Grenzgänger Thüringen-Sonntag / TCBL Wie zwei Deutsche die Grenzen zwischen drei Ländern verwischen Schlaflose Nächte an der Neiße – ein Ort liegt auf der Lauer R O (1) Deutsche, Polen und Tschechen lebten im Dreiländereck lange voneinander getrennt. Jetzt kommen sie sich langsam näher R O (2) Die Ostritzer leiden unter der Grenz-Kriminalität und fordern mehr Schutz. Doch die Polizei hat ein anderes Konzept Von Friedemann Knoblich Von Mara Mertin „Licht!“, ruft Christian Ernst seinem Kollegen Klaus-Dieter Fabisch vom Beifahrersitz zu. „Hast recht“, brummt dieser, greift mit der linken Hand neben das Lenkrad und schaltet die Scheinwerfer des Autos an. „Dafür bin ich immer zuständig“, sagt Christian Ernst und lacht. Er meint das Tagfahrlicht, das in Polen und Tschechien für alle Fahrzeuge Vorschrift ist. Langsam rumpelt das Auto die schmale Straße zwischen den Getreidefeldern entlang. Immer wieder weicht Klaus-Dieter Fabisch Schlaglöchern und Spurrillen aus. Die Straße zwischen dem tschechischen Ort Andělka und dem polnischen Krzewina gleicht einem Feldweg. „Es ist noch nicht lange so, dass man hier fahren darf“, sagt Christian Ernst. Hier im Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und Tschechien gibt jedes Navigationsgerät klein bei. Auf welcher Seite der drei Grenzen man sich gerade befindet, ist in den Wäldern manchmal schwer zu sagen. Die Buchstaben auf den Straßen- und Ortsschildern lassen Rückschlüsse zu. Das Tschechische verrät sich mit Häkchen über den Buchstaben. Für die beiden Männer in dem Auto ist der Zick-Zack-Kurs entlang der Grenzen Alltag. Sie arbeiten daran, dass dies für alle Bewohner der Region Alltag wird. Drei Stunden zuvor: Ernst und Fabisch sitzen im Kulturbüro von Ostritz, einem 2600-Seelen-Ort südlich von Görlitz in der Oberlausitz. Ostritz ist eine Grenzstadt. Wer sie in gerader Linie gen Osten verlässt, durchquert auf einer Strecke von fünf Kilometern drei Staaten. Das Kulturbüro wird vom Vereinshaus „Alte Schule“ betrieben. Christian Ernst – 72 Jahre alt, weißer Haarkranz, Brille auf der Nase – ist Mitbegründer des Vereins. Klaus-Dieter Fabisch – 58 Jahre, braune Haare, Schnauzbart – ist sein Nachfolger. Der Verein will den Austausch zwischen Deutschen, Polen und Tschechen fördern – grenzübergreifend und generationenübergreifend. „Unser Interesse ist die Völkerverständigung in unserem kleinen Gebiet“, sagt Christian Ernst, hält einen Moment inne und fügt hinzu: „Ich weiß nicht, ein bisschen wird es uns gelungen sein.“ Das vom Verein betriebene Büro direkt neben dem Rathaus ist unter anderem Anlaufstelle für Tagestouristen und Urlauber. Hier gibt es Karten mit Radrouten und Tipps zu Wandertouren. Mit Wanderungen hat 1997 auch die trinationale Arbeit des Vereins begonnen. Einmal im Jahr treffen sich Deutsche, Polen und Tschechen aus den Dörfern rund um die Neiße, um gemeinsam zu wandern und sich auszutauschen. An gewöhnlichen Tagen nutzt Alexander Olonczik sein Schweißgerät, um Autos zu zerlegen. Im vergangenen Sommer hat der 30-Jährige damit die Hintertür seiner Werkstatt dicht gemacht. Die Fenster haben er und seine Freunde mit Balken verrammelt. Dann legten sich die Hobby-Schrauber auf die Lauer, begannen nachts, mit dem Auto durch den Ort zu patrouillieren. Nachts, wenn in Ostritz an der deutsch-polnischen Grenze die Straßen menschenleer sind. Scheinbar menschenleer. Rasenmäher, Werkzeugkoffer, Kabel, Felgen, Dachrinnen – seit einigen Jahren häufen sich in Ostritz die Diebstähle. 