Inhalt Pressefreiheit in wachsender Gefahr Interview mit Dr. Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen 1 Nie war die Arbeit von Reporter Anschuldigungen wie Drogenschmuggel oder mit ohne Grenzen wichtiger als jetzt. Verleumdungsgesetzen hinter Gitter gebracht. In Was sind die Gründe für den Rückfall in Bangladesch werden Internetaktivisten tätlich an- mehr Zensur, Unterdrückung und Ermor- gegriffen, allein in diesem Jahr wurden dort zwei dung von Journalisten? Blogger mit Macheten erschlagen. Andererseits sind in Ländern wie Syrien, in die sich ausländi- Zum einen ist die Zahl der regionalen Konf likte sche Korrespondenten kaum noch wagen, Bürger- gestiegen, die gleichzeitig ausgetragen werden und journalisten zur oftmals letzten möglichen Quelle in denen Medien unterdrückt und Journalisten für Informationen geworden. zur Zielscheibe werden: Beispiele dafür sind die Ukraine, Syrien oder der Irak. Hinzu kommt in sogenannten „zerfallenden Staaten“ skrupellose Rechtsfreie Räume Gewalt durch Terrorgruppen, Milizen oder Verbrecherkartelle. Nicht zuletzt werden Journalisten, 3.H at das auch etwas mit einem neuen und Karikaturisten und Blogger auch im Namen von anderen, unter Umständen aggressiveren Religion zur Zielscheibe. Journalismus zu tun? 2.Sind nicht-klassische Journalisten und Ich glaube nicht. Jeder Journalismus spiegelt die Ge- Blogger genauso davon betroffen oder ha- sellschaft, in der er arbeitet. In vielen Ländern gibt ben sie Vorteile dadurch, dass Unrechtsre- es traditionell kaum so etwas wie unparteiischen gime sie nicht so schnell identifizieren und Journalismus. Die Medien sind entweder in der sanktionieren können? Hand der Regierung, einer oppositionellen Gruppe oder auch im Besitz von konkurrierenden sogenann- 92 Nein. Blogger oder Bürgerjournalisten sind auf ten Oligarchen, die dort ihre eigenen ökonomischen Dauer mithilfe der modernen Überwachungssoft- Interessen vertreten. ware leider fast immer identifizierbar. Oftmals Zunehmend physisch bedroht werden Journalisten sind sie sogar ungeschützter als ihre professionellen und Blogger dort, wo entweder der Staat mit dieser Kollegen. In Ländern wie China, Iran oder Russ- Gewalt heimlich oder offen sympathisiert – gegen- land werden kritische Blogger mit willkürlichen über islamkritischen Bloggern zum Beispiel – oder »Die größte Sorge haben wir um Freelancer, die sich ohne Sicherheitstraining oder Versicherung, schlecht ausgerüstet und mit wenig Geld © Di et m ar Gust , Re po rte r oh ne Gr enze n in Kriegsgebiete aufmachen.« Dr. Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen dort, wo der Staat keine Macht mehr hat. Wo sich kann. Wir fordern besseren Schutz; die Regierung nicht-staatliche Konfliktparteien überhaupt nicht kann ihn nicht gewährleisten, weil sie keine Macht mehr um die Menschenrechtscharta und um den mehr hat. Wir fordern, Journalistenmorde effektiv Schutz der Zivilbevölkerung einschließlich Journa- zu verfolgen; die Regierung verhält sich passiv, weil listen scheren, läuft das Völkerrecht ins Leere. sie mit den Tätern sympathisiert. 4.Was bedeutet das für Ihre Arbeit? Was Zweite Folge: Immer mehr Journalisten müssen ändert sich? aus ihren Ländern f liehen. Die Zahl der Anfragen an Reporter ohne Grenzen steigt stetig an. Im Unsere Appelle, Journalisten als zivile und un- vergangenen Jahr kamen die meisten Hilferufe aus abhängige Beobachter zu behandeln, finden in Syrien, viele auch aus Aserbaidschan, Bangladesch solchen Konflikten keinen Ansprechpartner mehr, und Afghanistan. auf den internationaler Druck ausgeübt werden 93 Inhalt Kleine Lichtblicke cherheit. Die größte Sorge haben wir um Freelancer, die sich ohne Sicherheitstraining oder Versicherung, 5.Stehen Sie manchmal davor zu resig- schlecht ausgerüstet und mit wenig Geld in Kriegs- nieren? Was gibt Ihrer Arbeit Kraft, was gebiete aufmachen. Sie sind dann für Redaktionen motiviert Sie? zwar preiswerte Lieferanten von Reportagen oder Videos. Aber das darf nicht sein. Wir fordern die Warum sollen wir resignieren, wenn in diesen Medienhäuser auf, für freie Journalisten, die sie Ländern so viele Journalistinnen und Bürgerjourna- beschäftigen, prinzipiell die gleiche Verantwortung listen trotz schwierigster Arbeitsbedingungen sich zu übernehmen wie für entsendete Redakteure. nicht entmutigen lassen? Es wird nicht alles „immer An die Politik appellieren wir, die Empfehlun- nur schlimmer“. Diktatoren stürzen auch, in Tu- gen von Reporter ohne Grenzen zum Schutz von nesien entwickelt sich eine zivile Gesellschaft, und Journalisten in Friedens- wie in Konfliktzeiten manche Konflikte werden ganz allmählich befriedet, umzusetzen. Wir verurteilen illegale oder willkür- wie im ehemaligen Jugoslawien. liche Überwachung ihrer Kommunikation. Und wir brauchen auch in Deutschland mehr Notruf- und Und dann gibt es auch Erfolge im Kleinen: Wenn Evakuierungsprogramme sowie Zufluchtsorte für Journalisten oder Blogger aus Gefängnishaft frei- akut gefährdete Journalisten aus aller Welt. kommen und dann sagen, wie wichtig es war, dass wir immer wieder auf sie und ihren Fall hingewiesen 7.Haben Sie eigentlich noch Lust zu lesen? haben. Und nicht wenigen, die vor Krieg und Ver- Was lesen Sie? Welche Medien? folgung fliehen, zum Beispiel aus Syrien, konnten wir helfen, in Deutschland Zuflucht zu finden. Tatsächlich lese ich nicht mehr morgens fünf Zeitungen wie in meiner Zeit als Tageszeitungsre- 6.Welche Botschaften können Sie Verlegern dakteur. Heute ist es natürlich eine Mischung aus in Deutschland mitgeben, welche der Politik? Internet und Twitter für die schnelle Information, Pressespiegel und Newsletter für den Überblick – Immer mehr feste Korrespondentenstellen im Aus- und, eher dann zuhause am Abend, Printmedien land werden abgebaut, um Kosten einzusparen. In mit den längeren Stücken, die dann die eigentliche Krisensituationen fehlt dann bisweilen das nötige Leselust und vor allem das Nachdenken bringen. // Know-how vor Ort, gerade auch in Fragen der Si- 94
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