmen Würth tätig. Nun habe ich in meinem Leben viele Entwicklungen beobachten können, die anfangs unvorstellbar waren im Mikrokosmos meines Unternehmens. Mein Vater Adolf hatte das Unternehmen 1945 gegründet und bis zu seinem Tod 1954 aufgebaut. Ich übernahm als 19-Jähriger die Schraubengroßhandlung mit zwei Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 146 000 D-Mark. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass der Betrieb 2015 mehr als elf Milliarden Euro Außenumsatz mit 69 000 Mitarbeitern erwirtschaften würde. Genauso wenig war im Makrokosmos des Weltgeschehens in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts auch nur andeutungsweise die Wiedervereinigung Deutschlands 1989 denkbar. Während meiner 67 Berufsjahre habe ich natürlich auch viele Konjunkturtäler erlebt, eine unendliche Fülle von Vorhersagen, die oft überhaupt nicht in Erfüllung gingen – denkt man nur an die ersten Prognosen des Club of Rome 1975. Manche Jahre wurden von den Wirtschaftsforschungsinstituten als Boomjahre prognostiziert und endeten mit einem Nullwachstum, ein anderes Mal wurden Rezessionen angekündigt, die nicht eingetreten sind. Prognosen sind eben gefährlich, weil sie sich mit der Zukunft beschäftigen. Sehr wichtig war für mich immer, allgemeinen Meinungstrends nicht ungeprüft hinterherzurennen. Als 1983 etwa die erste sozialliberale Koalition in Deutschland unter Bundeskanzler Willy Brandt an die Regierung kam, gab es in der Wirtschaft riesige Sorge, dass die Konjunktur zusammenbricht. Passiert ist damals gar nichts, einfach weil die Macht des Faktischen so stark ist. Neu Regierende merken rasch, dass frühere oppositionelle Brandreden im Regierungsgeschäft Die 5 Verhaltensregeln des Reinhold Würth: 1. Beobachte die internationale Tagesund Monatspresse 2. Verknüpfe diese Informationen zu Clustern 3. Analysiere, was sich daraus in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren entwickeln kann 4. Bereite auf dieser Grundlage Handlungsalternativen vor und unterscheide nach kurzfristigen und langfristigen Folgen 5. Beobachte permanent laufende Trends schnell aufgezehrt werden. So hat mich nie interessiert, wer in Deutschland regiert. Mein Vertrauen setzte ich auf das Bundesverfassungsgericht – und wurde bis heute auch nie enttäuscht. Wo stehen wir nun 2016? Auch wenn ich am Ende vielleicht falsch liege, so kann ich mir zwei unterschiedliche Szenarien vorstellen. Eines hoch negativ, ein anderes euphorisch optimistisch. Sorge macht mir die Entwicklung in Pakistan: Sollte es den aus Afghanistan immer mehr nach Pakistan drängenden Taliban gelingen, die Militärregierung zu stürzen und sich in den Besitz der dort befindlichen Atomwaffen zu bringen, hätten wir natürlich den absoluten GAU, weil Taliban, „IS“, Boko Haram, Hamas und wie die Organisationen alle heißen, einen 3. Weltkrieg herbeisehnen. Hoffen wir, dass dieses Szenario nicht eintritt. Die andere Polkomponente zum Positiven ist natürlich für Deutschland, dass die Konjunktur 2016 auf Hochtouren läuft. Die 1,3 Millionen Flüchtlinge neuerer Zeit sollte man auch nicht nur als Problem sehen: Schon allein aus der Demografie ist Deutschland dringend auf die Zuwanderung junger Menschen angewiesen. Wenn wir den Flüchtlingen, die ja zum größten Teil fleißig, intelligent und arbeitswillig sind, eine Chance geben, dann können wir vielleicht in drei bis fünf Jahren mit einem zweiten deutschen Wirtschaftswunder rechnen. Die Frage bleibt immer „Ist das Glas halb voll oder halb leer?“. Sehr gut lässt sich dies auch im Unternehmen verfolgen: Den Pessimisten, die mit einem „20-nach-8-Gesicht“ morgens in den Betrieb kommen, mit mahlenden Zähnen, Stehhaaren und Gänsehaut, ist wohl kaum eine optimistische leistungsbereite Teilnahme am Betriebsgeschehen abzuverlangen, diese Leute tun ihre Pflicht, wenn überhaupt. Für mich waren immer jene Mitarbeiter die wichtigen, die mit einem Smiley in den Betrieb kommen, die mit Optimismus ihre Aufgaben angehen und am erzielten Erfolg unbändige Freude haben. Bedenken wir, dass wir die schönste Zeit unseres Lebens im Betrieb verbringen – die Sonnenstunden der Werktage genauso wie in Lebenszeit gerechnet die besten Jahre vom 20. bis zum 65. Lebensjahr, nämlich in jener Zeit, wenn wir gesund sind und fröhlich Fürbass gehen. Wenn wir in diesem Zeithorizont nicht unseren Beruf als etwas Positives erleben, dann verlieren wir so viel an Lebensqualität, dass ich jedem Mitarbeiter dringend empfehle, sich sofort einen anderen Arbeitsplatz zu suchen, weil Sauertöpfe und Wissensriesen, die nur Realisierungszwerge sind, noch nie etwas bewegt haben. Optimismus entspricht dem Immunsystem unseres Körpers. Und nur ein starkes Immunsystem bewahrt uns vor jeder Form von Leid. n 4.3.2016/WirtschaftsWoche 10
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