126 Einbrüche erfasste die Polizei im vergangenen Jahr, ein knappes Drittel mehr als 2012. Die Dunkelziffer liegt deutlich höher. Die Aufklärungsquote ist gering, auch wenn sie steigt. Im vergangenen Jahr lag sie bei 18 Prozent: In nur 23 Fällen machten die Beamten die Täter ausfindig. Meist sind es kleine Dinge, die aus Schuppen und Lauben wegkommen. Doch die Unruhe in dem 2600-Seelen Ort wächst. Die Diebe kommen über die Neiße, heißt es im Dorf. Ostritz und sein wenige Kilometer entfernter Ortsteil Leuba liegen unmittelbar am Grenzfluss. Die Häuser reihen sich in einem schmalen Streifen entlang der Hauptstraße. Eine Fußgängerbrücke führt von Ostritz nach Polen, zum Bahnhof der Stadt. „Willkommen im Land der Einbrüche und der Hochwasseropfer“, ist auf Plakaten zu lesen, die auf deutscher Seite an einem Gartenzaun bei der Brücke hängen. Aufgehängt hat sie Hartmut Ehrentraut, der Betriebsleiter des Hotels „Neißeblick“. Aus Frust, wie er sagt. Mehr als ein Dutzend Mal sei im Hotel eingebrochen worden. „Der Wert alleine ist es nicht“, klagt der 59-Jährige. „Es ist die Angst, die vor allem die älteren Leute hier bedrückt. Manche wollen schon gar nicht mehr abends aus dem Haus gehen.“ Das Hotel selbst werde mittlerweile in Ruhe gelassen. Es gebe nichts mehr zu holen, sagt der Betriebsleiter und zuckt die Achseln. Nach dem Hochwasser von 2010 investiere der Eigentümer nun nicht mehr. An den blauen Gartenstühlen im Hof platzt die Farbe ab. Das Gras steht knöchelhoch. Sternmärsche und Staffelläufe zwischen drei Ländern Die 18. Europawanderung fand dieses Jahr im Mai statt, 250 Menschen nahmen teil. „Damit kann man schon zufrieden sein“, sagt Christian Ernst. Völlig zufrieden ist er nicht, denn die Europawanderungen sind das letzte große Vereinsprojekt, das bis heute überdauert hat. Früher habe es Sternmärsche und Staffelläufe gegeben und ein reihum organisiertes Dreiländerfest, auf dem die Besonderheiten des jeweiligen Gastlandes präsentiert wurden. „Da wurde immer eine Tombola veranstaltet. Jede Gruppe besorgte kleine Preise und mit Beiträgen von 50 Mark pro Land wurde der Hauptgewinn gekauft. Die Polen und Tschechen waren da richtig hinterher, wollten immer gewinnen“, berichtet Christian Ernst. Ihm ist anzumerken, dass ihm die Erinnerungen an die Projekte viel bedeuten. Er erzählt weiter: Beim Patronatsfest in der Kirche in Andělka, zu Deutsch Engelsdorf, kamen Jung und Alt aus allen drei Ländern zusammen. 