Laudatio von Hans Werner Kilz

Laudatio von Hans Werner Kilz
Laudatio auf Maze n Darwish - 2015-04-23
Preisträger „Das unerschrockene Wort"
Wittenberg, 25. April 2015
Sehr geehrte Frau Bader,
sehr geehrter Her r Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident
meine sehr verehrten Damen und Herren,
es gibt ein Kr ieg st agebuch des legendären Reporters Egon Erwin Kisch, das 1930
unter dem Titel „ Schr eib das auf, Kisch!" erschien. Und dieses T ag ebuch beg innt
m it dem Satz: „Der Bl eist if t zitterte und das Herz zitterte, als dieses Manuskript
entstand, das Du jetzt lesen wirst."
„Schreib das auf , Kisch! " , hatten ihm die Soldaten zugerufen, mit denen er in
Galizien in den Schützengräben lag: die Kameraden des Prager Korps, die neben
ihm verbluteten, in einem sinnlosen Krieg, in dem sie billiges Kanonenf ut t er war en.
Was hat sich g eänder t in den 85 Jahren, die seitdem ver g ang en sind?
Nichts. Es g ibt we it e r hin Kr ieg . Es gibt Waffen, die töten. Es gibt Menschen, die
sinnlos geopfert werden. Und es gibt Kr ieg sr epor t er , die über das ber icht en, was
sie erfahren und erleben.
Nur eines hat sich geänder t : die Arbeitsweise. Der Journalist sitzt nicht mehr an
der Schreibmaschine; er hat sein iPad oder iPhone dabei, er simst, bloggt und
twittert, vertraut all das, was er sammelt, dem Computer an und schick t es um den
Er dbal l.
Aber genau das ble ib t dem Mann, den wir heute hier ehren, verwehrt:
Mazen Darwish (phon. M a a sen Darw i i i sh), der Rechtsanwalt und Journalist;
sitzt seit drei Jahren in Haft und wird vom syr isch en Regime an der Ausübung
seines Berufes gehindert. Alle Appelle von UN Organisationen, ihn freizulassen,
blieben erfolglos.
Wie Darwish si nd al l e Journalisten in Syrien schwersten Repressalien ausgesetzt,
wenn sie versuchen, wahrheitsgetreu über ihr Land zu berichten.
Syrien, meine sehr ver ehr t en Damen und Herren, i s t - wie viele andere Länder auf
dieser Erde - seien es die arabischen Staaten, der Iran oder auch Russland – ein
großes Gefängnis für Medienmitarbeiter. Presse - und Meinungsfreiheit existieren
faktisch nicht.
Mit der Verleihung drückt die Jury, dr ücken die Lutherstädte ihre Solidarität mit allen
verfolgten Syrern aus.
Wir Journalisten h ier in Deutschland, die wir in großer Freiheit unsere Arbeit
verrichten, dürfen nicht wegschauen, wenn Menschen bedroht, inhaftiert oder gar
gefoltert und umgebracht werden, nur weil sie für die Verbreitung von Nachrichten
kämpfen.
Es ist gerade er st acht Jahrzehnte her, dass in Deutschland ein mörderisches
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Regime herrschte, das Menschen verfolgte, ver j ag t e, einsperrte und umbrachte, weil
sie ihre Mei nung äußer t en.
Und hier im Osten des Landes mussten die Menschen noch viel länger warten, bis
es ihnen wieder möglich war, sich aus verschiedenen Quellen ihre Informationen zu
besorgen sich f r ei zu äußern, frei zu wählen und sich po l it isch zu bet ät ig en.
Was treibt Jour na list en wie D ar wish? Was sind ihre Motive, dass sie sich in Gefahr
begeben, um Informationen zu sammeln und weiterzugeben? Dass sie gar ihr Leben
riskieren, um den selbst gestellten Auftrag zu erfüllen?
Sie wollen aufklären, der Wahrheit auf die Spur kommen. Sie wollen die Menschen
informieren, sie teilhaben lassen an Vorgängen, von denen sie sonst nie erfahren
würden. Journalisten wollen die Welt ein bisschen transparenter machen,
verständlicher, vielleicht auch ein bisschen weniger gemein, ein bisschen eh rlicher
und offener.
Wir tun das hier, in der freien westlichen Welt, unbeeinflusst von staatlicher Macht.
Wir sind geschützt – geschützt durch stabile politische Verhältnisse, durch Gesetze,
die es uns erlauben, sich Informationen zu beschaffen und sie z u verbreiten, ob es
jemandem passt oder nicht.
Die Pressefreiheit ist wesentlicher Bestandteil unserer Verfassung. Kein Journalist
muss um Leib und Leben fürchten, wenn er seinem Beruf nachgeht.