1998, 80 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, fuhr eine Delegation aus Polen, Tschechen und Deutschen nach Frankreich. In Verdun pflanzten sie drei Bäume und verstreuten Erde aus den drei Ländern. „Die deutsche Erde kam aus meinem Garten“, erinnert er sich. „Aber das ist leider alles Historie“, sagt er. Auf dem Tisch vor den Männern liegt einer von mehreren prall gefüllten Aktenordnern. Es ist ein Zeugnis der Vereinsaktivitäten. Heute müssen Für Klaus-Dieter Fabisch (links) und Christian Ernst ist es Alltag, zwischen Deutschland, Polen und Tschechien zu pendeln. Mit ihrem „Vereinshaus Alte Schule“ arbeiten sie daran, dass der Austausch für mehr Menschen in den drei Staaten zur Selbstverständlichkeit wird. Foto: Friedemann Knoblich sie um jeden Euro Fördermittel kämpfen, beklagt Fabisch. Wie lange sie das Angebot noch aufrechterhalten können, weiß er nicht. Doch nicht nur am Geld hänge es. Wichtiger als die Finanzen sei das Engagement der Menschen. „Anfangs hatten wir ein breites Publikum bei unseren Veranstaltungen. Das waren keine Eintagsfliegen. Aber irgendwann hat sich gefiltert, wer wirklich Interesse hatte“, so Christian Ernst. Auf polnischer und tschechischer Seite gebe es bis heute tatkräftige Unterstützer – Pfarrer, Lehrer, Bürgermeister. Doch sie werden weniger. „Wollen wir mal rausfahren?“, fragt Christian Ernst unvermittelt. KlausDieter Fabisch nickt. Die beiden Männer steigen ins Auto. Die erste Etappe der Fahrt ist der Bahnhof von Ostritz. „Das hier war früher das Bahnhofsgebäude“, erklärt Christian Ernst und zeigt auf einen roten Backsteinbau mit einem kleinen Turm. Ein Bauzaun versperrt den Zugang, die Fenster der unteren Etage sind zugemauert. „Hier wurde früher das Gepäck der deutschen Reisenden aufgegeben. Man gab es hier ab und es wurde von den Beamten in den Zug verladen. Das Tor zum Bahnsteig wurde erst 15 Minuten vor Abfahrt aufgeschlossen“, sagt er. Denn die Station liegt am östlichen Ufer der Neiße. Auch wer heute eine Fahrkarte nach Görlitz oder Zittau lösen will, muss das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verlassen. Dort, wo früher DDR-Grenzsoldaten den Schlagbaum bedienten, markieren heute ein Blechschild mit Bundesadler und ein schwarz-rot-gold gestrichener Pfahl die Grenze. Eine Brücke führt über die Neiße. Am anderen Ufer weisen der rot-weiße Pfahl und ein Kiosk mit der Aufschrift „Billige Zigaretten“ auf die Einreise ins Polnische hin. „Das war immer ein Theater, wenn ich dem Spieß erklären musste, wieso auf meiner Fahrkarte der Zielort Krzewina stand. Der dachte, ich wollte eine Auslandsreise unternehmen und verlangte eine Genehmigung dafür“, erinnert sich Klaus-Dieter Fabisch an seine Militärzeit. Er und Christian Ernst laufen die Straße weiter nach Krzewina, dem ersten polnischen Ort direkt hinter der Grenze. Das Auto haben sie in Ostritz vor dem alten Bahnhofsgebäude geparkt. Denn die Grenzbrücke ist nur für Fußgänger da. Wer mit dem Auto nach Polen will, muss einen Umweg fahren. Es ist die erste Grenzüberquerung am heutigen Tag. „Wir wollen mal sehen, ob Pavel zu Hause ist. Er ist ein feiner Kerl, spricht gut Deutsch und ist seit vielen Jahren bei unseren Wanderungen dabei“, sagt Christian Ernst. Nach einem Fußweg von fünf Minuten, der sie an alten Gehöften mit bellenden Hunden vorbei führt, machen die beiden Männer Halt vor einem modernen Einfamilienhaus. Hier wohnen der Sohn und die Enkel von Pavel Nych. Jede Möglichkeit genutzt, das Deutsche nicht zu vergessen Der 84-Jährige wohnt in einem Nachbarort, schaut aber häufig bei seiner Familie vorbei. Pavel Nych steht in der Einfahrt, begrüßt die Besucher herzlich und bittet sie auf einen Kaffee herein. Er zündet sich eine Zigarette an und fragt nach der Gesundheit seiner Freunde. Sein Deutsch hat einen polnischen Akzent. Während er zu Beginn des Gesprächs noch stockt, muss er später immer seltener nach Worten suchen. „Du hast mir das eingepflanzt“, sagt er schließlich mit gespieltem Vorwurf in der Stimme zu Christian Ernst. Er meint die Wanderungen und die Feste gemeinsam mit Deutschen und Tschechen. „Das stimmt, die Initiative ging von deutscher Seite aus. Wir beide sind uns gleich nach der Grenzöffnung das erste Mal begegnet, unten am Bahnhof“, sagt Christian Ernst. Der Bahnhof ist das verbindende Element der Einwohner von Ostritz und Krzewina. Das war er auch zu Zeiten des Kalten Krieges. Damals sei der Austausch mit den Nachbarn aber gleich null gewesen, erzählen die Männer. Zur Person Friedemann Knoblich, 28 Jahre, studierte in Jena Politik und Soziologie. In dieser Zeit sammelte er Erfahrungen als freier Mitarbeiter verschiedener Online-Redaktionen. Nach sechs Monaten Australien kehrte er in die thüringische Heimat zurück und begann die Arbeit bei der Thüringer Allgemeinen. Die strikte Trennung polnischer und deutscher Fahrgäste habe keinen Kontakt zugelassen. „Aber ich war immer neugierig auf die Deutschen“, sagt Pavel Nych. Er berichtet, wie er im November 1959 nach Krzewina gezogen ist und den Posten als Fahrdienstleiter angetreten hat. Er blieb dies bis 1993, dem Todesjahr seiner Frau. „Jeden Tag kam der deutsche Beamte mit dem Gepäckwagen vom deutschen Bahnhofsgebäude zum Bahnsteig. Er war ein langsamer Kerl. Wir haben uns unterhalten. Das war nicht so einfach, denn die Grenzbeamten sahen das nicht gern. Aber ich habe jede Möglichkeit genutzt, damit ich die deutsche Sprache nicht vergesse“, sagt er. Die Neugier auf die deutschen Nachbarn erklärt sich auch daraus, dass Pavel Nych in Deutschland geboren wurde und zwölf Jahre in der Nähe von Rostock lebte, bis seine Familie zurück nach Polen zog. Obwohl auch die tschechische Grenze gleich um die Ecke liegt, haben ihn die böhmischen Nachbarn nie sonderlich interessiert. Das habe sich mit den Aktivitäten des Vereins geändert. Christian Ernst und Klaus-Dieter Fabisch verabschieden sich und laufen den kurzen Weg zurück zum Bahnhof. Sie passieren die Grenze zum zweiten Mal. Das nächste Ziel ihrer Rundfahrt ist die Gemeinde Višňová (Weigsdorf) in Tschechien. „Dort war Marie Matuskova seit der Wende Bürgermeisterin. Sie hat sich von Anfang an bei unseren Projekten beteiligt und die Menschen mitgezogen. Ihr Nachfolger ist auch gut, aber nicht mehr so hinterher. Mal sehen, ob wir sie treffen“, sagt Christian Ernst. Sie verlassen Ostritz in nördlicher Richtung, biegen nach etwa zehn Minuten ab und überqueren die deutschpolnische Grenze ein drittes Mal über eine große Brücke bei Radomierzyce (Radmeritz). Die Fahrt geht weiter über die Schnellstraße gen Süden. Zwischen Ostritz und Višňová liegen nur wenige Kilometer Luftlinie, aber der Landweg zieht sich. Irgendwann biegt das Auto auf eine kleine Landstraße ab. Die