Doch unabhängiger Journalismus, meine Damen und Herren, ist keine
Selbstverständlichkeit, er muss auch hier stets aufs Neue erkämpft und verteidigt
werden.
Und Journalisten in Diktaturen, in Kriegsgebieten wie Syrien, in den Hochburgen der
Unfreiheit, führen diesen Kampf unter Einsatz ihres Lebens - gegen Zensur, gegen
Sank t ionen und Ver f olg ung .
Willkür und G ewalt si nd in Syrien grausamer Alltag, wenn es darum geht, eine freie,
unabhängige Presse zu unterdrücken. Die j ähr lichen Statistiken über ermordete,
verhaftete und gefolterte Journalisten in aller Welt sprech en eine traurige und
deprimierende Sprache.
Mazen D ar wish, der heute hier in W ittenberg mit dem Preis für „Das
unerschrockene W ort" geehrt wird, kann die Auszeichnung nicht persönlich
entgegennehmen. Er sitzt in Haft, weil er für die Pressefreiheit kämpft, weil er dazu
beitragen will, dass sich Journalisten ein objektives Bild über den Bürgerkrieg in
Syrien machen können.
Für Darwish ist eng ag ier t er , kritischer Journalismus mehr als nur ein Handwerk.
Journalistische Arbeit ist für ihn eine Leidenschaft, ein e Lebensaufgabe.
Wir freuen uns sehr , dass seine Ehefrau, die Journalistin Yara Badr (= Bader), die
selber bis Mai 2012 im Gefängnis war, nach Witten berg gekommen ist, um für ihren
Mann diesen Preis entgegenzunehmen.
Ich habe Yara Bader erst gestern Abend kennengelernt. Und von ihr weiß ich, dass
ihr Mann nach seiner Festnahme 9 Monate verschwunden war, irgendwo
eingekerkert, ohne Kontakt zur Außenwelt.
Er wurde gefoltert, verlor bis zu 70 Kg Gewicht, konnte nicht mehr stehen und nicht
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mehr laufen. Von Damaskus wurde Darwish im Januar nach Hama verlegt, im
Zentrum Syriens, in ein stark umkämpftes Gebiet. Seine Anwälte und seine Ehefrau
sollten gehindert werden, ihn zu besuchen. Es wäre lebensgefährlich, durch diese
Kampfgebiete fahren zu wollen.
Seit zwei Wochen wartet Mazen Darwish wieder in der Nähe vo n Damaskus auf
seinen Prozess, ihm wird vorgeworfen, Journalisten unterstützt und verteidigt zu
haben. Das gilt als terroristischer Akt. Ob es zu dem Prozess kommt, keiner weiß es,
auch Frau Bader nicht.
Mazen Darwish hat schon 2004 das Syrische Zentrum für Medien und
Meinungsfreiheit (SMC) gegründet - also lange Zeit vor den aufflammenden
Protesten der Demonstranten, die für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte auf
die Straße gingen. Er ist zu einer wichtigen Symbolfigur g ewor d en - f ür all j ene, die
ihr e Auf g abe dar in sehen, unterdrückte Nachrichten nach draußen zu bringen.
Nach der Macht üb er nahm e Pascher al-Assads gab es für kurze Zeit eine winzige
Hoffnung, das Land könnte sich öffnen - die Wirtschaft liberalisieren, das Internet
installieren und eine freie Presse zulassen.
Private Me dien g ab es auch, aber nur solche, die als politisch zuverlässig galten,
die staats - und parteitreu berichteten. Eine oppositionelle oder freie Presse hat es
in Syrien nie gegeben. Hin und wieder gab es mal einen Feuilleton - Redak t eur , der
in einer Buchbesprechung zwei regimekritische Sätze einflechten konnte. Mehr war
nicht möglich.
Seit Ausbruch des B ür g erk r ieg es 2011 gibt es nur noch die Medien des Regimes,
die ausschließlich Propaganda verbreiten.
Auf der ander en Seit e sind es ein paar mutige, lokal und heimlich arbeitende
„Bürger-Journalisten" oder auch Blogger, meistens junge Menschen zwischen 18 und
30 Jahren, ohne journalistische Ausbildung, die ihre Nachric hten im Netz
veröffentlichen oder Medien im Ausland zuspie len.
Im Innern des Landes g ibt es quasi kein Internet und keinen Strom - nur in den
Grenzgebieten zur Türkei lassen sich Nachrichten verbreiten.
Es gibt keine Zeit ung oder ein anderes Publikationsorgan, das unabhängig und
kritisch berichten kann.