polnisch-tschechische Grenze verläuft irgendwo in den Wäldern. Der vierte Grenzübertritt findet unbemerkt von allen Beteiligten statt. Die Straße ist frisch asphaltiert und mit neuen Markierungen versehen, wird aber zunehmend enger. Hunde queren die Fahrbahn, Kinder und alte Leute schauen dem Auto hinterher. Am Straßenrand weisen Schilder den Weg zu polnischen und tschechischen Orten. Entgegenkommende Autos lässt Fabisch mit geübten Lenk- bewegungen Richtung Seitenstreifen passieren. „Hier passen noch zwei Möbellaster hin“, sagt er. In Višňová fragt Christian Ernst in der Gemeindeverwaltung nach Marie. Die Verständigung läuft über Mimik und Gestik, über die wenigen Brocken Deutsch der tschechischen Mitarbeiterin und das rudimentäre Tschechisch des Deutschen. Marie Matuskova sei derzeit nicht da. Sie sei in Prag bei ihrer Tochter, sagt die Dame am Schreibtisch. Unverrichteter Dinge steigen Ernst und Fabisch wieder ins Auto und fahren weiter. Sie wollen einen Bogen über das nahe gelegene Andělka machen. „Mówię bardzo słabo po polsku“ – „Ich spreche nur wenig Polnisch“, sagt Christian Ernst auf die Frage nach seinen Sprachkenntnissen mit einem Lächeln im Gesicht und winkt ab. Er habe zwar mal einen Polnisch-Kurs besucht, aber viel sei da nicht hängengeblieben. Er schiebt es auf sein Alter. Mit dem Tschechischen sei es ähnlich. „Aber die Polen und die Tschechen verstehen sich schon – wenn sie es wollen“, fügt er hinzu. Christian Ernst war bis in die frühen Neunzigerjahre in einem Lederwerk angestellt und kümmerte sich dort um die Materialbestellung. Mit der Öffnung der Grenze zu Polen und Tschechien schrieb sich sein Verein die Verbesserung der Zusammenarbeit auf die Fahne. Dieses Projekt füllte von da an seinen Tagesplan. ein graues Betongebäude – das ehemalige Zollhäuschen. Es ist der fünfte Grenzübertritt der beiden. Im Tal vor ihnen liegt Ostritz. Um nach Hause zu kommen, müssen sie die unsichtbare Linie ein sechstes Mal queren. Weitere Angebote im Internet: www.ta-webreportagen.de/ grenzgaenger Hier finden Sie ein Video zum deutschpolnischen Bahnhof und einen Interviewmitschnitt mit Pavel Nych. @ A4 B6 30 Reichenbach/Oberlausitz Görlitz Zgorzelec Bernstadt auf dem Eigen Zawidów Krzewina Ostritz Andělka DEUTSCHLAND Zehntausende kamen zum Musikfestival nach Andělka Durch Andělka fahren die beiden im Schritttempo. Sie schauen sich um. Der kleine Ort liegt auf einem Hügel. In der Mitte thront die Dorfkirche der heiligen Anna, lange Jahre Veranstaltungsort des Patronatsfestes, das Tschechen, Polen und Deutsche gemeinsam feierten. Das sei heute nicht mehr so. „Damals, nach Öffnung der Grenzen, überwog auf beiden Seiten die Neugier. Die Alten kannten die Nachbarorte noch aus ihrer Erinnerung und wollten sehen, was davon geblieben ist. Die Jungen waren noch nie drüben“, sagt Christian Ernst. Junge Leute habe einmal auch ein großes Musik-Festival nach Andělka gelockt. Zehntausende sollen damals gekommen sein. Die Musik war bis Ostritz zu hören. Am Ortsausgang biegt Klaus-Dieter Fabisch auf einen Feldweg Richtung Krzewina ein. Sie passieren einen mit Gras überwucherten Grenzstein und Sonnabend, . September B 96 Zittau POLEN Frýdlant Bogatynia 13 Hejnice Hrádek nad Nisou 35 Chrastava Jablonné v Podještědí TSCHECHISCHE REPUBLIK Liberec 14 Jablonec nad Nisou 123map/StepMap-Open Street Map Contributors Lizenz CC-BY-SA 2.0 / Grafik: AndreasWetzel Das Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und Tschechien ist das Gebiet, in dem unsere Journalisten für ihre Reportagen recherchierten. Es ist eine ganz besondere Grenzregion. Grafik: Andreas Wetzel „Schaden ist für mich gewesen, dass ich nächtelang nicht schlafen konnte, weil ich auf diese Idioten gewartet habe“, sagt auch Frank Konewka. „Und dann, bei jedem Bewegungsmelder, der angeht auf dem Hof, wenn man nachts auf Toilette muss . . . „ Man sei eben nervöser. Das Anwesen des Steuerberaters liegt in Leuba, am Hang zum Fluss. Vor sechs Jahren hat Frank Konewka das Grundstück gekauft, zog mit seiner Frau und seinen beiden Kindern hierher. Die Gebäude gehörten bis 2008 dem Kloster St. Marienthal. Zur Dorf- und zur Hangseite begrenzen Stallgebäude den Hof. Eines ist teilweise saniert. Hier unterhält Frank Konewka seine Steuerkanzlei. Hinter der groben, unverputzt gelassenen Fassade verbergen sich moderne Büros. Die Einwohner zählten 16 Einbrüche in einer Nacht Die dritte Seite des Hofs schließt das Gutshaus ab, das 1698 erbaut wurde. Hier lebt die Familie. Zwanzig Jahre blieb das Anwesen mit seinen Dachrinnen und Fallrohren aus Kupfer unbemerkt. „Alles begann, als wir ein Baugerüst um das halbe Haus aufstellten“, sagt Frank Konewka. „Das machte wieder auf den Hof aufmerksam.“ Es waren die Nächte Ende Juni, als die Diebe seine Dachrinnen abmontierten, erinnert sich der 36-jährige Vater. Die Dreistigkeit vor allem belaste die Menschen. In der ersten Nacht brachen die Diebe in den Stall ein. Sie versuchten, den Trecker zu stehlen. Das gelang nicht. In der Nacht darauf brachen sie die Tür zur Kanzlei auf und stahlen Werkzeug. Sie machten sich auch an die Dachrinnen. „50 Kilo Kupfer, das muss man sich einmal vorstellen!“, schimpft Frank Konewka. Die Stücke hätten sie herausgeschnitten, platt gedrückt und für den Abtransport bereit gelegt. Frank Konewka hörte nichts. „In dieser Nacht hatten wir das Fenster erstmals geschlossen“, erinnert er sich. Das Kupfer fand er am nächsten Tag in einem alten, grasbewachsenen Steinbruch hinter dem Stall. „In der dritten Nacht legten wir uns auf die Lauer“, erzählt er. Freunde, der Schwiegervater – sechs Leute insgesamt. Die Polizei wusste von der Aktion. „Als die beiden Diebe auf den Hof schlichen, rutschte mir das Herz in die Hose. Es war das Adrenalin. Ich war wie fremdgesteuert, als ich die Polizei rief.“ Der Polizeiwagen fuhr mit Licht auf den Hof. Die Diebe verdrückten sich, aber sie waren nicht weg. „Gegen 4 Uhr war die Polizei weg, um halb 5 waren die beiden Kerle wieder da“, erzählt Frank Konewka. Die Einwohner zählten in dieser Nacht 16 Einbrüche. Die übrigen, intakten Dachrinnen hat Frank Konewka abgemacht und auf den Dachboden geschafft. Dann hat er Dachrinnen aus Plastik angeschraubt. Das ist in Ostritz an vielen Gebäuden zu sehen. Auch an den Mauern des Klosters St. Marienthal mündet Kupfer in Plaste. „Seitdem wir die Rohre