Journalisten si nd in Syrien die Gejagten aller Mächte. Ganz gleich, ob es die
Schergen des Assad-Regimes sind, Rebellen, Dschihadisten der Al -Nusra-Front oder
die Mörderbanden des Islamischen Staats - sie alle sind hinter Journalisten her, die
sie als Spione oder U nt er gr undk am pf er ver dächt ig en.
Jede Recherche oder Weitergabe von Nachrichten wird als Gefahr für die eigene
Sache gewertet, als Terrorakt oder Sabotage eingestuft. Wer erwischt wird, wird
entführt, eingesperrt, gefoltert oder auch hingerichtet.
Journalist zu sein, is t in St aat en wie Syrien im Moment ein er der g ef ähr lichst en
Ber uf e auf dieser W elt .
Das Misstrauen gegen ausländische Beric hterstatter ist sogar innerhalb der
Bevölkerung gewachsen, die Bewertung ihrer Arbeit fällt kritischer aus als zu Beginn
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des Bürgerkrieges.
Viele Syrer g lauben, dass sie belogen wurden. Am Anfang haben ihnen die
Journalisten erklärt, wie wichtig ihre Arbeit für eine Veränderung im Lande sei. Nun
hat sich aber nichts verändert und die internationale Gemeinschaft bleibt untätig. Die
Aggression wächst, auch gegen Journalisten.
Viele syrische Ko lleg en sind inzwischen in die Türkei geflohen. Aber es g ibt noch
einige, die Tag für Tag über das informieren, was in ihre m Land tatsächlich
geschieht.
Die aus länd ischen R epor t er reisen illegal nach Syrien, weil sie kein Visum und
k eine Akkreditierung bekommen. Sie bewegen sich mit bewaffneten Eskorten durchs
Land oder arbeiten undercover, getarnt in Kleidung der Einheimisch en - ohne jede
Garantie, von Problemen ver schont zu bl eiben.
Die ständige Pr äsen z von G e walt bedeutet permanenten Stress. Journalistische
Arbeit - wenn überhaupt möglich - ist extrem anstrengend und gefährlich. Die
meisten großen internationalen Zeitungen und Fernsehstationen schicken kaum noch
festangestellte Reporter nach Syrien.
Ich war viele Jahr e Chefredakteur beim SPIEGEL und der Süddeutschen Zeitung
und hatte immer ein mulmiges Gefühl, wenn der Auslands -Ressortleiter kam und wir
entscheiden mussten, ob wir Reporter in Kriegsgebiete schicken.
“Gestorben wir d viel l eicht f ür s Vaterland, aber nicht für die Zeitung", habe ich
damals salopp gesagt, „wir brauchen keine Helden." Und dann mussten wir im ersten
Golfkrieg und im Balkan-Krieg Anfang der 90er Jahre erleben, dass Kollegen nicht
mehr in die Redaktion und zu ihren Fam i li e n zur ück k ehrt en.
Wir haben sie ver l or en, sie wurden von Heckenschützen abgeknallt, obwohl - oder
gerade weil? - sie als Journalisten zu erkennen waren.
Kriegsreporter sind e ine eig e ne Spezies unter den Journalisten. Für sie ist der
Journalismus mehr Berufung als Beruf. Sie sind keine Abenteurer und keine
lebensmüden Hasardeure, sie sind so behutsam und nachdenklich wie die anderen,
die an ihrem Schreibtisch sitzen und Leitartikel verfassen. Zu ihrem Handwerkszeug
gehören neben Telefon und Stift auch schusssichere W est en und ein k lar er
Ver st and.
Der Drang, am W eltgeschehen aktiv teilzunehmen, die Ereignisse live mitzuerleben,
sich authentisch ein Bild zu machen und darüber zu berichten , treibt diese
Journalisten immer wieder in Krisenregionen. Und es trifft auch die erfahrensten
unter ihnen - sie alle haben die schrecklichen Bilder von James Foley in Erinnerung.
Der Amerikaner Fole y war 2012 im Auftrag der Nachrichtenagentur AFP und des
Bostoner Medienunternehmens Global Post als Fotoreporter in einem umkämpften
Gebiet in Nordsyrien unterwegs, als er von Extremisten verschleppt wurde.
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Wie schrecklich m uss es für Eltern sein, wenn sie per Video die Enthauptung ihres
Sohnes mit ansehen müssen. In einer bewegenden Erklärung sagte die Mutter, Jim
Foley habe „sein Leben bei dem Versuch gelassen, der Welt das Leid des syrischen
Volkes näherzubringen."
An dieser St ell e m öcht e ich auch ein paar Sätze dazu sagen, wie die Redaktion bei
Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehanstaiten mit diesen Videos des Islamischen
Staats umgehen sollten. Jedes Bild von Erschießungen oder abgetrennten Köpfen,
mit denen sich IS-Krieger im Netz brüsten, ist ein Propaganda -Erfolg für die
Terroristen.