ausgetauscht haben, war keiner mehr da“, meint Hausmeister Wolfgang Axt. Zu gut seien die Türen in den Klostermauern gesichert. Tagsüber habe er öfter Leute beobachtet, die sich umschauten. Einmal hielt er selbst einen Dieb fest. Eine gute Tat, wie er dachte. Später wurde der Hausmeister selbst zu seinem Vorgehen befragt. Die Diebe, meint auch er, kommen über die Neiße. Jetzt führe der Fluss wenig Wasser und es sei besonders gefährlich, meint Norbert Kern, der Ortsvorsteher Leubas. Die zahlreichen Schuppen auf seinem Grundstück hat er inzwischen mit Schlössern gesichert. Vergangenes Jahr sei ein 20-Liter-Kanister mit Benzin weggekommen. Nicht weiter schlimm, aber es geschah um 16 Uhr und der Enkel sah den Fremden im Hof. Seit diesem Tag wolle der Junge nicht mehr im Erdgeschoss schlafen. Der Nachbar habe inzwischen eine Kamera im Garten installiert. Der Nachbar, der Cousin, die Tochter, der Kollege bei der Feuerwehr: Jeder im Ort ist mit den Einbrüchen konfrontiert. Wer nicht selbst Opfer wurde, weiß dies von Verwandten und Freunden. „Wenn in Ostritz ein Auto geklaut wird, haben wir de facto 2600 Opfer. Wenn das Gleiche in Dresden Der Bahnhof von Ostritz liegt auf polnischer Seite. Eine Brücke führt von dort in den -Seelen-Ort. Der Grenzübertritt ist hier heutzutage eine wenig aufregende Angelegenheit. Foto: Friedemann Knoblich oder in Erfurt passiert, haben wir eine Parklücke“, spitzt es Conny Stiehl zu. Conny Stiehl ist Polizeipräsident für die Region Görlitz und Bautzen. Die gefühlte Kriminalität sei höher als die reale Bedrohung, sagt Conny Stiehl. Aber natürlich sei der Ort im Verhältnis Einwohner / Straftaten stark belastet. Woher die Täter kämen, könne man nicht sagen. „Man kann nicht sagen, das waren immer nur die Polen“, betont Conny Stiehl. Und das wissen auch die Bürger von Ostritz. „Es gibt in Polen genauso viele anständige Leute wie hier“, meint Ortsvorsteher Norbert Kern. „Dass die Polizei frustriert ist, halte ich für eine Mär.“ Allerdings: In den vergangenen fünf Jahren waren laut Kriminalstatistik 72 bis 100 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen Ausländer. „Hinzu kommen aber noch all die, die wir nicht geschnappt haben. Das können alles Deutsche sein“, sagt Conny Stiehl und räumt gleichzeitig ein: „Das soziale Gefälle zwischen Deutschland und Polen ist eben doch groß. Die Kleinkriminellen, die hierher kommen, um zu stehlen, tun dies für den Lebensunterhalt.“ 3,50 Euro erhält man beim Schrotthändler für ein Kilo Kupfer, weiß Martin Arnold, der mit Alexander Olonczik in der Hobby-Werkstatt schraubt. „Mit fünf Kilo Dachrinnen kommst du über den Tag.“ Arbeitslosenhilfe wird in Polen etwa nur ein Jahr gezahlt. „Dann musst du schauen, wie du klarkommst“, sagt er und zuckt die tätowierten Schultern unter dem olivfarbenen Trägerhemd. Nicht nur die deutsche Seite habe unter dem Problem zu leiden. „In den Grenzstädten auf polnischer Seite wird genauso gemaust, aber da schützen sich die Menschen besser“, sagt Conny Stiehl. „Viele haben einen Hund und Alarmanlagen“, bestätigt Katarzyna Urban, die bei Frank Konewka angestellt ist. Die Polin lebt in Bogatyna, zwölf Kilometer von der Grenze entfernt. „Vorurteile gegen- Zur Person Mara Mertin, 27 Jahre, schrieb während ihres Studiums der Germanistik und Slawistik in Regensburg für die Mittelbayerische Zeitung. Nach einem Jahr am Goethe-Institut in Russland und einem journalistischen Abstecher nach Baden-Württemberg, kam sie für ihr Volontariat zur Thüringer Allgemeine. über uns Polen gibt es schon“, meint die 40-Jährige. „Aber es ist viel besser geworden.“ Haben die Beamten einen Täter erwischt, notieren sie sich die Personalien – und lassen ihn ohne Diebesgut laufen. Dann wird eine Strafanzeige erstellt, und es werden Zeugen befragt. Der Rest obliegt der Staatsanwaltschaft. „Dafür herrscht viel Unverständnis“, sagt Conny Stiehl. „Aber: Sofern ein fester Wohnsitz besteht, gibt es keinen Grund, einen Dieb festzuhalten. Dabei ist es völlig egal, ob er aus Polen, Deutschland oder sonst woher kommt. Wie ein Strafverfahren ausgeht, steht nicht in unserer Macht.“ Für eine Festnahme wegen Wiederholungsgefahr müsse man sich schon einiges leisten. „Wenn die Diebe ergriffen wurden, wurden sie entweder wieder freigelassen, oder man hat sie zwei Monate später wieder auf freiem Fuß gesehen“, resigniert Martin Arnold mit Blick auf die nächtlichen Patrouillen. Die Schrauber haben die Jagd nach Dieben mittlerweile aufgegeben – auch, weil ihnen der Beruf gerade weniger Zeit lasse, sagt Alexander Olonczik. Insgesamt drei Diebe konnten sie festhalten, bis die Polizei kam. Einer trug einen alten Rasenmäher auf dem Rücken. „Das ist der Frust der Leute hier“, konstatiert Hartmut Ehrentraut vom Hotel „Neißeblick“. Frank Konewka hat sich mit einem Brief an Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) gewandt. Ihn habe schockiert, wie deprimiert die Polizei sei, schrieb er dem Minister. Man arbeite sich auf und habe doch nichts in der Hand. „Aber das ist kein Problem der Polizei. Das ist ein Problem unserer Gesetze“, weiß Frank Konewka. „Dass die Polizei frustriert ist, halte ich für eine Mär“, wehrt sich Conny Stiehl und verweist erneut auf die Aufgabe der Behörde. Die Polizei reagiert. Allerdings nicht unbedingt mit erhöhter Präsenz von Polizeiwagen im Ort. „Damit kann man einen Dieb nicht vom Mausen abhalten. Dann maust er eben im Nachbarort. Wir wollen ja Täter ertappen und nicht verjagen“, begründet Conny Stiehl. Man setzt auf Zusammenarbeit mit der polnischen und auch der tschechischen Seite. Zwanzig Mann, je zur Hälfte aus den Nachbarländern, bilden mittlerweile die deutsch-polnische „Einsatzgruppe Neiße“. „Wir kommen so bis zu 25 Kilometer nach Polen rein, wo die Diebe das Gut verstecken oder verkaufen“, sagt der Polizeipräsident. Erste Erfolge stellen sich ein. So wurde im vergangenen Frühsommer eine Bande dingfest gemacht, die Schülern am Ostritzer Bahnhof Handys und Geldbörsen abnahm. „Wir wollen, dass die Menschen wieder gern in Ostritz leben“, sagt Conny Stiehl. Und ist sich in einem sicher: „Das können wir nur miteinander, mit beiden Seiten.“ Weitere Angebote im Internet: www.ta-webreportage.de/ grenzgaenger. Hier finden Sie Fotos der Protagonisten sowie Interview-Szenen zum Nachhören. @
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