Diese Horror-Videos sind Teil einer ausgeklügelten Strategie. Sie verbreiten
Schrecken in den sozialen Medien, die k a u m z u k o n t r o l l i e r e n s i n d u n d w e r d e n
l e i d e r v i e l z u o f t von seriösen Medien gezeigt. Getrieben von der Wirkung der
sozialen Medien, machen sich die Journalisten damit zu einem verlängerten
Propaganda-Arm der IS.
Hier wäre ein Um den k en in den Redak t ionen dringend notwendig.
Propagandamaterial des Islamischen Staats sollte grundsätzlich nicht verbreitet
werden - egal, ob die Opfer ausländische Journalisten sind oder syrische Rebellen,
Araber oder Amerikaner, Muslime oder Christen.
Selbst Kr ieg sr epor t er ver wenden Begriffe wie „Lotterie" oder „Russisches
Roulette", wenn sie ihre Arbeit in Syrien beschreiben. Es ist reine Glückssache, in
diesem Land als Journalist zu überleben - das gilt für einheimische wie für
ausländ ische Jour na list en.
Kriegsjournalismus war schon immer mit hohen Risiken verbunden. Aber in Syrien
sind Reporter und ihre Mitarbeiter zu Zielscheiben der Kriegsparteien geworden „Freiwild für Scharfschützen, Geiselnehmer oder Soldaten", wie der Verein „Reporter
ohne Grenzen" in einem Bericht schreibt, der den Titel trägt: Journalismus in Syrien
- Ein Di ng der Unm ög lichk eit ?"
Damals, Ende 2013, war die Unterzeile „Ein Ding der Unmöglichkeit?" noch mit
Fragezeichen versehen.
Seit wir die B il der vo n enthaupteten Journalisten kennen, scheint diese Fr ag e
beant wor t et zu sein. „Syrien", heißt es in dem Bericht, „i s t der zeit das
gefährlichste Land der Welt für Jour nalist en. ” Und doch ist es unerlässlich, dass
täglich berichtet wird.
Jedes diktatorische Regime weiß, schon allein die Tatsache, dass Reporter
auf t auchen, k ann den im Kriegsgebiet lebenden Menschen eine Art Trost sein.
Diesen Menschen bedeutet es eine ganze Menge, dass sich jemand für ihr
Schick sal int er essie r t .
Araber sind g r oße Zeit ung sleser . Die Presse könnte eines Tages eine wichtige
Rolle spielen beim Neuaufbau des Landes, auf den so viele Menschen hoffen.
Die Jury der Lut her st ädt e hat eine sehr gute Wahl getroffen. Mazen Darwish ist als
Direktor des Syrischen Zentrums für Medien und Meinungsfreiheit zu einer
öffentlichen, von den internationalen Medien beachteten F ig ur ge wor den.
Das wissen die Syrer, das missfällt dem Regime.
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Deshalb hat auch di e se Veranstaltung, die Preisverleihung heute h ier in W ittenberg,
ihre Bedeutung.
Schon vor dr ei Jahr e n, als er verhaftet wurde, hat der Verein „Reporter ohne
Grenzen", der weltweit Verstöße gegen die Pressefreiheit anprangert und
hervorragende Arbeit leistet, Mazen Darwish als „Journalisten des Jahres " geehrt,
um seinen Einsatz für die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen in Syrien
zu würdigen.
Und im ver g ang enen Jahr wur de ihm vo n der Schr if t st eller - und Lit er at en ver e inig ung PEN der “ I nt er nat ional W r it er of Cour ag e Awar d” ver l iehen – um
sein m ut ig es Eint r eten f ür die Pr essef r eiheit zu wür d ig en. Un d in seinem
Dank eswor t , das Dar wish im “ G uar dian” ver öf f ent licht e r ief er auf zu W ür de,
Fr eiheit und G er echt ig k eit in seinem Land.
Syr ien, so Dar wish, habe der Mensch he i t das er st e Alphabet g eg eben. Das
syr isch e Volk wer de niem al ak ze pt ier en, Sk laven der T yr ann ie und Veh ik el des
T er r or ism us zu sein.
W ir wünschen Ma ze n Dar wish und seiner Familie, dass er unversehrt bleibt und
bald wieder freikommt aus dem Gefängnis. In Freiheit leben können die Mens chen in
Syrien seit langem nicht. Mazen Darwish wird nie aufhören, dafür einzutreten, dass
sich das in Syrien ändert.
Wir bewundern ihn für seinen Mut. Er hat seine Freiheit verloren, weil er dafür
kämpfte, anderen die Freiheit zu erhalten. Dafür danken wir ihm. Auch mit diesem
Preis.
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